Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.10.2012, Az. VI R 16/11

6. Senat | REWIS RS 2012, 2156

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Gegenstand

Keine Anlaufhemmung bei Antragsveranlagung


Leitsatz

NV: Eine Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO kommt in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. des JStG 2008 nicht in Betracht (Anschluss an Senatsentscheidungen vom 14. April 2011 VI R 53/10, BStBl II 2011, 746; vom 6. Oktober 2011 VI R 17/11, BFH/NV 2012,551; Abgrenzung zum Senatsbeschluss vom 22. Mai 2006 VI R 46/05, BStBl II 2006, 820) .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) für das [X.] zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.

2

Die Klägerin, die im Streitjahr (2003) ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, reichte am 8. Januar 2008 eine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) ein. Das [X.] lehnte die Durchführung der Antragsveranlagung ab.

3

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1228 veröffentlichten Gründen statt.

4

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

5

Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt, die Revision des [X.] zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die beantragte Veranlagung kommt wegen Festsetzungsverjährung nicht in Betracht.

8

Besteht das Einkommen --wie im [X.] nach § 46 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.

9

a) Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.[X.] des Jahressteuergesetzes 2008 (EStG n.[X.]) wird eine Einkommensteuer-Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird. Die --frühere zusätzliche-- Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, ist entfallen.

§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.] ist gemäß § 52 Abs. 55j Satz 4 EStG i.d.[X.] ([X.]) 2011 erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und --hier einschlägig-- in Fällen, in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Letzteres trifft zu. Eine bestandskräftige Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagung für das Streitjahr liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es nicht erforderlich, dass der Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits vor dem 28. Dezember 2007 bei den Finanzbehörden eingegangen ist (Urteil vom 12. November 2009 VI R 1/09, [X.], 97, [X.], 406).

b) Im Streitfall steht der Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.]. § 52 Abs. 55j Satz 4 i.d.[X.] des [X.] 2011 jedoch der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen (vgl. Senatsurteile vom 14. April 2011 VI R 53/10, [X.], 311, [X.], 746; VI R 77/10, nicht veröffentlicht; VI R 86/10, [X.], 1515; vom 6. Oktober 2011 VI R 17/11, [X.], 551).

Die Festsetzungsfrist für Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 [X.]). Die Einkommensteuer für 2003 verjährte demnach mit Ablauf des Jahres 2007. Nach den Feststellungen des [X.] hat die Klägerin den erforderlichen Antrag durch Abgabe der Einkommensteuererklärung für 2003 aber (erst) im Jahre 2008 beim [X.] gestellt.

c) Der Ablauf der Festsetzungsfrist war vorliegend nicht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] gehemmt, weil keine Steuererklärung einzureichen war.

Im Streitfall bestand, wie auch § 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 der [X.] deutlich macht (a.[X.] in Korn, § 46 EStG Rz 35.1), keine Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung. Die Klägerin war gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.] lediglich berechtigt, eine solche einzureichen. Ebenso wurde die Klägerin vom [X.] nicht zur Abgabe der einschlägigen Erklärung aufgefordert (§ 149 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Im Fall einer Antragsveranlagung kommt § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] nicht zur Anwendung ([X.]/[X.], EStG, 31. Aufl., § 46 Rz 34; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], § 46 EStG Rz 67; [X.] in [X.], EStG, [X.] 2011, § 46 Rz 65 ff.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 170 [X.] Rz 24), da eine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht aus § 25 Abs. 3 EStG abgeleitet werden kann.

d) [X.] Bedenken hiergegen bestehen nicht. Denn Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verlangt lediglich nach der Gleichbehandlung nämlicher Sachverhalte. Zwischen Pflicht- und Antragsveranlagung bestehen jedoch [X.], die eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf eine Anlaufhemmung rechtfertigen. Denn die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] soll nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wird (Urteil vom 6. Juni 2007 II R 54/05, [X.]E 217, 393, [X.], 954, m.w.N.).

e) Der Senat hat zwar in seinem Urteil vom 15. Januar 2009 VI R 23/08 ([X.]/NV 2009, 755) entschieden, dass der Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.] für Veranlagungszeiträume vor 2005 auch eine Verjährungsfrist nicht entgegensteht. Dies betraf allerdings den hier nicht gegebenen besonderen Fall, dass die Klage ohnehin auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 21. September 2006 VI R 52/04, [X.]E 215, 144, [X.], 45) zu § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.[X.] erfolgreich gewesen wäre. Denn die negative Summe der Nebeneinkünfte hatte [X.] als im streitigen [X.] dort den Betrag von 800 DM überstiegen. Der Senat hatte dabei insbesondere berücksichtigt, dass aufgrund seiner 2005 geänderten Rechtsprechung zu § 46 Abs. 2 EStG und der darauf folgenden Reaktionen des Gesetzgebers vielfach zeitliche Zufälligkeiten darüber mitentscheidend gewesen waren, ob Anträge und Klagen auf Durchführung der [X.] erfolgreich sein konnten.

Soweit der Senat im Beschluss vom 22. Mai 2006 VI R 46/05 ([X.]E 213, 536, [X.], 820) eine "regelmäßige" Festsetzungsfrist von sieben Jahren angenommen hat, hält er daran nicht mehr fest.

Meta

VI R 16/11

18.10.2012

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 28. Februar 2011, Az: 10 K 3092/08, Urteil

§ 46 Abs 2 Nr 8 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 52 Abs 55j S 2 EStG 2009 vom 01.11.2011, § 169 Abs 2 Nr 2 AO, § 170 Abs 2 S 1 Nr 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.10.2012, Az. VI R 16/11 (REWIS RS 2012, 2156)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2156

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