Bundesfinanzhof, EuGH-Vorlage vom 02.03.2011, Az. XI R 47/07

11. Senat | REWIS RS 2011, 8954

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

(EuGH-Vorlage zu den Voraussetzungen der Steuerfreiheit der Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes - Beurteilung von im Jahr der Betriebsgründung ausgeführten Umsätzen nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG - Neutralität der Mehrwertsteuer - Unionsrechtskonformität von § 4 Nr. 18 UStG)


Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Erlauben es Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und/oder Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG dem nationalen Gesetzgeber, die Steuerbefreiung der Leistungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen davon abhängig zu machen, dass bei diesen Einrichtungen "im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind" (§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG) ?

2. Ist es unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer für die Antwort auf diese Frage von Bedeutung, dass der nationale Gesetzgeber dieselben Leistungen unter anderen Voraussetzungen als steuerfrei behandelt, wenn sie von amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, ausgeführt werden (§ 4 Nr. 18 UStG) ?

Tatbestand

1

I. Sachverhalt

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt in [X.] einen ambulanten Pflegedienst. Sie ist examinierte Krankenschwester und arbeitete 1992 als angestellte Pflegedienstleiterin in einer Sozialstation. Daneben betreute sie ab [X.]nfang 1993 einzelne Patienten selbständig und meldete zum 1. Juni 1993 einen ambulanten Pflegedienst an. [X.]uf ihren [X.]ntrag vom 27. [X.]ugust 1993 wurde sie zum 1. Oktober 1993 für die Leistungen der Häuslichen Krankenpflege (§ 37 des [X.] in der damals geltenden Fassung --SGB V--), Häuslichen Pflegehilfe (§§ 53 bis 56 SGB V) und Haushaltshilfe (§ 38 SGB V) zu den Krankenkassen zugelassen.

3

In den Umsatzsteuererklärungen für 1993 und 1994 (Streitjahre) behandelte sie ihre Umsätze als gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfrei.

4

Im Jahr 1999 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) fest, dass die Klägerin (mit ihrem Personal) im Jahr 1993 insgesamt 76 Personen behandelt hatte, von denen 52 Personen (= 68 %) Privatzahler waren. Daraufhin versagte das F[X.] die Steuerfreiheit der von der [X.] erbrachten Leistungen gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG unter Hinweis darauf, dass nach dieser Vorschrift in mindestens zwei Drittel der Fälle die Kosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssten. Die Steuerfreiheit für die von der [X.] erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG versagte das F[X.], weil die Vorschrift auf die Verhältnisse des Vorjahres abstelle. [X.]llerdings greife die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG ein, soweit die Klägerin Leistungen der Behandlungspflege erbracht habe; deren [X.]nteil schätzte das F[X.] auf ein Drittel (Umsatzsteuerbescheide für 1993 und 1994 vom 27. [X.]pril 1999).

5

Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage. Während des Klageverfahrens legte sie ein an sie gerichtetes Schreiben der Verwaltung [X.] vom 19. Oktober 2005 vor. Darin heißt es:

6

"... Ich kann Ihnen bestätigen, dass Sie auf dem Gebiet der häuslichen Krankenpflege die gleichen Leistungen erbrachten bzw. die gleichen Tätigkeiten ausführten wie die Pflegestationen (Sozialstationen) aus dem Kreise der Liga der Verbände der [X.] in [X.]. Die [X.]ufgabenbeschreibung und der Inhalt der Tätigkeit der privaten Leistungsanbieter war identisch mit denen der Sozialstationen der [X.]. Eine solche Identität der Leistungsinhalte ist nach meinen Unterlagen spätestens seit 1988 gegeben.

7

Ich weise darauf hin, dass ab dem 01.01.1992 in § 4 Nr. 16 e UStG die Befreiung von der Umsatzsteuer von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Ob diese Voraussetzungen vorlagen, kann und möchte ich nicht beurteilen. Unabhängig von dieser Regelung bin ich aber der [X.]uffassung, dass Sie bzw. Ihr Unternehmen in sozialrechtlicher Hinsicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt wurde."

8

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage überwiegend statt. Es führte zur Begründung aus, die im Streitjahr 1993 bis zum 1. Oktober ausgeführten Umsätze der Klägerin seien, soweit sie auf die Behandlungspflege entfielen, gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei; deren [X.]nteil schätzte das [X.] auf der Grundlage von Berechnungen, die die Klägerin im Klageverfahren vorgelegt hatte, auf 75 %.

9

Für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994 könne die Klägerin die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG beanspruchen. [X.]b diesem Zeitraum seien mindestens zwei Drittel dieser Umsätze auf Personen entfallen, bei denen die Pflegekosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder überwiegend getragen worden seien. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass erst der Zeitraum ab Oktober 1993 heranzuziehen sei.

Mit seiner Revision macht das F[X.] die Verletzung des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG geltend. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit das [X.] die Klagestattgabe für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis zum 31. Dezember 1994 auf § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG gestützt hat.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Hilfsweise regt sie an, dem [X.] ([X.]) Fragen zur Vereinbarkeit von § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG mit dem Unionsrecht zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Entscheidungsgründe

II. Der Senat legt die im Leitsatz bezei[X.]hneten Fragen zur Auslegung des Unionsre[X.]hts dem [X.] vor und setzt das Verfahren bis zur Ents[X.]heidung des [X.] aus.

1. Die maßgebli[X.]hen Vors[X.]hriften und Bestimmungen

a) Nationales Re[X.]ht

aa) Na[X.]h § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG in der in den Streitjahren 1993 und 1994 geltenden Fassung waren von den unter § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei u.a.

"die mit dem Betrieb ... der Einri[X.]htungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn

...

e) bei Einri[X.]htungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und bei Einri[X.]htungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind".

bb) Na[X.]h § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG sind steuerfrei

"die Leistungen der amtli[X.]h anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körpers[X.]haften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied anges[X.]hlossen sind, wenn

a) diese Unternehmer auss[X.]hließli[X.]h und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kir[X.]hli[X.]hen Zwe[X.]ken dienen,

b) die Leistungen unmittelbar dem na[X.]h der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung begünstigten Personenkreis zugute kommen und

[X.]) die Entgelte für die in Betra[X.]ht kommenden Leistungen hinter den dur[X.]hs[X.]hnittli[X.]h für glei[X.]hartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurü[X.]kbleiben."

§ 23 der [X.] 1993 ([X.]) zählt elf Vereinigungen auf, die i.S. des § 4 Nr. 18 UStG als amtli[X.]h anerkannte Verbände der Wohlfahrtspflege gelten.

b) Unionsre[X.]ht

Na[X.]h Art. 13 Teil [X.] 1 Bu[X.]hst. g der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Re[X.]htsvors[X.]hriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Ri[X.]htlinie 77/388/[X.]) --auf dem na[X.]h der Gesetzesbegründung sowohl § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG als au[X.]h § 4 Nr. 18 UStG beruhen-- befreien unbes[X.]hadet sonstiger Gemeins[X.]haftsvors[X.]hriften

"die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfa[X.]hen Anwendung der na[X.]hstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräu[X.]hen festsetzen, von der [X.]

...

g) die eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Si[X.]herheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, eins[X.]hließli[X.]h derjenigen der Altenheime, dur[X.]h Einri[X.]htungen des öffentli[X.]hen Re[X.]hts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einri[X.]htungen mit sozialem Charakter anerkannte Einri[X.]htungen".

Na[X.]h Art. 13 Teil [X.] 2 Bu[X.]hst. a der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] können die Mitgliedstaaten die Gewährung der unter Abs. 1 Bu[X.]hst. g vorgesehenen Befreiung für Einri[X.]htungen, die keine Einri[X.]htungen des öffentli[X.]hen Re[X.]hts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer dort näher bezei[X.]hneten Bedingungen abhängig ma[X.]hen.

2. Zur Re[X.]htslage na[X.]h nationalem Re[X.]ht

Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG ni[X.]ht erfüllt.

a) § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG stellt für die Steuerbefreiung auf die Übernahme der Pflegekosten dur[X.]h die gesetzli[X.]hen Träger der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe "im vorangegangenen Kalenderjahr" ab. Dies ist bei der Beurteilung von Umsätzen, die im Jahr der Betriebsgründung ausgeführt werden --wie hier im Streitjahr 1993-- unmögli[X.]h. In einem sol[X.]hen Fall sind die (voraussi[X.]htli[X.]hen) Umsätze des Jahres der Eröffnung der Einri[X.]htung maßgebend (vgl. das zu § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. b UStG ergangene Urteil des [X.] --[X.]-- vom 25. November 1993 [X.], [X.], 242, [X.] 1994, 212, unter [X.]; so au[X.]h Abs[X.]hn. 99a Abs. 8 der Umsatzsteuer-Ri[X.]htlinien 2008).

Der Senat folgt ni[X.]ht der Auffassung des [X.], dass die Vors[X.]hrift des § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG dahingehend ri[X.]htlinienkonform auszulegen ist, dass für die Einordnung der Klägerin erst der Zeitraum ab Oktober 1993 heranzuziehen ist. Die Klägerin hat im Jahr 1993 nur eine Einri[X.]htung i.S. des § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG und ni[X.]ht mehrere Einri[X.]htungen betrieben. Daher ist auf die im gesamten Jahr des Beginns des [X.] erbra[X.]hten Leistungen abzustellen (vgl. [X.]-Urteil vom 24. Januar 2008 [X.], [X.], 391, [X.] 2008, 643, unter II.1.b).

Na[X.]h den Feststellungen des [X.] wurden bei den von der Klägerin im gesamten Streitjahr 1993 erbra[X.]hten Leistungen die Pflegekosten ni[X.]ht in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen.

b) Für das Streitjahr 1994 ist die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG aufgestellte Bedingung glei[X.]hfalls ni[X.]ht erfüllt. Für dieses Jahr ist auf die Verhältnisse des Vorjahres 1993 abzustellen (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 391, [X.] 2008, 643).

3. Zur Anrufung des [X.]

a) Der [X.] hat dur[X.]h Urteil vom 10. September 2002 Rs. [X.]/00 --Kügler-- (Slg. 2002, [X.], [X.] Beilage 2003, 30) ents[X.]hieden, dass Leistungen der Grundpflege und der hauswirts[X.]haftli[X.]hen Versorgung, die körperli[X.]h oder wirts[X.]haftli[X.]h hilfsbedürftigen Personen von einem ambulanten Pflegedienst erbra[X.]ht werden, eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Si[X.]herheit verbundene Dienstleistungen i.S. von Art. 13 Teil [X.] 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] darstellen. Auf die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil [X.] 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] könne si[X.]h ein Steuerpfli[X.]htiger vor einem nationalen Geri[X.]ht berufen, um si[X.]h einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist. Es sei Sa[X.]he des nationalen Geri[X.]hts, anhand aller maßgebli[X.]hen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpfli[X.]htige eine als Einri[X.]htung mit sozialem Charakter anerkannte Einri[X.]htung im Sinne dieser Bestimmung sei (Leitsätze 3 und 4 und [X.] des Urteils).

In der Folgeents[X.]heidung zu diesem [X.]-Urteil hat der [X.] im Urteil vom 22. April 2004 [X.] ([X.]E 205, 514, [X.] 2004, 849) ents[X.]hieden, die Anerkennung eines Unternehmens als eine Einri[X.]htung mit sozialem Charakter könne au[X.]h aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen dur[X.]h Krankenkassen oder andere Einri[X.]htungen der [X.] Si[X.]herheit abgeleitet werden. Maßgebend sei insoweit, dass es si[X.]h ihrer Art na[X.]h um die Leistungen handele, für die die Kosten von den Sozialversi[X.]herungsträgern übernehmbar gewesen seien (vgl. unter [X.] der Urteilsgründe).

Na[X.]h dieser --zum Re[X.]htszustand vor Inkrafttreten von § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG am 1. Januar 1992 ergangenen-- Re[X.]htspre[X.]hung ist die Klägerin grundsätzli[X.]h als Einri[X.]htung mit sozialem Charakter i.S. von Art. 13 Teil [X.] 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] anzuerkennen, weil es si[X.]h bei den von ihr erbra[X.]hten Leistungen der Art na[X.]h um sol[X.]he handelt, für die die Kosten von den Sozialversi[X.]herungsträgern übernehmbar waren und für die ab dem 1. Oktober 1993 --jedenfalls teilweise-- die Kosten au[X.]h übernommen wurden (ebenso [X.]-Urteil in [X.], 391, [X.] 2008, 643).

b) Der [X.] hat ferner im Urteil vom 8. Juni 2006 Rs. [X.]/05 --[X.] GmbH-- (Slg. 2006, [X.], [X.] Beilage 2006, 442) für den Fall medizinis[X.]her Laboruntersu[X.]hungen ents[X.]hieden, dass die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. [X.] UStG 1980/1991/1993 für die Steuerfreiheit der Umsätze von Diagnosekliniken und anderen Einri[X.]htungen ärztli[X.]her Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung aufgestellte 40 %-Grenze grundsätzli[X.]h mit [X.] Re[X.]ht vereinbar sei (Rz 42 und 54). Er führt jedo[X.]h weiter in Rz 50 aus:

"Insoweit ist vorab darauf hinzuweisen, dass die Wahrung des Grundsatzes der steuerli[X.]hen Neutralität zunä[X.]hst verlangt, dass für alle in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Bu[X.]hstabe b der Se[X.]hsten Ri[X.]htlinie genannten Kategorien privatre[X.]htli[X.]her Einri[X.]htungen die glei[X.]hen Bedingungen für ihre Anerkennung in Bezug auf die Erbringung verglei[X.]hbarer Leistungen gelten. Im vorliegenden Fall hat daher das vorlegende Geri[X.]ht zu prüfen, ob die nationale Regelung diesem Erfordernis entspri[X.]ht oder aber die Anwendung der fragli[X.]hen Bedingungen auf bestimmte Arten von Einri[X.]htungen bes[X.]hränkt, während andere von ihr ausgenommen sind."

In seiner Folgeents[X.]heidung vom 15. März 2007 [X.]/03 ([X.]E 217, 48, [X.] 2008, 31) ist der V. Senat des [X.] im Rahmen der ihm aufgegebenen Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die nationalen Regelungen in § 4 Nr. 14 UStG, § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. b und [X.] UStG ni[X.]ht mit dem unionsre[X.]htli[X.]hen Grundsatz der steuerli[X.]hen Neutralität zu vereinbaren seien, weil dana[X.]h ni[X.]ht für alle Kategorien privatre[X.]htli[X.]her Einri[X.]htungen i.S. des Art. 13 Teil [X.] 1 Bu[X.]hst. b der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] in Bezug auf die Erbringung verglei[X.]hbarer Leistungen die glei[X.]hen Bedingungen für ihre Anerkennung gelten.

Allerdings hat der V. Senat des [X.] in dem Urteil in [X.], 391, [X.] 2008, 643 ents[X.]hieden, dass § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG 1999 weder verfassungsre[X.]htli[X.]h no[X.]h gemeins[X.]haftsre[X.]htli[X.]h zu beanstanden sei, soweit diese Vors[X.]hrift für die Steuerfreiheit der dort genannten Umsätze voraussetzt, dass im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.

[X.]) Es stellen si[X.]h demna[X.]h mehrere Fragen zur Auslegung des Unionsre[X.]hts, deren Beantwortung dem [X.] vorbehalten ist.

aa) Zunä[X.]hst ist zweifelhaft, ob die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG enthaltene [X.] auf Art. 13 Teil [X.] 1 Bu[X.]hst. g oder auf Abs. 2 Bu[X.]hst. a der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] gestützt werden kann.

Na[X.]h Auffassung des Generalanwalts in der Sa[X.]he [X.]/05 --[X.] GmbH-- (Rz 43 der S[X.]hlussanträge vom 7. März 2006, Slg. 2006, [X.]) dient die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. [X.] UStG 1980/1991/1993 für die Steuerfreiheit der Umsätze von Diagnosekliniken und anderen Einri[X.]htungen ärztli[X.]her Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung aufgestellte 40 %-Grenze der Umsetzung der in Art. 13 Teil [X.] 2 Bu[X.]hst. a 3. Gedankenstri[X.]h der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] vorgesehenen fakultativen Bedingung, wona[X.]h von den Einri[X.]htungen, die keine Einri[X.]htungen des öffentli[X.]hen Re[X.]hts sind, als Voraussetzung dafür, dass sie eine Steuerbefreiung erhalten können, "Preise angewendet werden [müssen], die von den zuständigen Behörden genehmigt sind oder sol[X.]he, die die genehmigten Preise ni[X.]ht übersteigen". Es sei Sa[X.]he der nationalen Geri[X.]hte, zu ents[X.]heiden, ob diese Bedingung ein geeignetes Instrument dafür darstelle, die Vereinbarkeit der von der Klägerin angewendeten Preise mit den von den zuständigen Behörden genehmigten Preisen zu beurteilen.

Na[X.]h den Ausführungen des [X.] in seinem Urteil [X.] GmbH (Slg. 2006, [X.], [X.] Beilage 2006, 442, Rz 41 ff.) ist aber fragli[X.]h, ob si[X.]h der [X.] diese Ansi[X.]ht des Generalanwalts zu eigen gema[X.]ht hat und ob sie au[X.]h im Falle einer [X.] gilt.

bb) Zudem hat si[X.]h der [X.] in Rz 41 ff. seines Urteils [X.] und P. GmbH (Slg. 2006, [X.], [X.] Beilage 2006, 442) ni[X.]ht ausdrü[X.]kli[X.]h zu der in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. [X.] UStG enthaltenen Voraussetzung geäußert, dass die 40 %-Grenze im [X.] erfüllt sein muss. Zweifelhaft ist, ob seine Ausführungen so zu verstehen sind, dass er damit au[X.]h diese Voraussetzung --die er zur Kenntnis genommen hat (vgl. Rz 7 des [X.] gebilligt hat.

Das Abstellen auf die Verhältnisse des Vorjahres in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG (wie in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. b bis d UStG) dient der Re[X.]htssi[X.]herheit und könnte si[X.]h mögli[X.]herweise unionsre[X.]htli[X.]h auf den Einleitungssatz zu Art. 13 Teil [X.] 1 der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] stützen, wona[X.]h u.a. der Gesi[X.]htspunkt der "einfa[X.]hen Anwendung der na[X.]hstehenden Befreiungen" zu berü[X.]ksi[X.]htigen ist.

[X.][X.]) S[X.]hließli[X.]h ist die Bedeutung des mehrwertsteuerre[X.]htli[X.]hen Neutralitätsgrundsatzes für Streitfälle der vorliegenden Art zweifelhaft.

(1) Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die Steuerbefreiung na[X.]h Art. 13 Teil [X.] 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] der Klägerin bei Bea[X.]htung des Gebots der Neutralität der Mehrwertsteuer --hier in Gestalt der [X.] ni[X.]ht unter Hinweis darauf versagt werden kann, dass der nationale Gesetzgeber ab dem 1. Januar 1992 in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung für eine Steuerfreiheit verlangt, dass die Pflegekosten im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.

Denn § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG stellt für die Steuerfreiheit von Pflegeleistungen Bedingungen auf, die Wettbewerber, die verglei[X.]hbare Leistungen erbringen, für eine Steuerfreiheit ni[X.]ht erfüllen müssen. So ist bei Pflegeleistungen aus dem Kreis der Liga der Verbände der freien Wohlfahrtspflege für die Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 18 UStG unerhebli[X.]h, ob die Pflegekosten zu einem bestimmten Anteil von den gesetzli[X.]hen Trägern der Sozialversi[X.]herung oder Sozialhilfe getragen wurden; es kommt insoweit au[X.]h ni[X.]ht auf die Verhältnisse des Vorjahres an.

"Glei[X.]he Bedingungen" für die Steuerfreiheit verglei[X.]hbarer Leistungen würden zwar au[X.]h dann bestehen, wenn die in § 4 Nr. 18 UStG aufgestellten Voraussetzungen im Ergebnis gewährleisten würden, dass tatsä[X.]hli[X.]h die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG enthaltene [X.] stets (und zwar im Vorjahr) errei[X.]ht ist. Das ist aber ni[X.]ht der Fall. Es ist vielmehr mögli[X.]h, dass das [X.] des § 4 Nr. 18 Bu[X.]hst. [X.] UStG erfüllt, aber glei[X.]hwohl die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG enthaltene [X.] ni[X.]ht errei[X.]ht ist. Denn das [X.] bewirkt, dass au[X.]h von privat Versi[X.]herten oder Ni[X.]htversi[X.]herten ein niedrigerer Preis genommen werden muss. Das [X.] kann daher au[X.]h dann gewahrt sein, wenn die Leistungen in weniger als zwei Drittel der Fälle von den Trägern der Sozialversi[X.]herung getragen werden. So geht au[X.]h die [X.] [X.] in einer Verfügung vom 13. Mai 2005 - Kurzinformation Umsatzsteuer Nr. 10 (Umsatzsteuer-Runds[X.]hau 2005, 516) davon aus, dass für ambulante Pflegeleistungen "unters[X.]hiedli[X.]he" Bedingungen für die Steuerbefreiung gelten. Denn sie führt aus, dass die Steuerbefreiung na[X.]h § 4 Nr. 18 UStG au[X.]h dann gewährt werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG ni[X.]ht erfüllt sind.

Zudem dürfte § 4 Nr. 18 UStG selbst dann, wenn man unterstellt, dass die in Bu[X.]hst. a bis [X.] dieser Vors[X.]hrift aufgeführten Voraussetzungen auf Art. 13 Teil [X.] 2 der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] gestützt werden könnten, ni[X.]ht dem Unionsre[X.]ht entspre[X.]hen. Denn au[X.]h eine Einri[X.]htung, die die Merkmale der Bu[X.]hst. a bis [X.] des § 4 Nr. 18 UStG erfüllt, kann si[X.]h dann ni[X.]ht auf diese Steuerbefreiung berufen, wenn sie kein in § 23 [X.] aufgezählter Verband oder Mitglied in einem sol[X.]hen Verband ist. Die Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] enthält aber na[X.]h Ansi[X.]ht des Senats weder in Art. 13 Teil [X.] 2 no[X.]h an anderer Stelle eine Regelung, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, die Steuerbefreiung glei[X.]her Dienstleistungen davon abhängig zu ma[X.]hen, ob der Leistende ein bestimmter Verband oder Mitglied in einem sol[X.]hen Verband ist.

(2) Dagegen hat der V. Senat des [X.] auf Anfrage des Senats (Bes[X.]hluss vom 30. Juni 2010 [X.], juris) mitgeteilt, dass er einer Abwei[X.]hung von seiner Re[X.]htspre[X.]hung im Urteil in [X.], 391, [X.] 2008, 643 ni[X.]ht zustimmt; er sieht darin, dass die in § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG bezei[X.]hneten Leistungen au[X.]h unter den Bedingungen des § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei sein können, keinen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz (Bes[X.]hluss vom 16. Dezember 2010 [X.], ni[X.]ht veröffentli[X.]ht).

d) Die dem [X.] vorgelegten Fragen sind ents[X.]heidungserhebli[X.]h.

Wenn § 4 Nr. 16 Bu[X.]hst. e UStG unionsre[X.]htskonform ist, ist die Sa[X.]he gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgeri[X.]htsordnung ([X.]O) zur anderweitigen Verhandlung und Ents[X.]heidung an das [X.] zurü[X.]kzuverweisen, damit es prüfen kann, in wel[X.]hem Umfang die vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994 ausgeführten Umsätze der Klägerin in einer Behandlungspflege bestanden und deshalb na[X.]h § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sind.

Andernfalls könnte si[X.]h die Klägerin unmittelbar auf die Steuerfreiheit ihrer Umsätze na[X.]h Art. 13 Teil [X.] 1 Bu[X.]hst. g der Ri[X.]htlinie 77/388/[X.] berufen; die Revision des [X.] wäre dann als unbegründet zurü[X.]kzuweisen.

4. Re[X.]htsgrundlage für die Anrufung des [X.] ist Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäis[X.]hen Union.

5. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 [X.]O.

Meta

XI R 47/07

02.03.2011

Bundesfinanzhof 11. Senat

EuGH-Vorlage

vorgehend FG Berlin, 16. August 2006, Az: 2 K 5218/01, Urteil

§ 4 Nr 16 Buchst e UStG 1993, § 4 Nr 18 UStG 1993, Art 13 Teil A Abs 1 Buchst g EWGRL 388/77, Art 13 Teil A Abs 2 Buchst a EWGRL 388/77, Abschn 99a Abs 8 UStR 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, EuGH-Vorlage vom 02.03.2011, Az. XI R 47/07 (REWIS RS 2011, 8954)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8954


Verfahrensgang

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Az. XI R 47/07

Bundesfinanzhof, XI R 47/07, 19.03.2013.

Bundesfinanzhof, XI R 47/07, 02.03.2011.

Bundesfinanzhof, XI R 47/07, 30.06.2010.


Az. V ER-S-3/10

Bundesfinanzhof, V ER-S-3/10, 16.12.2010.


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