Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2013, Az. 2 StR 410/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 652

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 410/13
vom
3. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen

wegen
Betruges

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3. Dezember 2013 gemäß §
349
Abs.
4 [X.]
beschlossen:
1.
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Februar 2013 aufgehoben, soweit sie
verur-teilt worden ist.
2.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.].

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen Betrugs in 23 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und im Üb-rigen freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Nach Verlesung der [X.] in der Hauptverhandlung am [X.] wurde die Angeklagte darauf hingewiesen, dass es ihr freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ausweislich des [X.] baten die Verteidiger der Angeklagten so-dann um Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Führung eines Rechtsge-1
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sprächs, dem die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft zustimmte. Die Hauptverhandlung wurde anschließend unterbrochen.
Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung gab der Vorsitzende den wesentlichen Inhalt des [X.]s zwischen Verteidigern, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und der Kammer wie folgt bekannt:
"Die Sach-
und Rechtslage wurde erörtert, insbesondere wurde seitens der Verteidiger die Frage angesprochen, ob im Falle einer geständigen Einlassung eine Außervollzugsetzung des Haftbe-fehls darstellbar erschiene. Eine Haftverschonung wurde im Fall einer geständigen Einlassung seitens der Kammer als nicht aus-geschlossen angesehen. Ansonsten hat eine Verständigung im Sinne des §
257 c [X.] nicht stattgefunden."
Im [X.] machte die Angeklagte -
wie sich dem Urteil entnehmen lässt (UA S.
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-
im Wesentlichen geständige Angaben zur Sache. Das Proto-koll weist an späterer Stelle den Hinweis auf, dass eine Verständigung nicht stattgefunden habe.
Nach Vernehmung einzelner Zeugen wurde die Beweisaufnahme [X.] und die Angeklagte wie dargelegt verurteilt. Zugleich wurde der [X.] außer Vollzug gesetzt; die dagegen gerichtete Beschwerde der [X.] blieb ohne Erfolg.
2. Der Vorsitzende der [X.] und die beisitzende Richterin haben im Rahmen des Revisionsverfahrens jeweils dienstliche Erklärungen abgeben. Übereinstimmend wird darin geschildert, dass es bei dem von der Verteidigung angeregten [X.] im Wesentlichen um die Frage der Haftverscho-nung gegangen sei. Dabei habe die Kammer im Falle einer geständigen Einlas-4
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4
-
sung eine Haftverschonung als nicht ausgeschlossen angesehen, weil -
so der Vorsitzende
-
bei einem Geständnis der Haftgrund einer etwa zu bejahenden Verdunkelungsgefahr entfallen würde. Zu einer Verständigung darüber aber sei es nicht gekommen, dies zeige schon der Umstand, dass die Staatsanwalt-schaft gegen die mit Urteilsverkündung ergangene Entscheidung über die Au-ßervollzugsetzung des Haftbefehls sofortige Beschwerde eingelegt habe. Zu-dem
sei die Angeklagte auch nicht umfassend geständig gewesen, weshalb noch zahlreiche weitere Zeugen gehört worden seien und teilweise Freispruch erfolgt sei.
Hinsichtlich der Anforderungen an die Dokumentation und Transparenz von [X.] weist der Vorsitzende im Übrigen darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung gegen die Angeklagte die Entschei-dung des [X.], mit der entsprechende Erfordernisse aufgestellt worden seien, noch nicht ergangen gewesen sei.
3. [X.], es liege eine Verletzung der mit einer Ver-ständigung einhergehenden Mitteilungs-
und Dokumentationspflichten gemäß §
243 Abs.
4, §
273 Abs.
1a [X.] vor, ist zulässig und begründet.
a) Es handelt sich nicht um eine unzulässige Protokollrüge. Denn der Beschwerdeführer leitet einen Verfahrensfehler aus dem Umstand her, dass die Sitzungsniederschrift den Inhalt der Gespräche, die außerhalb der [X.] mit dem Ziel der
Verständigung geführt wurden, nicht mitteilt. Eine solche Rüge ist zulässig (vgl. Senat, Urteil vom 10.
Juli 2013 -
2 [X.], NJW 2013, 3046).
b) Der von der Angeklagten in der Sache gerügte Verstoß gegen §
243 Abs.
4 Satz
2 i.V.m. §
273 Abs.
1a Satz
2 [X.] liegt vor.
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aa) Nach § 243 Abs.
4 Satz
1 [X.] teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§
202a, 212 [X.] stattge-funden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§
257c
[X.]) gewesen ist,
und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu Senat, Urteil vom 10.
Juli 2013 -
2 StR 47/13, [X.], 610). Diese Mittei-lungspflicht ist gemäß §
243 Abs.
4 Satz
2 [X.] weiter zu beachten, wenn [X.] erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S.
12; [X.], [X.], 56.
Aufl., 2013, §
243 Rn.
18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Oktober 2010 -
3 [X.], [X.], 72
f.). Alle Verfahrensbeteilig-ten und die Öffentlichkeit sollen nicht nur darüber informiert werden, dass sol-che Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Stand-punkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. [X.], NJW 2013, 1058; [X.], Beschluss vom 5.
Oktober 2010 -
3 [X.], [X.], 72 f.). Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden
hierüber -
sofern sie nach §
243 Abs.
4 [X.] vor-geschrieben ist
-
gemäß §
273 Abs.
1a Satz
2 [X.] in das Protokoll der [X.] aufzunehmen.
[X.]) Gemessen daran enthält die Niederschrift über die Hauptverhand-lung vom 6.
Februar 2013 nicht alle Informationen, die zur Transparenz und Dokumentation von Verfahrensabläufen im Zusammenhang mit möglichen [X.] nach §
257c [X.] mitgeteilt werden müssen. Dieser Mangel der 12
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-
6
-
Protokollierung ist ein Rechtsfehler des [X.], der durch das Protokoll der Hauptverhandlung bewiesen wird.
Das zwischen den Verfahrensbeteiligten am 6.
Februar 2013 außerhalb der Hauptverhandlung geführte [X.] betraf -
schon auf der [X.] der im Protokoll enthaltenen Angaben
-
einen zulässigen Gegenstand [X.] Verständigung im Sinne von §
257c Abs.
2 [X.]; sie löste entsprechende Dokumentationspflichten aus. Die Entscheidung über die Fortdauer der [X.] ist ein zum Urteil "dazugehöriger Be-schluss" (§
268b [X.]), so dass auch die Vollstreckung von Untersuchungshaft grundsätzlich zulässiger Verständigungsinhalt sein kann ([X.], in: [X.]/[X.], 26. Aufl., §
257c, Rn.
33; [X.]/[X.], in: [X.] Kommentar zur
[X.], 7. Aufl., §
257c, Rn.
17).
Im Protokoll zur Hauptverhandlung fehlen hinsichtlich einer möglichen Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen die Angeklagte als (zulässigem) Gegenstand einer Absprache -
ungeachtet des Umstands, dass über die Erörte-rung der Haftfrage hinaus die "Sach-
und Rechtslage" umfassend erörtert [X.] ist, was ebenfalls näher darzulegen gewesen wäre
-
wesentliche Informati-onen über den Inhalt des geführten Gesprächs. So lässt sich dem Protokoll zwar entnehmen, dass die Frage einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls von Seiten der Verteidiger der Angeklagten angesprochen wurde und dass die [X.] eine solche Entscheidung im Falle einer geständigen Einlassung als nicht ausgeschlossen angesehen hat. Auch wird als Ergebnis festgehalten, dass (ansonsten) eine Verständigung nicht stattgefunden hat. Welchen Stand-punkt die Staatsanwaltschaft hierzu eingenommen hat, unter welchen Bedin-gungen (Auflagen) etwa eine Außervollzugsetzung in Betracht gekommen wäre und wo insoweit gegebenenfalls abweichende Standpunkte eingenommen [X.] sind, erwähnt das [X.] aber nicht. Dies aber wäre, 14
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-
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-
da die Mitteilung nach §
243 Abs.
4 [X.] nicht nur das Ergebnis, sondern auch den dahin führenden Entscheidungsprozess jedenfalls in seinen Grundzügen mitzuteilen hat, erforderlich gewesen. Dies gilt um so mehr, als die in der [X.] gewählte Formulierung, ansonsten
habe eine Verständigung nicht stattgefunden, sogar für die Annahme sprechen könnte, es sei insoweit doch eine bindende Verständigung zustande gekommen.
Soweit sich die [X.] in der Sache darauf beruft, sie
habe diese Anforderungen an die Dokumentation von [X.] nicht er-füllen können, weil sie erst nach Durchführung der Hauptverhandlung vom [X.] gefordert worden seien, übersieht sie schon, dass das [X.] diese Anforderungen nicht neu aufgestellt, son-dern einer Auslegung des Gesetzeswortlauts entnommen hat. Auch der [X.] hatte im Übrigen ähnliche Verpflichtungen formuliert
(vgl. [X.], Beschluss vom 5.
Oktober 2010 -
3 [X.], [X.], 72 f.).
c) Ein Mangel an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt [X.], führt regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 10.
Juli 2013 -
2 [X.]). Schon durch das Fehlen einer umfassenden Dokumentation kann
-
auch im Falle einer im Ergebnis nicht zustande gekommenen Verständigung
-
das Prozessverhalten eines Angeklagten beeinflusst worden sein. Dies gilt hier um so mehr, als das Protokoll davon spricht "ansonsten" habe eine Verständi-gung nicht stattgefunden. Es lässt sich insoweit nicht ausschließen, dass die 16
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Angeklagte -
entgegen der späteren Dokumentation im Hauptverhandlungspro-tokoll
-
davon ausgegangen sein könnte, dass zur Haftfrage doch eine Verstän-digung stattgefunden hat und sich deshalb in der Folge (im Wesentlichen) [X.] eingelassen hat.
Fischer

Schmitt

Krehl

Ott

Zeng

Meta

2 StR 410/13

03.12.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2013, Az. 2 StR 410/13 (REWIS RS 2013, 652)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 652

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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