Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.06.2014, Az. IV ZR 414/12

4. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 4942

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Gegenstand

Notarhaftung wegen wissentlicher Pflichtverletzung: Voraussetzungen einer Vorleistungspflicht der Vertrauensschadenversicherung gegenüber dem geschädigten Mandanten


Leitsatz

1. Für den Vorleistungsanspruch gemäß § 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO ist entscheidend, dass der Berufshaftpflichtversicherer unter Berufung auf eine wissentliche Pflichtverletzung des Notars die Regulierung ablehnt, gegen das Bestehen des Deckungsanspruchs aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag aber keine weiteren Einwendungen erhebt. Ein Streit zwischen Anspruchsteller und Berufshaftpflichtversicherer über die wissentliche Pflichtverletzung ist nicht erforderlich.

2. Der Geschädigte ist nicht gehalten, von sich aus vor einer Inanspruchnahme des Berufshaftpflichtversicherers an den Vertrauensschadenversicherer heranzutreten, um dessen Leistungsbereitschaft zu klären.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] - 25. Zivilsenat - vom 30. November 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Berufshaftpflichtversicherer des ehemaligen, inzwischen in Insolvenz befindlichen Notars [X.](im Folgenden nur kurz: Notar) wegen von diesem begangener Pflichtverletzungen auf Schadensersatz in Höhe von 1.734.059,73 € in Anspruch.

2

Den von der Klägerin unter Berufung auf das Absonderungsrecht gemäß § 157 [X.] a.F. erhobenen Ansprüchen, die zur Insolvenztabelle festgestellt sind, liegt folgendes Geschehen zugrunde: Der Notar beurkundete Kaufverträge zwischen einer Verkäuferin und insgesamt 15 namentlich benannten Käufern über Wohneigentum in zwei Objekten in [X.]und [X.]     , wobei die Klägerin den Käufern in allen Fällen [X.] bewilligt hatte, die sie von einem Eigenanteil der Käufer an der Finanzierung abhängig gemacht hatte. Dieser Eigenanteil konnte auch in der Übernahme der Kaufnebenkosten liegen. Nach allen beurkundeten Verträgen waren die Kaufnebenkosten vom jeweiligen Käufer zu tragen. Tatsächlich wurden Gerichtskosten und Grunderwerbssteuer in keinem einzigen Fall vom Käufer, sondern aufgrund einer vom Notar mit der Verkäuferin getroffenen Vereinbarung aus den von der Klägerin zur Erfüllung des [X.] der Verkäuferin mit Treuhandauftrag überwiesenen Verwahrgeldern bezahlt, nachdem der Notar die entsprechenden Beträge zuvor auf sein Kanzleikonto umgeleitet hatte. Auf diesem Wege wurde das von der Klägerin mit ihren Kreditnehmern abgestimmte Finanzierungskonzept hintergangen, indem diese den darin vorgesehenen Eigenanteil nicht leisteten.

3

Nach § 4 Abs. 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen des zwischen der Beklagten und dem Notar geschlossenen Versicherungsvertrages (im Folgenden kurz: AVB-N) bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schadenverursachung durch wissentliche Pflichtverletzung.

4

Die Beklagte hält sich im Hinblick hierauf für nicht leistungspflichtig. Die Klägerin meint, dass die Beklagte dann zumindest im Hinblick auf die von der Streithelferin der Beklagten als zuständiger Notarkammer für den Notar geschlossene Vertrauensschadenversicherung, die Schäden aus wissentlicher Pflichtverletzung abdeckt, gemäß § 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO vorleistungspflichtig sei.

5

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

6

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag wegen einer wissentlichen Pflichtverletzung ausscheide. Auch ein Anspruch aus § 19a Abs. 2 Satz 2 [X.] bestehe nicht, weil zwischen den Parteien nicht streitig sei, ob der Ausschlussgrund gemäß § 19a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] vorliege. Insoweit genüge es, wenn - wie im Streitfall gegeben - zwischen Geschädigtem und [X.] ein Sachverhalt unstreitig sei, der rechtlich als wissentliche Pflichtverletzung zu werten sei. Hinzu komme, dass auch die Streithelferin der Beklagten und der [X.] die streitgegenständlichen Amtspflichtverletzungen des Notars mittlerweile als wissentlich begangen betrachteten.

9

II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Steht eine wissentliche Pflichtverletzung des Notars im Raum, so kommt der [X.] gegen den [X.] gemäß § 19a Abs. 2 Satz 2 [X.] bereits dann in Betracht, wenn Letzterer unter Berufung hierauf die Regulierung ablehnt, gegen das Bestehen des Deckungsanspruchs aus dem [X.] aber keine weiteren Einwendungen erhebt. Ein Streit zwischen Anspruchsteller und [X.] über diesen Punkt ist nicht erforderlich.

Der Wortlaut der Vorschrift sagt nichts darüber aus, zwischen wem das Vorliegen des Ausschlussgrundes wissentlicher Pflichtverletzung nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 streitig sein muss. Jedoch ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, dass ein Anspruch des Geschädigten sogar dann gegeben sein kann, wenn zwischen ihm und dem [X.] ausdrücklich Einigkeit über eine wissentliche Pflichtverletzung des Notars besteht.

Der Gesetzgeber hatte bei Einführung der Regelung des § 19a Abs. 2 Satz 2 [X.] einen Streit der beiden Versicherer vor Augen, die auf den jeweils anderen verweisen, und wollte, dass diese ihn untereinander austragen (BT-Drucks. 13/11034 [X.] f.). Dagegen soll sich der Mandant des Notars, wenn klar ist, dass jedenfalls einer der beiden Versicherer leistungspflichtig ist (weil "nur" die wissentliche Pflichtverletzung streitig ist), im Interesse zügiger Schadenregulierung an den [X.] halten können. Letzterem stehen zum Ausgleich der Forderungsübergang (§ 19a Abs. 2 Satz 3 [X.]) und ein Anspruch auf Aufwendungsersatz (§ 19a Abs. 2 Satz 4 [X.]) gegen den [X.] zu, so dass die Streitfrage im [X.] zwischen diesen beiden Versicherern geklärt werden kann. Soweit dabei im [X.] des Anspruchs gegen einen sonstigen "Ersatzberechtigten" die Rede ist, handelt es sich um ein offensichtliches Redaktionsversehen des Gesetzgebers; gemeint ist "Ersatzverpflichteten" (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.] 6. Aufl. § 19a Rn. 57).

Der Zweck der zügigen Schadenregulierung würde verfehlt, sofern der Geschädigte nicht beim [X.] liquidieren könnte, wenn in ihrem Verhältnis die Frage der wissentlichen Pflichtverletzung geklärt ist, der [X.], den dieses nicht bindet, dagegen nach wie vor nicht regulierungsbereit ist. Die Frage der wissentlichen Pflichtverletzung soll nach der gesetzlichen Konzeption - wenn es keine weiteren Streitpunkte gibt - nicht zwischen dem Geschädigten und dem [X.], sondern allein zwischen Letzterem und dem [X.] geklärt werden. Allein dies sollte daher mit der Formulierung "nur streitig" zum Ausdruck gebracht werden.

Dieses Verständnis der Regelung liegt bereits dem Senatsurteil [X.] vom 20. Juli 2011 zugrunde (juris Rn. 15). Auch in jenem Fall bestand zwischen dem Geschädigten und dem [X.] (jedenfalls mittlerweile) kein Streit (mehr) über die Wissentlichkeit der Pflichtverletzung.

2. Der mögliche Anspruch der Klägerin entfällt nicht deswegen, weil inzwischen auch der [X.] die Amtspflichtverletzung des Notars als wissentlich begangen betrachtet. Diese Feststellung des Berufungsgerichts beruht auf einem Schreiben des [X.]s vom 17. August 2012, das erst im Verlauf des Rechtsstreits verfasst worden ist. Die Klägerin war auch nicht etwa gehalten, von sich aus vor einer Inanspruchnahme der Beklagten an den [X.] heranzutreten, um dessen Leistungsbereitschaft zu klären. Auch dies würde dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, dass sich der Geschädigte - bis zur Höhe der gesetzlichen Mindestversicherungssumme - im Interesse zügiger Schadenregulierung an den [X.] halten kann, ohne sich mit dem Einwand der Wissentlichkeit auch nur befassen zu müssen, wenn der Inanspruchnahme des [X.]s keine anderen Einwendungen entgegenstehen. Lediglich eine vorsorgliche Schadenmeldung wird er dem [X.] gegenüber bei drohendem Ablauf der Anzeigefrist abgeben müssen (vgl. dazu das Senatsurteil [X.]/12 vom heutigen Tage).

3. Von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent hat sich das Berufungsgericht nicht mit der Frage befasst, ob die Ausschlussfrist in § 4 Nr. 2 der Vertrauensschadenversicherung einer Einstandspflicht des [X.]s entgegensteht (vgl. Senatsurteil vom 20. Juli 2011 - [X.], [X.], 1264 Rn. 10 ff.). Da die Vorleistungspflicht des [X.]s nach § 19a Abs. 2 Satz 2 [X.] jedoch durch dessen Regressansprüche gegenüber dem [X.] begrenzt ist (Senat aaO Rn. 9), bedarf es der Zurückverweisung der Sache, damit die hierzu notwendigen Feststellungen getroffen werden können.

[X.]                      [X.]                                 Dr. Karczewski

             Lehmann                                   Dr. Brockmöller

Meta

IV ZR 414/12

11.06.2014

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 30. November 2012, Az: 25 U 393/12

§ 19a Abs 2 S 2 BNotO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.06.2014, Az. IV ZR 414/12 (REWIS RS 2014, 4942)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4942

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