Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.04.2003, Az. 1 StR 64/03

1. Strafsenat | REWIS RS 2003, 3414

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[X.]R: ja[X.]St: ja zu [X.]: [X.] § 255a Abs. 2Die vernehmungsersetzende Vorführung der [X.] einer frü-heren richterlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung nach § 255a Abs. 2Satz 1 StPO erfordert nicht, daß der Verteidiger vor seiner Mitwirkung an jenerfrüheren Vernehmung teilweise oder vollständige Akteneinsicht nehmen konn-te.Die Notwendigkeit zu einer ergänzenden Vernehmung in der Hauptverhand-lung kann sich nach Maßgabe der richterlichen Aufklärungspflicht ergeben (§255a Abs. 2 Satz 2, § 244 Abs. 2 StPO). Die Beurteilung insoweit ist stets eineFrage des Einzelfalles.Ein Antrag auf ergänzende Vernehmung in der Hauptverhandlung ist nach [X.] des [X.] zu behandeln, wenn der Zeuge [X.] einer neuen Behauptung benannt ist, zu der er bei der [X.] vorgeführten Vernehmung noch nicht gehört werden konnte.[X.], Beschluß vom 15. April 2003 - 1 [X.] - [X.] [X.] [X.]vom- 2 -15. April 2003in der [X.] u.a.- 3 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 15. April 2003 gemäß § 349Abs. 2 StPO beschlossen:Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. August 2002 wird als unbegründet verworfen.Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und dieder Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwen-digen Auslagen zu tragen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und zweierversuchter Vergewaltigungen, begangen jeweils in Tateinheit mit sexuellemMißbrauch von Kindern, sowie wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern inzwei weiteren Fällen unter Einbeziehung anderweitig verhängter Einzelstrafenzur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. [X.] gerichtete Revision des Angeklagten erhebt Verfahrensrügen unddie Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.[X.] Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen mißbrauchteder Angeklagte die am 18. März 1987 geborene [X.]. [X.]in der [X.] 1994 bis zum [X.] in fünf Fällen. Die Geschädigte ist die Tochtereines Arbeitskollegen des Angeklagten, der diesem vorübergehend Unterkunftgewährt hatte. In dreien der Fälle versuchte der Angeklagte, mit seinem Glied- 4 -in die Scheide des sich wehrenden Kindes einzudringen, was ihm indes nur ineinem Falle teilweise gelang.I[X.] Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.1. Die Revision macht als absoluten Revisionsgrund eine Verletzung [X.] geltend (§ 338 Nr. 6 StPO, § 169 GVG). Sie bean-standet, daß während des Ausschlusses der Öffentlichkeit (gemäß § 171bGVG) nicht nur der [X.]lizeibeamte [X.]als Zeuge vernommen und eine[X.] der polizeilichen Vernehmung der Geschädigten vom11. Oktober 2001 mit dem Zeugen in Augenschein genommen wurde, sondernauch über die Vereidigung und Entlassung des Zeugen S. befunden, [X.] sodann unterbrochen und Termin zu ihrer Fortsetzung be-stimmt worden ist.Die [X.] ist unbegründet. Beschränkt sich der Ausschluß der Öffent-lichkeit auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt, wie hier die Dauer der(weiteren) Vernehmung eines Zeugen unter Einschluß einer Augenscheinsein-nahme, so umfaßt er alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in en-ger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu [X.] gehören. Dazu zählt nach bisheriger Rechtsprechung des[X.] auch die Entscheidung über die Vereidigung des Zeugen,die noch während des Ausschlusses der Öffentlichkeit vorgenommen [X.] (vgl. nur [X.] NJW 1996, 2663). [X.]chts anderes kann aber für die Entlas-sung des Zeugen gelten.Soweit die Anordnung der Unterbrechung der Hauptverhandlung im [X.] an die Zeugenvernehmung in Rede steht und die Öffentlichkeit [X.] nicht wiederhergestellt war, ist denkgesetzlich auszuschließen,- 5 -daß das Urteil hierauf beruhen kann (vgl. [X.] 46. Aufl. § 338Rdn. 50b; siehe auch [X.] NJW 1996, 138). Die Bestimmung des Termins zurFortsetzung der Hauptverhandlung erfolgt zwar grundsätzlich in öffentlicherHauptverhandlung. Sie unterfällt indessen nicht dem Schutz des [X.]. Das ergibt sich schon daraus, daß der [X.] außerhalb der Hauptverhandlung verlegt werden kann und auch in [X.] in die Terminsankündigung am letzten vorauf-gegangenen Hauptverhandlungstag vom [X.] nicht erfaßtwird ([X.] NStZ 1984, 134, 135). Handlungen, die auch außerhalb der [X.] vorgenommen werden dürfen oder jedenfalls außerhalb [X.] in Abänderung von Anordnungen in der [X.] dürfen, können auch im Rahmen der Hauptverhandlung während [X.] der Öffentlichkeit erledigt werden, ohne daß darin ein Verstoßgegen den Grundsatz der Öffentlichkeit liegt (vgl. [X.] NStZ 2002, 106, 107).2. [X.], der auf die Vernehmung derSa. [X.] als Zeugin gerichtet war, gefährdet den Bestand des Urteils nicht.Die Verteidigung erstrebte die Vernehmung dieser Zeugin, einer [X.] der Geschädigten, zum Nachweis dessen, daß ein von der [X.] Gespräch über sexuelle Vorfälle mit ihr nicht stattgefunden habe,und daß die Geschädigte zu keinem Zeitpunkt - wie von ihr behauptet - wäh-rend des [X.] zwischen der benannten [X.] dem Angeklagten in [X.] gekommen sei. Ziel [X.] war es ersichtlich, generell die Glaubhaftigkeit der Angaben [X.] zu [X.] 6 -Der Revision ist einzuräumen, daß die Ablehnung des Antrages durchdie [X.] mit der Begründung, es handele sich um [X.],die nicht hinreichend bestimmt seien, hier nicht ohne weiteres tragfähig [X.]) Der erste Teil der Beweisbehauptung - [X.]chtstattfinden eines [X.]s der benannten Zeugin mit der Geschädigten - betraf freilich eine [X.] [X.], nicht jedoch nur ein Beweisziel, wie die [X.] scheint (vgl. [X.]St 39, 251, 253 ff.). Da die Geschädigte eine Interak-tion (hier ein Gespräch) mit Sa. [X.]geschildert hatte, hätte die benannteZeugin aufgrund eigener Wahrnehmung bekunden können, ob ein solches [X.] stattgefunden hat (vgl. [X.] NStZ 2000, 267). Es lag also gerade keinerder Fälle vor, in denen aus der unmittelbaren Wahrnehmung der [X.] darauf geschlossen werden soll, daß ein weiteres Geschehen nicht [X.] habe. Die Beweisbehauptung konnte deshalb insoweit tauglicherGegenstand des Zeugenbeweises sein (vgl. [X.]St 39, 251, 253 ff.).Die [X.] hat jedoch die Ablehnung ersichtlich auch auf die Be-deutungslosigkeit der [X.] gestützt. Sie hat ausgeführt, daß - [X.] verstanden - die Beweisbehauptung insoweit nicht geeignet sei, [X.] der Geschädigten in Zweifel zu ziehen und dies kurz begrün-det. Der [X.] ist grundsätzlich auslegungsfähig (vgl. [X.]St 1,29, 32; [X.] aaO § 24 Rdn. 4). Die Formulierung dieses [X.] läßt noch hinreichend erkennen, daß die [X.] damitverdeutlichen wollte, sie werde den vom [X.] nicht ziehen. Damit hat sie den Antrag der Sache nach wegen tatsäch-licher Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung abgelehnt. Das war auch fürden Antragsteller erkennbar, der sich mithin darauf einstellen [X.] 7 -b) Hinsichtlich des zweiten Behauptungsteils (die Geschädigte sei [X.] ihrer Aussage zu keinem Zeitpunkt ins [X.] gekommen, während diebenannte Zeugin mit dem Angeklagten den Geschlechtsverkehr ausgeübt ha-be) ist die Verfahrensrüge nicht in zulässiger Form erhoben (§ 344 Abs. 2 [X.] StPO). Die Revision teilt die polizeiliche [X.] zu [X.] unzutreffenden Angaben der Geschädigten in dem hier entscheiden-den Teil nicht vollständig mit. Die Geschädigte hatte in der in Bezug genom-menen polizeilichen Vernehmung - was die Revision nicht vorträgt - auch [X.], sie habe "nur ganz schnell reingeschaut" und dann "die Tür zuge-macht"; es habe "gewackelt", der Angeklagte habe "gestöhnt" (vgl. [X.] 85d.A.). Damit hat sie gerade nicht bekundet, was der unvollständige Revisions-vortrag nahelegen könnte, daß die benannte Zeugin ihre kurze Anwesenheitbemerkt hätte.Ob mit dem zweiten Teil der Beweisbehauptung eine dem unmittelbarenZeugenbeweis zugängliche Tatsache unter Beweis gestellt oder nur ein Be-weisziel bezeichnet wurde, hängt nach allem davon ab, ob die benannte Zeu-gin insoweit lückenlose eigene Wahrnehmungen gemacht haben konnte, [X.] hier nicht von selbst verstand. Dies ist von den näheren Umständen, na-mentlich den [X.] abhängig, wie sie sich aus der poli-zeilichen Aussage der Geschädigten in dem hier maßgeblichen Teil - die [X.] widerlegen wollte - erhellen. Die [X.] hat ihre Ab-lehnung auf die Erwägung gestützt, es seien keine konkreten Anhaltspunktedafür dargetan, daß die Zeugin die kurze Anwesenheit der Geschädigten "injedem Fall bemerkt hätte". Gerade deshalb war aber für einen [X.] der "den Mangel enthaltenden Tatsachen" die Mitteilung der Angabender Geschädigten und auch der benannten Zeugin vor der [X.]lizei erforderlich.Wäre das geschehen, hätte sich zudem ergeben, daß die [X.] 8 -dung insoweit rechtlich sogar zutreffend war, insbesondere die [X.] [X.]s an die Beweisbehauptung der gegebenen [X.] haben. Denn die von der Revision nicht mitgeteilten Bekundungender Geschädigten bei der [X.]lizei enthalten konkrete Hinweise darauf, daß diebenannte Zeugin ein kurzes Hineinsehen der Geschädigten in das [X.] [X.] nicht wahrgenommen hatte. Es lag auch nicht nahe, daß [X.] benannte Zeugin, dazu in der Hauptverhandlung befragt, plausibel hättebekunden können, daß ihr ein solcher Vorgang nicht entgangen wäre.Die Kammer hat mit ihrer Ablehnungsbegründung zum Ausdruck ge-bracht, daß sie die aufgestellte negative Behauptung nach dem Wortlaut [X.] und auf der Grundlage ihrer bisherigen Erkenntnis - nach den [X.] von [X.]St 39, 251, 253 ff. - als Formulierung lediglich eines Beweis-zieles gewertet hat. Die Angaben der Geschädigten und der benannten Zeuginvor der [X.]lizei waren gerade im Blick darauf unerläßliche Voraussetzung fürdie revisionsgerichtliche Überprüfung des Ablehnungsbeschlusses.Soweit in der Begründung des [X.] zu dessen zweitem Teilerwähnt wird, die Geschädigte habe sich zu den entsprechenden Zeitpunkten(zu denen Sa. J. mit dem Angeklagten Geschlechtsverkehr hatte) nichtin der Wohnung aufgehalten, war auch dies - ohne weitere Behauptung unmit-telbarer Wahrnehmungen der benannten Zeugin hierzu - beweisantragsrecht-lich kein tauglicher Gegenstand des Zeugenbeweises, sondern nur die [X.] (vgl. [X.]St 39, 251, 253 ff.).3. [X.] auf ergänzende Vernehmung der [X.] in der Hauptverhandlung ist von Rechts wegen nicht zu beanstan-den.- 9 -a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde: Die [X.] hatdie [X.] der Vernehmung der Geschädigten durch die Er-mittlungsrichterin in der Hauptverhandlung vorgeführt und dadurch die [X.] "ersetzt" (gemäß § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO; vgl. [X.]. 12). Nach der Vorführung der [X.] hat der Verteidiger [X.] die ergänzende Vernehmung der Geschädigten beantragt: Er ha-be zwar mit dem Angeklagten an der Vernehmung der Geschädigten (audio-visuell) teilgenommen. Ihm hätten jedoch die Ermittlungsakten zuvor nicht zurEinsicht vorgelegen, so daß er keine genaue Kenntnis von der vorangegange-nen kriminalpolizeilichen Vernehmung der Geschädigten gehabt habe. Er habedeshalb keine Gelegenheit zur Konfrontation der Geschädigten "mit dem restli-chen Akteninhalt" und mit einem Widerspruch zu deren polizeilicher Verneh-mung vom 11. Oktober 2001 gehabt. Deshalb wolle die Verteidigung der [X.] nun vorhalten, daß sie vor der [X.]lizei den [X.] verneint ha-be, während sie vor der Ermittlungsrichterin "von einem versuchten Eindringen"in den [X.] berichtet habe. Der Geschädigten solle die ergänzende Frage ge-stellt werden, ob "der [X.](der Angeklagte) nur bei ihr unten rein wollte, oderauch in den [X.]", und was sie zu dem Widerspruch zwischen den [X.].Darüber hinaus müsse der Geschädigten vorgehalten werden, daß [X.] ausgesagt habe, die Schlafzimmertür habe immer offen gestandenund sie habe den von der Geschädigten geschilderten "dritten Vorfall" bemer-ken müssen. Der Geschädigten, die in ihrer richterlichen Vernehmung angege-ben habe, die Schlafzimmertür sei (während eines der Vorfälle) geschlossengewesen, solle deshalb die Frage gestellt werden, was sie zur Aussage [X.] [X.] -Das [X.] hat den Antrag auf ergänzende Vernehmung abge-lehnt. Hinsichtlich der Frage eines versuchten [X.]s bestehe der be-hauptete Widerspruch nicht. Die Geschädigte sei in der polizeilichen Verneh-mung nicht ausdrücklich danach gefragt worden; eine detaillierte [X.] sei erst in der richterlichen Vernehmung erfolgt. Aus der Aussage [X.] ergebe sich ebenfalls kein aufzuklärender Widerspruch zu [X.] der Geschädigten. Die Großmutter habe bekundet, "sie lasse grund-sätzlich ihre [X.] offen"; sie habe keine Angaben dazu machenkönnen, ob die Tür, wie von der Geschädigten behauptet, in der Tatnacht offengestanden habe.b) Die Revision meint, die Ablehnung sei schon deshalb rechtsfehlerhaft,weil Verteidiger und Angeklagter mangels vorheriger Akteneinsicht bei ihrerTeilnahme an der aufgezeichneten richterlichen Vernehmung im Ermittlungs-verfahren der Geschädigten keine Vorhalte aus ihrer polizeilichen Vernehmunghätten machen können; zu einer sachgerechten Mitwirkung seien sie [X.] jener Vernehmung nicht in der Lage gewesen.Mit diesem grundsätzlichen Einwand dringt die Revision nicht durch. Beider rechtlichen Beurteilung ist zwischen der Zulässigkeit der [X.] Vorführung der [X.] nach § 255a Abs. 2 Satz 1StPO und der Pflicht zur ergänzenden Vernehmung des Zeugen aus § 244Abs. 2 und 3 StPO (i.V.m. § 255a Abs. 2 Satz 2 StPO) zu unterscheiden.aa) Nach § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO kann die Vernehmung eines Zeu-gen in der Hauptverhandlung durch die Vorführung einer [X.] seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wennder Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an ihr mitzuwirken.Die Zulässigkeit der Vorführung ist nach dem Gesetz nicht von einer vorheri-- 11 -gen - ganz oder teilweise gewährten - Akteneinsicht abhängig. Diese ist an-derweit näher geregelt und unterliegt besonderen Voraussetzungen und [X.] auch Einschränkungen (vgl. § 147 StPO). Allerdings wird es sichaus verfahrenspraktischen Erwägungen zumeist als sinnvoll erweisen, [X.] vor seiner Mitwirkung an der aufzuzeichnenden Vernehmung [X.] weitgehend Akteneinsicht zu gewähren.Mit der in Rede stehenden Regelung werden Zwecke des Zeugen- [X.] verfolgt (Vermeidung einer sog. sekundären Viktimisierung; [X.] auch § 58a StPO). Zugleich soll der Garantie des Fragerechts des Beschul-digten gegenüber dem Belastungszeugen Rechnung getragen werden (Art. 6Abs. 3 Buchst. [X.]; vgl. [X.]St 46, 93 m.w.N. aus der [X.]. des EGMR).Das Gesetz (§ 255a Abs. 2 Satz 1 StPO) verlangt für die vernehmungserset-zende Vorführung der [X.] indessen nicht, daß der [X.] vor seiner Mitwirkung an der aufgezeichneten Vernehmung Akteneinsichtnehmen oder die [X.]ederschrift einer vorangegangenen polizeilichen Verneh-mung des Zeugen einsehen konnte (vgl. [X.], Gutachten [X.] 1998, [X.], 64; siehe auch [X.] 2001, 112, 120; kritisch: [X.] <2001> S. 709, 713 f.; [X.] StV 1998, 391, 400; [X.], 47, 49). Für die —[X.] ist die "Gelegenheit zur Mitwir-kung" ausreichend. Dazu wird der Verteidiger allerdings regelmäßig - fallsmöglich - auch die Gelegenheit haben müssen, sich vor der Vernehmung mitdem Beschuldigten zu besprechen (vgl. [X.]St 46, 93). Das Fragerecht (Art. 6Abs. 3 Buchst. [X.]) selbst ist durch das etwaige Unterbleiben einer vorheri-gen Akteneinsicht nicht verletzt; es wird durch die Gelegenheit zur Teilnahmean der aufgezeichneten Vernehmung und zur Befragung der [X.]. In seinen Gewährleistungsbereich fällt nicht, daß es auf der [X.] des aktuellen Standes der Ermittlungen ausgeübt wird. Ein- 12 -dahingehendes Verständnis würde die Regelung des [X.] [X.] den Untersuchungszweck sichernden Versagungsmöglichkeit und [X.], mithin das [X.] und [X.] nicht hinreichend berücksichtigen. Es fände auch in [X.] zu § 255a StPO keine Stütze. Daß es bei der [X.] nach § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO deshalb zu einer Ein-schränkung der "[X.]" der Verteidigung kommen kann,ist wegen des zeugen- und opferschützenden Anliegens der Regelung hinzu-nehmen (vgl. [X.]St 46, 93, 96).Das alles ändert freilich nichts daran, daß es je nach Lage des [X.] sowohl unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Fürsorge als auchdem der sachgerechten Förderung des Verfahrens mit Blick auf eine etwaigespätere Hauptverhandlung meist sinnvoll sein wird, dem Verteidiger zuvor die[X.]ederschrift einer vorangegangenen Vernehmung derselben [X.] auch die sonst bis dahin angefallenen Ermittlungsergebnisse offenzule-gen, um so seine Möglichkeiten zu verbessern, verteidigungsgerechte [X.] stellen und Vorhalte anzubringen. Ist die Gewährung von Akteneinsicht [X.] auf eine Gefährdung des Untersuchungszwecks nicht angezeigt (vgl. §147 Abs. 2 StPO) oder sonst aus praktischen Gründen etwa allenfalls begrenztmöglich, beispielsweise weil der schnellen Beweissicherung Vorrang einge-räumt wird, so steht auch dies der Ersetzung der Vernehmung in der [X.] durch das Vorführen der Aufzeichnung grundsätzlich nicht entgegen.bb) Der Aufklärungspflicht des erkennenden Richters in der [X.] kommt bei einer Vernehmungsersetzung allerdings erhöhte [X.] zu. Eine ergänzende Vernehmung in der Hauptverhandlung wird sich oftaufdrängen, wenn nach der aufgezeichneten Vernehmung weitere [X.] -gebnisse angefallen sind, die mit den Angaben des Zeugen in [X.] nicht im Einklang stehen oder sonst klärungsbedürftige weitere Fra-gen aufwerfen (§ 255a Abs. 2 Satz 2, § 244 Abs. 2 StPO; vgl. [X.] NJW1999, 1667, 1675; [X.]/[X.], Kriminalistik 1998, 530, 534). In [X.] Hinsicht wird - unter dem Zeugenschutzaspekt der Regelung - die Wahr-scheinlichkeit des Erfordernisses einer ergänzenden Vernehmung steigen,wenn der Verteidiger vor der aufgezeichneten Vernehmung keine Akteneinsichthatte. Denn er kann dazu beitragen, schon zu einem frühen Zeitpunkt auch denaus seiner Sicht klärungsbedürftigen Fragen nachzugehen, die sich in [X.] sonst möglicherweise erst in der Hauptverhandlung erhellen. Un-terbleiben bei der aufgezeichneten Vernehmung Vorhalte und Fragen, die sichspäter für den Tatrichter als aufklärungspflichtig erweisen, wird die ergänzendeVernehmung oft zwingend sein. Sie kann dann möglicherweise auch in [X.] als audio-visuelle Vernehmung geführt werden (§ 247aStPO).cc) Für die Bescheidung eines Antrags auf ergänzende [X.] Zeugen in der Hauptverhandlung ist in der Regel jedenfalls dann, wennAngeklagter und Verteidiger bei der gemäß § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO durch-geführten ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung mitgewirkt haben - nurdiese Fallgestaltung ist hier zu entscheiden - nicht § 244 Abs. 3 StPO, sondern§ 244 Abs. 2 StPO heranzuziehen. Da die Vorführung der aufgezeichnetenVernehmung (§ 255a Abs. 2 Satz 1 StPO) in der Hauptverhandlung die [X.] "ersetzt", ist diese Vernehmung grundsätzlich so zu [X.], als sei der Zeuge in der Hauptverhandlung selbst gehört worden. [X.] Stellung eines [X.] auf ergänzende (nochmalige) [X.] deshalb dieselben Maßstäbe wie bei einem Antrag auf wiederholte [X.] eines in der Hauptverhandlung bereits vernommenen Zeugen ([X.]- 14 -StV 1995, 566; zustimmend [X.] 1999, 1, 5; Schlothauer StV 1999, 47,49; [X.] in Sonderheft für [X.] 2002, 8, 15 f.).dd) Dies hat zur Folge, daß grundsätzlich mit der Revision nicht bean-standet werden kann, dem Zeugen seien bestimmte Fragen nicht gestellt [X.]. Denn das liefe auf die Behauptung hinaus, ein Beweismittel sei nicht aus-geschöpft worden. Dem geht das Revisionsgericht grundsätzlich nicht nach,weil das einer teilweisen inhaltlichen Rekonstruktion der tatrichterlichen Be-weisaufnahme gleichkäme, die dem System des Revisionsverfahrens nicht ent-spräche. Das gilt auch für die aufgezeichnete Vernehmung: Es widerstritte [X.] zwischen Tatgericht und Revisionsgericht, wäre das [X.] in solchen Fällen gehalten, sich die Aufzeichnung selbst anzuse-hen und etwa daraufhin zu bewerten, ob die [X.] dies oder jenes sooder anders gesagt, ausgedrückt oder gemeint hat, und ob die [X.] in diese oder jene Richtung ging. Es liegt auf der Hand, daß damit oftauch tatsächliche Wertungen zur Beweiswürdigung verlangt wären, die [X.] nicht Aufgabe des [X.] [X.]) Danach ist es zunächst stets eine Frage der Aufklärungspflicht, obein bereits vernommener Zeuge - wenn auch im Wege der "Ersetzung" nach§ 255a Abs. 2 Satz 1 StPO - nochmals ergänzend zu vernehmen ist. Die Auf-klärungspflicht wird indessen nicht unmittelbar und von Rechts wegen, sondernallenfalls mittelbar in verfahrenspraktischer Hinsicht von dem Gesichtspunktmitbestimmt, ob und inwieweit die Teilnahme- und Mitwirkungsmöglichkeitender Verteidigung bei der ersetzenden Vernehmung eingeschränkt waren. [X.] ist insoweit allein, ob aus Sicht des erkennenden Richters in [X.] - auf diesen Zeitpunkt kommt es an - bei der aufgezeichne-ten und vorgespielten Vernehmung Vorhalte und Fragen zu wesentlichen, [X.] 15 -klärungsbedürftigen Punkten unterblieben sind und sich deshalb auch im Blickauf die Beweislage im übrigen die ergänzende Vernehmung aufdrängt. Stets istdie Beurteilung eine Frage des Einzelfalles.Wird der Zeuge zum Beweis einer neuen Behauptung benannt, zu der erbei der aufgezeichneten und vorgeführten Vernehmung noch nicht gehört [X.] konnte, so kann eine ergänzende Vernehmung unabweisbar geboten sein.Insofern gilt nichts anderes als für den in der Hauptverhandlung bereits ver-nommenen und entlassenen Zeugen (vgl. dazu [X.] StV 1995, 566); denn insolchen Fällen wird nicht nur die Wiederholung einer Beweiserhebung erstrebt.Bei dieser Fallgestaltung ist ein dahingehender Antrag deshalb nach [X.] des [X.] zu behandeln.c) Der [X.] des [X.]s begegnet nach allem kei-nen rechtlichen Bedenken. Unter den gegebenen Umständen zielte der abge-lehnte Antrag lediglich auf eine teilweise Wiederholung der Vernehmung ab. [X.] deshalb am Maßstab der richterlichen Aufklärungspflicht zu messen, dienicht verletzt ist. Die von der Revision und zuvor von der Verteidigung in ihremAntrag aufgegriffenen Sachverhaltspunkte waren bereits Gegenstand der vor-geführten ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten sowie [X.] eingeführten polizeilichen Vernehmung gewesen. Es ging um [X.] und eine Frage, die nichts grundlegend Neues beinhalteten. Eine neuzu Tage getretene Erkenntnis, die bei der vorgeführten Vernehmung noch nichtbekannt gewesen, nun aber zu ergänzender Vernehmung gedrängt hätte,stand nicht in Rede. Die Zeugin war vielmehr ausführlich zu dem Geschehenvernommen worden (vgl. § 69 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der von der Verteidigungbeabsichtigte Vorhalt aus der Vernehmung der Großmutter der Geschädigtenin der Hauptverhandlung war, wie die Revision selbst vorträgt, der [X.] 16 -ten im wesentlichen inhaltsgleich schon beim Ermittlungsrichter durch den [X.] selbst gemacht worden, und sie hatte darauf geantwortet. Schließlichbetrafen die Punkte ersichtlich eher Randfragen. Es gab zudem weitere Be-weismittel und Beweisanzeichen, welche die Aussage der Geschädigten [X.] bestätigten. Die [X.] war nach allem nicht zur ergän-zenden Vernehmung der Geschädigten gezwungen. Auch ein Verstoß gegendie prozessuale Fürsorgepflicht, der sich in der Entscheidung des erkennendenRichters fortgesetzt hätte, liegt nach allem nicht vor.4. Die weitere Verfahrensrüge, mit der die Revision die Bescheidung ei-nes [X.] auf Vernehmung der [X.]als Zeugin rügt, istaus den Erwägungen in der Zuschrift des [X.] [X.] Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.II[X.] Auch die sachlich-rechtliche Nachprüfung des angefochtenen [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt (§ 349Abs. 2 StPO). [X.] [X.] ist in Urlaub und deshalb an der Unterschrift verhindert.[X.] Richter am [X.] Hebenstreit ist in Urlaub und deshalb an der Unterschrift verhindert. Nack Elf

Meta

1 StR 64/03

15.04.2003

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.04.2003, Az. 1 StR 64/03 (REWIS RS 2003, 3414)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 3414

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