Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.08.2013, Az. VIII R 9/11

8. Senat | REWIS RS 2013, 3208

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Offenbare Unrichtigkeit; Berücksichtigung von Umsatzsteuerzahlungen als Betriebsausgaben


Leitsatz

Übersieht das Finanzamt bei der Einkommensteuerveranlagung, dass der Steuerpflichtige in seiner vorgelegten Gewinnermittlung die bei der Umsatzsteuererklärung für denselben Veranlagungszeitraum erklärten und im Umsatzsteuerbescheid erklärungsgemäß berücksichtigten Umsatzsteuerzahlungen nicht als Betriebsausgabe erfasst hat, liegt insoweit eine von Amts wegen zu berichtigende offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO vor (Anschluss an BFH-Urteil vom 14. Juni 2007 IX R 2/07, BFH/NV 2007, 2056).

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten über die Berichtigung bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide nach § 129 der Abgabenordnung (AO).

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte in den Streitjahren 2002 bis 2005 Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Ingenieur und ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

3

In den von ihm selbst erstellten Gewinnermittlungen setzte er jeweils auf der Einnahmenseite die vereinnahmten Bruttoeinnahmen, auf der Ausgabenseite die nach Kostenarten aufgeschlüsselten Ausgaben einschließlich der darin enthaltenen Vorsteuer an. In der Aufstellung waren die an den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt --[X.]--) geleisteten Umsatzsteuerzahlungen nicht als Betriebsausgaben enthalten.

4

Das [X.] veranlagte die Kläger für die Streitjahre auf der Grundlage der erklärten Einkünfte aus selbständiger Arbeit zur Einkommensteuer, ohne den Fehler des [X.] hinsichtlich der geleisteten Umsatzsteuerzahlungen zu bemerken.

5

Nachdem die Einkommensteuerbescheide bestandskräftig geworden waren, beantragte der Kläger ihre Änderung unter Hinweis auf die [X.]. Dies lehnte das [X.] mit Bescheid vom 27. Juni 2008 wegen Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide ab.

6

Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) mit Urteil vom 8. September 2010  14 K 14074/09 als unbegründet ab.

7

Zwar sei § 129 AO auch dann anwendbar, wenn die Finanzbehörde offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernehme. Eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter (ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht) jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung --wie im [X.] sei hingegen kein Fehler, der auf ein bloßes mechanisches Versehen zurückzuführen sei. Denn der zuständige Sachbearbeiter habe die Unrichtigkeit nicht ohne weitere Prüfung erkennen können. Weder den Einkommensteuererklärungen noch den Umsatzsteuererklärungen der jeweiligen Streitjahre sei nämlich zu entnehmen, ob und wie viel Umsatzsteuer der Kläger in den Streitjahren jeweils an das [X.] tatsächlich abgeführt habe. Entsprechende Erkenntnisse hätte der Sachbearbeiter nur durch weitere Ermittlungen, etwa im Rahmen einer computergestützten Erhebungsauskunft oder durch Nachfrage bei der Erhebungsstelle gewinnen können.

8

Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Kläger die Verletzung des § 129 AO rügen.

9

Sie beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben sowie die Einkommensteuerbescheide für 2002 (vom 9. August 2004), für 2003 (vom 30. Mai 2005), für 2004 (vom 20. Juni 2006) und für 2005 (vom 10. April 2007), jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 2009, unter Ansatz geleisteter Umsatzsteuerzahlungen als weitere Betriebsausgaben bei den Einkünften des [X.] aus selbständiger Arbeit in Höhe von 4.371 € (2002), 27.971 € (2003), 15.107 € (2004) und 17.344 € (2005) zu ändern.

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 [X.]r. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Die Auffassung des [X.], das [X.] habe zu Recht eine Berichtigung der streitigen Einkommensteuerbescheide nach § 129 [X.] abgelehnt, verletzt Bundesrecht. Wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen kann der Senat indessen nicht selbst entscheiden.

1. [X.]ach § 129 [X.] können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden.

Offenbar ist eine Unrichtigkeit dann, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (ständige Rechtsprechung, s. etwa Urteile des [X.] --BFH-- vom 25. Februar 1992 VII R 8/91, [X.], 6, [X.] 1992, 713; vom 4. Juni 2008 [X.], [X.], 1801; vom 6. [X.]ovember 2012 VIII R 15/10, [X.], 296, [X.] 2013, 307; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl., § 129 Rz 13; [X.]/Koenig/[X.], Abgabenordnung, 2. Aufl., § 129 Rz 17 f.; von [X.] in [X.], [X.] § 129 Rz 38; a.[X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 129 [X.] Rz 6).

Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 [X.] ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die [X.]ichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 23. Oktober 2001 IX R 75/98, [X.], 467). Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 [X.] auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (BFH-Urteile vom 17. Juni 2004 IV R 9/02, [X.] 2004, 1505, und vom 3. Juni 1987 [X.], [X.] 1988, 342, m.w.[X.].).

2. [X.]ach diesen Maßstäben sind die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre offenbar unrichtig i.S. des § 129 [X.]. Der Kläger hat für die Streitjahre Einnahmenüberschussrechnungen vorgelegt und darin geleistete [X.] (Vorauszahlungen) nicht berücksichtigt, obschon er [X.] in den zeitgleich eingereichten Umsatzsteuererklärungen ausgewiesen hat und die Umsatzsteuer jeweils erklärungsgemäß vom [X.] festgesetzt wurde.

Aufgrund der Berücksichtigung von [X.] bei der Umsatzsteuerfestsetzung durch das [X.] in allen Streitjahren erscheint es entgegen der Ansicht des [X.] ausgeschlossen, dass die unterbliebene Übernahme der Ausgabenposition "[X.]" in den Einkommensteuerveranlagungen "auch auf nicht hinreichender Sachaufklärung" beruhen konnte. Letzteres wäre eine rein hypothetische Annahme, die der Feststellung einer offenbaren Unrichtigkeit i.S. des § 129 [X.] nicht entgegengehalten werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juni 2007 IX R 2/07, [X.] 2007, 2056).

Vielmehr ergab sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten (BFH-Urteil in [X.], 296, [X.] 2013, 307, m.w.[X.]) und damit auch aus der Sicht des [X.], dass die --gesamten-- umsatzsteuerlich berücksichtigten [X.] nur aufgrund eines mechanischen Versehens vom Kläger nicht in seinen Einkommensteuererklärungen berücksichtigt worden waren.

Dafür, dass der zuständige Sachbearbeiter des [X.] hätte annehmen können, die geleisteten [X.] seien mit Blick auf § 11 EStG wegen vollständiger Zuordnung zu einem anderen Veranlagungszeitraum --insgesamt-- nicht angesetzt worden, fehlt jeglicher Anhaltspunkt.

3. [X.]ach diesen Grundsätzen ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Die Sache ist nicht spruchreif. Zwar sind nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des [X.] offensichtlich --und auch vom [X.] nicht in Abrede gestellt-- die in den jeweiligen Streitjahren geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen als Betriebsausgaben abzuziehen.

Gleichwohl kann deren Höhe wegen der zum Teil erst im jeweiligen Folgezeitraum geleisteten Abschlusszahlungen nicht abschließend beurteilt werden. Diese Prüfung wird das [X.] unter Berücksichtigung der Grundsätze des [X.] vom 1. August 2007 XI R 48/05 ([X.], 372, [X.] 2008, 282) zur Zurechnung von Vorauszahlungen auf das Jahr der Zahlung oder ggf. auf das Vorjahr nachholen.

Meta

VIII R 9/11

27.08.2013

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 8. September 2010, Az: 14 K 14074/09, Urteil

§ 129 AO, § 4 Abs 4 EStG 2002, EStG VZ 2005

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.08.2013, Az. VIII R 9/11 (REWIS RS 2013, 3208)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3208

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X R 45/16 (Bundesfinanzhof)

Bescheidkorrektur bei Nichtberücksichtigung einer Umsatzsteuervorauszahlung als Betriebsausgabe im Jahr ihrer wirtschaftlichen Zugehörigkeit


X R 1/14 (Bundesfinanzhof)

Keine Berichtigungsmöglichkeit bei fehlerhafter Eintragung von Beiträgen an Versorgungswerke


X R 27/18 (Bundesfinanzhof)

(Keine Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO bei Tatsachen- oder Rechtsirrtum)


X R 4/16 (Bundesfinanzhof)

Bescheidkorrektur bei Nichtberücksichtigung einer Umsatzsteuervorauszahlung als Betriebsausgabe im Jahr ihrer wirtschaftlichen Zugehörigkeit


VIII R 4/17 (Bundesfinanzhof)

(Offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 AO bei Einsatz eines Risikomanagementsystems)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.