Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.06.2011, Az. 2 AZR 323/10

2. Senat | REWIS RS 2011, 5846

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Gegenstand

Außerordentliche Kündigung - sexuelle Belästigung - Interessenabwägung - Abmahnung


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Oktober 2009 - 11 [X.]/09 - aufgehoben.

2. Die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 5. Februar 2009 - 1 Ca 1247/08 - wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen [X.]ündigung.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen des [X.] mit mehreren hundert Arbeitnehmern. Die Belegschaft hat einen Betriebsrat gewählt.

3

Der im Jahr 1950 geborene [X.]läger war seit dem 1. Juli 1976, zuletzt als Einkäufer und Produktmanager bei der [X.] beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 6.558,10 Euro.

4

Am 18. Oktober 2007 erteilte die Beklagte dem [X.]läger eine Abmahnung. Sie warf ihm vor, eine Mitarbeiterin mit einem Schlag auf das Gesäß belästigt zu haben.

5

Am 25. und 26. Juni 2008 war der [X.]läger in einem Betrieb der [X.] in [X.] eingesetzt. Gegenüber einer 26-jährigen Einkaufsassistentin der [X.] machte er an diesen Tagen bei vier Gelegenheiten Bemerkungen sexuellen Inhalts. Die Mitarbeiterin meldete die Vorfälle der [X.]. Diese hörte den [X.]läger am 4. Juli 2008 zu den Vorwürfen an.

6

Mit Schreiben vom 7. Juli 2008 leitete die Beklagte das Verfahren zur Anhörung des Betriebsrats ein. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen [X.]ündigung mit Schreiben vom 10. Juli 2008 zu.

7

Mit Schreiben vom 11. Juli 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 28. Februar 2009.

8

Dagegen hat der [X.]läger rechtzeitig [X.]lage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die [X.]ündigung sei rechtsunwirksam. Er habe die Mitarbeiterin nicht sexuell belästigt, sondern lediglich „geneckt“. Die Beklagte habe allenfalls mit einer Abmahnung reagieren dürfen. Die ihm zuvor erteilte Abmahnung sei nicht einschlägig. Im Übrigen sei die Anhörung des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Beklagte habe den Betriebsrat tendenziös informiert. Insbesondere mit einem Hinweis auf frühere Abmahnungen habe sie in unzulässiger Weise ein negatives Bild von ihm gezeichnet, auch wenn sie zugleich mitgeteilt habe, dass diese früheren Abmahnungen - unstreitig - schon wieder aus seiner Personalakte entfernt worden seien.

9

Der [X.]läger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose noch durch die fristgerechte [X.]ündigung vom 11. Juli 2008 beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die [X.]lage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, das Verhalten des [X.]lägers stelle eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG dar. Darauf habe sie mit Blick auf die zuvor erteilte einschlägige Abmahnung von Oktober 2007 mit einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses reagieren dürfen.

Das Arbeitsgericht hat die [X.]lage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.]lägers hat das [X.] der [X.]lage in vollem Umfang stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das [X.] hat zu Unrecht angenommen, es fehle an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung ([X.]). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der [X.] selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt (I[X.]). Die Kündigung ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam (II[X.]). Die Klage gegen die nur hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung bleibt damit ebenfalls ohne Erfolg (IV.).

[X.] Die Kündigung vom 11. Juli 2008 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.] § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 [X.] - Rn. 21, [X.] § 626 Nr. 220).

2. Das Verhalten des [X.] rechtfertigt „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Er hat eine Mitarbeiterin sexuell belästigt.

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 [X.] stellt nach § 7 Abs. 3 [X.] eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet (vgl. [X.] 25. März 2004 - 2 [X.] - zu [X.] 2 a der Gründe, [X.] § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6). Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (vgl. [X.] 25. März 2004 - 2 [X.] - aaO mwN).

b) Der Kläger hat mit den vom [X.] festgestellten Äußerungen am 25. und 26. Juni 2008 eine Mitarbeiterin der Beklagten an ihrem Arbeitsplatz wiederholt sexuell belästigt. Gegen die Feststellungen des [X.]s hat der Kläger keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie sind damit für den [X.] bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Bewertung des [X.]s, bei den Bemerkungen des [X.] habe es sich um sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 [X.] gehandelt, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

aa) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 [X.] liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 [X.] können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (Bauer/[X.]/Krieger [X.] 3. Aufl. § 3 Rn. 60; [X.] 2006, 321, 326; [X.] 2006, 1088, 1089; v. Roetteken [X.] § 3 Rn. 375; [X.]/[X.]/[X.] [X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 77).

Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht ([X.]/[X.] [X.] 3. Aufl. § 3 Rn. 39). Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle (v. Roetteken [X.] § 3 Rn. 352, 383). Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an ([X.]/[X.] 11. Aufl. § 3 [X.] Rn. 14). Im Vergleich zu § 2 Abs. 2 des mit Inkrafttreten des [X.] am 18. August 2006 außer [X.] getretenen Beschäftigtenschutzgesetzes (BSchG) ist der Begriff der sexuellen Belästigung in § 3 Abs. 4 [X.] in Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 der [X.]/EWG vom 9. Februar 1976 ([X.]. [X.] vom 14. Februar 1976 S. 40) idF der Richtlinie 2002/73/[X.] vom 23. September 2002 ([X.]. [X.] L 269 vom 5. Oktober 2002 S. 15) weiter gefasst (vgl. Entwurfsbegründung [X.]. 329/06 S. 34; BT-Drucks. 16/1780 S. 33; [X.]/[X.] aaO Rn. 36; [X.]/[X.]/[X.] [X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 76; v. Roetteken aaO Rn. 375). Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG (vgl. [X.] 25. März 2004 - 2 [X.] - [X.] § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6) - nicht mehr, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben (v. Roetteken aaO Rn. 360; [X.]/[X.] aaO Rn. 12; [X.]/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 157; [X.]/[X.]/[X.] aaO Rn. 77a). Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (v. Roetteken aaO Rn. 360; [X.]/[X.] aaO; [X.] in [X.]/[X.] [X.] § 3 Rn. 41).

bb) Danach lässt die Bewertung der Bemerkungen des [X.] als sexuelle Belästigungen durch das [X.] keinen Rechtsfehler erkennen.

(1) Alle vier Bemerkungen hatten einen sexuellen Inhalt. Mit der ersten Bemerkung gab der Kläger in anzüglicher Weise der Erwartung Ausdruck, die Mitarbeiterin würde für ihn ihre körperlichen Reize zur Schau stellen. In Bezug auf den [X.] stellte er einen anzüglichen Vergleich an. Beim Mittagessen sprach er die Mitarbeiterin auf ihr Sexualleben an. Schließlich machte er ihr explizit ein anzügliches Angebot.

(2) Das [X.] hat festgestellt, dass die Unerwünschtheit dieser Bemerkungen objektiv und im Übrigen auch für den Kläger erkennbar gewesen sei. Das hat dieser nicht mit beachtlichen Verfahrensrügen angegriffen.

(3) Mit den wiederholten Bemerkungen sexuellen Inhalts hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 [X.] die Würde der Mitarbeiterin verletzt. Er hat diese an zwei aufeinander folgenden Arbeitstagen gleich mehrfach mit anzüglichen Bemerkungen verbal sexuell belästigt und damit zum Sexualobjekt erniedrigt. Dadurch entstand für die betroffene Mitarbeiterin zudem ein Arbeitsumfeld, in welchem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten seitens des [X.] rechnen musste.

(4) Der Kläger hat die sexuelle Belästigung der Mitarbeiterin iSv. § 3 Abs. 4 [X.] „bewirkt“. [X.] ist, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte.

3. Die außerordentliche Kündigung ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 34, [X.] § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

aa) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 34, [X.] § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 [X.] - Rn. 26, [X.] § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können berücksichtigt werden ([X.] 16. Dezember 2004 - 2 [X.] - zu [X.]I 3 b aa der Gründe, [X.] § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ([X.] 16. Dezember 2010 - 2 [X.] - Rn. 24, [X.] § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 [X.] - aaO).

bb) Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisiert auch § 12 Abs. 3 [X.] (vgl. [X.] 25. Oktober 2007 - 8 [X.] - Rn. 68, [X.]E 124, 295; noch zu § 4 Abs. 1 BSchG: [X.] 25. März 2004 - 2 [X.] - zu [X.]I 2 der Gründe, [X.] § 626 Nr. 189 = BGB 2002 § 626 Nr. 6). Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 [X.], zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 [X.] gehören, im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. § 12 Abs. 3 [X.] schränkt das [X.] jedoch insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (Bauer/[X.]/Krieger [X.] 3. Aufl. § 12 Rn. 32; [X.]/[X.] 11. Aufl. § 12 [X.] Rn. 3).

b) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 33, [X.] § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 13. März 2008 - 2 [X.] - Rn. 25, [X.] KSchG 1969 § 1 Nr. 87 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 73). Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 17, aaO; 27. November 2008 - 2 [X.] - Rn. 22, [X.] § 626 Nr. 219).

c) Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die vom [X.] vorgenommene einzelfallbezogene Interessenabwägung einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Würdigung des [X.]s, trotz der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 rechtfertige das Fehlverhalten des [X.] keine negative Prognose, ist rechtsfehlerhaft.

aa) Die anzustellende Prognose fällt negativ aus, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden muss, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag in Zukunft erneut und in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen ( [X.] 13. Dezember 2007 - 2 [X.] - Rn. 38, [X.] KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82). Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt (vgl. [X.] 13. Dezember 2007 - 2 [X.] - Rn. 40, aaO). Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit [X.] und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen ([X.] 13. Dezember 2007 - 2 [X.] - Rn. 41, aaO; 16. Januar 1992 - 2 [X.] - zu [X.] 2 [X.] der Gründe, EzA BGB § 123 Nr. 36). Entscheidend ist letztlich, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung erkennen konnte, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren ([X.]. § 1 Rn. 233; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 281).

bb) Nach diesen Grundsätzen bestand zwischen der der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 zugrunde liegenden Pflichtverletzung und den zur Kündigung führenden [X.] ein ausreichender innerer Zusammenhang.

(1) Der Kläger war nach den Feststellungen des [X.]s mit Schreiben vom 18. Oktober 2007 wegen der Belästigung einer Mitarbeiterin durch einen Schlag auf das Gesäß abgemahnt worden. Die Bewertung dieses Verhaltens als sexuelle Belästigung iSd. § 3 Abs. 4 [X.] durch das [X.] ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei einem Schlag auf das Gesäß handelt es sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre, der objektiv als sexuell bestimmt iSv. § 3 Abs. 4 [X.] anzusehen ist (vgl. Bauer/[X.]/Krieger [X.] 3. Aufl. § 3 Rn. 55; v. Roetteken [X.] § 3 Rn. 378; [X.]/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 153; [X.]/[X.]/[X.] [X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 77a; [X.] in [X.]/[X.] [X.] § 3 Rn. 45). Auf die Motivation des [X.] kam es nicht an.

(2) Mit den zur Kündigung führenden verbalen sexuellen Belästigungen trat eine der körperlichen Belästigung gleichartige Unzuverlässigkeit und Grenzüberschreitung des [X.] zu Tage. Es geht in beiden Fällen um ein die Integrität der Betroffenen [X.], erniedrigendes Verhalten. Unerheblich ist, in welcher Form sich die Belästigungen äußerten.

(3) Die Warnfunktion der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 war nicht etwa auf körperlich belästigendes Verhalten beschränkt. Die Beklagte hatte zum Ausdruck gebracht, dass sie bei einer erneuten Pflichtverletzung die Kündigung erklären werde. Der Kläger konnte ohne Weiteres erkennen, dass die Beklagte die abermalige Belästigung einer Mitarbeiterin - unabhängig davon, ob diese verbal oder durch körperliche Berührung stattfände - nicht hinnehmen und zum Anlass für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nehmen würde.

d) Im Hinblick darauf war der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Weiterbeschäftigung des [X.] auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar. Eine solche Abwägung durch den [X.] selbst ist möglich, weil die des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft ist und alle relevanten Tatsachen feststehen.

aa) Die Pflichtverletzung des [X.] wiegt schwer. Er hat eine Mitarbeiterin an zwei Arbeitstagen hintereinander mehrmals sexuell belästigt. Verbale Belästigungen bewegen sich entgegen der Auffassung des [X.]s nicht generell in einem „weniger gravierenden Bereich“ des durch § 3 Abs. 4 [X.] aufgezeigten Spektrums. Auch die Intensität verbaler Belästigungen kann vielmehr erheblich sein. So liegt es im Streitfall. Der Kläger hat der Mitarbeiterin mit immer neuen Varianten verbaler Anzüglichkeiten zugesetzt. Die Äußerungen fielen bei unterschiedlichsten Gelegenheiten. Es handelte sich nicht etwa um eine einmalige „Entgleisung“. Die Belästigungen erfolgten fortgesetzt und hartnäckig. Der auf eigene körperliche Merkmale anspielende anzügliche Vergleich hatte zudem, ebenso wie das an die Mitarbeiterin gerichtete anzügliche Angebot, bedrängenden Charakter.

bb) Der Kläger kann sich nicht auf einen Irrtum über die Unerwünschtheit seiner Verhaltensweise berufen. Sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 [X.] erfordern tatbestandlich kein vorsätzliches Verhalten. Zwar wird es zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, wenn er sich nachvollziehbar in einem solchen Irrtum befand. Der Kläger setzte aber nach den Feststellungen des [X.]s die Belästigungen trotz einer für ihn erkennbar ablehnenden Haltung der Mitarbeiterin fort.

cc) Der nochmalige Ausspruch nur einer Abmahnung war kein der Beklagten [X.] milderes Mittel. Nachdem sich der Kläger die vorhergegangene Abmahnung nicht zur Warnung hatte gereichen lassen, war davon auszugehen, dass dieses Mittel zukünftige Pflichtverletzungen nicht würde verhindern können. Schon aufgrund der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 musste der Kläger für den Fall der erneuten sexuellen Belästigung mit einer Kündigung rechnen. Auch seine langjährige Betriebszugehörigkeit war angesichts dessen nicht mehr geeignet, Erwartungen in seine künftige Zuverlässigkeit zu begründen. Der Umstand, dass sich der Kläger noch vor Ausspruch der Kündigung bei der betroffenen Mitarbeiterin entschuldigt hatte, rechtfertigt keine andere Bewertung. Der Kläger hatte sich dazu erst nach dem Personalgespräch am 4. Juli 2008 und damit unter dem Eindruck einer bereits drohenden Kündigung entschlossen.

dd) Der Beklagten war auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten. Die Beklagte hatte gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 [X.] die Pflicht, ihr weibliches Personal effektiv vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dies konnte sie durch den Ausspruch einer nur ordentlichen Kündigung nicht gewährleisten. Für den Lauf der Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats hätte vielmehr die Gefahr einer Belästigung durch den Kläger - möglicherweise gerade verstärkt durch das absehbare Ende des Arbeitsverhältnisses - fortbestanden. Dessen erst nach dem Personalgespräch erfolgter Entschuldigung kommt auch insoweit kein besonderes Gewicht zu. Trotz seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit und des relativ hohen Alters des [X.] überwog damit das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dessen Interesse an einer Fortsetzung zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist.

I[X.] Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der [X.] von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist dann der Fall, wenn der [X.] eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 15, [X.] § 626 Nr. 231 = EzA BPersVG § 108 Nr. 5; 5. Juni 2008 - 2 [X.] - Rn. 18, [X.] BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

2. Danach hat die Beklagte die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Frist begann am 4. Juli 2008 zu laufen. Nach ihrem vom Kläger nicht bestrittenen Vorbringen hatte die Beklagte an diesem Tag erstmals Kenntnis von den Vorwürfen erlangt. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist dem Kläger nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten noch an diesem Tag zugegangen.

II[X.] Die außerordentliche Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam.

1. Eine Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach Satz 2 der Vorschrift nicht ausreichend nachgekommen ist. An die Mitteilungspflicht im Anhörungsverfahren sind dabei nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen des Arbeitgebers im Prozess. Es gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände und Gründe für die Kündigung unterbreitet hat ([X.] 22. April 2010 - 2 [X.] - Rn. 13, [X.] [X.] 1972 § 102 Nr. 163 = EzA [X.] 2001 § 102 Nr. 26; 23. Oktober 2008 - 2 [X.]/07 - Rn. 18, [X.] KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 16). Dagegen führt eine bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats ([X.] 5. November 2009 - 2 [X.] - Rn. 40, [X.] KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 20; 23. Oktober 2008 - 2 [X.]/07 - aaO).

2. Danach hat die Beklagte den Betriebsrat mit ihrem Schreiben vom 7. Juli 2008 ausreichend informiert. Sie hat ihm mit der Schilderung des belästigenden Verhaltens des [X.] am 25. und 26. Juni 2008 die aus ihrer Sicht tragenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterbreitet. Darüberhinaus hat sie den Betriebsrat an „die einschlägige Abmahnung vom 18. Oktober 2007 und an die anderen einschlägigen Hinweise und Abmahnungen aus den letzten Jahren (…) erinnert“. Aus ihrer Sicht enthielt dies auch angesichts des Umstands, dass die früheren Abmahnungen aus der Personalakte des [X.] bereits entfernt waren, keine unrichtige Information.

3. Die Beklagte brauchte nicht den Ablauf der Frist von drei Tagen abzuwarten, die dem Betriebsrat gem. § 102 Abs. 2 Satz 3 [X.] zur Stellungnahme eingeräumt ist. Der Arbeitgeber kann eine Kündigung auch schon vor Fristablauf aussprechen, wenn der Betriebsrat erkennbar abschließend zu der Kündigungsabsicht Stellung genommen hat. Das Anhörungsverfahren ist dann beendet (vgl. [X.] 24. Juni 2004 - 2 [X.] - zu [X.]I 2 b bb der Gründe, [X.] § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA [X.] 2001 § 102 Nr. 9; 15. November 1995 - 2 [X.] - zu II 2 a der Gründe, [X.] [X.] 1972 § 102 Nr. 73 = EzA [X.] 1972 § 102 Nr. 89). So liegt der Fall hier. Der Betriebsrat hatte mit Schreiben vom 10. Juli 2008, unterzeichnet vom Betriebsratsvorsitzenden, der Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt.

IV. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 11. Juli 2008 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 28. Februar 2009 schon deshalb ohne Erfolg.

V. Als unterlegene [X.] hat der Kläger gem. § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten von Berufung und Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Dr. Roeckl    

                 

Meta

2 AZR 323/10

09.06.2011

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Paderborn, 5. Februar 2009, Az: 1 Ca 1247/08, Urteil

§ 3 Abs 4 AGG, § 7 Abs 1 AGG, § 7 Abs 3 AGG, § 12 Abs 3 AGG, § 626 Abs 1 BGB, § 626 Abs 2 BGB, § 102 Abs 1 BetrVG, § 102 Abs 2 BetrVG, § 2 Abs 2 S 2 Nr 2 BSchG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.06.2011, Az. 2 AZR 323/10 (REWIS RS 2011, 5846)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5846

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