Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.12.2011, Az. 3 BN 1/11

3. Senat | REWIS RS 2011, 5

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Gegenstand

Verordnung über Jagdzeiten für Schalenwild; Normenkontrolle; Antragsbefugnis; subjektiv-öffentliches Recht auf Schutz vor Wildschäden


Gründe

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen die Verordnung der Regierung von [X.] über die Änderung der Jagdzeiten für Schalenwild in Sanierungsgebieten im Regierungsbezirk [X.] vom 9. Dezember 2008 ([X.]. [X.] vom 30. Dezember 2008 S. 192). Der Antragsteller ist Miteigentümer von Waldflächen im Gemeindegebiet von [X.] ([X.]), die zum Eigenjagdrevier "[X.]-Wengwies, [X.]" gehören; zudem ist er Jagdausübungsberechtigter in diesem Revier. Die angegriffene Rechtsverordnung bestimmt, dass in näher bezeichneten Sanierungs- und Gefährdungsgebieten die Jagd auf Rot-, Gams- und Rehwild abweichend von den gesetzlichen Schonzeiten ausgeübt werden darf. Eine vergleichbare Regelung galt bereits vom 15. Februar 2000 bis 1. August 2002 und vom 8. März 2003 bis zum 1. August 2008. Die [X.] des Antragstellers sind vom nächstgelegenen Geltungsbereich der Verordnung - dem Sanierungsgebiet "[X.]" - durch ein weiteres Jagdrevier getrennt. Die geringste Entfernung zwischen dem Eigenjagdrevier des Antragstellers und dem Sanierungsgebiet beträgt einen Kilometer (Luftlinie), wobei zwischen beiden ein 1 318 m hoher Bergrücken verläuft. Der Antragsteller sieht sich durch die Verordnung in seinem Eigentumsgrundrecht und in seinem Jagdausübungsrecht verletzt. Im Normenkontrollverfahren hat er insbesondere geltend gemacht, infolge der Schonzeitverkürzung sei in seinem Eigenjagdrevier seit Jahren eine Erhöhung des [X.] festzustellen, die auf eine gezielte Vergrämung des von der Verordnung erfassten [X.] zurückzuführen sei. Aufgrund des erhöhten [X.] sei ein verstärkter Verbiss auf seinen Waldflächen zu beobachten, was wiederum einen erhöhten waldbaulichen [X.] und Jagdausübungsaufwand zur Folge habe. Die Waldstruktur und -qualität würden nachteilig verändert. Im Hinblick auf seinen forstwirtschaftlichen Betrieb sei er auch in seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb tangiert. Als extensiv wirtschaftender Betrieb sei er auf die Unversehrtheit des ökologischen Gleichgewichts, einen relevanten [X.]bestand und relativ geringe Verbissraten angewiesen. Der Antragsteller hält die Rechtsverordnung für ungültig, weil sie von der Ermächtigungsgrundlage in Art. 33 Abs. 3 Nr. 1 des [X.] nicht gedeckt sei und gegen Verfassungs- sowie Europarecht verstoße. Er hat beantragt, die Verordnung für ungültig zu erklären, hilfsweise sie für ungültig zu erklären, soweit sie das Sanierungsgebiet "[X.]" zum Gegenstand habe. Mit Beschluss vom 7. Oktober 2010 hat der Verwaltungsgerichtshof den Normenkontrollantrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Antrag sei mangels hinreichend dargelegter Antragsbefugnis sowohl im Haupt- als auch im Hilfsbegehren unzulässig. Der Antragsteller habe weder substantiiert dargelegt, dass vergrämtes [X.] aus dem Sanierungsgebiet auf seine Waldflächen gelange, noch habe er substantiiert eine erhöhte Schädigung seines Waldbestandes durch vermehrten Verbiss aufgezeigt. Dasselbe gelte, soweit er einen höheren Aufwand bei der Waldbewirtschaftung, erhöhte [X.] sowie einen erhöhten Jagdaufwand infolge veränderten Tierverhaltens und einer schwierigeren Bejagbarkeit vergrämten [X.]es geltend mache.

2

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat Erfolg. Es liegt ein von dem Antragsteller geltend gemachter Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem der angegriffene Beschluss beruhen kann. Die Beschwerde rügt jedenfalls zu Recht, dass der Verwaltungsgerichtshof die prozessualen Anforderungen an das [X.] einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt hat und deshalb verfahrensfehlerhaft vom Fehlen der Antragsbefugnis ausgegangen ist.

3

Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist zu bejahen, wenn der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in einer eigenen Rechtsposition verletzt wird. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind keine höheren Anforderungen zu stellen als nach § 42 Abs. 2 VwGO. Die Antragsbefugnis fehlt daher nur dann, wenn unter Zugrundelegung des Antragsvorbringens Rechte des Antragstellers offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein können (stRspr, vgl. Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <217 ff.>; Beschlüsse vom 2. März 2005 - BVerwG 6 [X.] 7.04 - juris Rn. 6 und vom 8. Juni 2011 - BVerwG 4 [X.] 42.10 - BauR 2011, 1641). Gemessen hieran hat der Verwaltungsgerichtshof einen zu strengen Maßstab an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung des Antragstellers angelegt.

4

Er hat die Anforderungen an die Antragsbefugnis überzogen, indem er die Möglichkeit einer Rechtsverletzung des Antragstellers auch verneint hat, soweit dieser eine Schädigung seines Waldbestandes durch erhöhten [X.]verbiss geltend macht. Es entspricht der Rechtsprechung des [X.], dass Waldeigentümern im Lichte von Art. 14 Abs. 1 GG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Schutz vor [X.]schäden zukommt. Namentlich muss der Waldeigentümer nicht tatenlos zusehen, dass der Bestand seines Eigentums durch ständig zunehmenden [X.]verbiss entzogen wird (vgl. Urteil vom 30. März 1995 - BVerwG 3 C 8.94 - BVerwGE 98, 118 <121 ff.>; siehe auch [X.], Urteil vom 22. Mai 1984 - 3 ZR 18/83 - [X.]Z 91, 243). Ausdruck dessen ist, dass nach § 1 Abs. 2 Satz 2 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) [X.] so durchgeführt werden muss, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen forstwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere [X.]schäden, möglichst vermieden werden. Das betrifft gerade auch die Regelungen über den Abschuss des [X.]es und die Festlegung der Jagdzeiten, vgl. § 21 Abs. 1 Satz 1, § 22 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 BJagdG. Ausgehend davon kann eine Verletzung der Rechte des Antragstellers durch die angegriffene Verordnung nicht von vornherein offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen werden. Die Waldflächen des Antragstellers liegen zwar nicht im Geltungsbereich der Verordnung, so dass er durch deren Rechtsvorschriften oder deren Anwendung nicht unmittelbar betroffen wird. Der Antragsteller hat aber eine mittelbare Betroffenheit in seinen geschützten Interessen nach Art. 14 Abs. 1 GG hinreichend substantiiert dargetan, indem er plausibel vorgetragen hat, dass aufgrund der räumlichen Nähe seiner Waldflächen zu Gebieten, die von der Verordnung erfasst werden, nachteilige Auswirkungen für sein Waldeigentum nicht auszuschließen sind. Er hat unter Bezugnahme auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners über den Erlass der aktuellen und der beiden vorangehenden Verordnungen dargelegt, dass die darin geregelte Aufhebung der Schonzeit darauf zielt, durch eine konzentrierte und wiederkehrende punktuelle Bejagung das Schalenwild aus den Sanierungs- und Gefährdungsgebieten fernzuhalten (zu vergrämen). Der Antragsteller hat des Weiteren unter Verweis auf Telemetriestudien über die [X.] die Möglichkeit aufgezeigt, dass [X.] aus dem von der Verordnung erfassten Sanierungsgebiet "[X.]" auf das Waldgebiet des Antragstellers wandert. Dass diese Wanderbewegung aufgrund des zwischen dem Sanierungsgebiet und den Waldflächen des Antragstellers liegenden 1 318 m hohen Bergrückens zwingend auszuschließen wäre, ist nach dem Vorbringen des Antragstellers zur Begründung seines Normenkontrollantrags und dem aktenkundigen Kartenmaterial nicht ersichtlich. Schließlich hat der Antragsteller einen deutlichen Anstieg der [X.] für sein Eigenjagdrevier seit dem [X.] dargelegt sowie unter Vorlage forstlicher Gutachten substantiiert geltend gemacht, dass die [X.] durch Schalenwild in der [X.] ab dem [X.] deutlich zugenommen hat (vgl. [X.]. 225 f., 229 f. der [X.], wo ausdrücklich auch das Revier [X.]-Wengwies benannt wird). Soweit der Verwaltungsgerichtshof verlangt, dass der Antragsteller konkret belegt, ob und in welchem Umfang [X.] aus den Sanierungsgebieten auf seine Waldflächen gelangt, stellt er damit zu strenge Anforderungen an die Darlegung der Antragsbefugnis; denn es genügt, dass die vom Antragsteller geltend gemachte [X.]wanderung nach seinem Vortrag nicht lediglich entfernt ("theoretisch"), sondern ernstlich möglich ist.

5

Der angegriffene Beschluss beruht auch im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf dem Verfahrensfehler, obwohl der Verwaltungsgerichtshof ergänzend ausgeführt hat, ein Anspruch auf Aufrechterhaltung einer in der Natur vorgefundenen Lage und etwaiger daraus resultierender Gebrauchs- und Nutzungsvorteile bestehe nicht. Schon die einleitende Formulierung dieser Passage (S. 9 Absatz 3 der Beschlussgründe) verdeutlicht ("ist darauf hinzuweisen"), dass diesen ergänzenden Bemerkungen keine entscheidungstragende Funktion beigemessen werden soll. Zwar zielen diese Ausführungen fraglos darauf, den geltend gemachten Anspruch aus materiell-rechtlichen Gründen in Zweifel zu ziehen; eine Subsumtion des konkreten Sachverhalts unter den vom [X.] übernommenen abstrakten Rechtssatz nimmt der Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht vor. Da aber gerade die Übertragbarkeit dieses Rechtssatzes auf den hier geltend gemachten Eingriff aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen diskussionswürdig ist, kann die bloße Wiederholung des bereits im gerichtlichen Schreiben vom 11. Mai 2010 gegebenen Hinweises nicht als endgültige Verneinung einer Verletzung von Rechten des Antragstellers aufgefasst werden. Ein solches Verständnis stünde auch in einem unauflösbaren Widerspruch zu der dann sinnlosen Aufforderung zur weiteren Substantiierung der Beschwer.

6

Der Senat nimmt den Verfahrensfehler zum Anlass, den angegriffenen Beschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die von dem Antragsteller neben der Verfahrensrüge erhobene Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) rechtfertigt die Durchführung eines Revisionsverfahrens bereits deshalb nicht, weil sich die von der Beschwerde im Zusammenhang mit der Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO aufgeworfenen Fragen angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht (mehr) stellen. Da sonstige Einwände gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags nicht ersichtlich sind, muss es dem Verwaltungsgerichtshof überlassen bleiben, das angegriffene Landesrecht auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Meta

3 BN 1/11

29.12.2011

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 7. Oktober 2010, Az: 19 N 09.3102, Beschluss

§ 47 Abs 2 S 1 VwGO, § 42 Abs 2 VwGO, § 1 Abs 2 S 2 BJagdG, Art 33 Abs 3 Nr 1 JagdG BY, Art 14 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.12.2011, Az. 3 BN 1/11 (REWIS RS 2011, 5)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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19 N 15.420

19 N 14.1022

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