Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2015, Az. 5 StR 494/14

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 17232

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
5 StR 494/14

vom
14. Januar 2015
in der Strafsache
gegen

wegen fahrlässiger Tötung

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Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 14. Janu-ar
2015, an der teilgenommen haben:
[X.] Dr. Sander

als Vorsitzender,

[X.],
[X.] Dr. König,
[X.] [X.],
[X.] Bellay

als beisitzende [X.],

[X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Land-gerichts Flensburg vom 16. Juni 2014 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

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Von Rechts wegen
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Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen, von der Verhängung einer Strafe indes nach § 60 StGB abgese-hen. Die hiergegen gerichtete, mit der Verletzung sachlichen Rechts [X.] Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] vertreten wird, hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s ist der zu 60 % behinderte Angeklagte in seiner [X.] und psychischen Entwicklung derart gestört, dass er

unter Betreuung gestellt

schon frühzeitig in Einrichtungen des diakoni-schen Werks und später auch zeitweilig in einer Fachklinik für Psychiatrie auf-genommen werden musste. Er verfügt über eine stark verlangsamte und in ihrer Qualität geringe kognitive Leistungsfähigkeit im unteren Bereich menschlicher 1
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Durchschnittsintelligenz. Der Angeklagte kann lediglich einfachsten Sätzen und ihnen zum Teil auch nur in bildlicher Sprache folgen ([X.]). Gleichwohl ist es ihm gelungen, mit Hilfe von Integrationsmaßnahmen für Behinderte eine [X.] Anstellung zu erreichen.
Nach der Geburt seines [X.] am 10. Dezember 2011 war der Ange-klagte zunehmend überfordert, weil er neben seiner beruflichen Tätigkeit, die ihn von 4.30 Uhr morgens bis 19.00 Uhr einband, auch die von seiner Lebens-gefährtin unter anderem infolge häufiger Diskothekenbesuche vernachlässigte Haushaltsführung übernehmen musste. Der Angeklagte liebte seinen [X.] sehr und war stets um eine ordnungsgemäße und fürsorgliche Versorgung des [X.] bemüht, das sich deshalb in einem äußerlich einwandfreien Pflegezustand befand. Am Abend vor der Tat befand sich der Angeklagte in einer Überforde-rungssituation, weil er am Folgetag wieder um 4.30 Uhr aufstehen musste. Bald nach Mitternacht wurde er vom Schreien seines bei ihm im [X.] schlafenden zwei Monate alten [X.] geweckt. Er versuchte, den Säugling zu beruhigen. Da ihm dies nicht gelang, schüttelte der Angeklagte ihn kräftig mehr als einmal. Dabei umfasste er den Rumpf des Säuglings mit beiden Händen, ohne den Kopf zu stützen. Anschließend hielt er ihn noch kurz im Arm und legte seinen ruhig gewordenen [X.] in dessen Bett zurück. Das Kind erlitt durch das [X.] eine Ateminsuffizienz, die nach rasch einsetzender Bewusstlosigkeit unmit-telbar zum Tod führte. Der Angeklagte war sich nicht bewusst, dass er mit dem Schütteln das körperliche Wohlbefinden des Säuglings nicht nur unerheblich beeinträchtigte; er wollte ihm keinesfalls Schmerzen oder Verletzungen zufügen ([X.] 12).
Um Gewissheit über den Grund des Todes ihres Kindes zu erlangen, insbesondere um in Bezug auf künftige Kinder das Vorliegen von Erbkrankhei-3
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ten oder auch einen möglichen Einfluss der am Vortag vorgenommenen [X.] ausschließen zu können, beschlossen der Angeklagte und seine Lebens-gefährtin, eine Obduktion ihres [X.]s durchführen zu lassen ([X.] 13). Der Angeklagte selbst wurde zur Bewältigung des Vorfalls rund ein Jahr psycholo-gisch betreut.
2. Die Begründung, mit der das [X.] einen bedingten Körperver-letzungsvorsatz verneint hat, ist revisionsrechtlich vorliegend hinzunehmen. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] selbst dann, wenn eine nach Ansicht des Revisionsgerichts mögliche andere
Beurteilung sogar näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre [X.] in [X.], 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).
In subjektiver Hinsicht setzt § 227 StGB zunächst den Vorsatz einer Kör-perverletzung voraus. Dieser ist schon gegeben, wenn der
Täter den Eintritt des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs als möglich und nicht ganz fernlie-gend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbe-standsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm der [X.] auch unerwünscht sein; das für den Vorsatz erforderliche Wissen muss im Zeitpunkt der [X.] in aktuell wirksamer Weise vorhanden sein; bloßes nicht in das Bewusst-sein gelangtes Wissen oder ein nur potentielles Bewusstsein reicht nicht aus (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juli 2003

3 [X.], [X.], 201, 202).
Das [X.] hat sich auf der Grundlage einer eingehenden Beweis-würdigung die Überzeugung verschafft, dass sich der Angeklagte

obwohl [X.] bekannt ist, dass starkes Schütteln eines zwei Monate alten Säuglings zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Gesundheit und sogar lebensge-fährdender Gesundheitsbeschädigung führen kann

in der konkreten Tatsitua-5
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tion aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen dieser Gefahr nicht bewusst war und diese sich für ihn aufgrund der ersten unkontrollierten Bewegungen des kindlichen Kopfes auch nicht erschloss ([X.] 20 f.). Diese Würdigung zeigt keinen Rechtsfehler auf.
Das [X.]
hat festgestellt, dass der Angeklagte zu keinem Zeit-punkt von [X.] darauf hingewiesen worden ist, zu welchen Folgen ein [X.] des Kindes führen kann. Dem Angeklagten ist zwar beigebracht worden, wie er den Säugling zu halten hat; nicht jedoch der Grund dafür. Hierfür hätte es die nicht erfolgt sind (vgl. [X.] 27). Dass dem Angeklagten auch nicht aus den ersten unkontrollierten Kopfbewegungen des Kindes die Gefahr eines Körper-verletzungserfolges bewusst wurde (vgl. [X.] 20 f., 33), hat das [X.]
sind zwar im Allgemeinen nicht geeignet, das kognitive [X.] beim Schütteln eines Säuglings in Frage zu stellen. In diesem Fall besteht jedoch die Besonderheit, dass der Angeklagte nur über eine stark verlangsamte und in ihrer Qualität geringe kognitive Leistungsfähigkeit verfügt. Die Wertung, dass die Gefahr dem im [X.] verlangsamten Angeklagten in der konkreten Situation nicht ins Bewusstsein gedrungen ist, ist angesichts der vorgenomme-nen Würdigung der Gesamtumstände (u.a. Person des Angeklagten, Wunsch nach Obduktion des Kindes) möglich und deshalb hinzunehmen. Insofern stellt es keinen unauflöslichen Widerspruch dar, dass beim Angeklagten noch keine pathologische Intelligenzminderung bestand und das [X.] ihm grund-sätzlich die Fähigkeit zur Reflektion und auch die Vorhersehbarkeit der schwe-ren Folgen attestiert hat (vgl. [X.] 27, 30). Denn hieraus ist nicht zwingend auf ein sofortiges Reflektieren in der aktuellen Überforderungssituation zu schlie-8
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ßen. Die von der Revision beanstandeten Formulierungen zur niedrigeren Hemmschwelle von im Umgang mit Säuglingen unbedarften Personen und zum Kraftaufwand beim Schütteln sowie zum Handlungsfluss aus dem Halten des Kindes heraus ([X.] 27 und [X.]) lassen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe (insbesondere [X.] 20, 30) nicht besorgen, dass das Land-gericht zu hohe Anforderungen an die Erkennbarkeit eines [X.] gestellt hat. Dies gilt in besonderer Weise eingedenk des Umstandes, dass das [X.] von nicht mehr als zweimaligem Schütteln
ausgegangen ist. [X.] hat das [X.] in einer Gesamtwürdigung ([X.] 28, 33) das voluntative [X.] verneint und dabei neben den bereits ange-führten Umständen auch berücksichtigt, dass der Angeklagte als verantwor-tungsbewusster, zuverlässiger und seinen [X.] liebender Vater weit mehr Inte-resse an der Säuglingspflege als die Kindsmutter gezeigt hat.
3. Auch die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung hält [X.] Nachprüfung stand (§ 301 StPO). Der dem Angeklagten insoweit zu ma-chende Vorwurf ist dem Zusammenhang der Urteilsgründe hinreichend zu [X.] ([X.] 12, 20, 30).
4. Dass das [X.] von der Strafe nach § 60 StGB abgesehen hat, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
Die Deliktsart hindert die
Anwendung des § 60 StGB nicht; maßgeblich sind vielmehr die schweren Folgen für den Täter (vgl. [X.], Urteil vom 23. No-vember 1977

3 StR 397/77, [X.]St 27, 298, 300 f.; [X.], NJW
1974, 1006, 1007; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., § 60 Rn. 9; [X.] in [X.], 12. Aufl., § 60 Rn. 4). Das [X.] hat den Ausnahmecharakter der Vorschrift erkannt (vgl. [X.] 35) und die Feststellung, dass im vorliegenden Fall eine Strafe offensichtlich verfehlt wäre, nach der er-9
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forderlichen Gesamtabwägung (vgl. [X.], Urteil vom 23. November 1977, aaO,
S.
301
f.; [X.], Beschluss vom 3. September 1996

1 [X.], [X.], 3350 f.; [X.]
aaO; [X.] in SSW StGB, 2. Aufl., § 60 Rn. 7; [X.], aaO Rn. 27, 38; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], aaO Rn. 8) vorge-nommen und im Urteil eingehend begründet. Dabei hält sich die Einschätzung der Folgen als gravierend und der Situation als außergewöhnlich im tatrichterli-chen Beurteilungsspielraum und lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Entgegen dem
Revisionsvorbringen hat das [X.] auch die Interessen der [X.] ausdrücklich erwogen und zudem das Zerbrechen ihrer Beziehung be-
lt (vgl. [X.] 36).

Sander [X.] König

[X.] Bellay

Meta

5 StR 494/14

14.01.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2015, Az. 5 StR 494/14 (REWIS RS 2015, 17232)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 17232

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 494/14

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