Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2016, Az. 2 StR 435/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 12577

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:210416B2STR435.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 435/15
vom
21. April 2016
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes
u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 21. April 2016 gemäß §
349 Abs.
4 [X.] beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbe-fohlenen in 40 Fällen, sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit
sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 40 Fällen zu einer [X.] von sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine
Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1
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3
-
I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte lebte von 1992 bis Oktober 2000 zusammen mit der Zeugin S.

Sc.

und ihren Kindern Sa.

und M.

Sc.

, die
aus einer früheren Beziehung der Zeugin stammten, sowie den gemeinsamen Kindern [X.]

, [X.]

und A.

. Vor dem Hintergrund des Verdachts,
dass der Angeklagte Sa.

Sc.

sexuell missbraucht habe, trennte sich
die Zeugin S.

Sc.

von ihm. Es entstand ein heftiger Streit um das Sor-
gerecht für die Kinder [X.]

und [X.]

, der schließlich im Jahre 2001
zugunsten des Angeklagten entschieden wurde. Das gegen ihn geführte Straf-verfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Sa.

Sc.

wurde gemäß §
170 Abs.
2 [X.] eingestellt. Danach beging
der Angeklagte nach den Feststellungen
des [X.] die abgeurteilten Taten:
An zwei Tagen im Zeitraum zwischen dem 16. August 2003 und dem 16.
August 2004 missbrauchte der Angeklagte seine damals zehnjährige Toch-ter [X.]

, indem er sein Geschlechtsteil mit Nutella bestrich und das Kind
aufforderte, dieses mit der Zunge abzulecken. [X.]

Sc.

wollte dies
nicht und benutzte ihre Finger, um die Schokoladencreme vom Penis des [X.] (Fälle II.1. und II.2. der Urteilsgründe). Im Zeitraum zwi-schen dem 16. August 2003 und dem 15. August 2007 vollzog der Angeklagte in 40 Fällen den vaginalen Geschlechtsverkehr mit [X.]

(Fälle II.3. bis
II.42.
der Urteilsgründe) und nach deren 14.
Geburtstag bis zum 30. Juni 2011 in weiteren 40 Fällen (Fälle II.43. bis II.82. der Urteilsgründe).
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4
-
2. [X.]

Sc.

äußerte erstmals im Jahr 2006 gegenüber ihrer
Großmutter

[X.].

, dass der Angeklagte sie sexuell missbraucht habe.
Ab Oktober 2011 hatte [X.]

eine erste intime Beziehung mit einem
Freund, einen [X.] namens P.

. Diesem erzählte sie jedoch nichts
von den vorangegangenen sexuellen Übergriffen ihres Vaters. Im Mai 2012
berichtete sie jedoch ihrer Freundin

H.

davon. Diese veranlasste [X.]

Sc.

dazu, den Kinder-
und

-
chen, bei dem sie durch die Psychologin

L.

beraten wurde. Am
nächsten Tag rief

H.

im Beisein von [X.]

Sc.

deren Halb-
schwester Sa.

an und fragte sie, ob die früher erhobenen Vorwürfe eines
sexuellen Missbrauchs durch den Angeklagten zu ihrem Nachteil zutreffend seien. Sa.

bejahte dies. Hierauf entschloss sich [X.]

Sc.

, eine
Strafanzeige gegen ihren Vater zu erstatten. Am 4.
und 10.
Mai 2012 wurde sie polizeilich vernommen. Am 19.
November 2012 erfolgte eine Vernehmung durch den Ermittlungsrichter, bei der ihr zunächst das Protokoll ihrer ersten po-lizeilichen Vernehmung vollständig vorgelesen wurde; das Protokoll der zweiten polizeilichen Vernehmung las sie anschließend selbst. Danach machte sie er-gänzende Angaben. Das [X.] beauftragte eine aussagepsychologische Sachverständige mit der Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben; diese führte am 20.
Mai 2014 und am 1.
Juli 2014 [X.] durch. In der Hauptverhandlung machte [X.]

Sc.

Angaben, die in die Feststel-
lungen eingeflossen sind. Bei dieser Vernehmung in der Hauptverhandlung wurde ihr das Protokoll der polizeilichen Vernehmung ihrer inzwischen verstor-benen Großmutter

[X.].

vorgehalten.
3. Der Angeklagte hat die Tatbegehung bestritten. Er hat behauptet,
dass [X.]

Sc.

ihn aus Rache zu Unrecht belaste, denn er habe ihr
kein Geld für die Reise zu ihrem Freund P.

gegeben, nachdem dieser nach

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5
-

Portugal zurückgekehrt war. Darauf sei sie zu ihrer Freundin

H.

gegan-
gen, die eigene Missbrauchserfahrungen gehabt habe. Von dieser sei sie zur Strafanzeige gedrängt worden. Die früheren Vorwürfe eines sexuellen [X.] zum Nachteil von Sa.

Sc.

seien auch zu Unrecht erhoben
worden; daraus habe seine Tochter [X.]

gelernt, dass man mit einer

Das sachverständig beratene [X.] ist den Angaben der Zeugin [X.]

Sc.

gefolgt.
Für deren Richtigkeit spreche die Entstehungsge-

Aussage über die Umstände der ersten [X.] und den diesbezüglichen Angaben der Großmutter bei deren polizeilicher Vernehmung gegeben. Jedoch bestehe jedenfalls Übereinstimmung dahin, dass es damals ein Gespräch über sexuellen Missbrauch durch den Angeklagten gegeben habe. Das [X.] von [X.]

Sc.

spreche ebenfalls für die Richtigkeit ihrer Anga-
ben, die verschiedene Realkennzeichen aufwiesen. Ein Falschaussagemotiv sei hingegen nicht anzunehmen. Auch für eine suggestive Beeinflussung be-u-.

He.

(früher
Sc.

) in der Haupt-
verhandlung, wonach sie selbst vom Angeklagten missbraucht worden sei, stel-le ein weiteres Indiz für die Glaubhaftigkeit der Angaben von [X.]

Sc.

dar, auch wenn sie mit Zurückhaltung gewürdigt werden müsse, weil das dies-bezügliche Strafverfahren gegen den Angeklagten eingestellt worden sei. Die Aussagen der Zeugin [X.]

Sc.

, die bekundet hatte, dass ihre Schwes-
ter [X.]

Freund P.

gehabt

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-
6
-
II.

Die Revision ist mit der Sachrüge begründet, sodass es auf die Verfah-rensrüge des Angeklagten nicht ankommt, mit welcher er die fehlende Begrün-dung seines Ausschlusses von der Anwesenheit bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung seiner Tochter [X.]

, das damalige Fehlen einer Verteidigung
und die Einflussnahme auf das Erinnerungsvermögen der Zeugin durch die Art der Durchführung dieser Vernehmung beanstandet.
Die Beweiserhebung des [X.] begegnet durchgreifenden recht-lichen Bedenken.
1. Das [X.] hat die Aussage der Zeugin Sa.

He.

(früher
Sc.

) über sexuellen Missbrauch durch den Angeklagten zu ihrem Nachteil
als belastendes Indiz gewertet. Es hat aber nicht erörtert, warum das diesbe-zügliche Strafverfahren eingestellt wurde und warum es -
gemessen an den [X.] -
die nunmehr gemachte Aussage der Zeugin letztlich als zutreffend angesehen hat.
Zwar könnte die Tatsache, dass der Angeklagte früher vergleichbare Ta-ten begangen hatte, gegebenenfalls ein Indiz für die Begehung der verfahrens-gegenständlichen Taten sein. Eine Indiztatsache, die den Ausgangspunkt für eine Schlussfolgerung im Rahmen einer Beweiskette bildet, muss aber festste-hen, wenn sie als belastender Umstand gewertet werden soll (vgl. [X.],
Urteil vom 23.
Januar 1974 -
3 StR 303/73, NJW 1974, 654, 655; Urteil
vom 31.
Oktober 1989 -
1 [X.], [X.]St 36, 286, 290; s.a.

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BeckOK/[X.], [X.], [X.]., §
261 Rn.
11.2; [X.] NStZ 2016, 134, 136; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 53.
Aufl., §
261 Rn.
29; LR/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
261 Rn.
114; Schäfer StV 1995, 147, 150; krit. KK/[X.], [X.], 7.
Aufl., §
261 Rn.
54; zur Differenzierung nach Indizien in einer Beweiskette oder einem Beweisring etwa [X.], [X.], 4.
Aufl.,
§
261 Rn.
93).
Um sich in [X.] Weise eine sichere Überzeugung von der Richtigkeit der Indiztatsache zu bilden, hätte das [X.] deshalb die Be-denken, die zur Einstellung des Strafverfahrens wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Sa.

He.

geführt hatten, prüfen und ausräumen müssen.
2. Das [X.] hat auch die Angaben der später verstorbenen Großmutter der Nebenklägerin bei deren polizeilichen Vernehmung in rechtlich zu beanstandender Weise beurteilt. Die Angaben der Großmutter hat es nach den Urteilsgründen zwar zu Vorhalten gegenüber [X.]

Sc.

verwendet.
Es hat damit jedoch den Inhalt der Aussage der Großmutter nicht in die [X.]
einführen können; denn ein Vorhalt ist für sich genommen keine Beweiserhebung im Strengbeweisverfahren (vgl. [X.], [X.], §
261 Rn.
62). Kam den Angaben der Großmutter -
sei es als Belastungsindiz oder Entlastungsindiz -
eine Beweisbedeutung zu, wäre es geboten gewesen, diese prozessordnungsgemäß einzuführen und im Urteil näher zu erörtern.
3. Die Annahme einer hohen Aussagekonstanz der Angaben der Neben-klägerin ist ebenfalls rechtsfehlerhaft. Das [X.] hat nicht erkennbar [X.], dass durch Vorlesen des Protokolls über die erste polizeiliche [X.] und die eigene Lektüre des Protokolls über die zweite polizeiliche Vernehmung durch die Nebenklägerin beim Ermittlungsrichter Einfluss auf de-
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ren Erinnerung genommen wurde. Eine Erinnerung an selbst erlebtes [X.] und die Erinnerung an den Inhalt einer Äußerung hierüber kann sich nach einer derartigen Konfrontation mit Vernehmungsprotokollen so vermischt ha-ben, dass bei späteren Befragungen eine Unterscheidung erschwert oder un-möglich gemacht wurde. Praktisch jede Aktivierung des [X.] führt schließlich auch zu dessen Konsolidierung (vgl. Köhnken in [X.]/[X.]/Schlothauer, [X.]nchener [X.] Strafverteidigung, 2.
Aufl., §
61 Rn.
90). Deshalb hätte das [X.] erläutern müssen, worin gegebe-nenfalls eine von der [X.] und [X.] unbeeinflusste [X.] verschiedener Aussagen der Nebenklägerin gesehen wurde und welche Bedeutung ihrer Konfrontation mit dem Inhalt der früheren Angaben für
die [X.] Angaben bei der Exploration und der Zeugenvernehmung in der [X.] zuzumessen ist.
4. Die Urteilsgründe lassen schließlich besorgen, dass das [X.] keine erschöpfende Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände vorgenommen hat, die bei einer problematischen Be-weislage, wie sie hier vorliegt, stets geboten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 7.
Juli 2014 -
2 StR 94/14, [X.], 720).
So sind Aspekte, die gegen die Richtigkeit der Missbrauchsvorwürfe sprechen können, wie die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Angeklag-ten wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Sa.

Sc.

, die Zu-
weisung des elterlichen Sorgerechts für die Kinder [X.]

und [X.]

an
den Angeklagten trotz dieses Vorwurfs, die vom [X.] angenommenen Widersprüche zwischen den Angaben der Nebenklägerin und denjenigen ihrer Großmutter, ferner die Behauptung der Schwester [X.]

, [X.]

Sc.

sei seit Beginn der Freundschaft mit P.

ch an Sex und Geld interes-
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9
-

der Nebenklägerin nicht in eine Gesamtschau eingestellt worden. Sie hätten angesichts der schrittweisen Entwicklung der Aussage unter Einschaltung ver-schiedener anderer Personen (vgl. zu dieser Problematik [X.] [X.] 2013, 240, 244 ff.; s.a. [X.]/Steller, [X.], in [X.]/[X.]/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 6.
Aufl., S.
683, 700) jedoch auch insgesamt
gegen die [X.], die für einen Erlebnisbezug der Aussagen sprechen, abgewogen werden müssen.
Fischer [X.][X.]

[X.] Bartel

Meta

2 StR 435/15

21.04.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2016, Az. 2 StR 435/15 (REWIS RS 2016, 12577)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12577

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