Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.01.2024, Az. VIa ZR 1469/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 712

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 22. September 2022 in der Fassung des [X.] vom 7. November 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb mit Kaufvertrag vom 20. Juni 2014 von einem Vertragshändler der Beklagten einen [X.] als Neufahrzeug zum Kaufpreis von 33.500 €. Die Auslieferung des Fahrzeugs erfolgte ebenfalls am 20. Juni 2014 nach Erstzulassung vom selben Tag mit einer Fahrleistung von 2 km. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe [X.] ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des [X.] (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren [X.] als im Normalbetrieb. Dadurch konnten die Grenzwerte für Stickoxidemissionen auf dem Prüfstand eingehalten werden.

3

Auf die am 31. Dezember 2020 eingegangene Klage hat das [X.] die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an den Kläger 22.311 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen und ihn von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.242,84 € freizustellen. Es hat außerdem den Annahmeverzug der Beklagten sowie festgestellt, dass der Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil insoweit abgeändert, als es die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger [X.] € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen, sowie die Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 268 € festgestellt und den [X.] abgewiesen hat. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der [X.] hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Dem Kläger stehe nach Verjährung seines Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB ein Anspruch auf Restschadensersatz zu. Die Beklagte habe infolge der Fahrzeugveräußerung auf Kosten des [X.] einen Vermögensvorteil erlangt. Die für einen Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB erforderliche Erwerbskette liege vor. Dass es sich um einen Neuwagenkauf eines vorher nicht bereits unabhängig von der Bestellung des [X.] vom Händler auf sein eigenes Risiko erworbenen Fahrzeugs handele, sei bis zur mündlichen Verhandlung am 25. August 2022 unstreitig gewesen. Soweit die Beklagte dort erstmals einen solchen Ablauf in Abrede gestellt und behauptet habe, das Fahrzeug sei als sogenannter Schaufensterkauf vom Kläger direkt bei Bestellung erworben worden, sei dieser neue Vortrag nicht zuzulassen. Gründe für die Zulassung im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO seien von der [X.] weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Hinsichtlich der Höhe des [X.] sei vom [X.] in Höhe von 33.500 € auszugehen. Eine Händlermarge sei nicht in Abzug zu bringen, weil die insoweit für weitere Abzüge zumindest sekundär darlegungsbelastete Beklagte trotz gerichtlichen Hinweises bereits in der ersten Instanz keinen Vortrag zur [X.] bei dem hier betroffenen Fahrzeugtyp gehalten habe.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

8

1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 24 ff. [X.]). Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB ausgegangen (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], aaO Rn. 54 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 850 Rn. 12). Beides wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

9

2. Mit seiner Annahme, die Beklagte habe aus dem Fahrzeugkauf des [X.] im Sinne des § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt", verletzt das Berufungsgericht indes - wie die Beklagte zur Recht rügt - in entscheidungserheblicher Weise ihren Anspruch auf rechtliches Gehör. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der [X.], nach dem das Fahrzeug vom Händler auf eigenes Risiko erworben und als "Schaufensterfahrzeug" an den Kläger veräußert wurde, unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG außer Acht gelassen.

a) Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten ... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des [X.] geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem [X.] und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 68; jeweils [X.]). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach §§ 826, 31 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des [X.] erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben. Denn der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des [X.] bzw. der Erwerb des [X.] durch den Hersteller andererseits beruhen auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung ([X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 850 Rn. 14; Urteil vom 21. März 2022 - [X.], NJW 2022, 2196 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes ([X.] erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang ([X.], Urteil vom 21. März 2022, aaO, Rn. 28).

b) Die nach diesem - auch vom Berufungsgericht zugrunde gelegten - Maßstab für den Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB erforderliche Absatzkette hat das Berufungsgericht nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt. Es hätte - wie die Beklagte zu Recht rügt - die Behauptung, das Fahrzeug sei als "Schaufensterfahrzeug" beim Händler vorhanden gewesen, von diesem also auf eigenes Risiko vor dem Verkauf an den Kläger erworben worden, nicht ohne Weiteres nach § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückweisen dürfen.

aa) Der Anspruch einer Prozesspartei auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist verletzt, wenn ein Gericht rechtlich erhebliches Vorbringen aus prozessualen Erwägungen unberücksichtigt lässt, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze findet. Diese Grenze ist bei Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie § 531 ZPO bereits dann erreicht, wenn sie in offenkundig unrichtiger Weise angewandt wird ([X.], Beschluss vom 12. November 2020 - [X.], NJW-RR 2021, 56 Rn. 19; Beschluss vom 31. Mai 2022 - [X.], [X.], 1550 Rn. 10 f.; Beschluss vom 23. Februar 2023 - [X.], juris Rn. 17; Beschluss vom 4. Juli 2023 - [X.], juris Rn. 17).

Die Annahme einer Präklusion gemäß § 531 Abs. 2 ZPO wiederum setzt voraus, dass es sich um streitigen Vortrag handelt ([X.], Beschluss vom 23. Juni 2008 - [X.], [X.]Z 177, 212-217, Rn. 10). Unstreitige Tatsachen sind unabhängig von dieser Vorschrift sogar dann zu berücksichtigen, wenn dies im Hinblick auf Folgefragen eine Beweisaufnahme erfordert ([X.], Beschluss vom 31. Mai 2022 - [X.], [X.], 1550 Rn. 13; Beschluss vom 4. Juli 2023 - [X.], juris Rn. 19).

bb) Danach liegt ein Gehörsverstoß vor. Das Berufungsgericht hätte vor Zurückweisung des Vortrags zur fehlenden Absatzkette feststellen müssen, ob der Kläger unter Berücksichtigung der von der [X.] in Bezug genommenen Anlage [X.] und den - durch Beschluss vom 7. November 2022 berichtigten - tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, nach denen das Fahrzeug mit Kaufvertrag vom 20. Juni 2014 erworben und am selben Tag ausgeliefert wurde, in einer § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO genügenden Weise bestreitet, dass das Fahrzeug vom Vertragshändler unabhängig von einer Bestellung seinerseits und somit auf eigenes Risiko erworben wurde. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht darauf an, ob diese Frage, die den Grund des Restschadenersatzanspruchs betrifft, für den der Kläger darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. [X.], Urteil vom 12. September 2022 - [X.], [X.], 52 Rn. 27), in der Vergangenheit streitig war. Zu dem nach § 529 und § 531 ZPO zu berücksichtigenden Vorbringen gehört auch neuer Vortrag, der unstreitig geblieben ist ([X.], Beschluss vom 4. Juli 2023 - [X.], juris Rn. 21).

III.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Für den Fall, dass das Berufungsgericht im weiteren Verfahren das Vorliegen einer für den Anspruch nach §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB erforderlichen Absatzkette feststellt, weist der [X.] darauf hin, dass die dem Kläger obliegende Darlegung des Restschadensersatzanspruchs den Vortrag zu einer Händlermarge einschließt, die zur Ermittlung des [X.] von dem vom Geschädigten gezahlten Kaufpreis abzuziehen ist. Eine sekundäre Darlegungslast trifft die Beklagte nur, wenn der Geschädigte keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist jedenfalls nicht erfüllt, solange der Geschädigte sich die erforderlichen Informationen durch eine Nachfrage bei seinem Verkäufer selbst beschaffen kann ([X.], Urteil vom 12. September 2022 - [X.], [X.], 52 Rn. 27).

[X.]     

      

Möhring     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 1469/22

30.01.2024

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 22. September 2022, Az: 5 U 89/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.01.2024, Az. VIa ZR 1469/22 (REWIS RS 2024, 712)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 712

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIa ZR 291/22 (Bundesgerichtshof)


VIa ZR 667/21 (Bundesgerichtshof)


VIa ZR 122/22 (Bundesgerichtshof)

Dieselabgasskandal: Schadensersatz des Fahrzeugkäufers und Darlegungs- und Beweislast für das vom Händler Erlangte


VIa ZR 652/21 (Bundesgerichtshof)


VIa ZR 24/22 (Bundesgerichtshof)

Berechnung des Anspruchs auf Restschadensersatz im sogenannten Dieselskandal


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

X ZR 32/22

IX ZR 136/22

X ZR 41/20

IX ZR 214/19

VII ZR 365/21

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.