Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.07.2013, Az. 2 StR 195/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 4254

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 [X.]/12
vom
10. Juli 2013

[X.]St:

ja
[X.]R:

ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
------------------------------

[X.] §§
243 Abs.
4, 273 Abs.
1a Satz
2, 344 Abs.
2 Satz
2
1. Die Grundsätze zur Unzulässigkeit einer bloßen Protokollrüge gelten nicht, wenn ein Verfahrensfehler behauptet wird, der in [X.] darin besteht, dass das [X.] den Inhalt außerhalb der Verhandlung geführter [X.] nicht wiedergibt. Insoweit hat der Gesetzgeber eine Sonder-regelung getroffen.
2. Eine entgegen §
273 Abs.
1a [X.] fehlende oder inhaltlich unzureichende Doku-mentation von außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprä-chen im Sinne von § 243 Abs.
4
[X.] führt in der Regel dazu, dass das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen ist.
[X.], Urteil vom 10. Juli 2013

2 [X.]/12

LG Koblenz
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Betrugs u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung
vom 3.
Juli 2013 in der Sitzung am 10.
Juli 2013, an denen
teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],

[X.] beim Bundesgerichtshof

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger,

der Angeklagte

T.

in der Verhandlung in Person,

Justizangestellte

in der Verhandlung,
Justizangestellte

bei der Verkündung

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6.
September 2011 mit den Feststellungen aufge-hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, Gründungschwindels in zwei Fällen, Bankrotts in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit falscher Versicherung an Eides statt, und wegen Gläubigerbegünstigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachbeschwerde und Verfahrensrügen. Das Rechtsmittel hat mit einer Ver-fahrensrüge Erfolg, so dass es auf die weiteren [X.] nicht mehr ankommt.
I.
Dem Urteil ist eine Verständigung im Sinne von §
257c Abs.
3 [X.] vo-rangegangen. Im Protokoll der Hauptverhandlung ist ausgeführt:
1
2
-
4
-
"Der Vorsitzende gab bekannt, dass in der Verhandlungspause
ei-ne tatsächliche Verständigung nach §
257c
[X.] erörtert worden ist. Das Gericht hat für den Fall eines Geständnisses eine Straf-obergrenze von drei Jahren und eine Strafuntergrenze von zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe in Aussicht ge-stel

Die Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten zu.
Die Hauptverhandlung wurde von 12.40 Uhr bis 12.46 Uhr unter-brochen.
Der Angeklagte und der Vert

Der Beschwerdeführer macht dazu geltend, die "formellen Anforderun-gen an eine Verständigung"
seien nicht eingehalten worden, "da insbesondere die erforderlichen Protokollierungsanforderungen nicht beachtet"
worden seien. Er trägt vor, anhand des Protokolls müssten zumindest die Fragen beantwortet werden können, von wem die Initiative zur Verständigung ausgegangen sei, ob alle Verfahrensbeteiligten an dem Gespräch beteiligt gewesen und von wel-chem Sachverhalt sie ausgegangen seien, ferner welche Vorstellungen sie vom Ergebnis der Verständigung gehabt hätten. Das Protokoll besage nichts dar-über.
II.
Diese Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
1. Das Vorbringen unterliegt der Auslegung. Soweit der [X.] Ausführungen im Protokoll zur Mitteilung des Inhalts von Gesprächen mit dem Ziel einer Verständigung vermisst, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt worden waren, geht es der Sache nach um die Nichtbeachtung der §§
243 Abs.
4 Satz
2, 273 Abs.
1a Satz
2 [X.].
3
4
5
-
5
-
Nach dem Rechtsgedanken des §
300 [X.], der auf die Auslegung von Verfahrensrügen entsprechend angewendet wird (vgl. [X.], Urteil vom 25.
Januar 2005

2 BvR 656/99 u.a., [X.]E 112, 185, 211), schadet es nicht, dass der Beschwerdeführer nur auf §
257c [X.] verweist, denn die Re-gelungen der §§
243 Abs.
4 Satz
2, 273 Abs.
1a Satz
2 [X.] betreffen das Verfahren auf dem Weg zu einer Verständigung im Sinne von §
257c Abs.
3 [X.]. Insoweit ist die Angriffsrichtung des Rügevorbringens eindeutig erkenn-bar.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers genügt den Darlegungsanforde-rungen des §
344 Abs.
2 Satz
2 [X.]. Zwar ist eine Verfahrensrüge im [X.] unzulässig, wenn sich dem [X.] nicht die bestimmte Behauptung entnehmen lässt, dass ein Verfahrensfehler vorliegt, sondern nur, dass er sich aus dem Protokoll ergebe (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 13.
Juli 2011

4 [X.], [X.], 73). Dies kann aber ausnahmsweise dann nicht gelten, wenn ein Verfahrensfehler behauptet wird, der in [X.] ge-rade darin besteht, dass das Protokoll den Inhalt der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführt wurden, nicht mitteilt. Denn dazu hat der Gesetzgeber eine Sonderregelung getroffen.
Die Herstellung von Transparenz und die Dokumentation aller mit dem Ziel der Verständigung geführten Erörterungen entsprechen dem Sinn und Zweck des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren ([X.], [X.]. [X.], [X.]; Regierungsentwurf in BT-Drucks. 16/12310). Sie sind Elemente eines einheitlichen Konzepts (vgl. [X.], Urteil vom 19.
März 2013

2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1067 f., [X.]. 96 f.). Die Einheitlichkeit dieses Regelungskonzepts hat auch Auswirkungen auf die Darlegungspflichten eines Revisionsführers gemäß §
344 Abs.
2 Satz
2 [X.]. Sein Vorbringen genügt, wenn Gespräche außerhalb
der Hauptverhandlung 6
7
8
-
6
-
geführt wurden und eine Mitteilung des Vorsitzenden über deren wesentlichen Inhalt entweder tatsächlich nicht erfolgt ist oder jedenfalls nicht im Protokoll do-kumentiert wurde, bereits dann den Anforderungen an eine hinreichend sub-stantiierte Verfahrensrüge, wenn er nur auf das Fehlen einer Dokumentation hinweist. Denn ein Protokoll, das alleine die Tatsache einer außerhalb der Hauptverhandlung geführten Erörterung oder nur deren Ergebnis mitteilt, ist fehlerhaft, und schon dieser Verfahrensfehler kann erhebliche Auswirkungen auf das Prozessverhalten des Angeklagten entfalten (s. unten [X.]). Mittei-lungs-
und Dokumentationsmängel im Hinblick auf die Anforderungen an das Verständigungsverfahren aus den §§
243 Abs.
4, 273 Abs.
1a [X.] sind dann aber auch im Sinne der [X.] nach §
344 Abs.
2 Satz
2 [X.] gleich zu behandeln.
2. Es liegt ein Verfahrensfehler vor, auf dem das Urteil beruht.
a) Nach §
243 Abs.
4 Satz
1 [X.] teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen im Sinne der §§
202a, 212 [X.] [X.] haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, und gegebenenfalls deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu auch [X.], Urteil vom 10.
Juli 2013

2 StR 47/13). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß §
243 Abs.
4 Satz 2 [X.] weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S.
12; [X.], [X.], 56.
Aufl. 2013, §
243 Rn.
18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhand-lung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. [X.] außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollier-bares Verfahren eröffnen (vgl. [X.], Beschluss vom 5.
Oktober 2010

3 [X.], [X.], 72 f.). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen nicht nur darüber informiert werden, ob solche Erörterungen stattgefunden ha-9
10
-
7
-
ben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den [X.] vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustim-mung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. [X.] aaO NJW 2013, 1058, 1065, [X.]. 85; [X.], Beschluss vom 5.
Oktober 2010

3 [X.], [X.], 72 f.). Zur Gewährleistung der Möglichkeit einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber gemäß §
273 Abs.
1a Satz
2 [X.] in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen. Das Fehlen der Protokollierung ist ein Rechtsfehler des Verständigungsverfahrens (vgl. [X.] aaO NJW 2013, 1058, 1067, [X.]. 97); er wird durch das Protokoll der Hauptverhandlung bewie-sen.
Der [X.] braucht hier nicht zu entscheiden, ob der [X.] nur dann ausreichend Genüge getan worden wäre, wenn der [X.] verlesen und genehmigt wurde (vgl. §
273 Abs.
3 Satz
3 [X.]), wie es sinnvoll sein kann, weil ein erhebliches Interesse des Angeklagten (vgl. unten [X.]) an der Feststellung des Wortlauts der Mitteilung besteht.
b) Ein Mangel des Verfahrens an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhand-lung geführt wurden, führt

ebenso wie die mangelhafte Dokumentation einer Verständigung

regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen ist (vgl. [X.] aaO NJW 2013, 1058, 1067, [X.]. 97).
Das Gesetz will die Transparenz der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden, durch die Mitteilung ihres wesentlichen [X.] in der Verhandlung für die Öffentlichkeit und alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber für den Angeklagten herbeiführen. Der Angeklagte als ei-11
12
13
-
8
-
genverantwortliches Prozesssubjekt soll zuverlässig und in nachprüfbarer Form über den Ablauf und Inhalt derjenigen [X.] informiert werden, die außerhalb der Hauptverhandlung

in der Praxis meist in seiner Abwesenheit

geführt wurden. Durch die Mitteilung nach §
243 Abs.
4 [X.] und durch
deren Protokollierung gemäß §
273 Abs.
1a [X.] wird nicht nur das Ergebnis der Absprache, sondern auch der dahin führende Entscheidungspro-zess festgeschrieben und der revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich [X.]. Die Mitteilung und deren Dokumentation sowie die Nachprüfbarkeit in einem einheitlichen System der Kontrolle sind jeweils Grundlage einer eigen-verantwortlichen Entscheidung des Angeklagten darüber, ob er dem Vorschlag des Gerichts gemäß §
257c Abs.
3 Satz
4 [X.] zustimmt. Für die Entschei-dung des Angeklagten, die meist mit der Frage nach einem Geständnis in der Hauptverhandlung verbunden wird, ist es von besonderer Bedeutung, ob er über die Einzelheiten der in seiner Abwesenheit geführten Gespräche nur zu-sammenfassend und in nicht dokumentierter Weise von seinem Verteidiger nach dessen Wahrnehmung und Verständnis informiert wird oder ob ihn das Gericht unter Dokumentation seiner Mitteilungen im Protokoll der [X.] unterrichtet. Schon durch das Fehlen der Dokumentation kann das Prozessverhalten des Angeklagten beeinflusst werden.
Es mag nicht ausgeschlossen sein, dass der Angeklagte im Einzelfall auch bei fehlerhaftem [X.] durch eine ebenso zuver-lässige Dokumentation in anderer Weise so unterrichtet wird, dass das Beru-
14
-
9
-
hen des Urteils auf dem Protokollierungsfehler ausgeschlossen werden kann. Anhaltspunkte dafür liegen hier aber nicht vor.

Fischer

[X.]

[X.]

Eschelbach

[X.]

Meta

2 StR 195/12

10.07.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.07.2013, Az. 2 StR 195/12 (REWIS RS 2013, 4254)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4254

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2 BvR 2628/10

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3 StR 287/10

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