Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.04.2009, Az. 3 StR 100/09

3. Strafsenat | REWIS RS 2009, 3878

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 3 StR 100/09 vom 23. April 2009 in der Strafsache gegen wegen [X.] 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 23. April 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzender [X.] am [X.] [X.], [X.] am [X.] von [X.], [X.]in am [X.] Sost-Scheible, [X.] am [X.] [X.], [X.] als beisitzende [X.], Staatsanwältin als Vertreterin der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, [X.]als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 14. August 2008 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat die Angeklagte wegen der Tötung ihres neugebore-nen Kindes des Totschlags für schuldig befunden und gegen sie eine Freiheits-strafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausge-setzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Rechtsmittel, das vom [X.] nicht ver-treten wird, ist - wie die Revisionsbegründung deutlich macht - ungeachtet des umfassend gestellten Aufhebungsantrags wirksam auf den Strafausspruch be-schränkt (BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3). 1 Das Rechtsmittel hat Erfolg. 2 - 4 - [X.] 1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen: 3 Die zur Tatzeit 22jährige Angeklagte ist kongolesischer Herkunft und, obwohl sie sich in [X.] gut integriert hat, stark von den traditionellen Vorstellungen [X.] geprägt. Dies kommt insbesondere im Verhältnis zu ihren Eltern zum Ausdruck, in deren Haushalt sie lebt und deren Entschei-dungen sie sich bis heute unterordnet. Als sie im Jahr 2003 nach einer kurzen Beziehung mit einem aus [X.] stammenden Mann schwanger geworden war, sah sie sich heftigen Vorwürfen ihrer Eltern ausgesetzt, die sie zunächst des Hauses verwiesen, worunter die Angeklagte sehr litt. Nachdem ihre Rückkehr ins Elternhaus geduldet worden war, versprach sie, dass "so etwas nie wieder vorkommen werde", und empfand tiefe Scham, ihre Eltern derart enttäuscht zu haben. Ende Dezember 2003 wurde ihr [X.] geboren. Auf Grund an-haltender Schuldgefühle zog sich die Angeklagte, obwohl sie ihre Ausbildung fortsetzte und das Fachabitur erlangte, immer mehr zurück, hielt sich zumeist zu Hause auf und kümmerte sich um ihren [X.], hatte jedoch außerhalb der Familie kaum Kontakte. Im November 2005 bemerkte sie, dass sie auf Grund eines einmaligen sexuellen Kontakts erneut schwanger geworden war. Aus Angst vor ihren Eltern ließ sie, ohne sich jemandem zu offenbaren, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. 4 Im [X.] 2006 lernte die Angeklagte den Zeugen M. kennen, von dem sie [X.] ungewollt schwanger wurde. Bereits Ende des Jahres 2006 beendete sie von sich aus die Beziehung, weil sie sich von dem Zeugen ausgenutzt fühlte. Als sie im Februar 2007 die Schwangerschaft feststellte, war diese, was ihr klar war, bereits zu weit fortgeschritten, um noch einen Abbruch 5 - 5 - vornehmen zu können. Auf Grund ihrer introvertierten, von hoher Selbstunsi-cherheit geprägten Persönlichkeit und aus Angst vor ihren Eltern empfand sie ihre Situation als subjektiv ausweglos, verdrängte die Schwangerschaft sowie die bevorstehende Geburt vollständig und ging, wie gewohnt, ihrer Arbeit nach. Ihre Familie und ihr soziales Umfeld bemerkten ihre sichtbar fortschreitende Schwangerschaft, die sie nicht zu verbergen versuchte, entweder nicht, oder wollten sie nicht bemerken. An einem Sonntag zwischen Mitte und Ende Mai 2007 setzte während einer vorübergehenden Abwesenheit der übrigen Familienmitglieder für die An-geklagte überraschend der Geburtsvorgang ein. Die Angeklagte legte sich in die Badewanne und brachte ein lebendes Mädchen zur Welt. Aus Angst und Verzweiflung, ihre Eltern könnten sie mit dem Kind vorfinden und sie dann aus der Familie verstoßen, geriet sie in einen starken Erregungszustand, in [X.] sie einem spontanen Entschluss folgend, das neugeborene Kind tötete, indem sie diesem zwei bis dreimal Mund und Nase zuhielt bis es sich nicht mehr bewegte. Anschließend verbarg sie die Leiche des Neugeborenen und die Nachgeburt, verpackt in einer Plastiktüte, im [X.] des Hauses und beseitigte sodann im Bad die Spuren der Geburt. Zwar wurde sie von heftigen [X.] gequält, ging aber bereits am nächsten Tag wieder wie gewohnt ihrer Arbeit nach. Die Leiche des Kindes wurde erst ca. ein halbes Jahr später in stark verwestem Zustand aufgefunden. 6 2. Das [X.] hat eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB bejaht und die Strafe dem zusätzlich nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falles des Totschlags (§ 213 2. Alt. StGB) entnommen. 7 - 6 - I[X.] Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Da bereits die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit durchgreifenden Bedenken unterliegt, kommt es auf die Einwendungen, die die Beschwerdeführerin gegen die doppelte Milderung des Strafrahmens des § 212 StGB und die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung erhebt, nicht an. 8 1. In Übereinstimmung mit der psychiatrischen Sachverständigen ist die [X.] davon ausgegangen, die Angeklagte habe sich bei Begehung der Tat vor dem Hintergrund ihrer selbstunsicheren, leicht beeinflussbaren und mit einem mangelhaften Problemlösungskonzept ausgestatteten Persönlichkeit, ferner mit Blick auf ihre spezielle familiäre Situation, insbesondere ihre tief ver-wurzelte Angst, von ihren Eltern mit dem Kind entdeckt und sodann verstoßen zu werden, sowie unter Berücksichtigung der stark belastenden Situation der überraschenden und heimlichen Geburt in einem "psychischen Ausnahmezu-stand" befunden, der "in seiner Schwere dem [X.] einer 'schwe-ren anderen seelischen Abartigkeit' " entsprochen habe. Infolge übermächtig gewordener Gefühle der Angst, Verzweiflung und Ausweglosigkeit sei die Steu-erungsfähigkeit der Angeklagten im Tatzeitpunkt sicher erheblich eingeschränkt gewesen. 9 2. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der "psychische Ausnahmezu-stand" der Angeklagten einem [X.] der §§ 20, 21 StGB zuzuord-nen ist. Die Voraussetzungen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit sind daher nicht festgestellt, so dass sich die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB als rechtsfehlerhaft erweist. 10 - 7 - Das [X.] hat, der Sachverständigen folgend, zunächst eine psy-chische Erkrankung der Angeklagten ausgeschlossen. Es ist ferner - ohne dies freilich im Einzelnen zu begründen, jedoch mit Blick auf die hierdurch nicht schwerwiegend beeinträchtigte Lebensführung der Angeklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei (vgl. [X.], 274 m. w. N.) - davon ausgegangen, dass die [X.] der Angeklagten lediglich Merkmale einer [X.] Persönlichkeit seien, jedoch "keinerlei Krankheitswert" aufwiesen. Auch war der festgestellte Erregungszustand nicht von Dauer, sondern trat nur akut in der konkreten Belastungssituation auf. Damit schieden eine krankhafte seelische Störung und eine schwere andere seelische Abartigkeit infolge einer Persönlichkeitsstörung als [X.]e im Sinne des § 20 StGB für die Annahme einer verminderten Steuerungsfähigkeit aus [X.], StGB 56. Aufl. § 20 Rdn. 39). 11 Der aus Sicht der [X.] für die verminderte Steuerungsfähigkeit ausschlaggebende, auf mehreren Ursachen beruhende psychische [X.], in dem sich die Angeklagte bei Begehung der Tat befunden haben soll, wird im Urteil auch einer anderen Eingangsvoraussetzung des § 20 StGB nicht zugeordnet. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass bei einem in äußerster Erregung handelnden Täter eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorliegen kann, wenn der hochgradige affektive Ausnahmezustand eine Intensi-tät erreicht, die in ihrer Auswirkung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit den krankhaften seelischen Störungen im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichwer-tig ist, wobei dies vor dem Hintergrund des Verhaltens des [X.] vor, während und nach der Tat zu untersuchen und zu beurteilen ist (vgl. BGHR StGB § 21 Bewusstseinsstörung 4). Vom Vorliegen dieses nach den getroffenen [X.] einzig in Betracht kommenden [X.]s im Sinne der §§ 20, 21 StGB ist das [X.] nach den insoweit eindeutigen Ausführungen im 12 - 8 - Urteil indes ausdrücklich nicht ausgegangen. Vielmehr hat es in Übereinstim-mung mit der Sachverständigen dargelegt, im Tatzeitraum hätten bei der Ange-klagten keine Hinweise auf eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung, etwa im Sinne eines Affekts, bestanden, da die Angeklagte die Geschehnisse [X.] und detailliert erinnert habe. Zwar kann im Einzelfall offen bleiben, welchem der sich teilweise über-schneidenden Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB ein die Schuldfähigkeit beeinträchtigender psychischer Zustand zuzurechnen ist, wenn jedenfalls fest-steht, dass er einem der Merkmale unterfällt und deswegen die Schuldfähigkeit aufgehoben oder erheblich vermindert ist. Dies kann den Urteilsfeststellungen indes nicht entnommen werden. Das [X.] hat vielmehr gerade offen ge-lassen, ob überhaupt ein [X.] des § 20 StGB vorliegt. 13 3. Bei der erneuten Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB wird zu beachten sein, dass bei [X.] im Sinne des § 217 StGB aF eine er-hebliche Verminderung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommen wird, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unab-hängig hiervon bestehenden geistig-seelischen Beeinträchtigungen festzustel-len sind (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Kindstötung 1; [X.], 308). Die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, kann in einem solchen Fall jedoch bei der Anwen-dung des § 213 StGB Berücksichtigung finden ([X.], 80). 14 - 9 - Es wird sich empfehlen, für die neue Hauptverhandlung einen anderen Sachverständigen hinzuzuziehen. 15 [X.] von [X.] Sost-Scheible [X.] Schäfer

Meta

3 StR 100/09

23.04.2009

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.04.2009, Az. 3 StR 100/09 (REWIS RS 2009, 3878)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 3878

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