Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.03.2014, Az. XII ZB 511/13

12. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 6947

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Gegenstand

Umgangsrecht des biologischen Vaters: Wiederaufnahme  vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossener Umgangsrechtsverfahren bei später ergangener Entscheidung des EGMR


Leitsatz

Auf ein Umgangsrechtsverfahren, das vor dem 31. Dezember 2006 formell rechtskräftig abgeschlossen worden ist, ist § 580 Nr. 8 ZPO in Verbindung mit § 48 Abs. 2 FamFG nicht anzuwenden (§ 35 EGZPO), so dass eine später ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Wiederaufnahme eines solchen Verfahrens nicht zu begründen vermag (im Anschluss an BAG, 22. November 2012, 2 AZR 570/11, MDR 2013, 726).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegner wird der Beschluss des 2. Familiensenats in [X.] des [X.] vom 22. August 2013 aufgehoben.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Umgangsrechtsverfahrens wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Die Kosten des [X.] werden dem Antragsteller auferlegt.

[X.]: 3.000 €

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt Umgang mit dem im Jahr 2004 geborenen [X.] der Antragsgegner.

2

Der Antragsteller und die verheiratete Antragsgegnerin unterhielten von Mai 2002 bis Oktober 2003 eine außereheliche Beziehung. Im Juni 2003 wurde die Antragsgegnerin schwanger; im Dezember 2003 zog sie nach [X.] zu ihrem Ehemann (im Folgenden: Beteiligter zu 3). Im März 2004 wurde ihr [X.] Francis in [X.] geboren.

3

Der Antragsteller hat mit der Behauptung, er sei der biologische Vater des Kindes, im August 2004 in [X.] ein Umgangsrechtsverfahren anhängig gemacht. Nachdem die Beteiligten keine Einwände gegen die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte erhoben hatten, hat das Amtsgericht u.a. den Antrag auf Regelung des Umgangs mit dem - die [X.] Staatsangehörigkeit innehabenden - Kind zurückgewiesen. Die Beschwerde des Antragstellers hat das [X.] mit Beschluss vom 9. Februar 2006 zurückgewiesen und auf die damalige Gesetzeslage (§ 1685 Abs. 2 [X.]) verwiesen. Das [X.] hat die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 20. September 2006 nicht zur Entscheidung angenommen ([X.] FamRZ 2006, 1661). Auf die Individualbeschwerde des Antragstellers hat der [X.] mit Urteil vom 15. September 2011 festgestellt, dass Art. 8 [X.] verletzt sei. Er hat [X.] zur Zahlung von 5.000 € für immateriellen Schaden zuzüglich 10.000 € für Kosten und Auslagen an den Antragsteller verurteilt ([X.] FamRZ 2011, 1715). Das Beschwerdegericht hat dem hierauf vom Antragsteller gestellten Restitutionsantrag mit einem Zwischenbeschluss stattgegeben, seinen Beschluss vom 9. Februar 2006 aufgehoben und das Verfahren wieder aufgenommen. Hiergegen wenden sich die Antragsgegner mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung des [X.] des Antragstellers.

5

1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung, die in juris veröffentlicht ist, wie folgt begründet:

6

Der zulässige Restitutionsantrag sei statthaft, weil der Antragsteller das Vorliegen eines Restitutionsgrundes nach § 580 Nr. 8 ZPO schlüssig behauptet habe. Zwar sei diese Norm gemäß § 35 [X.]ZPO auf Verfahren, die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden seien, seinem Wortlaut nach nicht anzuwenden. Das Gesetz stelle insoweit - jedenfalls im unmittelbaren Anwendungsbereich der Zivilprozessordnung - auf den Zeitpunkt ab, zu dem die Entscheidung im Ausgangsverfahren formelle Rechtskraft erlangt habe. Dies gelte jedoch nicht für [X.], wenn und soweit [X.] ansonsten seiner völkerrechtlichen Verpflichtung, die Konventionsbestimmungen in der Auslegung des [X.] zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, nicht nachkommen könne. So liege der Fall hier, weshalb der Anwendungsbereich des § 35 [X.]ZPO im Rahmen der Gesetzesauslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift im Wege der teleologischen Reduktion einzuschränken sei.

7

Allerdings führe die Wortlautauslegung zu der Annahme, dass der genannte Stichtag (31. Dezember 2006) auf das inländische Ausgangsverfahren zu beziehen sei und nicht auf das sich gemäß Art. 35 Abs. 1 [X.] erst nach Eintritt der Rechtskraft anschließende Verfahren der Individualbeschwerde vor dem [X.]. Auch eine systematische Auslegung des § 35 [X.]ZPO spreche dafür, hinsichtlich des Stichtags auf das wiederaufzunehmende Ausgangsverfahren abzustellen. Entsprechendes gelte für den Willen des Gesetzgebers. Nach den Gesetzesmaterialien sei klar, dass der Gesetzgeber mit dem "Verfahren" im Sinne des § 35 [X.]ZPO das Ausgangsverfahren gemeint habe. Ein anderes Auslegungsergebnis lasse sich auch nicht daraus herleiten, dass § 580 Nr. 8 ZPO vorliegend nicht unmittelbar gelte, sondern nur über die Verweisung in § 48 Abs. 2 FamFG zur Anwendung gelange.

8

Diese Auslegung entspreche jedoch in [X.] nicht Sinn und Zweck des Gesetzes, die darin bestünden, einerseits mit der Ergänzung des § 580 ZPO im Interesse derjenigen [X.]en, deren Rechte aus der [X.] nach den Feststellungen des [X.] verletzt worden seien, einen spezifischen Wiederaufnahmegrund vorzusehen, andererseits aber auch das grundsätzlich schutzwürdige Interesse derjenigen [X.] im Auge zu behalten, die als Gegner im Ausgangsverfahren in die Rechtskraft der nationalen Entscheidung vertraue. Denn Beschlüsse in [X.] mit Dauerwirkung [X.] nicht in materielle Rechtskraft, sondern seien unter den Voraussetzungen der §§ 166 Abs. 1 FamFG, 1696 [X.] abänderbar. Daher sei in [X.] für den Einwand der Rechtskraft grundsätzlich kein Raum. Vielmehr habe die Fürsorge gegenüber den Minderjährigen stets Vorrang vor der Endgültigkeit einer einmal getroffenen Entscheidung. Aus diesem Grund erscheine im vorliegenden Fall lediglich der durch die Entscheidung vom 9. Februar 2006 in seinen Rechten verletzte Antragsteller schutzbedürftig, der allerdings ohne Wiederaufnahme des Ausgangsverfahrens mangels internationaler Zuständigkeit der [X.] Gerichte im Inland kein neues erstinstanzliches Abänderungsverfahren anstrengen könne, während die Antragsgegner durch die genannte Entscheidung nach dem System des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohnehin keine schutzwürdige Rechtsposition erlangt hätten, zumal Änderungen der Rechtsprechung und der Gesetzeslage Abänderungsgründe im Sinne des § 1696 [X.] seien. Für diese Sachlage liege demnach, ausgehend von der in der Gesetzesbegründung niedergelegten gesetzgeberischen Absicht, eine planwidrige Regelungslücke vor, die eine teleologische Reduktion des § 35 [X.]ZPO rechtfertige.

9

Diese sei erforderlich, weil [X.] völkerrechtlich gemäß Art. 46 Abs. 1 [X.] verpflichtet sei, das endgültige Urteil des [X.] zu befolgen. Die Bindungswirkung einer Entscheidung des [X.] erstrecke sich auf alle staatlichen Organe und verpflichte diese grundsätzlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht einen fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen. Innerhalb der [X.] Rechtsordnung stünden die [X.] und ihre Zusatzprotokolle im Rang eines [X.]gesetzes, was dazu führe, dass [X.] Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des [X.] im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung des nationalen Rechts zu beachten und anzuwenden hätten.

2. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Im Ansatz zutreffend hat das Beschwerdegericht darauf abgestellt, dass § 35 [X.]ZPO nach seiner auf den Wortlaut, die systematische Stellung und den Willen des Gesetzgebers bezogenen Auslegung die Wiederaufnahme eines bereits vor Ablauf des Jahres 2006 formell rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ausschließt (im Ergebnis ebenso [X.], 726; BVerwG NVwZ 2010, 652 Rn. 17; [X.]/[X.]/[X.] ZPO 34. Aufl. § 580 Rn. 23 und [X.]/[X.]/[X.] ZPO 34. Aufl. § 35 [X.]ZPO Rn. 1; [X.]/[X.] ZPO 30. Aufl. § 35 [X.]ZPO Rn. 2).

aa) Gemäß § 580 Nr. 8 ZPO in der seit dem 31. Dezember 2006 geltenden Fassung (vom 22. Dezember 2006, [X.]l. I S. 3416) findet die Restitutionsklage statt, wenn der [X.] eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Nach § 35 [X.]ZPO ist § 580 Nr. 8 ZPO auf Verfahren, die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind, nicht anzuwenden. Gemäß § 48 Abs. 2 FamFG gilt § 580 Nr. 8 ZPO in Verbindung mit § 35 [X.]ZPO ebenso für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, mithin auch für Umgangsrechtsverfahren (s. auch BT-Drucks. 16/3038 [X.]). Auch wenn [X.] wegen der jederzeitigen Abänderbarkeit nicht in materielle Rechtskraft erwachsen (vgl. [X.]sbeschluss vom 1. Februar 2012 - [X.] 188/11 - FamRZ 2012, 533 Rn. 22), sind sie gleichwohl der formellen Rechtskraft fähig.

bb) Die in § 35 [X.]ZPO enthaltene Stichtagsregelung stellt nach ihrem Wortlaut auf den Zeitpunkt ab, zu dem das Verfahren "rechtskräftig" abgeschlossen ist. Mangels entgegenstehender Hinweise ist davon auszugehen, dass der Begriff der "Rechtskraft" im Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung einheitlich gebraucht wird, weshalb § 19 [X.]ZPO gilt. "Ordentliche Rechtsmittel" im Sinne dieser Norm stellen weder die Verfassungsbeschwerde noch die Individualbeschwerde im Sinne des Art. 34 [X.] dar. Durch diese besonderen Rechtsbehelfe zum Schutz der Grundrechte und individueller Menschenrechte wird die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung nicht gehemmt, der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens also nicht verzögert. Die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung ist vielmehr grundsätzlich Zulässigkeitsvoraussetzung der Verfassungsbeschwerde und der Individualbeschwerde beim [X.] ([X.], 726 Rn. 22 mwN). Das Verfahren vor dem Gerichtshof stellt sich zudem nicht als Fortsetzung des innerstaatlichen Verfahrens dar; die Individualbeschwerde richtet sich nicht gegen die im Zivilprozess obsiegende [X.], sondern gegen die [X.]republik [X.]. Schließlich verwendet die [X.] nicht den Begriff der "Rechtskraft", sondern spricht von der "endgültigen" Entscheidung, wenn es um den Abschluss des Verfahrens vor dem Gerichtshof geht ([X.], 726 Rn. 22 mwN).

cc) Für die Anknüpfung an die formelle Rechtskraft des Ausgangsrechtsstreits sprechen überdies systematische Erwägungen. Der Begriff "Verfahren" wird sowohl in der Überschrift des [X.] der Zivilprozessordnung als auch in der Grundnorm des § 578 Abs. 1 ZPO verwandt, nach der die Wiederaufnahme eines durch "rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens" durch Nichtigkeitsklage oder durch Restitutionsklage erfolgen kann. Beide Klagen sind auf die Überwindung der Rechtskraft des Ausgangsverfahrens gerichtet ([X.], 726 Rn. 23).

dd) Zu Recht hat das Beschwerdegericht insoweit auch auf den Willen des Gesetzgebers verwiesen. In der Gesetzesbegründung zu § 35 [X.]ZPO heißt es unter Hinweis auf § 578 Abs. 1 ZPO ausdrücklich, die Übergangsregelung stelle sicher, dass eine Anwendung des neuen Restitutionsgrundes nach § 580 Nr. 8 ZPO erst für diejenigen Entscheidungen in Betracht komme, die nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung rechtskräftig abgeschlossen würden. Ohne diese Regelung bestünde die Gefahr einer unzulässigen rückwirkenden Anwendung der Neuregelung. Ein Gesetz, das rückwirkend einen neuen Restitutionsgrund normiere, greife in einen abgeschlossenen Sachverhalt ein. Eine solche echte Rückwirkung sei aber grundsätzlich unzulässig (BT-Drucks. 16/3038 [X.]). Mit dem Verweis auf § 578 ZPO in der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber mithin erkennbar den Willen zum Ausdruck gebracht, mit der Stichtagsregelung an die Rechtskraft des Ausgangsrechtsstreits und nicht an die Beendigung des Beschwerdeverfahrens vor dem Gerichtshof anzuknüpfen ([X.], 726 Rn. 23).

b) Entgegen der Auffassung des [X.] steht dem vorstehend gefundenen Auslegungsergebnis für [X.] Sinn und Zweck der Norm nicht entgegen; einer teleologischen Reduktion des § 35 [X.]ZPO bedarf es daher nicht.

Weder die [X.] und die hierzu ergangene Rechtsprechung des [X.] noch die Besonderheiten des vorliegenden Umgangsrechtsverfahrens als ein "Kindschaftsverfahren mit Dauerwirkung" gebieten es, den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO auch auf Verfahren anzuwenden, die im Zeitpunkt seiner Einführung bereits formell rechtskräftig abgeschlossen waren.

aa) Der Gesetzgeber war schon im Ausgangspunkt weder durch die Vorgaben der Europäischen Konvention für Menschenrechte noch durch die hierzu ergangene Rechtsprechung des [X.] zur Einführung des Restitutionsgrundes des § 580 Nr. 8 ZPO verpflichtet ([X.] NJW 2013, 3714, 3715; BT-Drucks. 16/3038 [X.]). Ist die Möglichkeit zur Restitution aber nicht zwingend, ist es dem [X.] Gesetzgeber nicht verwehrt, den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO nur für solche Verfahren zu eröffnen, die nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung, also nach dem 31. Dezember 2006, rechtskräftig abgeschlossen werden.

Auch wenn sich die Vertragsparteien der [X.] nach Art. 46 Abs. 1 [X.] verpflichten, in allen Rechtssachen, in denen sie [X.] sind, das endgültige Urteil des [X.] zu befolgen, ändert dies nichts daran, dass die Beseitigung einer Konventionsverletzung grundsätzlich den Vertragsparteien überlassen bleibt, die dieser Pflicht im Rahmen des nach der innerstaatlichen Rechtsordnung Möglichen nachzukommen haben.

Demgemäß haben die Gerichte ein Urteil des [X.], das einen von ihnen bereits entschiedenen Fall betrifft, nur insoweit zu berücksichtigen, als sie in verfahrensrechtlich zulässiger Weise erneut über den Gegenstand entscheiden und dem Urteil ohne Gesetzesverstoß Rechnung tragen können ([X.] FamRZ 2004, 1857, 1858 f.; vgl. auch [X.], 464, 465). Folgerichtig hat die Rechtsbeschwerde gegen die angefochtene Entscheidung eingewandt, dass das geltende Verfahrensrecht, hier der § 35 [X.]ZPO, der vom Antragsteller begehrten Restitution entgegenstehe.

bb) Zu Recht wendet die Rechtsbeschwerde zudem ein, dass auch die Besonderheiten des hier gegenständlichen Umgangsrechtsverfahrens als Kindschaftssache mit Dauerwirkung keine von den vorstehenden Grundsätzen abweichende Beurteilung erfordert.

In Umgangsrechts- ebenso wie in Sorgerechtsverfahren ist für den Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache kein Raum. § 1696 Abs. 1 [X.] enthält eine materiell-rechtliche Änderungsbefugnis, die nicht nur der Anpassung der getroffenen Regelung an eine Änderung der für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse dient, sondern auch eine Berücksichtigung solcher Tatsachen erlaubt, die bei der Entscheidungsfindung zwar schon vorlagen, dem Gericht aber nicht bekannt waren ([X.] FamRZ 2005, 783, 784 f.; siehe auch [X.], 464, 466).

Der hieraus vom Beschwerdegericht gezogene Schluss, wonach der in einer Kindschaftssache obsiegende Beteiligte wegen der möglichen Abänderbarkeit der Entscheidung mangels eines entsprechenden Vertrauens in die materielle Rechtskraft nicht schutzbedürftig sei, wohingegen der Antragsteller wegen des mittlerweile eingetretenen Verlustes der internationalen Zuständigkeit besonders schutzbedürftig sei, geht fehl. Dieses Argument zeigt vielmehr, dass in solchen Fällen der vor dem [X.] obsiegende Beteiligte an sich einer Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 580 ZPO iVm § 48 Abs. 2 FamFG gar nicht bedarf, um eine menschenrechtskonforme Entscheidung für die Zukunft zu erreichen.

(1) Zwar vermag der Antragsteller vor den [X.] Gerichten auf Grund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls keine Änderung der Ausgangsentscheidung zu erlangen. Der Grund hierfür liegt indes nicht im materiellen Recht, sondern allein im Verfahrensrecht. Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 1347/2000 ([X.] = [X.]) sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, wozu gemäß Art. 2 Nr. 7 [X.] auch das Umgangsrecht gehört, die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, hier also die Gerichte [X.]. Hinsichtlich der Zuständigkeit geht die [X.] nach ihrem Art. 61 dem Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 ([X.]. 2003 Nr. L 48 S. 3; [X.]l. [X.], 603; 2010, 1527 - Kinderschutzübereinkommen/[X.]) vor ([X.]sbeschluss vom 16. März 2011 - [X.] 407/10 - FamRZ 2011, 796 Rn. 12). Dass die [X.] Gerichte demgegenüber in dem rechtskräftig abgeschlossenen Umgangsrechtsverfahren zuständig waren, obgleich das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt von Anfang an in [X.] hatte, liegt an einer entsprechenden Vereinbarung der Beteiligten [X.]. Art. 12 Abs. 3 [X.] (vgl. dazu OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 915). Diese Zuständigkeitsvereinbarung beschränkt sich indes auf das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren (vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. b [X.]), gilt also nicht auch für ein sich anschließendes Abänderungsverfahren.

(2) Die fehlende Zuständigkeit [X.]r Gerichte macht den Antragsteller entgegen der Auffassung des [X.] jedoch nicht besonders schutzwürdig, zumindest nicht in einem Maße, das eine Auslegung des § 35 [X.]ZPO entgegen dem klaren Wortlaut, seiner systematischen Stellung und dem Willen des Gesetzgebers rechtfertigen könnte. Die Zuständigkeitsvorschriften der [X.], wonach für die Zuständigkeit der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes maßgeblich ist, dienen vor allem der Wahrung des Kindeswohls. Dem Kind soll nicht zugemutet werden, in ein anderes Land zu reisen, um an einer - regelmäßig erforderlichen - gerichtlichen Anhörung teilzunehmen. Auch im Übrigen erscheint es sachgerecht, alle weiteren Ermittlungen - wie etwa die Einholung eines Sachverständigengutachtens - am Aufenthaltsort des Kindes durchzuführen.

cc) Schließlich wird der Antragsteller durch die Verweisung auf die nunmehr zuständigen Gerichte des [X.] auch nicht rechtlos gestellt. Es bleibt ihm unbenommen, in [X.] einen Umgangsrechtsantrag zu stellen. Zwar unterliegt das nach Art. 15 Abs. 1 iVm Art. 5 Abs. 1 [X.] anzuwendende [X.] Recht hinsichtlich des Umgangsrechts des biologischen Vaters ähnlichen Beschränkungen wie das [X.] (vgl. dazu das Gutachten des [X.] Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht vom 11. März 2010 S. 63 f. - [X.] - Stand 12. März 2014). Da aber auch das Vereinigte Königreich Vertragsstaat der [X.] ist, wird das angerufene Gericht bei seiner Entscheidung Art. 8 [X.] in der vom [X.] gefundenen Auslegung gemäß Art. 46 [X.] ebenso zu berücksichtigen haben wie ein [X.]s Gericht.

3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, konnte der [X.] selbst abschließend entscheiden, § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG.

Dose                            Weber-Monecke                            Schilling

           Nedden-Boeger                                   Guhling

Meta

XII ZB 511/13

19.03.2014

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 22. August 2013, Az: 2 UF 23/12, Beschluss

§ 580 Nr 8 ZPO vom 22.12.2006, § 35 ZPOEG, § 48 Abs 2 FamFG, § 1685 Abs 2 BGB, Art 8 MRK, Art 46 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.03.2014, Az. XII ZB 511/13 (REWIS RS 2014, 6947)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6947


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 1170/14

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1170/14, 19.05.2015.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1170/14, 26.06.2014.


Az. XII ZB 511/13

Bundesgerichtshof, XII ZB 511/13, 19.03.2014.


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