Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.01.2015, Az. 5 StR 494/14

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 17203

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge: Absehen von Strafe bei fahrlässiger Tötung eines Säuglings durch Schütteln


Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 16. Juni 2014 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen, von der Verhängung einer Strafe indes nach § 60 StGB abgesehen. Die hiergegen gerichtete, mit der Verletzung sachlichen Rechts begründete Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] vertreten wird, hat keinen Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s ist der zu 60 % behinderte Angeklagte in seiner [X.] und psychischen Entwicklung derart gestört, dass er - unter Betreuung gestellt - schon frühzeitig in Einrichtungen des diakonischen Werks und später auch zeitweilig in einer Fachklinik für Psychiatrie aufgenommen werden musste. Er verfügt über eine stark verlangsamte und in ihrer Qualität geringe kognitive Leistungsfähigkeit im unteren Bereich menschlicher Durchschnittsintelligenz. Der Angeklagte kann lediglich einfachsten Sätzen und ihnen zum Teil auch nur in bildlicher Sprache folgen ([X.]). Gleichwohl ist es ihm gelungen, mit Hilfe von Integrationsmaßnahmen für Behinderte eine berufliche Anstellung zu erreichen.

3

Nach der Geburt seines [X.] am 10. Dezember 2011 war der Angeklagte zunehmend überfordert, weil er neben seiner beruflichen Tätigkeit, die ihn von 4.30 Uhr morgens bis 19.00 Uhr einband, auch die von seiner Lebensgefährtin unter anderem infolge häufiger Diskothekenbesuche vernachlässigte Haushaltsführung übernehmen musste. Der Angeklagte liebte seinen [X.] sehr und war stets um eine ordnungsgemäße und fürsorgliche Versorgung des Kindes bemüht, das sich deshalb in einem äußerlich einwandfreien Pflegezustand befand. Am Abend vor der Tat befand sich der Angeklagte in einer Überforderungssituation, weil er am Folgetag wieder um 4.30 Uhr aufstehen musste. Bald nach Mitternacht wurde er vom Schreien seines bei ihm im [X.] schlafenden zwei Monate alten [X.] geweckt. Er versuchte, den Säugling zu beruhigen. Da ihm dies nicht gelang, schüttelte der Angeklagte ihn kräftig mehr als einmal. Dabei umfasste er den Rumpf des Säuglings mit beiden Händen, ohne den Kopf zu stützen. Anschließend hielt er ihn noch kurz im Arm und legte seinen ruhig gewordenen [X.] in dessen Bett zurück. Das Kind erlitt durch das Schütteln eine Ateminsuffizienz, die nach rasch einsetzender Bewusstlosigkeit unmittelbar zum Tod führte. Der Angeklagte war sich nicht bewusst, dass er mit dem Schütteln das körperliche Wohlbefinden des Säuglings nicht nur unerheblich beeinträchtigte; er wollte ihm keinesfalls Schmerzen oder Verletzungen zufügen ([X.] 12).

4

Um Gewissheit über den Grund des Todes ihres Kindes zu erlangen, insbesondere um in Bezug auf künftige Kinder das Vorliegen von Erbkrankheiten oder auch einen möglichen Einfluss der am Vortag vorgenommenen Impfung ausschließen zu können, beschlossen der Angeklagte und seine Lebensgefährtin, eine Obduktion ihres [X.]s durchführen zu lassen ([X.] 13). Der Angeklagte selbst wurde zur Bewältigung des Vorfalls rund ein Jahr psychologisch betreut.

5

2. Die Begründung, mit der das [X.] einen bedingten [X.] verneint hat, ist revisionsrechtlich vorliegend hinzunehmen. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] selbst dann, wenn eine nach Ansicht des Revisionsgerichts mögliche andere Beurteilung sogar näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre [X.] in [X.], 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).

6

In subjektiver Hinsicht setzt § 227 StGB zunächst den Vorsatz einer Körperverletzung voraus. Dieser ist schon gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm der [X.] auch unerwünscht sein; das für den Vorsatz erforderliche Wissen muss im Zeitpunkt der Tathandlung in aktuell wirksamer Weise vorhanden sein; bloßes nicht in das Bewusstsein gelangtes Wissen oder ein nur potentielles Bewusstsein reicht nicht aus (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juli 2003 - 3 [X.], [X.], 201, 202).

7

Das [X.] hat sich auf der Grundlage einer eingehenden Beweiswürdigung die Überzeugung verschafft, dass sich der Angeklagte - obwohl allgemein bekannt ist, dass starkes Schütteln eines zwei Monate alten Säuglings zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Gesundheit und sogar lebensgefährdender Gesundheitsbeschädigung führen kann - in der konkreten [X.] aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen dieser Gefahr nicht bewusst war und diese sich für ihn aufgrund der ersten unkontrollierten Bewegungen des kindlichen Kopfes auch nicht erschloss ([X.] 20 f.). Diese Würdigung zeigt keinen Rechtsfehler auf.

8

Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt von [X.] darauf hingewiesen worden ist, zu welchen Folgen ein Schütteln des Kindes führen kann. Dem Angeklagten ist zwar beigebracht worden, wie er den Säugling zu halten hat; nicht jedoch der Grund dafür. Hierfür hätte es Erklärungen auf dem „[X.]" des Angeklagten geben müssen, die nicht erfolgt sind (vgl. [X.] 27). Dass dem Angeklagten auch nicht aus den ersten unkontrollierten Kopfbewegungen des Kindes die Gefahr eines Körperverletzungserfolges bewusst wurde (vgl. [X.] 20 f., 33), hat das [X.] mit der besonderen [X.] („erhebliche Stresssituation" und „frisch aus dem Schlaf gerissen") vertretbar begründet (vgl. [X.] 20 f.). Diese Umstände sind zwar im Allgemeinen nicht geeignet, das kognitive [X.] beim Schütteln eines Säuglings in Frage zu stellen. In diesem Fall besteht jedoch die Besonderheit, dass der Angeklagte nur über eine stark verlangsamte und in ihrer Qualität geringe kognitive Leistungsfähigkeit verfügt. Die Wertung, dass die Gefahr dem im [X.] verlangsamten Angeklagten in der konkreten Situation nicht ins Bewusstsein gedrungen ist, ist angesichts der vorgenommenen Würdigung der Gesamtumstände (u.a. Person des Angeklagten, Wunsch nach Obduktion des Kindes) möglich und deshalb hinzunehmen. Insofern stellt es keinen unauflöslichen Widerspruch dar, dass beim Angeklagten noch keine pathologische Intelligenzminderung bestand und das [X.] ihm grundsätzlich die Fähigkeit zur Reflektion und auch die Vorhersehbarkeit der schweren Folgen attestiert hat (vgl. [X.] 27, 30). Denn hieraus ist nicht zwingend auf ein sofortiges Reflektieren in der aktuellen Überforderungssituation zu schließen. Die von der Revision beanstandeten Formulierungen zur niedrigeren Hemmschwelle von im Umgang mit Säuglingen unbedarften Personen und zum Kraftaufwand beim Schütteln sowie zum Handlungsfluss aus dem Halten des Kindes heraus ([X.] 27 und [X.]) lassen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe (insbesondere [X.] 20, 30) nicht besorgen, dass das [X.] zu hohe Anforderungen an die Erkennbarkeit eines Körperverletzungserfolges gestellt hat. Dies gilt in besonderer Weise eingedenk des Umstandes, dass das [X.] von nicht mehr als zweimaligem Schütteln ausgegangen ist. Rechtsfehlerfrei hat das [X.] in einer Gesamtwürdigung ([X.] 28, 33) das voluntative [X.] verneint und dabei neben den bereits angeführten Umständen auch berücksichtigt, dass der Angeklagte als verantwortungsbewusster, zuverlässiger und seinen [X.] liebender Vater weit mehr Interesse an der Säuglingspflege als die Kindsmutter gezeigt hat.

9

3. Auch die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand (§ 301 StPO). Der dem Angeklagten insoweit zu machende Vorwurf ist dem Zusammenhang der Urteilsgründe hinreichend zu entnehmen ([X.] 12, 20, 30).

4. Dass das [X.] von der Strafe nach § 60 StGB abgesehen hat, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

Die Deliktsart hindert die Anwendung des § 60 StGB nicht; maßgeblich sind vielmehr die schweren Folgen für den Täter (vgl. [X.], Urteil vom 23. November 1977 - 3 StR 397/77, [X.]St 27, 298, 300 f.; [X.], NJW 1974, 1006, 1007; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., § 60 Rn. 9; [X.] in [X.], 12. Aufl., § 60 Rn. 4). Das [X.] hat den Ausnahmecharakter der Vorschrift erkannt (vgl. [X.] 35) und die Feststellung, dass im vorliegenden Fall eine Strafe offensichtlich verfehlt wäre, nach der erforderlichen Gesamtabwägung (vgl. [X.], Urteil vom 23. November 1977, aaO, S. 301 f.; [X.], Beschluss vom 3. September 1996 - 1 [X.], [X.], 3350 f.; [X.] aaO; [X.] in SSW StGB, 2. Aufl., § 60 Rn. 7; [X.], aaO Rn. 27, 38; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], aaO Rn. 8) vorgenommen und im Urteil eingehend begründet. Dabei hält sich die Einschätzung der Folgen als gravierend und der Situation als außergewöhnlich im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum und lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Entgegen dem [X.] hat das [X.] auch die Interessen der Kindsmutter ausdrücklich erwogen und zudem das Zerbrechen ihrer Beziehung berücksichtigt, indem es gewürdigt hat, dass sie „als ehemalige Lebensgefährtin auch nach der Tat zum Angeklagten" hält (vgl. [X.] 36).

Sander                        Dölp                        König

                 Berger                      [X.]

Meta

5 StR 494/14

14.01.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Flensburg, 16. Juni 2014, Az: I Ks 3/12

§ 60 StGB, § 227 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.01.2015, Az. 5 StR 494/14 (REWIS RS 2015, 17203)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 17203

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 84/15

5 StR 20/16

5 StR 20/16

4 StR 558/15

5 StR 494/14

3 StR 40/20

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