Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.08.2011, Az. 1 StR 327/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3710

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 327/11

vom
26. August
2011
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 26.
August 2011 beschlos-sen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4.
März 2011 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen not-wendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] eines Kindes, sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, und wegen Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge und einer Verfah-rensrüge;
die Schriftsätze der Verteidigung vom 22. und 24. August 2011 ha-ben dem Senat bei der Beratung vorgelegen. Das Rechtsmittel hat keinen [X.].
Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§
349 Abs.
2 [X.]). Ohne Erfolg bleibt auch die Beanstandung, das [X.] habe gegen den [X.] (vgl. §
250 [X.]) verstoßen, weil es [X.] von [X.] verwertet habe, die allein aufgrund einer Verfügung des 1
2
-
3
-
Strafkammervorsitzenden, aber ohne gerichtlichen Beschluss, gemäß §
255a Abs.
2 Satz
1 [X.] vorgeführt worden seien.
1. Der
Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung mehrerer kindlicher Zeugen [X.] gemäß §
58a Abs.
1, §
168e [X.] [X.] angefertigt worden. Der Angeklagte und sein Verteidiger hatten an den Vernehmungen mitgewirkt. In der Hauptverhandlung erhoben der Angeklagte, der Verteidiger, die Staatsanwältin und der Nebenklagevertreter gegen die Einführung dieser [X.] in die Hauptverhandlung durch Vorführung keine Einwände. Die Vorführung (§
255a Abs.
2 Satz
1 [X.]) erfolgte dann auf die Verfügung des Vorsitzenden gemäß §
238 Abs.
1 [X.] hin; ein [X.] hierzu wurde weder beantragt noch getroffen. Eine ergänzende [X.], deren ermittlungsrichterliche Vernehmung abgespielt worden war, fand nicht statt.
2. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet, weil die Verwertung der in der Hauptverhandlung abgespielten Videoaufzeichnungen der ermittlungsrichterli-chen Vernehmungen zulässig war. Für die Vorführung der Aufzeichnungen war gemäß §
255a Abs.
2 Satz 1 [X.] kein förmlicher Gerichtsbeschluss erforder-lich; es genügte die Anordnung des Vorsitzenden im Rahmen seiner Verhand-lungsleitung nach §
238 Abs.
1 [X.].
a) Eine ausdrückliche Regelung, in den Fällen des §
255a Abs.
2 [X.] die Vorführung von [X.] von der Anordnung durch [X.] abhängig zu machen, enthält die Strafprozessordnung nicht. Vielmehr fehlt es in §
255a Abs. 2 [X.] im Unterschied zu §
255a Abs.
1 [X.] gerade an einer Verweisung auf die Vorschrift des §
251 Abs.
4 [X.], die für die Ver-lesung von Vernehmungsniederschriften eine Anordnung durch Gerichtsbe-3
4
5
-
4
-
schluss verlangt. Für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers bestehen [X.] Anhaltspunkte. Es verbleibt deshalb bei dem allgemeinen Grundsatz, dass Anordnungen zur Beweiserhebung grundsätzlich der Vorsitzende im Rahmen seiner Verhandlungsleitung nach §
238 Abs.
1 [X.] trifft, sofern das Gesetz nicht ausnahmsweise dem Gericht die Entscheidung auferlegt, was bei §
255a Abs.
2 [X.]
nicht der Fall ist (zutr. [X.] in LR-[X.],
26.
Aufl., §
255a Rn.
17; gl.[X.] in [X.], [X.], § 255a Rn.
14; [X.], [X.], 54.
Aufl., §
255a Rn. 11; Schlothauer, [X.], 47, 49; a.[X.] in [X.], §
255a [X.] Rn. 14; offen gelassen in [X.], Urteil vom 12. Februar 2004
-
3 [X.], [X.]St 49, 72, 74).
Die von der Revision aufgeworfene Frage, ob sich die Annahme, der Gesetzgeber habe in den Fällen des §
255a Abs.
2 [X.] bewusst auf einen Gerichtsbeschluss verzichten wollen, anhand der Gesetzesmaterialien belegen lässt, ist angesichts des Gesetzeswortlauts, der weder selbst einen [X.] verlangt noch eine Verweisung auf §
251 Abs.
4 [X.] enthält, ohne Bedeutung, da sich den Gesetzesmaterialien umgekehrt auch nicht entnehmen lässt, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Vorschrift des §
255a Abs.
2 [X.] das Erfordernis eines Gerichtsbeschlusses normieren wollte.
b) Eine analoge Anwendung des §
251 Abs.
4 [X.] auf Fälle des §
255a Abs.
2 Satz
1 [X.] aus rechtssystematischen Gründen
ist nicht gebo-ten. Sie folgt -
entgegen der Auffassung der Revision -
auch nicht aus den Pro-zessmaximen des [X.] Strafprozesses. Zwar ersetzt die Vorführung einer [X.] nach §
255a Abs.
2 [X.] ebenso wie die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift nach §
251 [X.] die persönliche Verneh-mung. Durch die Regelung des §
255a Abs.
2 [X.] sollte aber gerade den Zeugen bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere 6
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-
5
-
wenn es sich um kindliche Zeugen handelt, im Regelfall die nochmalige persön-liche Vernehmung in der Hauptverhandlung erspart werden (vgl. BT-Drucks. 13/4983 S.
4, 8; [X.], Beschluss vom 12.
Februar 2004 -
1
StR 566/03 mwN, [X.]St 49, 68). Diese Zwecksetzung stellt einen ausreichenden Rechtferti-gungsgrund für die unterschiedlichen Formerfordernisse an die Anordnung der Vorführung einer aufgezeichneten Zeugenvernehmung in den
Fällen des §
255a Abs.
1 und Abs.
2 [X.] dar (a.[X.] in KK-[X.], 6.
Aufl.,
§
255a Rn.
14). Der Umstand, dass §
255a Abs.
2 [X.] auch für Zeugen gilt, die keine Opferzeugen sind, ändert daran nichts.
c) Durch die vom Vorsitzenden angeordnete Vorführung der aufgezeich-neten Zeugenvernehmungen ist hier auch das "Konfrontationsrecht"
nach Art.
6 Abs.
3 Buchst.
d MRK, wonach eine angeklagte Person
das Recht hat, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen, nicht verletzt worden. Denn §
255a Abs.
2 Satz
1 [X.] erlaubt die Ersetzung der Vernehmung eines Zeugen durch die Vorführung der [X.] seiner früheren rich-terlichen Vernehmung ausdrücklich nur dann, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an dieser mitzuwirken. Dies war hier der Fall. Sie hätten zudem -
etwa im Hinblick auf das zum Zeitpunkt der ermittlungsrich-terlichen Vernehmungen noch nicht
vorliegende aussagepsychologische Gut-achten über die kindliche Zeugin

A.

-
gemäß §
255a Abs.
2 Satz
2 [X.] eine ergänzende Vernehmung der Zeugen beantragen können, um Fra-

8
-
6
-
gen zu stellen, die bisher noch nicht gestellt werden konnten (vgl. [X.], [X.] 2010, 71). Die Revision hat nicht behauptet, dass solche Anträge gestellt worden seien. Dass die gerichtliche Aufklärungspflicht (§
244 Abs.
2 [X.]) eine solche ergänzende Zeugenvernehmung geboten hätte (vgl. dazu [X.], Beschluss vom
12.
Februar 2004 -
1
StR 566/03 mwN, [X.]St 49, 68), behauptet die Revision ebenfalls nicht.
[X.]Wahl Elf

Ri[X.] Dr. [X.] ist urlaubs-

abwesend und deshalb an der

Unterschrift gehindert.

[X.]

Meta

1 StR 327/11

26.08.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.08.2011, Az. 1 StR 327/11 (REWIS RS 2011, 3710)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3710

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