Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.03.2019, Az. V R 19/17

5. Senat | REWIS RS 2019, 8822

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Gegenstand

Berufsbetreuer und Bestandskraft


Leitsatz

NV: Ein Steuerbescheid ist auch bei einem erst nachträglich erkannten Verstoß gegen das Unionsrecht nicht unter günstigeren Bedingungen als bei einer Verletzung innerstaatlichen Rechts änderbar, da das Korrektursystem der §§ 172 ff. AO die Durchsetzung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche ohne Verstoß gegen das Unionsrecht abschließend regelt .

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 27. September 2016 2 K 514/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 2004 und 2005 als Berufsbetreuer tätig. Der am 8. Dezember 2006 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung 2004 entsprach der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) mit Änderungsbescheid vom 5. Dezember 2007. Der am 8. Dezember 2006 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung 2005 stimmte das [X.] ohne Änderung zu.

2

Mit Schreiben vom 28. November 2012 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) [X.] vom 15. November 2012 [X.] ([X.]:[X.]) die "Erstattung" der für die Jahre 2005 bis 2009 geleisteten Umsatzsteuerzahlungen, da seine Leistungen zwar nicht nach dem in den Streitjahren geltenden nationalen Recht, aber nach Art. 13 der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/[X.]) steuerfrei seien.

3

Das [X.] lehnte dies für das Streitjahr 2005 --anders als für die [X.] ab. Auch einen Antrag vom 6. Juni 2013 für das Streitjahr 2004 sah das [X.] als unbegründet an. Einspruch und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg.

4

Das Finanzgericht ([X.]) begründete sein in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2017, 1496 veröffentlichtes Urteil damit, dass nach §§ 172 ff. der Abgabenordnung ([X.]) aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung keine Möglichkeit zur Änderung der Steuerbescheide bestehe. Eine abweichende Beurteilung ergebe sich auch nicht aus dem [X.]-Urteil [X.] vom 25. Juli 1991 [X.]/90 ([X.]:C:1991:333) oder der Rechtsprechung des [X.] ([X.]). In Bezug auf einen nach der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz ging das [X.] im Rahmen der Urteilsbegründung davon aus, dass es nach seiner Rechtsauffassung auf den dortigen Vortrag des [X.] zum [X.] und [X.] und die Möglichkeit einen Vergütungsantrag als Rechnung anzusehen, nicht ankomme.

5

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Das [X.] habe in gesetzwidriger Besetzung geurteilt. In die Beurteilung seines Vortrags in dem nachgereichten Schriftsatz seien [X.] nicht einbezogen gewesen. Als "[X.]" könne das Urteil aufgrund einer "Kammeramputation" keine Bestandskraft entfalten. [X.]- und [X.]-Urteile seien als rückwirkende Ereignisse i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] anzusehen. Es "verstrichen immerhin 20 Jahre (!) bis die einschlägige Europa-Richtlinie in der [X.] durchdrang", was im Sinne des [X.]-Urteils [X.] ([X.]:C:1991:333) zu berücksichtigen sei. Der [X.] habe aufgrund von [X.]- und [X.]-Rechtsprechung erst 2012 begonnen. Aufgrund eines daher fehlenden Rechtsgrunds sei auch keine Erstattungsverjährung eingetreten. Werde das [X.] innerhalb der [X.] zur Zahlung aufgefordert, genüge dies zur [X.]. Eine Zahlung sei nach § 37 Abs. 2 [X.] ohne rechtlichen Grund geleistet, wenn sie den materiell-rechtlichen Anspruch übersteigt. Auch nach der formellen Rechtsgrundtheorie sei zu erstatten, da im Hinblick auf das übergeordnete und bindende Europarecht bereits die formellen Voraussetzungen für die Erhebung der Umsatzsteuer fehlten. Das [X.] habe sich zudem nicht mit der Frage beschäftigt, ob das [X.] einen Abrechnungsbescheid hätte erlassen müssen. Es gebe auch Erstattungsansprüche für deren Verwirklichung es keines vorangehenden Steuerbescheids bedürfe. Aufgrund seiner Anspruchsanzeige mit dem Hinweis auf ein [X.]-Verfahren vom 28. November 2012 sei keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Im Streitfall sei die Steuer von vornherein [X.] erhoben worden.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, den Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 5. Dezember 2007 und den nie förmlich erlassenen Umsatzsteuerbescheid 2005 für nichtig zu erklären und das [X.] anzuweisen, die als Umsatzsteuer deklarierten und hinterlegten Geldbeträge der Jahre 2004 und 2005 [X.] Zinsen herauszugeben.

7

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Es liege kein Verfahrensmangel vor. Der Erstattung stünden die bestandskräftigen Steuerfestsetzungen für die Streitjahre entgegen. Festsetzungsverjährung sei eingetreten. Es liege kein rückwirkendes Ereignis vor.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

1. Wie das [X.] in seinem Urteil S. 6 zutreffend ausgeführt hat, ist mit Ablauf des 31. Dezember 2010 Festsetzungsverjährung für beide Streitjahre eingetreten, so dass der Kläger alle weiteren Verfahrenshandlungen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist vorgenommen hat. Daher ist seinem Änderungsverlangen nach nationalem Verfahrensrecht nicht nachzukommen. Das [X.] hat weiter zutreffend unter Bezugnahme auf die BFH-Rechtsprechung entschieden, dass eine Änderung der Rechtsprechung kein rückwirkendes Ereignis begründet (BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 36/95, [X.], 563, [X.] 1996, 399, unter II.2.).

2. Der erkennende [X.] hat bereits ausdrücklich entschieden, dass ein Steuerbescheid auch bei einem erst nachträglich erkannten Verstoß gegen das Unionsrecht nicht unter günstigeren Bedingungen als bei einer Verletzung innerstaatlichen Rechts änderbar ist, da das Korrektursystem der §§ 172 ff. [X.] die Durchsetzung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche abschließend regelt, und dass nach den Vorgaben des Unionsrechts das steuerrechtliche Verfahrensrecht auch keine weitergehenden Korrekturmöglichkeiten für Steuerbescheide vorsehen muss (BFH-Urteil vom 16. September 2010 V R 57/09, [X.], 504, [X.] 2011, 151, Leitsatz). Abweichendes ergibt sich nicht aus dem EuGH-Urteil [X.] ([X.]:C:1991:333; BFH-Urteil in [X.], 504, [X.] 2011, 151, unter II.3.). Ob der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Ablaufs einer Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelfrist wissen konnte oder wissen musste, dass eine Steuerbefreiung nach Art. 13 der [X.]/[X.] unmittelbar zu seinen Gunsten anwendbar ist, spielt keine Rolle. Sieht der Steuerpflichtige von der Einlegung von Rechtsmitteln ab, nimmt er den Eintritt der Bestandskraft auch für den Fall einer späteren Rechtsprechungsänderung bewusst in Kauf (BFH-Urteil in [X.], 504, [X.] 2011, 151, unter II.5.c cc).

3. Auf die Überlegungen des [X.] zu § 37 Abs. 2 [X.] kommt es nicht an. Denn ein derartiger Erstattungsanspruch kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung erst durchgesetzt werden, wenn die ihm entgegenstehende Steuerfestsetzung geändert oder aufgehoben worden ist (BFH-Urteile vom 29. Oktober 2002 VII R 2/02, [X.], 88, [X.] 2003, 43, unter [X.], und vom 14. März 2012 XI R 6/10, [X.], 296, [X.] 2014, 607, unter II.2.c).

4. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte, nicht vom Gericht nachgelassene Schriftsätze sind grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen. Ob das [X.] deshalb die mündliche Verhandlung wiedereröffnet, steht grundsätzlich in seinem Ermessen. Das [X.] hat von Amts wegen nur zu entscheiden, ob es aufgrund des eingereichten Schriftsatzes die mündliche Verhandlung wiedereröffnet oder die Wiedereröffnung nicht für geboten erachtet. Es muss zum Ausdruck bringen, dass entsprechende Erwägungen angestellt worden sind; denn andernfalls lässt sich nicht nachprüfen, ob das Gericht sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Dabei reicht es aus, wenn das [X.] seine Entscheidung, die mündliche Verhandlung nicht wieder zu eröffnen, erst in dem von den Berufsrichtern unterschriebenen Urteil begründet ([X.] vom 29. April 2004 III B 73/03, juris; Lange in [X.]/[X.]/[X.], § 96 [X.]O  Rz 300 ff.). So ist es im Streitfall, wie sich aus dem [X.]-Urteil S. 10 ergibt.

5. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 19/17

27.03.2019

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend FG Nürnberg, 27. September 2016, Az: 2 K 514/15, Urteil

§ 126a FGO, § 172ff AO, § 172 AO, § 5 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.03.2019, Az. V R 19/17 (REWIS RS 2019, 8822)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 8822


Verfahrensgang

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Az. V R 19/17

Bundesfinanzhof, V R 19/17, 27.03.2019.


Az. 2 K 514/15

FG Nürnberg, 2 K 514/15, 27.09.2016.


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