Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.11.2012, Az. 9 C 13/11

9. Senat | REWIS RS 2012, 1430

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Gegenstand

Flurbereinigungsrechtliches Verfahren; vorläufige Anordnung zur Regelung von Besitz und Nutzungen im Flurbereinigungsgebiet


Leitsatz

1. Die vorläufige Anordnung nach § 36 Abs. 1 FlurbG dient nicht dazu, die mit der Flurbereinigung angestrebten Strukturverbesserungen vorzeitig herbeizuführen. Sie ist vielmehr darauf gerichtet, die Umsetzung der geplanten Strukturverbesserungen vorzubereiten und sicherzustellen, dass der neue Zustand nach der Planausführung oder der vorzeitigen Besitzeinweisung möglichst schnell greifen kann.

2. Kann mit dem Vorausbau des Wegenetzes nach § 42 FlurbG nicht bis zum Flurbereinigungsplan und seiner Ausführung (§§ 61 ff. FlurbG) gewartet werden, ist eine Anordnung nach § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG dringlich, ohne dass über diese Gründe hinausgehende "weitere" dringende Gründe hinzutreten müssten (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

3. Die von § 36 Abs. 1 FlurbG geforderte Prüfung der Erforderlichkeit im Einzelfall hat die jeweils betroffenen Interessen des in seiner Nutzung beschränkten Teilnehmers und der übrigen Teilnehmer zu ermitteln und zu bewerten, und zwar auch und gerade im Hinblick darauf, ob die vorläufige Anordnung bereits im Zeitpunkt ihrer Anordnung "dringlich erforderlich" ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine vorläufige Anordnung der Flurbereinigungsbehörde nach § 36 Abs. 1 Satz 1 FlurbG. Er ist hauptberuflicher Landwirt und - als Rechtsnachfolger seines Vaters und von Frau [X.] in deren der Flurbereinigung unterliegende Grundstücke - Teilnehmer des mit bestandskräftigem Beschluss vom 13. September 2004 angeordneten Regelflurneuordnungsverfahrens Aalen-Beuren.

2

Mit Beschluss vom 11. Juni 2008 ordnete die Flurbereinigungsbehörde auf der Grundlage des am 16. August 2007 genehmigten Wege- und Gewässerplans mit landschaftspflegerischem Begleitplan und der Ausbaukarte vom 29. Oktober 2007 für den vorzeitigen Ausbau der gemeinschaftlichen Anlagen die Entziehung des Besitzes und der Nutzung mehrerer den Rechtsvorgängern des Klägers gehörender Grundstücksflächen zum 1. September 2008 an und wies diese Flächen der Teilnehmergemeinschaft zu; außerdem ordnete die Flurbereinigungsbehörde die sofortige Vollziehbarkeit der vorläufigen Anordnung an.

3

Die hiergegen gerichteten Widersprüche wies das [X.] mit Bescheiden vom 6. und 8. Oktober 2008 zurück. Der [X.] gemeinschaftlicher Anlagen sei "in der Regel aus dringenden Gründen erforderlich". Es seien im vorliegenden Fall keine Anzeichen erkennbar, die ein Abweichen von dieser Regel notwendig machen würden, da der [X.] dem beschleunigten Erreichen des angestrebten [X.] diene. Der Wegfall bewirtschafteter Eigentumsflächen durch den [X.] betrage nur 65 a und damit weniger als 2 % der [X.]. Das liege deutlich unter dem voraussichtlichen Landabzug.

4

Das [X.] hat die hiergegen von den Rechtsvorgängern des Klägers erhobenen und von diesem fortgeführten Klagen mit Urteil vom 9. Dezember 2010 abgewiesen, nachdem es zuvor die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgewiesen hatte. Die vorläufige Anordnung sei hinreichend bestimmt. Zwar sei weder aus dem textlichen Teil der Anordnung noch aus der Ausbaukarte genau ersichtlich, in welchem Umfang Flächen in Anspruch genommen würden. Der Umfang der Inanspruchnahme und die genauen Flurstücksbezeichnungen seien jedoch in den [X.] im Einzelnen aufgeführt. Der [X.] sei auch dringlich und erforderlich. Dies sei dann der Fall, wenn die Flurbereinigungsbehörde aufgrund des [X.] und nach Abwägung aller erheblichen Umstände zu dem Ergebnis kommen dürfe, dass die vorgezogene Besitzregelung schon zu dem in der Anordnung festzusetzenden Zeitpunkt dem - beschleunigten - Erreichen des angestrebten [X.] diene. Diese Voraussetzungen lägen vor. Durch den [X.] könne erreicht werden, dass die Teilnehmer bei der Neuzuteilung auf bereits ausgebauten Wegen zu ihren Grundstücken gelangen könnten und die Abfindungsflurstücke für eine ordnungsgemäße und zweckmäßige Bewirtschaftung vorbereitet seien. Zudem sei der Ausbau in einem Zuge kostengünstiger.

5

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger, Dringlichkeit und Erforderlichkeit der Anordnung seien nicht gegeben. Bei den vom [X.] genannten Gründen handele es sich nicht um dringende Gründe, sondern um allgemeine Zweckmäßigkeitsüberlegungen, die die Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens an sich rechtfertigten. Nach der Rechtsprechung des [X.] müssten zu den allgemeinen Gründen weitere dringende Gründe hinzukommen. Aus den Verwaltungsvorgängen ergebe sich zudem nicht, dass die Voraussetzungen für eine Plangenehmigung vorgelegen hätten. Die vorläufige Anordnung sei nicht hinreichend bestimmt. Der Maßstab der Ausbaukarte von 1:5 000 lasse eine zweifelsfreie Festlegung, welche Teile der Flurstücke des Klägers von den Maßnahmen betroffen seien, nicht zu.

6

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs [X.] - [X.] - vom 9. Dezember 2010 zu ändern und die vorläufige Anordnung des Landratsamtes [X.] vom 11. Juni 2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide des [X.] vom 6. und 8. Oktober 2008 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

8

Der Dringlichkeit stehe nicht entgegen, dass das [X.] einen Obersatz aufgestellt habe, der für nahezu alle ([X.] Gültigkeit habe. Bestandteil der Aussage des Gerichts sei, dass stets eine Prüfung des Einzelfalls zu erfolgen habe. Das [X.] habe auch begründet, warum im konkreten Fall ein ausreichender Dringlichkeitsgrund vorliege. Zu einer tiefer gehenden schriftlichen Begründung sei es nicht verpflichtet gewesen, weil der Kläger im Prozess keine substantiellen Gründe, die gegen den [X.] sprechen könnten, vorgebracht habe. Unabhängig davon sei das Urteil angesichts der mit dem [X.] verbundenen gravierenden Vorteile zutreffend davon ausgegangen, dass er in der Regel dringlich sei.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des [X.] ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 [X.] kann die Flurbereinigungsbehörde eine vorläufige Anordnung erlassen, wenn es aus dringenden Gründen erforderlich wird, vor der Ausführung des Plans oder zur Vorbereitung und zur Durchführung von Änderungen des [X.]s den Besitz oder die Nutzung von Grundstücken oder die Ausübung anderer Rechte zu regeln. Das Flurbereinigungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil das Vorliegen dieser Voraussetzungen bejaht. Das ist nicht in jeder Hinsicht mit Bundesrecht vereinbar.

1. Ohne Rechtsfehler ist das Flurbereinigungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die vorläufige Anordnung nicht schon formell-rechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit unterliegt. Das Bestimmtheitsgebot des mit § 37 Abs. 1 VwVfG seinem Wortlaut nach übereinstimmenden und daher gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO revisiblen § 37 Abs. 1 LVwVfG [X.] verlangt, dass der Adressat in die Lage versetzt wird, zu erkennen, was von ihm gefordert wird; zudem muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (vgl. Urteile vom 15. Februar 1990 - BVerwG 4 [X.] 41.87 - BVerwGE 84, 335 <338>, vom 18. April 1997 - BVerwG 8 [X.] 43.95 - BVerwGE 104, 301 <317 f.> = [X.] 401.0 § 191 AO Nr. 7 S. 13 f. und vom 27. Juni 2012 - BVerwG 9 [X.] 7.11 - juris Rn. 15).

Diesen Anforderungen ist durch die die zeichnerischen Darstellungen in der [X.] ergänzenden textlichen Angaben im Widerspruchsbescheid, welche Flurstücke des [X.] für welche Maßnahmen in welchem Umfang in Anspruch genommen werden, Genüge getan worden. Durch die Auflistung der in Anspruch zu nehmenden Flurstücke im Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2008 hat der Beklagte die Grundflächen, hinsichtlich derer Besitz und Nutzungen teilweise entzogen werden, [X.] bezeichnet. Auch der Umfang der Inanspruchnahme der Flurstücke ist hinreichend konkretisiert. Aufgrund der metergenauen Angaben über die jeweilige Länge der Wege und der Angaben über die Breite der sonstigen Maßnahmen im Widerspruchsbescheid sowie der Festlegung der Fahrbahnbreite der Wege in der [X.] kann die in Anspruch genommene Fläche für jedes Flurstück ohne Weiteres errechnet werden. Die Lage der Wege lässt sich - zumal für einen mit den örtlichen Verhältnissen Vertrauten - der [X.] und den textlichen Beschreibungen im Widerspruchsbescheid mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Dass die [X.] dem Verwaltungsakt nicht beigefügt war, ist unerheblich. Die Karte war dem Kläger als Vorstandsmitglied der [X.] bekannt und die Übersendung einer Abschrift ist ihm vom Beklagten ausdrücklich angeboten worden. Die von dem Kläger zitierte obergerichtliche Rechtsprechung, die Kartenmaßstäbe von 1:5 000 als bedenklich oder nicht ausreichend ansieht, betrifft andere Fallkonstellationen, die für die Beurteilung des vorliegenden Falls nichts hergeben.

2. Das Flurbereinigungsgericht ist auch ohne Verstoß gegen Bundesrecht zu der Auffassung gelangt, dass der Wege- und [X.] ohne vorherige Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens durch eine Plangenehmigung der oberen Flurbereinigungsbehörde nach § 41 Abs. 4 Satz 1 [X.] festgestellt werden konnte und die Genehmigungsvoraussetzungen vorlagen. Nach § 42 Abs. 1 Satz 2 [X.] darf der [X.] gemeinschaftlicher Anlagen nur vorgenommen werden, soweit der Wege- und [X.] mit landschaftspflegerischem Begleitplan festgestellt ist. Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 [X.] kann die Planfeststellung durch eine Plangenehmigung ersetzt werden, wenn mit Einwendungen nicht zu rechnen ist oder Einwendungen nicht erhoben oder nachträglich ausgeräumt werden. Die Plangenehmigung kann auch beim [X.] an die Stelle der Planfeststellung treten (Urteil vom 6. Februar 1986 - BVerwG 5 [X.] 40.84 - BVerwGE 74, 1 <3 f.>). Ohne Erfolg rügt der Kläger, es sei nicht erkennbar, dass die Voraussetzungen des § 41 Abs. 4 Satz 1 [X.] für eine Plangenehmigung vorgelegen hätten. Aus der vom Beklagten beim Flurbereinigungsgericht vorgelegten Niederschrift über die Termine zur Aufstellung der allgemeinen Grundsätze für die Neugestaltung des [X.] und zur Erörterung des Entwurfs eines Wege- und [X.]s mit landschaftspflegerischem Begleitplan vom 24. April 2007 geht hervor, dass von den Einwendungsberechtigten keine Einwendungen gegen den Plan erhoben wurden. Soweit hinsichtlich eines Widerspruchs eines Eigentümers eines außerhalb des [X.] liegenden Waldgrundstücks einer Änderung des [X.] von mehreren Einwendungsberechtigten widersprochen wurde, führt dies zu keinem anderen Ergebnis (zum Kreis der Einwendungsberechtigten vgl. Urteil vom 6. Februar 1986 a.a.[X.] ff.; [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl. 2008, § 41 Rn. 22). Die zur Beilegung des Widerspruchs vorgeschlagene Änderung einer Wegeführung hat keinen Eingang in den Wege- und [X.] gefunden. Im Übrigen sind die am Termin Beteiligten davon ausgegangen, dass eine einvernehmliche Lösung für den Widerspruch gefunden werden kann.

3. Die Auffassung des [X.], der [X.] sei als dringlich und erforderlich im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 [X.] anzusehen, steht dagegen nicht in jeder Hinsicht mit Bundesrecht in Einklang.

a) Die vorläufige Anordnung nach § 36 Abs. 1 [X.] ist eine den [X.] und dessen Ausführung vorbereitende Maßnahme. Sie dient dazu, den Übergang in den durch die Flurbereinigung angestrebten neuen Zustand vorzubereiten und zu sichern sowie die Aufstellung des Plans und die Durchführung des Verfahrens zu erleichtern und zu beschleunigen; insoweit muss mit der Realisierung von Maßnahmen nicht bis zur Aufstellung des [X.]s und seiner Ausführung gewartet werden (Beschlüsse vom 6. März 1961 - BVerwG 1 [X.] - [X.] 424.01 § 36 [X.] Nr. 2 S. 4 und vom 25. Januar 2007 - BVerwG 10 B 42.06 - [X.] 424.01 § 36 [X.] Nr. 9 Rn. 4). Die vorläufige Anordnung dient nicht dazu, die mit der Flurbereinigung angestrebten Strukturverbesserungen vorzeitig herbeizuführen und damit die Vorteile, die mit der Flurbereinigung verbunden sind, schon vorzeitig für die Teilnehmer wirksam werden zu lassen. Sie ist vielmehr darauf gerichtet, die Umsetzung der geplanten Strukturverbesserungen vorzubereiten und sicherzustellen, dass der neue Zustand nach der Planausführung oder der vorzeitigen Besitzeinweisung möglichst schnell greifen kann und den Teilnehmern keine Bewirtschaftungshindernisse entstehen, sondern sie die Strukturverbesserungen ohne Zeitverzug nutzen können. Zu diesem Zweck ermöglicht sie, Besitz oder Nutzungen von Grundstücken oder die Ausübung anderer Rechte zeitweilig zu entziehen oder in anderer Weise zu regeln.

Ebenso wie die vorläufige Anordnung ist der Wege- und [X.] nach § 41 [X.] auf die Zukunft ausgerichtet. Er bildet im Rahmen des abschnittsweise durchgeführten Flurbereinigungsverfahrens das "Gerippe" für die erst noch vorzunehmende Neuordnung im Verfahrensgebiet (Urteil vom 6. Februar 1986 a.a.[X.]). Er hat für die angestrebte Neuordnung vorbereitende Funktion und wird zu einem Zeitpunkt festgestellt, in dem die konkrete Zuordnung der Grundstücksflächen, auf die er sich auswirkt, noch nicht feststeht. Zur beschleunigten Umsetzung dieses für das gesamte weitere Verfahren grundlegenden Plans hat der Gesetzgeber den [X.] der gemeinschaftlichen Anlagen in § 42 Abs. 1 Satz 2 [X.] zugelassen. Mit dem vorgezogenen Ausbau insbesondere des [X.] wird sichergestellt, dass den Teilnehmern schon vor der Ausführung des [X.]s und damit zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt, als wenn der Ausbau erst nach Erlass der Ausführungsanordnung (§ 61 [X.]) erfolgen würde, das neue Wegenetz zur Verfügung steht und damit die [X.] vermieden werden, die entstünden, wenn die neuen Wege im neuen Bestand gebaut werden müssten. Auch für eine vorläufige Besitzeinweisung in die neuen Grundstücke (§ 65 [X.]) ist der [X.] des [X.] vielfach eine unverzichtbare Voraussetzung.

Die Gleichgerichtetheit des mit dem [X.] nach § 42 Abs. 1 Satz 2 [X.] und der vorläufigen Anordnung nach § 36 Abs. 1 [X.] verfolgten Gesetzeszwecks bedeutet nicht, dass der [X.] einer gemeinschaftlichen Anlage in jedem Fall, gewissermaßen automatisch, zum Erlass einer Anordnung nach § 36 Abs. 1 [X.] berechtigen würde. In   d i e s e m   Sinne sind, wie im Beschluss des [X.] vom 6. Februar 1958 - BVerwG 1 [X.] - ([X.] 424.01 § 36 [X.] Nr. 1) formuliert wurde, vielmehr "weitere dringende" Gründe für die Anordnung nach § 36 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderlich. Es bedarf daher zur Beurteilung der Frage, ob der beabsichtigte [X.] eines Weges den Erlass einer vorläufigen Anordnung rechtfertigt, einer Feststellung der dringenden Gründe im Einzelfall. Dies schließt es nicht aus, dass diese Einzelfallprüfung angesichts des mit dem [X.] und der vorläufigen Anordnung gleichermaßen angestrebten Vorbereitungs- und Sicherungszwecks hinsichtlich des künftigen Zustandes in vielen Fällen zu dem Ergebnis kommen wird, dass die für den [X.] sprechenden Gründe auch unter Berücksichtigung der Interessen der sich gegen den [X.] wehrenden Teilnehmer den Erlass einer die Besitz-, Nutzungs- oder sonstigen Rechtsverhältnisse regelnden vorläufigen Anordnung rechtfertigen. Wenn im Ergebnis dieser Prüfung mit dem [X.] nicht bis zum [X.] und seiner Ausführung (§§ 61 ff. [X.]) gewartet werden kann, ist eine Anordnung nach § 36 Abs. 1 Satz 1 [X.] gerechtfertigt, ohne dass noch über diese Gründe hinausgehende "weitere" dringende Gründe hinzutreten müssten. Unerheblich ist ferner, dass - wie der Beklagte einräumt - nach diesem Maßstab dringende Gründe für den [X.] in [X.] regelmäßig vorliegen werden. § 36 Abs. 1 Satz 1 [X.] beschränkt seinem Wortlaut und seinem Sinn und Zweck nach vorläufige Anordnungen nicht auf atypische Fälle. Soweit aus dem Beschluss vom 6. Februar 1958 (a.a.[X.]) zur Frage der im Rahmen des § 36 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderlichen "weiteren" dringenden Gründe etwas anderes folgt, wird hieran nicht festgehalten.

Dieses Ergebnis wird durch die Gesetzessystematik bestätigt. § 42 [X.] steht im Ersten Abschnitt des [X.] des [X.]es, ("Gemeinschaftliche und öffentliche Anlagen"). § 36 [X.] steht dagegen im Fünften Abschnitt des [X.] unter der Überschrift "Zeitweilige Einschränkungen des Eigentums". Der sachliche Inhalt einer auf § 36 Abs. 1 [X.] gestützten vorläufigen Anordnung ist nicht auf den [X.] beschränkt oder auch nur speziell auf ihn ausgerichtet. Gegenstand einer vorläufigen Anordnung können vielmehr alle nach § 37 Abs. 1 [X.] zulässigen und zweckerforderlichen Maßnahmen sein (vgl. Urteil vom 21. Januar 1988 - BVerwG 5 [X.] 5.84 - BVerwGE 79, 9 <10 f.>). Für die vom Gesetzgeber - anders als der [X.] - nicht generell zur vorzeitigen Durchführung vorgesehenen Maßnahmen behalten die besonderen Dringlichkeitsvoraussetzungen des § 36 Abs. 1 [X.] ihren Sinn, auch wenn für den [X.] keine über die allgemein für einen [X.] sprechenden Gründe hinausgehenden weiteren [X.] verlangt werden.

Dass § 36 Abs. 1 [X.] im Falle des [X.]s des [X.] nicht zwingend "weitere" [X.] verlangt, bedeutet - wie bereits ausgeführt - keine Automatik in dem Sinne, dass auf eine Prüfung des Einzelfalls verzichtet werden könnte. Eine die Beweislast umkehrende tatsächliche Vermutung, dass in jedem (Regel-)Flurbereinigungsverfahren ein [X.] dringend erforderlich ist, existiert weder nach den Feststellungen des [X.] noch nach den Ausführungen des Beklagten in der Revisionserwiderung. Die vorzunehmende Einzelfallprüfung hat die jeweils betroffenen Interessen des in seiner Nutzung beschränkten Teilnehmers und der übrigen Teilnehmer zu ermitteln und zu bewerten, und zwar auch und gerade im Hinblick darauf, ob die vorläufige Anordnung bereits im Zeitpunkt ihrer Anordnung "dringlich erforderlich" ist. Zu einer solchen Prüfung in Bezug auf den Zeitpunkt und die Zeitdauer der vorläufigen Anordnung besteht deswegen besonderer Anlass, weil sich die mit einer vorläufigen Anordnung verbundenen Besitz- und Nutzungseinschränkungen vor dem Hintergrund der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG und der bis zu dem im Ausführungsbeschluss benannten Zeitpunkt nicht veränderten Eigentumslage in angemessenen zeitlichen Grenzen halten müssen (vgl. bereits Beschluss vom 6. März 1961 - BVerwG 1 [X.] - [X.] § 36 [X.] Nr. 2 S. 3). Damit nicht vereinbar ist es, wenn die Besitzentziehung bereits zu einem Zeitpunkt angeordnet wird, zu dem die Ausführung des Wegebaus noch nicht konkret absehbar ist, etwa weil die Bauaufträge noch nicht vergeben sind oder die Finanzierung nicht gesichert ist oder der Ausbau abschnittsweise vorgesehen ist, die Grundstücke des betroffenen Teilnehmers aber erst in einem später auszubauenden Abschnitt liegen. Mit Blick auf den Zweck der vorläufigen Anordnung, den Übergang in den durch die Flurbereinigung angestrebten neuen Zustand vorzubereiten, zu erleichtern und zu beschleunigen, ist unter Abwägung der oben genannten Interessen auch zu bewerten, wann die Anordnung - im Laufe des [X.] - erforderlich wird. Dabei wiegen die durch die Einschränkungen des Besitzes und der Nutzungen hervorgerufenen zeitweiligen [X.] umso schwerer, je länger die absehbare Dauer der Beschränkung bis zum Eintritt des neuen Rechtszustandes ist.

b) Diesen an die Prüfung der Dringlichkeit und Erforderlichkeit in § 36 Abs. 1 Satz 1 [X.] zu stellenden Anforderungen wird das angegriffene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

Die Auffassung des [X.], ein [X.] sei als dringlich und erforderlich anzusehen, wenn die Flurbereinigungsbehörde aufgrund des [X.] und nach Abwägung aller erheblichen Umstände zu dem Ergebnis komme, dass die vorgezogene Besitzregelung schon zu dem in der Anordnung festzusetzenden Zeitpunkt dem - beschleunigten - Erreichen des angestrebten [X.] diene, ist allerdings nicht schon deswegen zu beanstanden, weil sich der Hinweis auf die mit der Anordnung verfolgte Beschleunigung des [X.] dahin verstehen lässt, als dringender Grund genüge bereits die Verbesserung der Bewirtschaftungsmöglichkeiten im alten Bestand. Ein solches Verständnis der Dringlichkeit und Erforderlichkeit wäre mit dem Ziel des § 36 [X.], die mit der Schaffung des neuen Bestandes angestrebten Strukturverbesserungen im Interesse der Teilnehmer vorzubereiten und damit die mit jeder Neuordnung verbundenen zeitweisen Einschränkungen des Besitzes und der Nutzung des Bodens zu mindern, nicht vereinbar. Die Ausführungen des [X.] in seiner anschließenden Prüfung zeigen allerdings, dass das Gericht der Sache nach davon ausgeht, dass die Anordnung des [X.]s des [X.] die Vorbereitung und Sicherung des neuen Zustandes im Interesse der [X.] zum Ziel haben muss. Das Flurbereinigungsgericht stellt nicht darauf ab, dass die neu anzulegenden Wege dazu dienen, die vorhandenen Grundstücke besser erreichbar zu machen und damit schon im alten Bestand Produktionsverbesserungen zu erzielen, sondern darauf, dass die Teilnehmer bei der Neuzuteilung auf bereits gebauten Wegen zu ihren Grundstücken gelangen können und die Abfindungsflurstücke für eine ordnungsgemäße und zweckmäßige Bewirtschaftung vorbereitet sind.

Zutreffend hat das Flurbereinigungsgericht ferner die flächenmäßige Belastung, die die vorläufige Anordnung für den Kläger voraussichtlich mit sich bringt, ermittelt und gewürdigt. Es hat insbesondere den für den [X.] vorgesehenen Gesamtflächenentzug berücksichtigt und zusätzlich mit dem Vertreter des [X.] in der mündlichen Verhandlung die zu erwartenden Bewirtschaftungserschwernisse auf den einzelnen Grundstücken erörtert.

Als mit den Vorgaben des § 36 Abs. 1 [X.] nicht vereinbar erweist sich allerdings, dass das Gericht keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob die Durchführung des [X.]s bereits im Zeitpunkt seiner Anordnung nach dem damaligen Verfahrensstand des Flurbereinigungsverfahrens notwendig war, um sicherzustellen, dass die mit der Neuordnung beabsichtigten Strukturverbesserungen nach Abschluss des Verfahrens greifen können. Die Formulierung im angegriffenen Urteil, die Frage der Dringlichkeit und Erforderlichkeit sei aufgrund des [X.] zu beurteilen, ersetzt tatsächliche Feststellungen in diesem Punkt nicht, sondern erschöpft sich in der Wiedergabe eines abstrakten Obersatzes. Dem angegriffenen Urteil lassen sich auch keine Angaben oder Hinweise entnehmen, die eine Beurteilung der zeitlichen Abläufe des konkreten Verfahrens zuließen. Auch in dem vom Kläger angestrengten Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes finden sich insoweit keine Ausführungen in der gerichtlichen Entscheidung. Soweit das Flurbereinigungsgericht keine Anhaltspunkte dafür gefunden hat, dass der für den [X.] benötigte Flächenentzug den Kläger unzumutbar belastet, betrifft dies nur die Belastung des [X.] im Verhältnis zur Belastung aller Teilnehmer, aber nicht die Frage, ob der [X.] unter Berücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen in dem hier maßgebenden Zeitpunkt erforderlich war.

Die Sache ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Flurbereinigungsgericht zurückzuverweisen. Einer solchen Zurückverweisung steht nicht entgegen, dass bei der Beantwortung der Frage, ob der [X.] dringlich und erforderlich ist, eine umfassende Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen der vom [X.] Betroffenen und der [X.] zu treffen ist. Die Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 Abs. 1 [X.] vorliegen, unterliegt voller gerichtlicher Kontrolle. Weder seiner Normstruktur nach noch hinsichtlich der Komplexität des normierten [X.] weist § 36 Abs. 1 [X.] Besonderheiten auf, die es rechtfertigten könnten, die Pflicht zur gerichtlichen Überprüfung einzuschränken (vgl. zu einem solchen Fall Urteil vom 28. November 2007 - BVerwG 6 [X.] 42.06 - BVerwGE 130, 39 Rn. 29).

Meta

9 C 13/11

14.11.2012

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 9. Dezember 2010, Az: 7 S 2965/08, Urteil

§ 36 Abs 1 FlurbG, § 41 Abs 4 FlurbG, § 42 Abs 1 FlurbG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.11.2012, Az. 9 C 13/11 (REWIS RS 2012, 1430)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1430

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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