Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2013, Az. I ZR 15/12

I. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 1201

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I
ZR
15/12
Verkündet am:
13.
November 2013
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

Kommanditistenbrief
UWG § 4 Nr. 11; [X.] §
43b; Richtlinie 2006/123/[X.]. 24
Ein Rechtsanwalt verstößt nicht zwingend gegen das Verbot der Werbung um Praxis (§
43b [X.]), wenn er einen potentiellen Mandanten in Kenntnis eines konkreten [X.] (hier: Inanspruchnahme als Kommanditist einer [X.] auf Rückzahlung von Ausschüttungen) persönlich anschreibt und seine Dienste anbietet. Ein Verstoß liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Adressat einerseits durch das Schreiben weder belästigt, genötigt oder überrumpelt wird und er sich andererseits in einer Lage befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete [X.] Werbung hilfreich sein kann (Fortführung von [X.], Urteil vom 1.
März 2001 -
I
ZR
300/98, [X.]Z 147, 71, 80 -
Anwaltswerbung
II; [X.], Urteil vom 15.
März 2001 -
I
ZR
337/98, [X.], 71, 74 -
Anwaltsrundschreiben).
[X.], Urteil vom 13. November 2013 -
I [X.] -
[X.]

[X.]

-
2
-
Der [X.]
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhand-lung vom 12.
September 2013 durch [X.] Dr.
Dr.
h.c.
[X.] und
die [X.], Prof. Dr.
Schaffert, Dr.
Koch und Dr.
Löffler

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts [X.]
vom 12.
Januar 2012
aufgeho-ben.
Die Berufung des [X.] gegen das Urteil des Landgerichts [X.]
I, 1.
Kammer für Handelssachen, vom 8. Februar 2011
wird zurückgewiesen.
Der
Kläger
trägt die Kosten der
Rechtsmittel.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien vertreten als Rechtsanwälte Anleger der in Insolvenz befind-lichen FondsG.

sgesellschaft). Deren
Kommanditisten werden -
teilweise schon im Klagewege -
vom [X.] auf Rückzahlung von Ausschüttungen in Anspruch genommen.
Im September 2010
versandte die Beklagte an zahlreiche
von ihr nicht anwaltlich vertretene
Kommanditisten der
[X.] ein
im Folgenden 1
2
-
3
-
in Auszügen wiedergegebenes, an den jeweiligen Empfänger persönlich adres-siertes
Schreiben:
In vorbezeichneter Angelegenheit zeigen wir an, dass wir mehrere [X.] vertreten, die vom Insolvenzverwalter der [X.] vor dem [X.] aus Kommanditistenhaftung in Anspruch genommen werden.
Wir halten eine Verteidigung gegen die Klagen
mindestens insoweit für erfolgs-versprechend, sofern und soweit die Kommanditisten nicht direkt an der [X.], sondern nur mittelbar, und zwar als Treugeber über die Treunehmerin, die M., beteiligt waren. Es gibt darüber hinaus einige weitere aussichtsreiche Ansatz-punkte, wie z.B. eine mögliche Verjährung der Ansprüche.
Aus den uns vorliegenden Unterlagen ... ergibt sich weiter, dass sich der [X.] mit zwei größeren Anlegergruppen in [X.] be-findet.
Gerne erörtern wir mit Ihnen diese diversen Aspekte der Angelegenheit aus-führlich telefonisch oder in einem persönlichen Gespräch.
Wir weisen insbesondere darauf hin, dass es für Kommanditisten, die bereits in Anspruch genommen werden bzw. bei denen dies noch bevorsteht, sinnvoll sein kann, sich zum Zwecke gemeinsamer Interessenvertretung zusammenzu-schließen, um gegenüber dem Insolvenzverwalter eine stärkere Verhandlungs-position aufzubauen.
Wir sind auch interessiert am Erfahrungs-
und Gedankenaustausch mit An-waltskollegen, die Sie eventuell in dieser Angelegenheit bereits vertreten.
Das
Schreiben
erreichte auch Mandanten des [X.].
Der Kläger ist der Ansicht, das Schreiben sei eine gemäß §§
3, 4 Nr.
11 UWG in Verbindung mit
§
43b [X.] unzulässige Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen,
bei den von ihr nicht vertretenen Kommanditisten der [X.] in einem persönlich an diese Kommanditisten gerichteten Schreiben um die Erteilung eines Mandats zur Abwehr der vom Insolvenzverwalter gegen die Kommanditisten geführten Klage auf Rückzahlung der Ausschüttungen wie folgt zu werben (es folgt das oben wiedergegebene Schreiben).
Der Kläger hat die Beklagte ferner auf Auskunft in Anspruch genommen und Feststellung der Schadensersatzpflicht
beantragt.
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4
-
Das Landgericht hat
die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht
hat
die Beklagte antragsgemäß verurteilt
([X.], [X.], 163).
Mit der vom [X.] zugelassenen
Revision, deren Zurückweisung der Kläger [X.],
verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
[X.] Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stünden
die
gel-tend gemachten Ansprüche
aus §§
8, 9, 3, 4 Nr.
11 UWG in Verbindung mit §
43b [X.], §
242 BGB zu. Das beanstandete Schreiben verstoße gegen das Werbeverbot gemäß §
43b [X.]. Eine Werbung sei im Sinne dieser Vorschrift auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet, wenn der Rechtsanwalt einen potentiellen Mandanten umwerbe, bei dem ein konkreter, dem [X.] bekannter Beratungsbedarf bestehe. Auf
eine konkrete Beeinträchtigung der Interessen des Adressaten komme es nicht an. Im Streitfall seien diese Vor-aussetzungen erfüllt. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass der Insolvenz-verwalter der [X.]
die von ihr angeschriebenen Kommanditisten in der Vergangenheit auf Rückzahlung von Ausschüttungen in Anspruch ge-nommen habe. Es habe deshalb nicht nur ein potentieller, sondern ein aktueller Bedarf an anwaltlicher Beratung in Bezug auf die Möglichkeiten und Erfolgs-aussichten einer Verteidigung gegen die Forderungen des Insolvenzverwalters bestanden. Das Rundschreiben der Beklagten habe darauf abgezielt, diesen konkreten Bedarf zu decken. Eine solche Werbung sei gemäß §
43b [X.] [X.], ohne dass es weiterer Umstände wie etwa einer unsachlichen Belästi-gung der Adressaten, einer tatsächlichen Einschränkung ihrer Entschließungs-freiheit oder sonstiger Momente bedürfe.

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-
5
-
I[X.] Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des die Klage abweisenden erstinstanzlichen Urteils. Das beanstandete Schreiben verstößt nicht gegen §
43b [X.]. Es ist auch nicht aus anderen Gründen wettbe-werbswidrig.
1. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Schreiben der Beklagten vom September 2010 verstoße gegen §
43b [X.], hält der rechtlichen Über-prüfung nicht stand.
a)
Gemäß
§
43b [X.]
ist Werbung einem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und
Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.
aa) Nach der Rechtsprechung des [X.]s
kommt eine Einschränkung der Werbemöglichkeit bei
verfassungskonformer Auslegung des §
43b [X.] nur dann in Betracht,
wenn sie im Einzelfall durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
entspricht ([X.], Urteil vom 1.
März 2001 -
I
ZR
300/98, [X.]Z 147, 71, 74
f.
-
Anwaltswerbung
II; Urteil vom 27.
Januar 2005 -
I
ZR
202/02, [X.], 520, 521 = [X.], 738 -
Optimale Interessenvertretung; vgl. zur inhalts-gleichen Regelung des §
57a StBerG [X.], Urteil vom 29.
Juli 2009
-
I
ZR
77/07, [X.], 349 Rn.
22 -
EKW-Steuerberater). In der Vergan-genheit hat der [X.] allerdings angedeutet, dass er eine Werbung um [X.] bereits dann als unzulässig erachtet, wenn der Umworbene in einem konkre-ten Einzelfall der Beratung oder Vertretung bedarf und der Werbende dies in Kenntnis der Umstände zum Anlass für seine Werbung nimmt. Eine solche Werbung versuche -
vergleichbar mit der offenen
Werbung um die Erteilung eines Auftrags
im Einzelfall -
in einer oft als aufdringlich empfundenen Weise 8
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11
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6
-
auszunutzen, dass sich der Umworbene beispielsweise in einer Lage befinde, in der er auf Hilfe angewiesen sei
und sich möglicherweise nicht frei für einen Anwalt entscheiden könne
([X.]Z 147, 71, 80 -
Anwaltswerbung
II; [X.], Urteil vom 15.
März 2001 -
I
ZR
337/98, [X.], 71, 74
-
Anwaltsrundschreiben). Dagegen hat der [X.] solche Fälle nicht
als
vom Verbot erfasst
angesehen, in denen sich der Rechtsanwalt an Personen wendet, bei denen er keinen konkre-ten Handlungs-
oder Beratungsbedarf, sondern -
beispielsweise wegen einer erfolgten Gesetzesänderung -
ein bloß generelles
Interesse an seiner Leistung
erwartet. Er hat es als
zulässig erachtet, diesen Adressaten einen konkreten Handlungs-
oder Beratungsbedarf erst mit den in der [X.] Angaben zu einer konkreten Fallgestaltung bewusst zu machen. In
einer solchen Situation fehlte
es an einer gezielten persönlichen und daher gegebe-nenfalls als aufdringlich empfundenen Kontaktaufnahme ([X.], [X.], 71, 74 -
Anwaltsrundschreiben).
bb) Teilweise werden jedoch in Rechtsprechung und Schrifttum [X.] Anforderungen an
ein Werbeverbot gestellt.
So sei eine Werbung um die Er-teilung eines Auftrags im Einzelfall nicht bereits dann unzulässig, wenn der Rechtsanwalt einen potentiellen Mandanten in Kenntnis eines konkreten Bera-tungsbedarfs persönlich anspreche. Ein Verbot setze vielmehr zusätzlich vo-raus, dass die Werbung in ihrer individuellen Ausgestaltung geeignet sei, das Schutzgut des §
43b [X.] konkret zu gefährden ([X.], GRUR-RR 2010, 437, 438
f.; Kleine-Cosack, [X.], 6.
Aufl., §
43b Rn.
21
ff.;
Prütting
in Henss-ler/Prütting, [X.], 3.
Aufl., §
43b Rn.
44; [X.], NJW 2003, 3525, 3527; [X.], [X.] 2010, 702, 703; Degen, NJW 2011, 867
f.). Es bedürfe einer sorg-fältigen Prüfung aller Umstände des Einzelfalls, ob eine gemeinwohlschädliche Aufdringlichkeit vorliege, die ein Verbot rechtfertigen könne. Maßgeblich sei, ob ein der Ansprache durch den Rechtsanwalt entgegenstehender Wille des [X.]
-
7
-
tentiellen Mandanten ersichtlich sei. Ferner komme es auf das Verhältnis zwi-schen der Art und Intensität des konkreten [X.]
(aktueller Todes-, Krankheits-
oder Unglücksfall, Strafverfolgung oder lediglich drohende wirt-schaftliche Verluste durch eine notleidend gewordene Geldanlage) auf der ei-nen Seite und der Intensität der anwaltlichen mandatsbezogenen Werbung im Sinne einer Bedrängung, Nötigung oder Überrumpelung auf der anderen Seite an (vgl. [X.], NJW-RR 2008, 445, 446; Kleine-Cosack aaO §
43b Rn.
29
ff.).
Das Erfordernis einer konkreten Gefährdung der Schutzgüter des §
43b [X.] wird damit begründet, dass es eine Werbeform nicht schon per se unzu-lässig mache, dass ein Umworbener konkreten Beratungsbedarf habe. Befinde sich jemand in einer Situation, in der er auf Rechtsrat angewiesen sei, werde ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung regelmäßig Nut-zen bringen können. Erst in Fällen, in denen sich ein Anwalt in einer aufdringli-chen Art aufnötige oder einen Verbraucher überrumpele, müssten klare Gren-zen gezogen werden, beispielsweise bei der Ausnutzung eines Unglücksfalls. Werde dagegen einem Fondsanleger in sachlicher Weise anwaltlicher Rat an-geboten, könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Umworbene nicht in der Lage sei zu entscheiden, ob er Kontakt zu dem Anwalt aufnehmen, gar nicht aktiv werden oder einen anderen Anwalt seines Vertrau-ens zu Rate ziehen wolle (vgl. Kleine-Cosack aaO §
43b Rn.
24
ff.; [X.], NJW 2005, 1217, 1219; [X.], [X.] 2010, 702, 703).
cc) Diese Ansicht ist zumindest seit dem 28.
Dezember 2009 vorzugs-würdig. Seit diesem Zeitpunkt ist §
43b [X.] im Hinblick auf die Richtlinie 2006/123/[X.] vom 12.
Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt anhand des Maßstabs
des Art.
24 der Richtlinie richtlinienkonform auszulegen; ein Werbeverbot ist danach nur bei einer durch eine Abwägung der Umstände
13
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-
8
-
des Einzelfalls festzustellenden konkreten Gefährdung der unionsrechtlich ge-schützten Interessen
gerechtfertigt.

(1) Die Bestimmung
des §
43b [X.]
regelt die berufsrechtlichen Gren-zen,
innerhalb deren
Rechtsanwälte für ihre Dienstleistung werben dürfen. Die Vorschrift stellt damit eine berufsrechtliche Regelung über die kommerzielle Kommunikation im Sinne von Art.
4 Nr.
12 der Richtlinie 2006/123/[X.] dar, die die Rechtsanwaltschaft und damit einen reglementierten Beruf im Sinne
von Art.
4 Nr.
11 der Richtlinie 2006/123/[X.] in Verbindung
mit Art.
3 Abs.
1 Buchst.
a der Richtlinie 2005/36/[X.]
über die Anerkennung von Berufsqualifika-tionen sowie
in Verbindung mit
§
4 [X.] betrifft.

(2)
Gemäß Art.
44 Abs.
1 der Richtlinie 2006/123/[X.] setzen die Mit-gliedstaaten die erforderlichen Rechts-
und Verwaltungsvorschriften in [X.], die erforderlich sind, um der Richtlinie bis 28.
Dezember 2009 nachzukommen. Seit diesem Tag ist §
43b [X.] im Lichte des Wortlauts und des Zwecks des Art.
24 der Richtlinie 2006/123/[X.]
auszulegen (vgl. [X.], Urteil vom 4.
Juli 2006
-
C-212/04,
[X.].
2006, I-6057 = NJW 2006, 2465 Rn.
108, 124 -
Adeneler

ELOG).

(3) Gemäß Art.
24 Abs.
1 der Richtlinie 2006/123/[X.] sind absolute [X.] der kommerziellen Kommunikation für reglementierte
Berufe untersagt. Gemäß Erwägungsgrund
100 der Richtlinie 2006/123/[X.] sind mit absoluten Verboten nicht solche gemeint, die sich auf den Inhalt der kommerziellen [X.] beziehen, sondern solche, die diese allgemein und für ganze [X.] in einer oder mehreren Formen untersagen, beispielsweise ein Verbot von Werbung in einem bestimmten Medium oder in einer Reihe von [X.]. Der [X.] hat entschieden, dass von einem absoluten
Verbot im Sinne des Art.
24 Abs.
1 der Richtlinie 2006/123/[X.] aus-15
16
17
-
9
-
zugehen ist, wenn eine nationale Bestimmung eine kommerzielle Kommunikati-on unabhängig von ihrer Form, ihrem Inhalt oder den verwendeten Mitteln
un-tersagt ([X.], Urteil vom 5.
April 2011 -
C-119/09, [X.]. 2011, [X.] = [X.] 2011, 681 Rn.
41
f. -
Société fiduciaire nationale dexpertise comptable).
Daraus ergibt sich, dass ein
Werbeverbot
nur in Betracht kommt, wenn sich ein [X.] im Einzelfall aus der Form,
aus
dem Inhalt oder
aus
dem verwendeten Mittel der Werbung ergibt. Allein der Umstand, dass ein potentiel-ler Mandant in Kenntnis von dessen konkretem
Beratungsbedarf angesprochen wird, genügt diesen Anforderungen nicht.

(4) Nach
Art.
24 Abs.
2 der Richtlinie 2006/123/[X.]
stellen die [X.] sicher, dass die kommerzielle Kommunikation durch Angehörige regle-mentierter Berufe die Anforderungen der berufsrechtlichen Regeln erfüllt, die im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht je nach Beruf insbesondere die Unab-hängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen.
Berufsrechtliche Regelungen über die kommerzielle Kommunikation dürfen nicht diskriminierend sein und müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sein.

die Schutzgüter, deren Beeinträchtigung eine Einschränkung der kommerziellen Kommunikation rechtfertigen können,
nicht auf
die in Art.
24 Abs.
2 Satz
1 der Richtlinie 2006/123/[X.] ausdrücklich genannten Gesichtspunkte, also die [X.], die Würde und die Integrität der Rechtsanwaltschaft sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses,
beschränkt. Vielmehr sind bei der Ausle-gung auch der systematische Regelungszusammenhang des Art.
24 der Richt-linie 2006/123/[X.] und damit die Interessen der Verbraucher zu beachten 18
19
20
-
10
-
([X.],
[X.] 2011, 681 Rn.
28 -
Société fiduciaire nationale d´expertise comptable).
Daraus folgt, dass ein Werbeverbot zum Schutz des
potentiellen [X.] vor einer Beeinträchtigung seiner
Entscheidungsfreiheit durch Belästi-gung, Nötigung und Überrumpelung gerechtfertigt sein kann.
Aus der gesetzli-chen
Anordnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ergibt sich ferner, dass eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen ist. Dabei sind
neben der Be-einträchtigung der Unabhängigkeit, der Würde oder der Integrität der Rechts-anwaltschaft auch Art und Grad
der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers
durch Form, Inhalt oder das verwendete Mittel der Werbung zu berücksichtigen. Außerdem kommt es
darauf an, ob und inwieweit
die Inter-essen des Verbrauchers deshalb nicht beeinträchtigt sind, weil er
sich in einer Situation befindet, in der
er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an sei-nem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung Nutzen bringen kann.
b)
Nach diesen Grundsätzen ist das beanstandete [X.] der Beklagten nicht zu beanstanden.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass für die angeschrie-benen Anleger ein der Beklagten bekannter aktueller Bedarf an anwaltlicher Beratung bestand, weil der Insolvenzverwalter der [X.] bereits in der Vergangenheit an diese Anleger
herangetreten
war,
sie zur Rückzahlung von Ausschüttungen aufgefordert und teilweise bereits Ansprüche klageweise geltend gemacht hatte. Daraus lässt sich indessen noch keine hinreichend [X.] Beeinträchtigung der Interessen der Anleger entnehmen, weil in der [X.] eines konkreten [X.] gerade ein Interesse der
Anleger an [X.] bedarfsgerechten sachlichen Werbung bestehen kann.
Umstände, die dafür sprechen
könnten, dass die Entscheidungsfreiheit der angeschriebenen Anle-21
22
23
-
11
-
ger durch die Besonderheiten ihrer Situation oder durch
die Art und Weise der werblichen Ansprache
beeinträchtigt gewesen wäre, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. So bestand für die [X.] keine Situation, in der die Gefahr des Verlustes erheblicher Vermö-genswerte
derart unmittelbar gedroht
hätte, dass eine überlegte und informati-onsgeleitete
Entscheidung für oder gegen das Angebot der Beklagten erheblich erschwert gewesen wäre. Das beanstandete Schreiben war schließlich in Form und Inhalt sachlich abgefasst. Belästigende oder bedrängende
Elemente finden sich dort ebenso wenig wie Gesichtspunkte, die mit der Würde, Integrität und Unabhängigkeit des Berufsstandes des Rechtsanwalts nicht im Einklang ste-hen.
2. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§
561 ZPO). Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass
die Anga-ben in dem beanstandeten Schreiben irreführend gewesen wären oder dass die Beklagte gezielt in die Beziehung des [X.] zu seinen Mandanten eingegrif-fen hätte.
II[X.] [X.] wirft keine entscheidungserheblichen
Fragen zur Ausle-gung des Unionsrechts
auf, die ein Vorabentscheidungsersuchen an den Ge-richtshof der [X.] erfordern. Hinsichtlich der Auslegung der Richtlinie
2006/123/[X.]
bestehen keine vernünftigen Zweifel. Die Bestimmung des §
43b [X.] ist -
wie dargelegt -
einer restriktiven Auslegung zugänglich, die mit Art.
24
Abs.
1 und 2
der Richtlinie 2006/123/[X.] im Einklang
steht. [X.] ist auch keine Vorlage an den [X.] veranlasst (vgl. [X.], Urteil vom 6.
Oktober 1982 -
283/81, [X.]. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 -
C.[X.]L.F.[X.]T.).

24
25
-
12
-
IV. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil das Berufungsurteil nur wegen der Anwen-dung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt aufzuheben und die Sa-che nach diesem Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist

563 Abs.
3 ZPO).
V. [X.] beruht auf §
91 Abs.
1, §
97 Abs.
1
ZPO.

[X.]
Pokrant
Schaffert

Koch
Löffler
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.02.2011 -
1 [X.] 18466/10 -

[X.], Entscheidung vom 12.01.2012 -
6 U 813/11 -

26
27

Meta

I ZR 15/12

13.11.2013

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2013, Az. I ZR 15/12 (REWIS RS 2013, 1201)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1201

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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I ZR 15/12

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