Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.10.2015, Az. 3 B 70/15, 3 B 70/15 (3 B 46/14)

3. Senat | REWIS RS 2015, 3097

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Nichtzulassung; Divergenz nach Ablauf der Begründungsfrist


Leitsatz

1. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Säumnis der Frist zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Teils. 2, § 133 Abs. 3 VwGO) ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil über die Beschwerde bereits entschieden wurde.

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist entstandenen Divergenz ist nicht möglich. Ob sie für einzelne Rechtsbehelfsgründe überhaupt in Betracht kommt, bleibt (weiterhin) offen.

3. Die Zulassung der Revision wegen einer nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist entstandenen Divergenz kommt nur auf der Grundlage einer entsprechenden, frist- und formgerecht geltend gemachten Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) in Betracht (stRspr).

Gründe

1

Der Kläger begehrt, im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das Verfahren seiner zurückgewiesenen [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision fortzuführen und die Revision wegen Divergenz zuzulassen.

2

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem zugrunde liegenden Urteil vom 16. Dezember 2013 seine Klage abgewiesen, mit der er eine Ausgleichszulage zur Förderung von landwirtschaftlichen Unternehmen in benachteiligten Gebieten begehrt. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Zulage, weil er absichtlich falsche Angaben gemacht habe. Seine gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] erhobene und fristgerecht mit einer grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache und mit Verfahrensrügen begründete [X.]eschwerde hat der Senat mit [X.]eschluss vom 29. Juni 2015 zurückgewiesen. Auch eine Zulassung wegen der nach Ablauf der [X.]eschwerdebegründungsfrist mit Schriftsatz vom 13. Februar 2015 geltend gemachten nachträglichen Divergenz komme nicht in [X.]etracht, weil der Kläger nicht die Klärung einer Grundsatzfrage angestrebt habe, die zwischenzeitlich abweichend von dem angefochtenen Urteil geklärt worden sei.

3

Der Antrag hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO).

4

Ist die Frist zur [X.]egründung der [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) schuldlos versäumt worden, so ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 60 Abs. 1 VwGO). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 Teils. 2 VwGO) und die versäumte Rechtshandlung nachzuholen; ist sie fristgerecht nachgeholt, so kann die Wiedereinsetzung ohne Antrag gewährt werden (§ 60 Abs. 2 Satz 3 und 4 VwGO).

5

Dem [X.]egehren der Wiedereinsetzung steht nicht von vornherein entgegen, dass das [X.]eschwerdeverfahren mit Ablehnung der [X.]eschwerde, hier dem [X.]eschluss vom 29. Juni 2015, seinen Abschluss gefunden hat und damit das angefochtene Urteil rechtskräftig geworden ist (§ 133 Abs. 5 Satz 3 VwGO). Das [X.] in den vorigen Stand erlaubt nicht nur die Durchbrechung der Rechtskraft einer Entscheidung, wenn die Frist für einen gegen sie gegebenen Rechtsbehelf ohne Verschulden versäumt wurde, sondern im Einzelfall auch dann, wenn der Rechtsbehelf erfolglos geblieben ist. Das kommt etwa in [X.]etracht, wenn der Rechtsbehelf zwar innerhalb der Frist eingelegt wurde, sich seine Einlegung aber als nicht ordnungsgemäß erwiesen hatte, weil der [X.] nicht beachtet oder eine [X.]egründung des Rechtsbehelfs versäumt und er deshalb verworfen worden war (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 3. Januar 1961 - 3 ER 414.60 - [X.]VerwGE 11, 322 <323> m.w.[X.], vom 14. März 1957 - 3 ER 409.56 - NJW 1957, 804 und vom 4. Februar 2002 - 4 [X.] - juris Rn. 3 f.).

6

Der Kläger macht hier allerdings nicht geltend, umfassend daran gehindert gewesen zu sein, die Frist zur [X.]egründung seiner [X.]eschwerde einzuhalten. [X.] seiner fristgerecht geltend gemachten Zulassungsgründe beruft er sich nur darauf, dass er objektiv gehindert gewesen sei, den Zulassungsgrund einer Divergenz fristgerecht geltend zu machen. Die Divergenz beruhe auf dem Urteil des Senats vom 1. Oktober 2014 (3 [X.] 31.13 - [X.] 451.500 Landw [X.] Nr. 7), also einer Entscheidung, die erst nach Ablauf der Frist zur [X.]egründung der Nichtzulassungsbeschwerde am 9. Juli 2014 ergangen sei.

7

Die damit verbundene Frage, inwieweit für einzelne Zulassungs- oder Rechtsbehelfsgründe eine Wiedereinsetzung überhaupt in [X.]etracht kommen kann, ist nicht abschließend geklärt; sie bedarf aber auch hier keiner Vertiefung (allgemein im Zusammenhang mit einem Verfahrensfehler verneinend: [X.]VerwG, Urteil vom 28. September 1967 - 8 [X.] 44.65 - [X.]VerwGE 28, 18 <21 f.>; offenlassend: [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 4. Februar 2002 - 4 [X.] - juris Rn. 4 und vom 15. Juli 2010 - 4 [X.] 13.10 - juris Rn. 5 f.; näher und differenzierend: [X.], [X.]eschluss vom 18. November 1999 - [X.]/99 - NJW 2000, 364 f. m.w.[X.]). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer Divergenz, die wie hier durch ein Divergenzurteil begründet sein soll, das erst nach Ablauf der Frist zur [X.]egründung einer Nichtzulassungsbeschwerde ergangen ist, ist unabhängig davon nicht möglich. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schafft nur Raum dafür, eine schuldlos versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Das setzt voraus, dass diese in dem gerichtlichen Verfahren bis zum Ablauf der zu beachtenden Frist objektiv hätte vorgenommen werden können. Später eintretende Gründe, die eine Entscheidung zweifelhaft machen können, erlangen [X.]edeutung nur gemäß den hierfür geltenden Vorschriften (wie etwa § 153 VwGO). Einen Fall danach denkbarer Säumnis macht der Kläger nicht geltend.

8

Ob etwas anderes gilt, wäre die geltend gemachte Divergenz während der [X.]egründungsfrist entstanden, bedarf hier keiner Vertiefung. Allerdings spricht dagegen, dass die [X.] ein Unterfall der Grundsatzrüge, jedenfalls eng verwandt mit ihr ist [X.], in: [X.], VwGO, 14. Aufl. 2014, § 132 Rn. 30 m.w.[X.]), und diese unabhängig von einem Divergenzurteil geltend gemacht werden kann (vgl. zu einer solchen Fallkonstellation: [X.]eschlüsse vom 19. Februar 2010 - 3 [X.] 2.09 - juris Rn. 8 f. und vom 6. April 2009 - 10 [X.] 62.08 - juris Rn. 5).

9

Die Zulassung einer Revision wegen einer nachträglich, nach Ablauf der [X.]eschwerdebegründungsfrist entstandenen Divergenz, kommt daher nur auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO in [X.]etracht. Wie der Senat bereits in seinem [X.]eschluss vom 29. Juni 2015 ausgeführt hat, hätte der Kläger dazu fristgerecht eine Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) erheben müssen, die durch das divergierende Urteil geklärt worden wäre. Dabei geht die Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts im Ansatz davon aus, dass es für die Frage, ob eine Revision wegen Divergenz zuzulassen ist, auf den Zeitpunkt der [X.]eschwerdeentscheidung ankommt ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 16. Juli 1954 - 5 [X.] 45.54 - [X.] 1954, 652 und vom 22. Januar 1960 - 8 [X.] 37.59 - NJW 1960, 594). Das ist insoweit nicht zweifelhaft, als sich die Durchführung eines Revisionsverfahrens nur rechtfertigt, wenn die Divergenz zum Zeitpunkt der [X.]eschwerdeentstehung fortbesteht. Für den Fall, dass ein divergenzfähiges Urteil erst nach dem angefochtenen Urteil ergeht, beantwortet sich daraus allerdings noch nicht, ob und unter welchen Voraussetzungen damit eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründet werden kann. [X.]ereits in seinem [X.]eschluss vom 24. Mai 1965 (3 [X.] 10.65 - [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 49) hat der Senat eine fristgerecht auf eine grundsätzliche [X.]edeutung gestützte Revision wegen Divergenz zugelassen, weil einem [X.]eschwerdeführer kein Nachteil daraus erwachsen dürfe, dass auf Grund eines nach dem Ablauf der [X.]eschwerdefrist ergangenen Urteils des [X.]undesverwaltungsgerichts die zuvor gegebene grundsätzliche [X.]edeutung entfalle, das [X.]erufungsurteil aber (nunmehr) zum Nachteil des [X.]eschwerdeführers davon abweiche. Wurde die [X.]eschwerde mit der Grundsatzrüge frist- und formgerecht begründet, so wäre es auch verfassungsrechtlich bedenklich, die Zulassung der Revision wegen einer nachträglichen Divergenzentscheidung abzulehnen ([X.]VerfG, [X.] vom 23. Juni 2000 - 1 [X.]vR 830/00 - NVwZ 2000, 1163 <1165> m.w.[X.]). Es entspricht der seit dem [X.]eschluss vom 24. Mai 1965 gefestigten Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts, dass sich die Zulassung der Revision wegen einer nachträglichen Divergenz nur unter den genannten Voraussetzungen in [X.]etracht kommt ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 20. März 1985 - 3 [X.] 83.84 - [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 230, vom 7. Januar 1993 - 4 N[X.] 42.92 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 74, vom 9. April 1999 - 9 [X.] 21.99 - juris Rn. 3, vom 8. Juni 2007 - 8 [X.] 101.06 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 15 und vom 21. April 2015 - 4 [X.] 8.15 - juris Rn. 5).

Im Übrigen würde eine Wiedereinsetzung hier auch schon deshalb ausscheiden, weil der Wiedereinsetzungsantrag erst am 31. Juli 2015 und damit nicht innerhalb eines Monats nach Wegfall des geltend gemachten Hindernisses am 12. Januar 2015 gestellt wurde. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass sich der Kläger darauf beruft, er habe die von ihm versäumte Rüge einer Divergenz schon mit seinem Schriftsatz vom 13. Februar 2015 nachgeholt. Falls er damit eine Wiedereinsetzung von Amts wegen in Anspruch nehmen möchte (§ 60 Abs. 2 Satz 3 und 4 VwGO), bezieht er sich auf einen Umstand, der bereits Gegenstand des mit [X.]eschluss vom 29. Juni 2015 abgeschlossenen [X.]eschwerdeverfahrens gewesen ist. Folglich wäre er gehalten gewesen, eine Anhörungsrüge zu erheben, sollte er meinen, der Senat habe sein damaliges Vorbringen insoweit übergangen. Entsprechende Darlegungen fehlen (§ 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO). Ungeachtet dessen käme eine Wiedereinsetzung unverändert nicht in [X.]etracht, weil auch danach die Monatsfrist nicht eingehalten ist. Der Kläger, vertreten durch seine [X.]evollmächtigte, war nach dem Vortrag in seinem Wiedereinsetzungsantrag mit der Übermittlung des zur [X.]egründung einer Divergenz herangezogenen Urteils des Senats vom 1. Oktober 2014 (3 [X.] 31.13 - [X.] 451.500 Landw [X.] Nr. 7) am 12. Januar 2015 in der Lage, die Rüge zu erheben. Er hätte die [X.] nur gewahrt, hätte er die Rüge spätestens im Laufe des 12. Februar 2015 erhoben (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 [X.]G[X.]). Abgesehen davon hätte die Einhaltung dieser Frist ohne weiteres erkennbar sein müssen. In seinem Schriftsatz vom 13. Februar 2015 nimmt der Kläger jedoch lediglich auf die "kürzlich erfolgte Veröffentlichung der Entscheidung" [X.]ezug, auf die "ergänzend vorgetragen" werde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Meta

3 B 70/15, 3 B 70/15 (3 B 46/14)

29.10.2015

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 16. Dezember 2013, Az: OVG 3 B 7.13, Urteil

§ 60 Abs 1 VwGO, § 60 Abs 2 S 1 Halbs 2 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 2 VwGO, § 133 Abs 3 VwGO, § 133 Abs 5 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.10.2015, Az. 3 B 70/15, 3 B 70/15 (3 B 46/14) (REWIS RS 2015, 3097)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3097

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