Bundessozialgericht, Urteil vom 25.01.2012, Az. B 14 AS 138/11 R

14. Senat | REWIS RS 2012, 9814

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche - Unionsbürger - Freizügigkeitsrecht - abgeleitetes Aufenthaltsrecht als begleitender bzw nachziehender Familienangehöriger


Leitsatz

Der im SGB 2 normierte Leistungsausschluss für Ausländer gilt nicht, wenn neben dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche ein - wenn auch abgeleitetes - Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU 2004 besteht.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [X.] ([X.]) für den Zeitraum vom 19.1. bzw 2.2. bis zum 30.9.2009.

2

Die am [X.] geborene Klägerin zu 1 ist [X.] Staatsangehörige. Sie reiste im Oktober 2004 mit ihren Eltern nach [X.] ein und lebt seitdem ununterbrochen in [X.]. Am 23.7.2008 stellte die [X.] der Klägerin zu 1 eine unbefristete [X.] für berufliche Tätigkeiten jeder Art aus. Ab dem 14.11.2008 war die Klägerin zu 1 in der Wohnung [X.] gemeldet, wo sie eine Nettokaltmiete in Höhe von 200 Euro und [X.] in Höhe von 140 Euro zu leisten hatte. Am [X.] stellte das [X.] eine Bescheinigung nach § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern ([X.]/[X.]) für die Klägerin zu 1 aus. Diese beantragte am 19.1.2009 Leistungen nach dem [X.]. Der Kläger zu 2 wurde am [X.] geboren, er hat ebenfalls die [X.] Staatsbürgerschaft. Die Klägerin zu 1 erhielt seit der Geburt Elterngeld in Höhe von 300 Euro und Kindergeld in Höhe von 164 Euro. Außerdem zahlte der Kindsvater Unterhalt in Höhe von 200 Euro monatlich. Weitere Einnahmen wurden nicht erzielt.

3

Mit Bescheid vom [X.] lehnte der Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin zu 1 mit der Begründung ab, sie sei von Leistungen nach dem [X.] ausgeschlossen, weil sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik [X.] lediglich zur Arbeitsuche habe. Mit Bescheid vom [X.] bewilligte der Beklagte den Klägern aufgrund eines Beschlusses des Sozialgerichts ([X.]) vom 30.4.2009 in einem Eilverfahren darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 30.3.2009 bis September 2009. Den gegen die Ablehnung des Leistungsantrags eingelegten Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.5.2009 zurück.

4

Zur Begründung ihrer dagegen beim [X.] erhobenen Klage führen die Kläger aus, der Vater der Klägerin zu 1 habe seit der Einreise in die Bundesrepublik [X.] im Oktober 2004 als Selbstständiger gearbeitet. Die Eltern der Klägerin zu 1 hätten sich im [X.] getrennt. Sie habe weiterhin bis zur Geburt ihres Kindes mit ihrem Vater [X.]. Sie habe nach der Geburt des [X.] zu 2 die Gesamtschule, an der sie die 9. Klasse besucht habe, verlassen, einen Schulabschluss habe sie nicht erreicht. Sie sei während ihrer Schulzeit weder in irgend einer Form beruflich tätig gewesen, noch habe sie in der Zwischenzeit eine Ausbildung aufgenommen. Sie plane aber, den Hauptschulabschluss nachzuholen, sobald ihr [X.] in den Kindergarten komme.

5

Mit dem angegriffenen Urteil vom 24.5.2011 hat das [X.] der Klage stattgegeben. Die Klägerin zu 1 gehöre zu dem grundsätzlich leistungsberechtigten Personenkreis. Ein Leistungsanspruch scheitere auch nicht daran, dass die Klägerin zu 1 von Leistungen nach dem [X.] als Ausländerin, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, ausgeschlossen sei. Zwar lägen nach dem Wortlaut der Vorschrift die Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss vor. Auf sonstige Aufenthaltsrechte könne sich die Klägerin zu 1 nicht berufen. Insbesondere könne sie kein Aufenthaltsrecht von ihren Eltern ableiten, weil sie im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr mit ihren Eltern [X.] habe und auch noch kein Daueraufenthaltsrecht erlangt habe, da sie sich noch keine fünf Jahre in [X.] aufgehalten habe.

6

Die Vorschrift des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] sei jedoch europarechtskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass sie nur dann Anwendung finde, wenn die Arbeitsuche bereits Zweck der Einreise gewesen sei. Die Einreise und die Arbeitsuche würden final verknüpft, auf einen später arbeitsuchend werdenden Unionsbürger, der zu einem anderen Zweck eingereist sei, finde die Vorschrift bei europarechtskonformer Auslegung keine Anwendung.

7

Das [X.] hat in seinem Urteil die Sprungrevision zugelassen, die der Beklagte eingelegt hat, nachdem die Prozessbevollmächtigte der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] nach Belehrung der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt hatte.

8

Der Beklagte ist der Ansicht, § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] stelle nicht auf den Zweck der Einreise, sondern auf den Zweck des Aufenthalts ab. Auch wenn die Klägerin zu 1 im Oktober 2004 nicht zum Zweck der Arbeitsuche in die Bundesrepublik [X.] eingereist sei, sondern ihre Eltern begleitet habe, so bestehe aber das damalige Aufenthaltsrecht gemäß § 3 Abs 1 [X.]/[X.] im hier streitigen Zeitraum nicht mehr und wirke auch nicht fort. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] sei jedenfalls dann auch auf Unionsbürger anwendbar, wenn diese Leistungen begehrten, die nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, sondern den Lebensunterhalt sichern sollten.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 24. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Sie halten die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

[X.]ie rechtzeitig eingelegte und auch ansonsten zulässige Revision des Beklagten (§§ 161, 164 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>) ist unbegründet. [X.]as [X.] hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verurteilt, den Klägern dem Grunde nach Leistungen nach dem [X.]B II als Zuschuss zu gewähren.

1. [X.]as beklagte [X.] ist gemäß § 70 [X.] [X.]G beteiligtenfähig. [X.]er Kläger zu 2 wird als nicht prozessfähiger Minderjähriger 71 Abs 1 und 2 [X.]G) durch die Klägerin zu 1 vertreten, die die elterliche Sorge allein ausübt (§ 1629 Abs 1 Satz 3 Bürgerliches Gesetzbuch; vgl B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/08 R - B[X.]E 104, 48 = [X.]-1500 § 71 [X.] Rd[X.]1).

2. Streitgegenstand des Verfahrens sind Ansprüche der Kläger auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende, die der Beklagte mit Bescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] abgelehnt hat. [X.]ie Kläger haben den streitigen [X.]raum ausdrücklich auf die [X.] ab Antragstellung am 19.1.2009 bis zum [X.] beschränkt. [X.]as [X.] hat entsprechend dem [X.] bezüglich dieses [X.]raums entschieden, insoweit ist der Beklagte beschwert. Im Revisionsverfahren haben die Kläger den Antrag bezüglich des [X.] zu 2 weiter dahin begrenzt, dass Leistungen für ihn erst ab dem Tag seiner Geburt geltend gemacht werden.

3. [X.]ie Kläger haben einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 7 Abs 1 und Abs 3 [X.] sowie § 9 [X.]B II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.] ([X.] 1706) und des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] ([X.]) vom [X.] ([X.] 1970). [X.]ie Klägerin zu 1 gehört zu dem grundsätzlich leistungsberechtigten Personenkreis (dazu unter a); der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B II greift nicht durch (dazu unter b).

a) [X.]ie Klägerin zu 1 ist Leistungsberechtigte gemäß § 7 Abs 1 [X.] bis 4 [X.]B II. [X.]a sie am [X.] geboren ist, hatte sie im [X.]punkt der Antragstellung am 19.1.2009 das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a [X.]B II noch nicht erreicht. Sie ist nach den Feststellungen des [X.] erwerbsfähig 8 Abs 1 und 2 [X.]B II) und hilfebedürftig, denn sie bezieht zusammen mit dem Kläger zu 2 lediglich Elterngeld in Höhe von 300 Euro und Kindergeld in Höhe von monatlich 164 Euro sowie Unterhaltszahlungen des Kindsvaters in Höhe von 200 Euro monatlich, was ihren Bedarf nicht vollständig deckt.

[X.]ie Klägerin zu 1 verfügt gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]B II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch [X.] ([X.]B I) auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der [X.]. Einen gewöhnlichen Aufenthalt hat danach jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. [X.]ie Klägerin zu 1 erfüllt in tatsächlicher Hinsicht diese Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts, denn sie ist bereits im Oktober 2004 nach [X.] eingereist und hielt sich somit im [X.]punkt der Antragstellung ca 4 ¼ Jahre in [X.] auf und lebt seit der Einreise ununterbrochen in [X.]. Es kann darüber hinaus weiter offenbleiben, ob der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" bei Ausländern durch zusätzliche aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen eingeschränkt wird. Für den Anwendungsbereich des [X.]B II besteht jedenfalls kein Anlass, an den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in rechtlicher Hinsicht weitere Anforderungen zu stellen, wenn - wie vorliegend - eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 [X.]/[X.] erteilt wurde und deren Verlust nicht festgestellt worden ist (vgl näher B[X.] Urteil vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - B[X.]E 107, 66 = [X.]-4200 § 7 [X.]1).

b) [X.]ie Klägerin zu 1 ist auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von Leistungen nach dem [X.]B II zunächst Ausländer, die weder in der [X.] Arbeitnehmer oder Selbstständige oder aufgrund des § 2 Abs 3 des [X.]/[X.] freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, und des weiteren Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen sowie zuletzt Leistungsberechtigte nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz ([X.]).

[X.]ie Klägerin zu 1 ist als [X.] Staatsangehörige Ausländerin im Sinne der genannten Vorschrift. Sie ist nicht leistungsberechtigt nach § 1 [X.] und hält sich nach den Feststellungen des [X.] seit Oktober 2004, also länger als drei Monate in der [X.] auf. Sie ist aber auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B II von Leistungen ausgeschlossen, denn ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. Sie besitzt vielmehr ein anderes Aufenthaltsrecht, das den Leistungsausschluss von vornherein entfallen lässt (dazu unter aa). [X.]ieses Aufenthaltsrecht ist nicht nachträglich durch Veränderung der persönlichen Lebensbedingungen verloren gegangen (dazu unter bb).

aa) Aus dem Wortlaut des § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] ("Aufenthaltsrecht <…> allein aus dem Zweck der Arbeitsuche"; vgl auch BT-[X.]rucks 16/688, 13) ergibt sich, dass der Leistungsausschluss von vornherein nicht eingreift, wenn sich ein Ausländer auf ein anderes Aufenthaltsrecht als das zum Zweck der Arbeitsuche berufen kann. Aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv festgestellt werden muss, dass ein Ausländer sich allein zur Arbeitsuche in der [X.] aufhält, denn nur dann kann auch der Leistungsausschluss festgestellt werden.

Vorliegend hat die Klägerin zu 1 ein (abgeleitetes) Aufenthaltsrecht als Familienangehörige gemäß § 3 [X.]/[X.]. Sie ist als 14-jährige Jugendliche und somit als noch nicht 21 Jahre alte Verwandte in absteigender Linie (§ 3 Abs 2 [X.] [X.]/[X.]) mit ihren Eltern in die [X.] eingereist. Ungeachtet der Frage, ob - wovon die Klägerin zu 1 und der Beklagte ausgehen - sie ihr Aufenthaltsrecht von ihrem Vater als selbstständigem Erwerbstätigen ableiten konnte (§ 2 Abs 2 [X.] [X.]/[X.]), bestand jedenfalls für die Familie ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs 1 und [X.] [X.]/[X.] iVm § 4 [X.]/[X.]. Während das [X.] es offengelassen hat, ob die Eltern der Klägerin zu 1 tatsächlich einer selbstständigen oder nichtselbstständigen Beschäftigung nachgegangen sind, hat es aber jedenfalls festgestellt, dass bis zum [X.] weder die Klägerin zu 1 noch ihre Eltern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten hatten. [X.]amit konnten sie auch als nichterwerbstätige Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht in [X.] begründen. Als Familienangehörige hatte die Klägerin zu 1 das Recht, ihre Eltern bzw ihren Vater zu begleiten oder ihm nachzuziehen (§ 3 Abs 1 Satz 1 [X.]/[X.] bzw § 4 [X.]/[X.]; vgl HK-AuslR/[X.], 1. Aufl 2008, § 3 [X.]/[X.] Rd[X.] 5).

bb) [X.]ieses vom Zweck der Arbeitsuche unabhängige Aufenthaltsrecht hat die Klägerin zu 1 nicht wieder verloren. Aus den Worten "begleiten" bzw "nachziehen" in § 3 Abs 1 bzw § 4 [X.]/[X.] kann nicht der Schluss gezogen werden, dass - wie das [X.] meint - das Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger nur besteht, wenn der freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, hier die Eltern bzw der Vater, und der begleitende Familienangehörige auf [X.]auer in einer gemeinsamen Wohnung wohnen (so aber früher [X.], [X.] gegenüber [X.], ZAR 1985, 108, 114). [X.]iese Interpretation beruhte auf dem ursprünglich in der Vorläuferregelung (Art 10, 11 [X.] <[X.]> [X.]612/68) verwendeten Begriff "Wohnung nehmen". [X.]ie Interpretation dieses Begriffs "Wohnung nehmen" in dem Sinne, dass ein gemeinsamer Wohnsitz vorhanden sein musste, war aber bereits nach altem Recht zweifelhaft. Art 10 Abs 1 [X.] ([X.]) [X.]612/68 verlangte nämlich nicht, dass die Familie in einer Wohnung zusammenlebt. Er enthielt lediglich die Formulierung "dürfen … Wohnung nehmen", was der Übersetzung aus dem [X.] bzw [X.] Text entspricht ("have the right to install" bzw "ont le droit de s´ínstaller"; siehe dazu [X.] in [X.], Stand Oktober 2010, § 3 [X.]/[X.] Rd[X.] 34). [X.]ie Formulierung einer Möglichkeit durch das Verb "dürfen", die eine Wahlfreiheit belässt, legt nahe, dass es sich hier nicht um eine tatbestandlich normierte Voraussetzung handelt. [X.]amit wurde die Begründung einer häuslichen [X.] wenigstens zum [X.]punkt des [X.] bereits unter Geltung der [X.] ([X.]) [X.]612/68) als nicht zwingend erforderlich angesehen (so [X.], aaO, Rd[X.] 34; einschränkend [X.]ienelt in [X.], Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 3 [X.]/[X.] Rd[X.]2, der die Ansicht vertritt, dass grundsätzlich zunächst eine gemeinsame Wohnung vorhanden sein muss, diese Anforderung aber nur vorübergehend gilt).

[X.]ass ein ständiger gemeinsamer Wohnsitz nicht als Tatbestandsmerkmal für das abgeleitete Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger zugrunde gelegt werden kann, ergab sich im Übrigen auch bereits nach altem Recht aus der Rechtsprechung des [X.] ([X.]), insbesondere in dem Urteil des [X.] vom 17.9.2002 ([X.]/99 - Baumbast und R - [X.]E I 2002, 7091). [X.]er [X.] hat dort entschieden, dass aus Art 10 und Art 12 der [X.] [X.]612/68 folgt, dass bei einer Scheidung der Eltern die Kinder des ersten Ehemannes weiterhin dazu berechtigt sind, im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen und dort unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates ihren Schulbesuch fortzusetzen. Es wurde dabei ausdrücklich festgestellt, dass die Tatsache, dass die Kinder des ersten Ehemannes nicht ständig bei diesem wohnen, ihre Rechte nicht berühren.

Mit der Neufassung des § 3 Abs 1 [X.]/[X.] durch das [X.] war diesbezüglich eine Rechtsänderung nicht verbunden. [X.]ementsprechend ist aus den Worten "begleiten" bzw "nachziehen" in § 3 Abs 1 [X.]/[X.] weiterhin nicht der Schluss zu ziehen, dass stets eine gemeinsamen Wohnung vorhanden sein muss. Vielmehr ist ein Familienangehöriger nicht verpflichtet, bei dem [X.] zu wohnen (so HK-AuslR/[X.], aaO, § 3 [X.]/[X.] Rd[X.] f mwN; [X.] in [X.], aaO, § 3 [X.]/[X.] Rd[X.] 34 ff mwN; [X.], [X.] 24/2011, [X.] 1: [X.] auch im Ausland?).

Allein der Umstand, dass die Klägerin zu 1 vor Geburt des [X.] zu 2 aus ihrem Elternhaus ausgezogen ist und eine eigene Wohnung angemietet hat, lässt das abgeleitete Aufenthaltsrecht als Familienangehörige somit nicht entfallen.

c) [X.]amit ist auch der Kläger zu 2 leistungsberechtigt, weil er mit der Klägerin zu 1 in Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 [X.] [X.]B II) lebt und aus den genannten Gründen keiner der Ausschlussgründe des § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II eingreift.

d) Auf die vom [X.] vorgenommene europarechtskonforme Auslegung von § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B II dahingehend, dass der Leistungsausschluss nur eingreifen soll, wenn bei der Einreise die Arbeitsuche der alleinige Zweck gewesen ist, er dagegen keine Anwendung finden soll, wenn ein Unionsbürger später arbeitsuchend wird, kommt es hier nicht mehr an. [X.]ie Verurteilung des Beklagten zur Leistungsgewährung ergibt sich direkt aus § 7 Abs 1 Satz 1 iVm § 9 [X.]B II und für den Kläger zu 2 aus § 7 Abs 3 [X.] [X.]B II. [X.]a der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B II vorliegend überhaupt nicht durchgreift, kann auch die weitergehende Frage offenbleiben, ob im Rahmen des [X.] zwischen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Leistungen zur Eingliederung in Arbeit zu unterscheiden ist, wie dies etwa auch der nunmehr durch die [X.] ([X.]) [X.] 988/2009 festgelegte [X.] zur [X.] ([X.]) [X.] 883/2004 nahelegt (vgl dazu [X.], aaO, Abschnitt [X.]).

[X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 138/11 R

25.01.2012

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Berlin, 24. Mai 2011, Az: S 149 AS 17644/09, Beschluss

§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 vom 23.12.2007, § 2 Abs 1 FreizügG/EU 2004, § 2 Abs 2 Nr 5 FreizügG/EU 2004, § 3 Abs 1 S 1 FreizügG/EU 2004, § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU 2004, § 4 FreizügG/EU 2004, § 5 FreizügG/EU 2004

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 25.01.2012, Az. B 14 AS 138/11 R (REWIS RS 2012, 9814)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9814

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