Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.10.2017, Az. VI R 53/15

6. Senat | REWIS RS 2017, 4460

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Gegenstand

Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung; Verjährungsfrist


Leitsatz

1. Fordert die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung auf, so ist er gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 AO hierzu gesetzlich verpflichtet mit der Folge, dass sich der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO richtet.

2. Eine Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung liegt auch dann vor, wenn das FA zusätzlich ausführt, der Steuerpflichtige möge das Schreiben mit einem entsprechenden Hinweis zurücksenden, falls er seiner Auffassung nach nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sei.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 30. April 2015  1 K 264/13 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zur Einkommensteuer 2006 zu veranlagen ist.

2

Der Kläger reichte mit Schreiben vom 29. Dezember 2011 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--), eingegangen am 30. Dezember 2011, seine Einkommensteuererklärung für das [X.] ein. Neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärte er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit einem Werbungskostenüberschuss von mehr als 5.000 €.

3

Ein vom 20. September 2007 datierendes Schreiben des [X.] hat den folgenden Wortlaut:

4

"Sehr geehrter ...,

        

nach dem Stand vom 10.09.2007 ist die folgende Steuererklärung hier bisher nicht eingegangen:

        

Art der abzugebenden Steuererklärung

Zeitraum/Zeitpunkt

Einkommensteuer

2006   

Ich bitte, die Steuererklärung spätestens bis

        
        

22.10.2007

bei dem oben bezeichneten Finanzamt abzugeben. Sollte dies zwischenzeitlich bereits geschehen sein, betrachten Sie dieses Schreiben bitte als gegenstandslos.

        

Falls Sie die Steuererklärung allerdings vor mehr als zwei Wochen abgegeben haben oder der Auffassung sind, zur Abgabe einer Steuererklärung nicht verpflichtet zu sein, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie dieses Schreiben mit einem kurzen Hinweis auf der Rückseite an das Finanzamt zurücksenden würden.

        

Vorsorglich weise ich darauf hin, dass das Finanzamt berechtigt ist, weitere Maßnahmen (z.B. Festsetzung von Zwangsgeld nach § 328 AO oder Schätzung nach § 162 AO) zu ergreifen, wenn ihm die Steuererklärung nicht bis zum oben genannten Termin vorliegt. Wegen einer bereits eingetretenen Verspätung oder wegen Nichtabgabe der Steuererklärung kann im Übrigen nach § 152 AO ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden.

        

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Finanzamt".

5

Das [X.] lehnte die Bearbeitung der Einkommensteuererklärung ab, weil bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Es handele sich um eine Antragsveranlagung, da keiner der Tatbestände des § 46 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt sei.

6

Das [X.] wies anschließend den Einspruch des [X.] als unbegründet zurück. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage als unbegründet ab.

7

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

8

Er beantragt,
das Urteil des [X.] Hamburg vom 30. April 2015  1 K 264/13 aufzuheben und das [X.] unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 9. Januar 2012 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 11. September 2013 zu verpflichten, den Kläger durch Bescheid ordnungsgemäß zur Einkommensteuer 2006 zu veranlagen.

9

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat es zu Unrecht abgelehnt, den Kläger zur Einkommensteuer 2006 zu veranlagen.

1. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ([X.]) ist eine Steuerfestsetzung unzulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.

Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] vier Jahre. Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 [X.]). Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] in der für das Streitjahr geltenden Fassung beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung, Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Entstehen der Steuer folgt.

Eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung wird auch dann begründet, wenn das [X.] den Steuerpflichtigen nach § 149 Abs. 1 Satz 2 [X.] auffordert, eine Steuererklärung abzugeben (Urteil des [X.] --BFH-- vom 28. November 1990 I R 71/89, [X.], 414, [X.] 1991, 440). Die Rechtslage bestimmt sich in solchen Fällen nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] (BFH-Urteil vom 13. Oktober 1998 VIII R 35/95, [X.] 1999, 445; [X.] vom 17. Januar 2003 VII B 228/02, [X.] 2003, 594; vgl. auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 149 [X.] Rz 22; [X.] in [X.], § 170 [X.] Rz 29).

Teilweise wird der Regelungsgehalt einer Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung und damit das Vorliegen eines Verwaltungsakts allerdings verneint, wenn sich die [X.] als solche bereits aus dem Gesetz ergibt (z.B. [X.] in [X.], § 118 [X.] Rz 543). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt indes auch eine gesetzeskonkretisierende Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen einen Verwaltungsakt dar ([X.] vom 22. Dezember 1993 I B 59/93, nicht veröffentlicht; vgl. auch [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 149 [X.] Rz 10, nach dem § 149 Abs. 1 Satz 2 [X.] im Anwendungsbereich des § 149 Abs. 1 Satz 1 [X.] nur deklaratorische Bedeutung haben soll; [X.] in [X.]/ [X.], [X.]/[X.]O, § 149 [X.] Rz 33). Denn das für die Unterscheidung zwischen einem Verwaltungsakt und einer bloßen Vorbereitungshandlung maßgebliche Kriterium ist im Steuerrecht die Erzwingbarkeit einer Maßnahme nach den Vorschriften der §§ 328 ff. [X.] (BFH-Urteil vom 10. November 1998 VIII R 3/98, [X.], 386, [X.] 1999, 199; [X.] in [X.], § 149 [X.] Rz 17).

Die abstrakte Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen kann nicht bereits als solche mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden; sie bedarf vielmehr einer Konkretisierung und Individualisierung durch einen Verwaltungsakt, der erst die Grundlage für den Einsatz von Zwangsmitteln darstellen kann (BFH-Urteil vom 16. November 2011 [X.], [X.], 452, [X.] 2012, 129).

2. Im Einzelfall ist durch Auslegung zu ermitteln, ob ein behördliches Handeln als Verwaltungsakt anzusehen ist (vgl. auch [X.] in [X.], § 149 [X.] Rz 17). Entscheidend ist, ob eine Äußerung des [X.] mit einem für den Adressaten unmittelbar erkennbaren Erklärungswert mit unmittelbarer Wirksamkeit nach außen vorliegt. Bei der Prüfung der Frage, ob der Inhalt einer behördlichen Erklärung einen Verwaltungsakt darstellt, ist das Revisionsgericht nicht an eine Wertung durch das [X.] gebunden, da es sich hierbei nicht um eine Tat-, sondern um eine Rechtsfrage handelt (BFH-Urteile vom 7. August 1990 VII R 120/89, [X.] 1991, 569; vom 15. Januar 2015 I R 69/12, [X.], 99).

3. Nach diesen Grundsätzen stellt das Schreiben vom 20. September 2007 eine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung in Form eines Verwaltungsakts dar. Der Kläger wird darin unter Setzung eines Termins unmissverständlich aufgefordert, die Steuererklärung für 2006 einzureichen, weil sie dem [X.] bisher nicht vorliege. Das [X.] weist zudem darauf hin, dass es berechtigt sei, zu Zwangsmitteln zu greifen, sollte die Steuererklärung bis zum genannten Termin nicht vorliegen. Mithin gibt die Behörde zu erkennen, dass sie sich für berechtigt hält, die Abgabe der angeforderten Steuererklärung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchzusetzen. Da --wie ausgeführt-- das maßgebliche Unterscheidungskriterium zwischen einem Verwaltungsakt und einer sonstigen behördlichen Maßnahme  die Erzwingbarkeit ist, spricht dies entscheidend für das Vorliegen einer Aufforderung in Form eines Verwaltungsakts. Dieser Auslegung steht auch der Hinweis des [X.] nicht entgegen, wonach der Kläger das Schreiben mit einem entsprechenden Vermerk zurücksenden solle, falls er die Auffassung vertrete, er sei zur Abgabe einer Steuererklärung nicht verpflichtet. Hierdurch wurde die Abgabe der Einkommensteuererklärung nicht in das Belieben des Klägers gestellt, sondern nur in Aussicht gestellt, die Aufforderung zur Abgabe der Erklärung zu widerrufen oder zurückzunehmen, wenn der Kläger hinreichende Gründe benenne, dass ihn keine diesbezügliche Pflicht treffe. Auch kann aus dem Fehlen einer Begründung bzw. einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht geschlossen werden, dass keine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung i.S. des § 149 Abs. 1 Satz 2 [X.] vorliegt (vgl. [X.] vom 16. Februar 2012 II B 99/11, [X.] 2012, 982).

Da der Kläger demnach für das Streitjahr 2006 zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet war, war die vierjährige Verjährungsfrist infolge der Anlaufhemmung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] bei Einreichung der Steuererklärung im Dezember 2011 noch nicht abgelaufen.

4. Das [X.] ist teilweise von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil hat daher keinen Bestand. Die Sache ist nicht spruchreif. Denn das [X.] hat keine Feststellungen zur Höhe der vorzunehmenden Steuerfestsetzung, insbesondere hinsichtlich der erklärten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, getroffen. Die Sache war deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 53/15

04.10.2017

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 30. April 2015, Az: 1 K 264/13, Urteil

§ 149 Abs 1 S 2 AO, § 170 Abs 2 S 1 Nr 1 AO, § 118 Abs 2 FGO, § 118 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.10.2017, Az. VI R 53/15 (REWIS RS 2017, 4460)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4460

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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