Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.11.2011, Az. 4 StR 252/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 1580

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 252/11

vom
9. November
2011
in der Strafsache
gegen

1.

2.

3.

4.

wegen Betrugs u.a.

-
2
-
Der 4. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und der
Beschwerdeführer am 9. November
2011
gemäß §
349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1.
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. Oktober 2010 mit den Fest-stellungen aufgehoben.

2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Straf-kammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:

Das [X.] hat die Angeklagten des Betruges in Tateinheit mit strafbarer Werbung nach § 16 Abs. 2 UWG schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten R.

hat es eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, gegen die An-geklagte W.

unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer weiteren Verur-teilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und
ge-gen die Angeklagten H.

und S.

Freiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und fünf Monaten
verhängt und gegen alle Angeklagten den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die Revisionen der Angeklagten führen mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.

1
-
3
-
I.
Die Schuldsprüche wegen Betruges halten jeweils der
rechtlichen
Prü-fung nicht stand.
1. Das [X.] hat festgestellt, dass die Angeklagten im arbeitsteili-gen Zusammenwirken unter Leitung des früheren Mitangeklagten und inzwi-schen gesondert Verurteilten K.

im Zeitraum von Anfang Mai bis Ende Dezember 2006 ein sog. Aus-
und Weiterbildungsprogramm in Gestalt eines mehrteiligen [X.] vertrieben, wobei die als Kunden angeworbenen Verbraucher ihre vertragliche Verpflichtung nicht um
des Erwerbs des Produktes willen eingingen, sondern lediglich im Hinblick auf die ihnen in Aussicht gestellten Provisionen für die Mitarbeit in einem von K.

geführten Unternehmen, wobei diese Mitarbeit ausschließlich in der Anwerbung weiterer
Neukunden
bestand (sog. Schneeballsystem). Es hat [X.], die Kunden seien über die Erfolgsabhängigkeit der in Aussicht ge-stellten Provisionen sowie über die fehlende Bereitschaft zur vollständigen Durchführung des angebotenen Seminars im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB ge-täuscht und dadurch

jedenfalls mitursächlich

zum Vertragsschluss bewogen worden, was allen
Angeklagten
auch
bewusst gewesen sei.
2. Dies begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Be-denken.

a) Die vom [X.] als tatbestandsmäßig angesehene Täuschung der Kunden über die Erfolgsabhängigkeit des Provisionsanspruchs ist nicht hin-reichend dargetan. Nach den Urteilsfeststellungen
hob der Angeklagte R.

bei allen Präsentationen

wenngleich nur kurz

hervor, dass
die Auszahlung 2
3
4
5
-
4
-
von Provisionen auch für Fahrer mit der Anwerbung neuer Kunden verknüpft war. Die Urteilsgründe teilen im Übrigen nicht mit, wann die Kunden den jewei-ligen Inhalt des ihnen vorgelegten
[X.]
zur Kenntnis nahmen, in dem
die Erfolgsabhängigkeit des Provisionsanspruches ausdrücklich festgelegt war. D

C.

aber durch die Bezahlung der ausgeschlossen erscheinen, dass die Kunden bei Abschluss des [X.] um den Inhalt des [X.] und damit um die [X.] der Provision wussten.
b) Soweit das [X.] für die Annahme einer Täuschung darauf [X.] hat, dass die Angeklagten den Kunden gegenüber den tatsächlich nicht vorhandenen Willen vorgespiegelt hätten, das angebotene Seminar tatsächlich vollumfänglich abzuhalten, wird
die erforderliche Kausalität eines entsprechen-den Irrtums
der Kunden für ihre Entscheidung, den Seminarvertrag abzuschlie-ßen
und damit eine Vermögensverfügung vorzunehmen [X.], StGB, 58. Aufl., § 263 Rn. 87 m.w.N.), durch die Feststellungen
ebenfalls
nicht
hinrei-chend belegt. Die Urteilsgründe
sind, was die Motivation der Geschädigten
zum Vertragsschluss betrifft, widersprüchlich. So ist einerseits festgestellt, den Kun-den
sei es nur um die versprochenen Vorteile
in Form von Provisionen gegan-gen, die sie durch die Anwerbung weiterer Neukunden zu erlangen hofften; an-dererseits wird in den Feststellungen ausgeführt, das Seminar selbst sei ein wesetzt sich in der Beweiswürdigung fort, wenn das [X.] einerseits erneut darauf abstellt, die Kunden hätten auf den im Seminar liegenden Zusatznutzen 6
-
5
-
nicht verzichten wollen, andererseits aber ausführt, sondern die mit seinem bloßen Erwerb verbundene Möglichkeit, Einnahmen n-

c) Darüber hinaus beruht die Annahme, bei allen Kunden sei die Aussicht auf die vollständige Durchführung des Seminars jedenfalls mitursächlich für den Vertragsschluss geworden, nicht auf einer ausreichenden
Beweisgrundlage: Das [X.] hat lediglich 56 Teilnehmer an den Präsentationsveranstaltun-gen als Zeugen vernommen, obwohl nach den Feststellungen mindestens 321 Kunden angeworben wurden, von denen

unter Zugrundelegung jeweils voll-ständiger Zahlung

mindestens 129
den Seminarpreis von 3.200 Euro und die Bearbeitungsgebühr von 150 Euro entrichteten. Eine Vernehmung sämtlicher e-repräsentatives Bild vermittelt hätten, das auch die notwendigen Schlussfolge-rungen über die irrtumsbedingte Bezahlung der Seminar-
und Bearbeitungsge-bühr ermöglicht habe.
Rechtlichen Bedenken
begegnet es bereits, dass das [X.] sich auf die pauschale Wiedergabe der Aussagen der Zeugen, sie hätten die Zah-C.

gesehen, die Durchführung des [X.] sei aber für sie nicht gänzlich unbedeutend gewesen, beschränkt und [X.] keiner weiteren Würdigung unterzogen hat. Insbesondere hat es
sich nicht mit
der naheliegenden Möglichkeit auseinandergesetzt, dass manche Kunden das Vertriebsmodell der Angeklagten durchschauten, aber hofften, zu einem Zeitpunkt einzusteigen, der noch Gewinne versprach, dass ihnen aber [X.] der Inhalt des Seminars vollkommen gleichgültig
war und sie
ausschließ-7
8
-
6
-
lich einen
Zugang zur Vertriebsstruktur erlangen wollten. Dies drängte sich auch deshalb auf, weil es

wie das [X.] festgestellt hat

einer ganz überwiegenden Anzahl der Zeugen auch im Hinblick auf ihre berufliche [X.] nur auf eine Tätigkeit als Fahrer ankam, für die die im Seminar vermittel-ten Inhalte ohne Bedeutung waren, und einige aus mangelndem Interesse nicht an den ihnen angebotenen Seminarmodulen teilgenommen haben. Auch der Umstand, dass ein Teil der gehörten Zeugen keine genaue Erinnerung mehr daran hatte, ob das Seminar auf der Präsentationsveranstaltung überhaupt an-geboten wurde und welchen Inhalt es haben sollte, hätte Anlass zu einer einge-henderen Auseinandersetzung mit den Bekundungen der Zeugen zu ihrer Moti-vation für den Vertragsschluss geboten.
Jedenfalls verbietet sich bei dieser Sachlage der Schluss von den Vorstellungen und Beweggründen der gehörten Zeugen auf diejenigen der übrigen Geschädigten (vgl. [X.], Beschluss vom 29.
Juli 2009

2
[X.], [X.], 88).
d) Hinsichtlich der für den [X.] erforderlichen Kenntnis davon, dass die Seminare nicht in vollem Umfang abgehalten werden sollten, ist die Beweiswürdigung
jedenfalls für die Angeklagten S.

, H.

und
W.

lückenhaft. Die Urteilsgründe verweisen insoweit
lediglich auf die Das [X.] hat sich jedoch bei der Feststellung der Leistungsunwilligkeit maß-geblich auf die Aussage des mit der Durchführung der Seminare beauftragten Dozenten St.

gestützt, dessen ausschließliche Ansprechpartner bei der C.

indes der Angeklagte R.

und der frühere Mitangeklagte K.

waren.
[X.] war es

tätigen Angeklagten S.

, H.

und W.

ebenso bedeutungs-los, ob das Seminar nur teilweise oder vollständig durchgeführt wurde, wie für 9
-
7
-
den wirtschaftlichen Erfolg des Vertriebssystems insgesamt. Daher versteht sich ein
solcher
Vorsatz dieser
Angeklagten auch nicht von selbst.
II.
Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils insgesamt, auch wenn die tateinheitliche Verurteilung wegen strafbarer Werbung nach § 16 Abs.
2 UWG an sich rechtsfehlerfrei erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1997

4 [X.], [X.]R StPO § 353 Aufhebung 1).
III.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung merkt der Senat an:
Die
Annahme einer einzigen materiell-rechtlichen Tat des Betruges durch das [X.] begegnet rechtlichen Bedenken. Für die Einordnung des Be-trugsgeschehens als sog. uneigentliches Organisationsdelikt ist vorliegend kein Raum. Die Tatbeiträge der Angeklagten erschöpften sich nicht im Aufbau und in der Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Januar 2008

5 [X.], [X.], 181); vielmehr hat das [X.]
mit der Durchführung der Präsentationsveranstal-tungen durch den Angeklagten R.

und der Durchführung der Einzelge-spräche wie der Beitreibung des Geldes durch die Angeklagten S.

, H.

und W.

für jeden Angeklagten individuelle, nur einzelne Taten fördernde Tat-beiträge festgestellt. In einem solchen Fall ist die organisatorische Einbindung eines Täters
in ein betrügerisches Geschäftskonzept für sich nicht ausreichend, Einzelakte einer Tatserie rechtlich zu einer Tat, auch nicht im Sinne eines sog. uneigentlichen Organisationsdelikts, zusammenzufassen ([X.], Beschluss vom 10
11
12
-
8
-
29. Juli 2009

2 [X.], NStZ
2010, 88, [X.]. 14). Vielmehr sind die Taten

auch eine Verklammerung durch die einheitliche Tat der strafbaren Werbung nach § 16 Abs. 2 UWG (vgl. hierzu KG, [X.], 26) kommt angesichts der im Vergleich zum Strafrahmen des § 263 StGB erheblich niedrigeren [X.] nicht in Betracht [X.], a.a.[X.], vor § 52, Rn. 32)

den Ange-klagten grundsätzlich als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Im Übrigen wird der neue Tatrichter die Frage der Konkurrenzen für jeden Tatbeteiligten gesondert zu prüfen haben (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2008

4 [X.], [X.], 275).
Ernemann Roggenbuck Franke

Mutzbauer

Quentin

Meta

4 StR 252/11

09.11.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.11.2011, Az. 4 StR 252/11 (REWIS RS 2011, 1580)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1580

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 344/14

Zitiert

4 StR 252/11

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