Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.10.2015, Az. I R 41/14

1. Senat | REWIS RS 2015, 3226

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Gegenstand

Gleichzeitige Beschließung eines abweisenden Zwischenurteils und einer Verfahrensaussetzung ist nicht statthaft


Leitsatz

NV: In einem Klageverfahren gegen einen Steuerbescheid kann nicht durch Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 FGO über einfach-rechtliche (Vor-)Fragen der Auslegung einer Vorschrift (hier des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007/EStG 2009) zu Lasten des Klägers entschieden werden, wenn das Klageverfahren zugleich wegen Fragen der Verfassungsmäßigkeit jener Vorschrift gemäß § 74 FGO ausgesetzt wird. Die vorgreifliche Entscheidung über einfach-rechtliche Fragen ist dann nicht entscheidungserheblich .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Zwischenurteil des [X.] vom 29. April 2014  3 K 3227/13 aufgehoben.

Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Rechtsstreits wird dem Finanzgericht übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der in den Streitjahren 2007 bis 2009 im Inland wohnte, war vom 1. Dezember 2006 an als Flugzeugführer ("Senior First Officer") bei einer [X.] Fluggesellschaft angestellt. Von Dezember 2006 bis Mai 2007 absolvierte er bei dieser Gesellschaft in [X.] ein Flugtraining, danach war er für die [X.] inner- und außerhalb von [X.] eingesetzt.

2

Sein Jahresgehalt betrug 44.740 £. Es war in gleichen monatlichen Raten am Monatsende zahlbar und wurde entsprechend abgerechnet und bescheinigt. Es wurde in [X.] in den jeweiligen Steuerjahren (vom 6. April eines jeden Jahres bis zum 5. April eines jeden Folgejahres) überwiegend einer Lohnsteuer unterworfen; lediglich eine bestimmte Zulage ("[X.]") blieb lohnsteuerfrei. In die Bemessungsgrundlage einbezogen wurde allerdings nur ein Teil der ausbezahlten Gehälter. Grund dafür war [X.] das Finanzgericht ([X.]) im angefochtenen [X.] eine [X.] "Regelung oder zumindest gefestigte Rechtspraxis der dortigen Steuerbehörde" für die Besteuerung von Flugpersonal. Nicht in [X.] ansässiges Flugpersonal wurde danach im internationalen Luftverkehr nur mit denjenigen Einkommensbestandteilen besteuert, die auf Strecken entfallen, bei denen Start oder Landung in [X.] liegen. Unabhängig davon wurden die einbehaltenen Abzugsteuern dem Kläger nachfolgend aber jedenfalls für die beiden Streitjahre 2007 und 2008 vollen Umfangs, für das Streitjahr 2009 gegebenenfalls [X.] der Kläger entgegen den tatrichterlichen Feststellungen der [X.] bloß teilweise, erstattet, da der jeweils steuerbare Teil seines Gehalts unter dem allgemeinen Freibetrag lag.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) unterwarf den Arbeitslohn der [X.] Besteuerung und erließ mangels eingereichter Steuererklärungen entsprechende Schätzungsbescheide zur Einkommensteuer. Die Einkünfte seien wegen § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 ([X.], 2878, [X.], 28) --EStG 2002/2007-- bzw. des Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG 2009) und in Einklang mit dem Schreiben des [X.] ([X.]) vom 12. November 2008 ([X.] 2008, 988) nicht gemäß Art. XI Abs. 5 i.V.m. Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 und Abs. 3 Buchst. b des Abkommens zwischen der [X.] und dem Vereinigten Königreich [X.] und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964 ([X.] 1966, 359, [X.] 1966, 730) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 ([X.] 1971, 46, [X.] 1971, 140) von der Bemessungsgrundlage für die Steuer in der [X.] auszunehmen.

4

Über die dagegen gerichtete Klage erließ das [X.] Berlin-Brandenburg sein in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1278 abgedrucktes, auf § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) gestütztes Zwischenurteil vom 29. April 2014  3 K 3227/13, das wie folgt tenoriert ist:

5

"Es wird festgestellt, dass die Einkommensteuerbescheide für 2007 bis 2009, jeweils vom 07.10.2011 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2013, nicht zum Nachteil des Klägers von einfachem Gesetzesrecht abweichen.
Es wird weiter festgestellt, dass die vorgenannten Bescheide nicht deswegen rechtswidrig sind, weil die in § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG angeordnete Rückwirkung der Änderung von § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG verfassungswidrig ist."

6

Überdies wurde "beschlossen und verkündet": "Das weitere Verfahren wird ausgesetzt bis zur Entscheidung des [X.] in den Verfahren 2 BvL 1/12 und 2 BvL 15/14."

7

Beidem [X.]wohl dem Zwischenurteil als auch dem [X.] wurde jeweils eine eigenständige Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt.

8

Der Aussetzungsbeschluss wurde nicht mit einer Beschwerde angefochten. Seine gegen das Zwischenurteil gerichtete (und vom [X.] zugelassene) Revision stützt der Kläger auf den Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2013 I B 109/13 ([X.], 40) sowie die Senatsurteile vom 20. Mai 2015 I R 68/14 ([X.], 96) und [X.] ([X.]NV 2015, 1395). Er beanstandet zudem die Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 und bezieht sich dafür (zuletzt) auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 20. August 2014 I R 86/13 ([X.], 486, [X.]I 2015, 18). Er hält --nach entsprechendem Hinweis des Senatsvorsitzenden-- zudem die verfahrensrechtliche Vorgehensweise [X.] Ergehen eines Zwischenurteils und eines [X.] für unzulässig.

9

Der Kläger beantragt, das Zwischenurteil des [X.] aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide dahingehend abzuändern, dass die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit mit jeweils null € zugrunde gelegt werden.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das [X.] ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Es hat sich dem [X.] in der Sache angeschlossen, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil das [X.] in verfahrensrechtswidriger Weise einerseits über eine streitgegenständliche Rechtsfrage durch ein Zwischenurteil nach § 99 Abs. 2 [X.]O entschieden und andererseits zugleich das Klageverfahren nach § 74 [X.]O ausgesetzt hat. In dieser Verfahrenskonstellation ist es dem Senat verwehrt, über die Revision gegen das Zwischenurteil in der Sache zu erkennen.

1. Die Vorinstanz hat durch Zwischenurteil (§ 99 Abs. 2 [X.]O) darüber entschieden, ob die angefochtenen Einkommensteuerbescheide "einfach-rechtlich" den tatbestandlichen Erfordernissen des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 entsprechen und die betreffenden Einkünfte des [X.] aus seiner Tätigkeit als Flugzeugführer für die [X.] Fluggesellschaft deswegen im Rahmen seiner unbeschränkten Steuerpflicht zu erfassen sind. Sie hat das im Ergebnis --und entgegen dem Senatsbeschluss in [X.], 40 (dort zu dem vergleichbaren Fall des Flugzeugführers einer [X.] Fluggesellschaft) sowie auch entgegen den zwischenzeitlich ergangenen [X.] in [X.], 96 und in [X.], 1395-- bejaht. Sie hat es zugleich "als angemessen angesehen", durch Zwischenurteil auch die Frage ebenfalls "mit zu entscheiden, ob die Rückwirkung der Änderung von § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG" (2009 i.d.[X.] zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 [[X.], 1809, [X.], 802] --Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz-- [EStG 2009/2013] "durch § 52 Abs. 59a Satz 9" (EStG 2009/2013) "verfassungsgemäß ist" --gemeint ist die in § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG 2009/2013 geschaffene und nach § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG 2009/2013 rückwirkende [X.], und auch das wurde bejaht. Sodann wurde vom [X.] "das weitere Verfahren (...) ausgesetzt bis zur Entscheidung des [X.] in den Verfahren 2 BvL 1/12 und 2 BvL 15/14" wegen der dort anhängigen Normenkontrollverfahren "zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Treaty override". Grund für diese Vorgehensweise waren dem [X.] ausweislich der Gründe seiner Entscheidung (vgl. erläuternd auch Weinschütz, Internationales Steuerrecht 2014, 534) vorzugsweise prozessökonomische Erwägungen.

2. Die von der Vorinstanz gewählte zweispurige Vorgehensweise ist unter den Gegebenheiten des Streitfalls indessen nicht statthaft, und das schon deshalb nicht, weil es für die zu Lasten des [X.] getroffene Entscheidung über die in Rede stehenden Rechtsfragen nur dann ankommt, wenn § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 verfassungskonform wäre. Das aber wird von der Vorinstanz, wie der Aussetzungsbeschluss zeigt, als offen angesehen. Ist das aus der insoweit maßgebenden Sicht des [X.] der Fall, kommt es auf die Beantwortung der "einfach-rechtlichen" Rechtsfragen zur Auslegung von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 nicht an. Diese Fragen wären dann vielmehr schlechterdings nicht entscheidungserheblich. Fehlt es wiederum an der Entscheidungserheblichkeit, konnte das [X.] über diese Fragen auch nicht vorgreiflich vermittels eines Zwischenurteils entscheiden (ebenso [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 99 [X.]O Rz 8 a.E.). Ob es überhaupt statthaft sein kann, über einen Teil des Rechtsstreits vermittels --anfechtbaren-- Zwischenurteils zu entscheiden und das Klageverfahren sodann insgesamt auszusetzen, kann angesichts dessen unbeantwortet bleiben.

3. Die fehlende Entscheidungserheblichkeit und die deswegen unstatthafte Entscheidung durch das Zwischenurteil sind im Rahmen des Revisionsverfahrens vom Senat von Gerichts wegen durch Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zu berücksichtigen. Auf die vor allem auf Bewirken des verfahrensbeigetretenen [X.] und trotz der Senatsurteile in [X.], 96 und in [X.], 1395 nach wie vor streitgegenständlichen Rechtsfragen nach der Auslegung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 kommt es nicht mehr an. Sie müssen nicht ausdrücklich abermals bestätigt werden.

4. Mit der Aufhebung des Zwischenurteils befindet sich das Klageverfahren wieder in dem Stadium, das vor Erlass des Zwischenurteils bestanden hat, ohne dass es einer förmlichen Zurückverweisung bedarf (vgl. [X.], Urteil vom 17. Dezember 2008 III R 22/06, [X.], 1087). Das [X.] wird nunmehr darüber zu entscheiden haben, ob die Verfahrensaussetzung weiterhin aufrechterhalten bleibt. Dabei ist einerseits auf das beim [X.] anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 21/14 zu verweisen, andererseits auf die zitierten Senatsurteile in [X.], 96 und in [X.], 1395 (zur Konsequenz dieser Urteile auf die Aussetzung des Klageverfahrens s. Senatsbeschluss vom 21. August 2015 I B 113/14, nicht veröffentlicht).

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 41/14

28.10.2015

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 29. April 2014, Az: 3 K 3227/13, Zwischenurteil

§ 74 FGO, § 99 Abs 2 FGO, § 50d Abs 9 S 1 Nr 2 EStG 2002 vom 13.12.2006, § 50d Abs 9 S 1 Nr 2 EStG 2009, EStG VZ 2007, EStG VZ 2008, EStG VZ 2009, Art 100 Abs 1 S 1 GG, § 126 Abs 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.10.2015, Az. I R 41/14 (REWIS RS 2015, 3226)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3226

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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