Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.09.2013, Az. 1 StR 382/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2013, 2666

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Begriff des Hanges


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. März 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen (§ 349 Abs. 4 StPO).

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, vorsätzlichem unerlaubten Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimitteln und vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt.

2

Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, soweit das [X.] von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.

3

1. Nach den Feststellungen konsumierte der HIV-infizierte Angeklagte seit 2007 verschiedene Betäubungsmittel. 2009 begann er regelmäßig Kokain zu nehmen, seit 2010 nahm er zusätzlich regelmäßig [X.] und 2011 zudem Amphetamin und Tetrazepam. Im letzten Jahr vor seiner Festnahme hatte er seine Dosis auf 0,5 Gramm Kokain jeden zweiten Tag gesteigert.

4

Das [X.] stellt auf dieser Grundlage bei dem Angeklagten eine Drogenabhängigkeit fest und dass er die Taten zur Finanzierung seines eigenen Konsums begangen habe. Die [X.] der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begründet es damit, dass beim Angeklagten ein Hang nicht festgestellt werden konnte. Der Angeklagte konsumiere zwar nicht unerhebliche Mengen von Betäubungsmitteln, jedoch liege keine „massive Abhängigkeit von einer Substanz vor“, vielmehr habe er gezielt unterschiedliche Substanzen gegen körperliche Beschwerden genommen. Der Angeklagte, der sich aus regelmäßigen Beschäftigungen in Gastronomiebetrieben zurückgezogen und seinen Lebensunterhalt mit der Untervermietung von Zimmern und Escortdiensten verdient, sei in der Lage gewesen, diesen Beschäftigungen nachzugehen, weswegen eine Depravation nicht vorgelegen habe.

5

2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die [X.] rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.

6

Der Hang zum Konsum von Rauschmitteln im Übermaß verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 21. August 2012 - 4 [X.]). Eine Abhängigkeit stellt das [X.] fest. Dass diese nicht auf eine Substanz gerichtet ist, ist demgegenüber unbeachtlich, da von der Vorschrift des § 64 StGB auch polyvalentes Suchtverhalten erfasst wird.

7

Dem Umstand, dass durch den [X.] bereits die Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, kommt für das Vorliegen eines Hanges zwar eine wichtige indizielle Wirkung zu, das hier festgestellte Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes die Bejahung eines Hanges nicht aus. Das Fehlen einer Persönlichkeitsdepravation steht ebenfalls der Annahme eines Hanges nicht entgegen ([X.], Beschluss vom 6. September 2007 - 4 [X.], [X.], 8). Ausreichend ist es bereits, wenn der - Betroffene aufgrund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder - gefährlich erscheint, was insbesondere bei sogenannter Beschaffungskriminalität zu bejahen ist ([X.], Beschlüsse vom 27. März 2008 - 3 StR 38/08; vom 12. April 2012 - 5 [X.]; und vom 21. August 2012 - 4 [X.]).

8

Angesichts des für den Angeklagten festgestellten Konsumverhaltens, seiner Abhängigkeit und des Umstands, dass er die Taten zur Finanzierung seines eigenen Konsums begangen hat, kann der [X.] nicht ausschließen, dass das [X.] bei Zugrundelegung des zutreffenden Maßstabs einen Hang angenommen hätte. Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Anordnung der Maßregel an der hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg (§ 64 Satz 2 StGB) scheitern müsste.

9

Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB zu beachten haben.

3. Der [X.] kann ausschließen, dass das [X.] bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine mildere Freiheitsstrafe erkannt hätte.

Raum                       Jäger                            Spaniol

              Cirener                    [X.]

Meta

1 StR 382/13

18.09.2013

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 6. März 2013, Az: 9 KLs 364 Js 142489/12

§ 64 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.09.2013, Az. 1 StR 382/13 (REWIS RS 2013, 2666)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2666

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