Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.11.2015, Az. I B 121/15

1. Senat | REWIS RS 2015, 2155

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Gegenstand

Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007/EStG 2009 für die Einkünfte des in Deutschland ansässigen Flugbegleiters einer britischen Fluggesellschaft


Leitsatz

1. NV: Für Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind (hier für Arbeitslohn einer Flugbegleiterin nach Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970), unterbleibt die Freistellung der Einkünfte ungeachtet des Abkommens infolge des in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007/EStG 2009 angeordneten Besteuerungsrückfalls, wenn der andere Vertragsstaat (hier Großbritannien) das ihm abkommensrechtlich zugewiesene Besteuerungsrecht an den Einkünften im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht der Flugbegleiterin nicht wahrnimmt. Das ist auch dann der Fall, wenn die betreffenden Einkünfte beim Vergütungsschuldner im anderen Staat zunächst einem Quellensteuerabzug unterworfen, die einbehaltenen Steuern sodann aber (von Amts wegen oder auch auf Antrag) infolge der fehlenden materiellen Zugriffsmöglichkeit erstattet werden, maßgebend ist die abstrakte materiell-rechtliche Regelungslage und die sich daraus ergebende definitive Steuerpflicht, nicht aber der Verfahrensweg, diese Regelungslage dann auch umzusetzen, auch nicht der Veranlagungszeitraum, in welchem die Steuer tatsächlich erstattet wird (Abgrenzung zu den Senatsurteilen vom 20. Mai 2015 I R 68/14, BFHE 250, 96 sowie I R 69/14, BFH/NV 2015, 1395, dort jeweils zum Fall der Teilbesteuerung im anderen Vertragsstaat) .

2. NV: Wegen der möglichen Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007/ EStG 2009 ist das Verfahren aber nach § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG über das dort anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 21/14 auszusetzen .

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Aussetzungsbeschluss des [X.] vom 26. August 2015  15 K 15082/13 wird mit der Maßgabe als unbegründet zurückgewiesen, dass wie folgt [X.] wird:

Das Verfahren wird gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung bis zum Vorliegen einer Entscheidung des [X.] in dem dort anhängigen Normenkontrollverfahren 2 BvL 21/14 ausgesetzt.

Tatbestand

1

I. Die in den Streitjahren 2007 bis 2010 im Inland wohnende Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war in jenen Jahren als Flugbegleiterin bei einer [X.] Fluggesellschaft angestellt. Ihr Arbeitslohn wurde in [X.] von dem Arbeitgeber dem [X.] unterworfen. Die an die [X.] Steuerbehörden abgeführten Beträge wurden der Klägerin aber auf Antrag vollen Umfangs erstattet. Nach Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) ist der Lohn nicht nach Art. XI Abs. 5 i.V.m. Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 des Abkommens zwischen der [X.] und dem Vereinigten Königreich [X.] und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964 ([X.] 1966, 359, [X.] 1966, 730) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 ([X.] 1971, 46, [X.] 1971, 140) von der Bemessungsgrundlage für die Steuer in der [X.] auszunehmen. Der Lohn unterfalle vielmehr dem in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 ([X.], 2878, [X.] 2007, 28) --EStG 2002/2007-- bzw. des Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG 2009) angeordneten Besteuerungsrückfall.

2

Das dagegen gerichtete Klageverfahren wurde vom [X.] ([X.]) Berlin-Brandenburg im Hinblick auf die [X.] des Senats vom 10. Januar 2012 I R 66/09 ([X.], 304) sowie vom 11. Dezember 2013 I R 4/13 ([X.], 1, [X.]I 2014, 791) bis zum Abschluss der dadurch beim [X.] ([X.]) anhängigen Normenkontrollverfahren 2 BvL 1/12 und 2 BvL 15/14 gemäß § 74 der [X.]sordnung ([X.]O) ausgesetzt. Das [X.] ist in seinem Beschluss vom 26. August 2015  15 K 15082/13 der Meinung, die "als schwierig zu erachtende einfachgesetzliche Auslegungsproblematik des § 50d Abs. 9 EStG (2002/2007/2009) zur Reichweite des inländischen Besteuerungsrechts (wäre) nicht mehr entscheidungserheblich", "sollte das [X.] in den ... (gleichgelagerten) Verfahren ... zu dem Ergebnis gelangen, dass ein 'Treaty override' verfassungsrechtlich unzulässig und die betreffenden Normen verfassungswidrig sind". Es hält die Aussetzung ausweislich der [X.] daneben auch deshalb für sachgerecht, als zu der streitgegenständlichen Problematik beim [X.] ([X.]) die Revision [X.] gegen das Urteil des [X.] Berlin-Brandenburg vom 29. April 2014  3 K 3227/13 (abgedruckt in Entscheidungen der [X.]e 2014, 1278) anhängig ist und insoweit mit einer alsbaldigen Klärung der streitrelevanten Fragen zu rechnen sei.

3

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der das [X.] entgegengetreten ist. Die Klägerin beantragt der Sache nach, den [X.]-Beschluss aufzuheben, das [X.] beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

4

II. Die Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet.

5

1. Zwar sind sowohl das beim [X.] anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 1/12 zur Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 8 EStG 2002 i.d.[X.] zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003) vom 15. Dezember 2003 ([X.], 2645, [X.], 710) als auch das dort anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 15/14 zur Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 10 EStG 2002 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19. Dezember 2008 ([X.], 2794, [X.], 74) für das Klageverfahren im Streitfall nicht vorgreiflich, weil es in beiden Fällen nicht um die Verfassungsmäßigkeit der hier in Rede stehenden Vorschrift des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 geht und sich aus den Entscheidungen des [X.] für diese Regelung deshalb keine Aussagen erwarten lassen. Der Umstand, dass es sich bei allen genannten Regelungen um sog. [X.] handelt und diese insoweit "gleichgelagert" sind, veranlasst nicht, sie samt und sonders gleich zu behandeln. Aber selbst dann, wenn man das noch annähme, bliebe zunächst zu beantworten, ob der Klägerin nicht "einfachrechtlich" geholfen werden könnte. Das ginge dann aus Gründen der (zeitnahen) Rechtsschutzgewährung vor, auch wenn die Normauslegung tatsächlich, wie das [X.] meint, "schwierig zu erachten" wäre.

6

Doch hat der Senat durch Beschluss vom 20. August 2014 I R 86/13 ([X.], 486, [X.], 18) zwischenzeitlich in einer mit dem Streitfall gleichgelagerten Sache auch die Vorschrift des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 zum Zwecke einer abstrakten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes dem [X.] vorgelegt, und es erscheint als sachgerecht, nunmehr die Entscheidung über das dort anhängige Verfahren 2 BvL 21/14 abzuwarten und das Klageverfahren deswegen auszusetzen. Dass die vom [X.] tenorierte Aussetzungsbedingung damit nicht übereinstimmt, ist in Anbetracht dessen zu vernachlässigen. Der Tenor ist vielmehr insofern entsprechend anzupassen. Das kann durch den Senat in entsprechender Anwendung von § 132 i.V.m. § 126 Abs. 4 [X.]O geschehen.

7

2. Dass der Senat zwischenzeitlich durch Urteile vom 20. Mai 2015 I R 68/14 ([X.], 96) sowie [X.] ([X.]NV 2015, 1395) über zwei im [X.] ebenfalls einschlägige Revisionen entschieden hat, lässt die Aussetzungsrelevanz anders als im Senatsbeschluss vom 21. August 2015 I B 113/14 ([X.]NV 2016, 58) nicht entfallen. Dort ging es zwar auch um die Besteuerung des im Inland ansässigen Flugpersonals von in [X.] ansässigen Fluggesellschaften. Doch hatte [X.] das ihm abkommensrechtlich zugewiesene Besteuerungsrecht an den Einkünften im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht des Flugpersonals jedenfalls für einen Teil der Einkünfte tatsächlich wahrgenommen. Infolge dieser Teilbesteuerung wurde der Tatbestand des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 nicht erfüllt. Im Streitfall verhält es sich nach der Aktenlage indessen so, dass die Klägerin in [X.] von jeglicher Besteuerung ausgenommen worden ist. Die von ihrem Lohn ursprünglich einbehaltene und an die Finanzbehörden abgeführte Steuer ist ihr antragsgemäß vollen Umfangs erstattet worden. Das aber ist genau die Konstellation, für welche in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/ 2009 ein Besteuerungsrückfall angeordnet wird. Ob die betreffenden Einkünfte beim Vergütungsschuldner zunächst einem Quellensteuerabzug im anderen Staat unterworfen, die einbehaltenen Steuern sodann aber (von Amts wegen oder auch auf Antrag) infolge der fehlenden materiellen Zugriffsmöglichkeit erstattet werden, spielt dafür keine Rolle; maßgebend ist die abstrakte materiell-rechtliche Regelungslage und die sich daraus ergebende definitive Steuerpflicht, nicht aber der [X.], diese Regelungslage dann auch umzusetzen, auch nicht der Veranlagungszeitraum, in welchem die Steuer tatsächlich erstattet wird (vgl. auch [X.] in [X.], EStG, 14. Aufl., § 50d Rz 41f).

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3. Eine Kostenentscheidung ist in diesem unselbständigen Nebenverfahren nicht zu treffen; über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache zu befinden (vgl. z.B. [X.] vom 21. Dezember 2005 III B 145/05, [X.]NV 2006, 1103, m.w.N.).

Meta

I B 121/15

18.11.2015

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 26. August 2015, Az: 15 K 15082/13, Beschluss

§ 50d Abs 9 S 1 Nr 2 EStG 2002 vom 13.12.2006, Art 11 Abs 5 DBA GBR, Art 18 Abs 2 Buchst a S 1 DBA GBR, Art 18 Abs 3 Buchst b DBA GBR, § 74 FGO, EStG VZ 2007, EStG VZ 2008, EStG VZ 2009, EStG VZ 2010, § 132 FGO, § 126 Abs 4 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.11.2015, Az. I B 121/15 (REWIS RS 2015, 2155)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2155

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