Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.11.2015, Az. 1 StR 265/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 2646

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Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Erforderliche Feststellungen für die Unterbringungsanordnung; symptomatischer Zusammenhang zwischen psychischer Erkrankung und Anlasstat


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. März 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten des Diebstahls in acht Fällen, davon in einem Fall versucht, in Tatmehrheit mit Computerbetrug in 16 tatmehrheitlichen Fällen, davon in drei Fällen versucht, unter Einbeziehung weiterer Strafen zu den Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und von zehn Monaten verurteilt. Zudem hat das [X.] die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen [X.]s leidet der Angeklagte an „einer schizophrenen Psychose vom [X.] Typ mit einer Wahn- und Residualsymptomatik, welche sein seelisches Gefüge tiefgreifend veränderte, die Sinngesetzlichkeit seiner seelischen Vorgänge und Handlungsabläufe zerriss und die Wirksamkeit seiner normalen rationalen Kontrollmechanismen aufhob“ ([X.]). Aufgrund dieser seit 2001 bekannten Erkrankung befand sich der Angeklagte regelmäßig in psychiatrischer Behandlung; er nimmt Medikamente ein. Alkohol konsumierte der Angeklagte bis zu seiner Inhaftierung gelegentlich und „spielte an Automaten, wenn er Geld zur Verfügung hatte“ ([X.]).

3

Im Zeitraum von März 2012 bis Juni 2014 entwendete der Angeklagte in sechs Fällen die Geldbörsen [X.] in Supermärkten und nahm anschließend mit den darin enthaltenen EC-Karten unter Verwendung der zugehörigen PIN-Nummer Abhebungen an nahegelegenen Geldautomaten vor oder versuchte dies. Feststellungen zum Zustand des Angeklagten zu den jeweiligen [X.] hat das [X.] nicht getroffen, in den Gründen des Urteils aber ausgeführt, dass „zwar kein Zusammenhang zwischen der Wahnsymptomatik und den Taten besteht, jedoch aufgrund der chronischen Residualsymptomatik der Schizophrenie die allgemeine Lebensbewältigung des Angeklagten stark eingeschränkt ist, was sich in allgemeiner Unbekümmertheit, Ziel- und Haltlosigkeit und mangelnder Kontrolle des Angeklagten über seine Handlungen auswirkt“ ([X.]). Vor diesem Hintergrund sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten erhalten, seine Steuerungsfähigkeit jedoch erheblich vermindert gewesen.

II.

4

Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung deshalb nicht stand.

5

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen [X.] auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die [X.] auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 29. September 2015 – 1 [X.]; Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2 [X.]; vom 28. Januar 2015 – 4 [X.], [X.], 169, 170; vom 18. November 2013 – 1 [X.], [X.], 75, 76 und vom 29. Mai 2012 – 2 [X.], [X.], 306, 307). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Februar 2015 – 2 [X.]; vom 15. Juli 1997– 4 [X.], [X.]R StGB § 63 Zustand 26; Urteil vom 2. April 1997 – 2 [X.], [X.], 383).

6

Dem werden die Ausführungen des [X.]s nicht gerecht. Das [X.] hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften Zustand von einiger Dauer leidet. Das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Wahnsymptomatik und den [X.] hat es jedoch abgelehnt und die bei dem Angeklagten krankheitsbedingt eingetretene Grundbeeinträchtigung in seiner Lebensführung als ausreichend für die Anordnung der Maßregel gehalten. Dies ist rechtsfehlerhaft (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei [X.] aus dem Formenkreis der Schizophrenie etwa [X.], Beschlüsse vom 17. Juni 2014 4 [X.], [X.], 305, 306; vom 16. Januar 2013 – 4 [X.], [X.], 141, 142 und vom 29. Mai 2012 – 2 [X.], [X.], 306, 307 jeweils mwN).

7

Das [X.] war zur Begründung der Unterbringung gehalten, in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und weshalb zwischen dem Zustand des Angeklagten und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Hierauf konnte angesichts der äußeren Umstände des Falles nicht verzichtet werden. Anhand des [X.] ist nicht erkennbar, dass den Handlungen eine schizophrene Psychose vom [X.] Typ zugrunde lag. Denn der Angeklagte lebte in beengten finanziellen Verhältnissen und verwendete das durch die Taten erlangte Geld zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. Er war nach den getroffenen Feststellungen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg in der Lage, zu seinem Tatmuster passende Opfer sorgfältig auszuwählen und die jeweilige Tathandlung zielorientiert und unbemerkt auszuführen. In den Urteilsgründen des [X.]s bleibt unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der rechtswidrigen Taten erheblich vermindert gewesen sein soll. Schließlich lässt auch die Feststellung, der Angeklagte habe an Spielautomaten gespielt, sobald er Geld zur Verfügung gehabt habe, eine rechtsfehlerhafte Anwendung des anzulegenden Maßstabs besorgen. Die Prüfung, ob in der Person und den Taten des Angeklagten letztlich nur Eigenschaften hervorgetreten sind, die sich im Rahmen des bei schuldfähigen Menschen regelmäßig anzutreffenden Ursachenspektrums für die Begehung von Straftaten halten oder ob die Taten auf einen psychischen Defekt zurückzuführen sind, ist dem Senat anhand der Urteilsgründe nicht möglich.

8

2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Soweit das [X.] in für das Revisionsgericht nicht nachprüfbarer Weise die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Anwendung des vertypten [X.] alle Einzelstrafen den jeweils gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gesenkten Strafrahmen der § 242 Abs. 1 StGB und § 263a Abs. 1 StGB entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11. Februar 20154 [X.], [X.], 137, 138 und vom 23. Oktober 2007 – 4 [X.], insoweit in [X.], 70 nicht [X.].). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen.

9

3. Der Senat hebt den [X.] mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird sich unter Heranziehung eines Sachverständigen erneut mit der Erkrankung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei der Begehung der Taten auseinanderzusetzen haben.

Graf     

     Jäger     

Mosbacher

Rin[X.] Dr. Fischer ist erkrankt
und daher an einer
Unterschriftsleistung gehindert.

Graf

Bär     

Meta

1 StR 265/15

10.11.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 26. März 2015, Az: 3 KLs 234 Js 156702/14

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.11.2015, Az. 1 StR 265/15 (REWIS RS 2015, 2646)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2646

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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