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Androhung der Entlassung von der Schule
I. Der Bescheid vom 17. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2015 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Streitgegenstand ist die vom ...Gymnasium in München (im Folgenden: die Schule) gegenüber dem Kläger verhängte Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung von der Schule.
Der am ... 2004 geborene Kläger besuchte im Schuljahr 2014/2015 eine Klasse der 5. Jahrgangsstufe dieser Schule. Mit Schreiben vom 23. März 2015 wurden die Eltern des Klägers unter Darstellung des Sachverhalts zur Sitzung des Disziplinarausschusses am 14. April 2015 geladen und auf ihr Äußerungsrecht hingewiesen. Mit Bescheid der Schule vom 17. April 2015 wurde den Eltern des Klägers mitgeteilt, der Disziplinarausschuss habe die Androhung der Entlassung des Klägers von der Schule beschlossen.
Am Donnerstag dem ... 2015, sei der Kläger in der Mathematikstunde nach mehreren Unterrichtsstörungen in die Auszeit geschickt worden, und zwar bereits zum dritten Mal in diesem Schuljahr. Er habe sich geweigert, der Aufforderung der Lehrkraft nachzukommen, das Klassenzimmer zu verlassen. Als die Lehrkraft zwei Schüler zum Schulleiter geschickt habe, dieser gekommen sei und den Kläger aufgefordert habe, mit ihm nach draußen zu gehen und über den Vorfall zu sprechen, sei dieser weiterhin auf seinem Platz sitzen geblieben.
Der Disziplinarausschuss sei zu der Bewertung gelangt, dass der Kläger durch sein Verhalten eine Fortsetzung des Unterrichts unmöglich gemacht und er somit das Recht seiner Mitschüler (und der Lehrkraft) auf ungestörten Unterricht verletzt habe, und dass seine Weigerung, mit dem Schulleiter aus dem Klassenzimmer zu gehen und über das Geschehene zu sprechen, eine massive Störung des Schulbetriebs darstelle. Aus Sicht des Disziplinarausschusses habe sich der Kläger damit ein schweres Fehlverhalten zuschulden kommen lassen, das die Androhung der Entlassung rechtfertige.
Den dagegen vom Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 16. Juli 2015 eingelegten Widerspruch wies die Schule mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2015, zugestellt am 7. August 2015, zurück.
Dagegen erhob der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 28. August 2015, eingegangen am selben Tag, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München.
Er beantragt,
den Bescheid vom 17. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2015 aufzuheben und die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, beim Kläger liege eine ärztlich festgestellte Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung vor.
Ausgangspunkt für die Androhung der Entlassung sei ein Ereignis am ... 2015 gewesen, bei dem der Kläger durch eine Vertretungslehrerin aufgefordert worden sei, wegen angeblichen Störens die insgesamt sehr lebhafte Klasse im Rahmen einer sog. Auszeit zu verlassen. Dies habe der Kläger verweigert, da er sich angesichts der insgesamt lauten Klasse mit mehreren anderen erheblich störenderen Mitschülern hierdurch ungerecht behandelt gesehen habe.
Die Vertretungslehrerin, die offenkundig insgesamt die Klasse nicht in den Griff bekommen habe, habe sich hierdurch veranlasst gesehen, durch zwei Mitschüler den Schulleiter holen zu lassen. Hierüber sei der Kläger sehr erschrocken gewesen, habe seinen Kopf gesenkt und sein Gesicht in den Händen verborgen und nicht auf die Aufforderung des Schulleiters, ihn zu begleiten, reagiert. Ein gleichartiges Rückzugsverhalten in einer belastenden Situation habe der Kläger nach Beobachtung einer Lehrerin auch anderweitig auf dem Pausenhof gezeigt (Anlage 2 zur Niederschrift über die Sitzung des Disziplinarausschusses vom 15.04.2015).
Bereits aus dem Ladungsschreiben zur Sitzung des Disziplinarausschusses sei eine starke emotionale Aktivierung des Schulleiters und seines Stellvertreters ersichtlich, ebenso aus den Äußerungen des Schulleiters in der Sitzung des Disziplinarausschusses.
Gemäß dem Protokoll der Sitzung seien hierbei auch verschiedene andere Sachverhalte den Kläger betreffend vorgetragen, besprochen und der Entscheidung zugrunde gelegt worden.
Ausweislich des Sitzungsprotokolls sei auch negativ bewertet worden, dass der Kläger nicht an der Sitzung des Disziplinarausschusses teilgenommen habe, obwohl dies die Entscheidung seiner Eltern gewesen sei. Hieraus sei geschlossen worden, dass der Kläger sich nicht mit dem Vorfall vom ... 2015 und seinem Verhalten im Unterricht auseinandersetze.
Zudem sei den Eltern des Klägers als erstes in der Sitzung des Disziplinarausschusses ein zweiter, sich auf ein angeblich eigenes Ereignis nach dem ... 2015 beziehender Verweis des Sportlehrers überreicht, so dass davon auszugehen sei, dass dieser allen Mitgliedern des Disziplinarausschusses somit präsente zweite Verweis ebenfalls in die Entscheidung des Disziplinarausschusses mit einbezogen worden sei, obwohl der Kläger hierauf noch gar keine Reaktion habe zeigen können.
Der Sachverhalt sei nicht vollständig ermittelt worden. Es liege keinerlei Stellungnahme der am ... 2015 aufsichtführenden Lehrkraft vor, insbesondere auch dahingehend, ob andere Mitschüler sich ebenso störend verhalten hätten und aus welchem Grund gerade der Kläger habe in die Auszeit gehen sollen.
Unzutreffend habe die Lehrerkonferenz das Verhalten des Klägers als willentliches grobes Fehlverhalten gewertet. Vielmehr sei die konkrete Reaktion des Klägers in Gestalt eines eindeutigen Rückzugsverhaltens in keiner Weise eine willentliche und grobe Missachtung der grundlegendsten Anstandsregeln und der Anweisung des Schulleiters, sondern vielmehr ein ganz klares Anzeichen für eine völlige Überforderung des Klägers.
Dass im Zusammenhang mit der Auszeit der Schulleiter als höchste Autoritätsperson der Schule beigezogen worden sei, entspreche gerade nicht dem normalen Verfahren und sei dem Kläger auch nicht bekannt gewesen.
Der Kläger habe auch nicht die Fortsetzung des Unterrichts unmöglich gemacht. Vielmehr sei der Unterricht nach dem Vorfall fortgesetzt worden.
In der Sitzung des Disziplinarausschusses seien auch vermeintliche vorherige Verfehlungen des Klägers angesprochen worden, ohne dass hierzu eine Äußerungsmöglichkeit des Klägers oder seiner Eltern im Disziplinarausschuss bestanden habe.
Hinsichtlich der Ermessensausübung sei zu ergänzen, dass sowohl Schulleiter als auch Lehrekonferenz verkennen würden, dass es zwischen einem Verweis und der Androhung der Entlassung von der Schule eine ganze Reihe von abgestuften Ordnungsmaßnahmen gebe. Erwägungen zu milderen Maßnahmen seien nicht angestellt worden.
Im Übrigen seien die sogenannten und zu Lasten des Klägers gewerteten Auszeiten als Ordnungsmaßnahmen gesetzlich nicht vorgesehen.
Die Maßnahme stehe in keinem vernünftigen Verhältnis zu der kurzfristigen und einmaligen Störung des Unterrichtsbetriebs, sie stehe auch in keinem Verhältnis zu den ansonsten bei anderen Schülern zur Androhung der Entlassung führenden tatsächlich schwerwiegenden Anlässen. Sie sei weder erforderlich noch notwendig noch verhältnismäßig.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Schulleiter habe sich sofort nach der Stunde von der betreffenden Mathematiklehrkraft das Verhalten des Klägers an jenem Tag und in früheren Unterrichtsstunden detailliert schildern lassen und sich von der für Disziplinangelegenheiten in der Unterstufe zuständigen Mitarbeiterin in der Schulleitung einen Überblick über die gegen den Kläger bisher verhängten Ordnungs-und Erziehungsmaßnahmen geben lassen. Da sich immer mehr herauskristallisiert habe, dass sich der Kläger wiederholtes, am ... 2015 auch schweres Fehlverhalten habe zuschulden kommen lassen, hätte sich die Schule dazu entschieden, den Schüler vor den Disziplinarausschuss zu laden.
Alle Verfahrensvorschriften seien beachtet worden. Entscheidend seien aus Sicht der Schule zwei Aspekte:
1. Der Kläger habe sich in der besagten Situation bewusst den Anweisungen von zwei ihm gegenüber weisungsbefugten Erwachsenen widersetzt, deren Funktion ihm wohl bekannt gewesen sei. Die Argumentation, der Kläger sei überfordert gewesen, gehe am Entwicklungsstand von Fünftklässlern völlig vorbei und suggeriere, man könne Kindern in diesem Alter nicht zutrauen, sich nach bestimmten Grundregeln zu verhalten und die Folgen ihres Tuns abzuschätzen. Wenn dem so wäre, wäre ein geordneter Schulbetrieb nicht oder erst ab einer höheren Jahrgangsstufe möglich. Glücklicherweise sei aber das Gegenteil der Fall.
Ein ärztliches Attest über eine Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung des Klägers liege der Schule nicht vor.
2. Ein Schüler, der sich über eine ihm wohl bekannte Regelung hinwegsetze und sowohl der Aufforderung einer Lehrkraft als auch der Aufforderung des Schulleiters, das Klassenzimmer zu verlassen, nicht nachkomme, und dies zudem vor den Augen seiner Mitschüler tue, störe nicht einfach nur eine Unterrichtsstunde, sondern er störe massiv den Schulbetrieb und stelle dessen Grundprinzipien und ordnungsgemäßen Ablauf in Frage. Er gefährde durch sein Fehlverhalten die Erfüllung der Aufgabe der Schule. Deshalb hätten der Disziplinarausschuss und das Plenum der Lehrerkonferenz die Maßnahme der Androhung der Entlassung als einem solchen Fehlverhalten angemessen und verhältnismäßig angesehen. Eine weniger scharfe Maßnahme wie etwa ein verschärfter Verweis seien dem Disziplinarausschuss und der Lehrerkonferenz nicht geeignet und ausreichend erschienen, um das pädagogische Ziel zu erreichen, den Kläger von der Wiederholung solchen Verhaltens abzuhalten. Die bis zum Zeitpunkt der Disziplinarausschusssitzung erteilten zwei Verweise gegen den Schüler seien immerhin ohne nachhaltige Auswirkungen auf das Verhalten des Klägers verpufft.
Der Umstand, dass der Kläger im Vorfeld der Disziplinarausschusssitzung das Gesprächsangebot des Schulpsychologen nicht angenommen habe, sei bei der schulrechtlichen Entscheidung über die zu treffende Ordnungsmaßnahme ebenso irrelevant gewesen wie seine Nichtteilnahme an der Disziplinarausschusssitzung selbst.
Die Streitsache wurde am 27. Juni 2017 mündlich verhandelt. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid des ...Gymnasiums München vom 17. April 2015 und der Widerspruchsbescheid vom 5. August 2015 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Durchgreifende formelle Fehler im Rahmen des Disziplinarverfahrens sind nicht ersichtlich. Gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 86 Abs. 2 Nr. 8 BayEUG in der im Schuljahr 2014/2015 maßgebliche Fassung (im Folgenden BayEUG a.F.) fiel die Entscheidung in die Zuständigkeit des - insoweit die Aufgaben der Lehrerkonferenz wahrnehmenden - Disziplinarausschusses der Schule. Den vorgelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass er - wie vorgeschrieben - gemäß § 9 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 der Schulordnung für die Gymnasien in Bayern (GSO) vom 23. Januar 2007 (GVBl S. 68), zuletzt geändert am 1. Juli 2016 (GVBl S. 193), mit der vollen Zahl seiner neun Mitglieder entschieden und mit einer Gegenstimme die Androhung der Entlassung beschlossen hat.
Der Kläger wurde auch ordnungsgemäß im Verfahren bezüglich der verhängten Ordnungsmaßnahmen beteiligt. Ihm und seinen Eltern wurde vor Erlass des Bescheids mit Schreiben vom 23. März 2015 Gelegenheit zur persönlichen Äußerung auch vor dem Disziplinarausschuss bezüglich des vorgeworfenen Fehlverhaltens gegeben (Art. 86 Abs. 9 Satz 2 BayEUG a.F.). Die Eltern des Klägers wurden auch persönlich vor dem Disziplinarausschuss angehört. Zudem wurde der Kläger auf die ihm gemäß Art. 86 Abs. 9 Satz 3, Abs. 10 Satz 1 BayEUG a.F. eröffnete Möglichkeit, eine Lehrkraft seines Vertrauens einzuschalten, sowie den Elternbeirat beizuziehen, hingewiesen.
In materieller Hinsicht ist die Entscheidung des Disziplinarausschusses wegen unvollständiger Berücksichtigung des zugrundeliegenden Sachverhalts und wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtswidrig.
Die Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung von der Schule, die ihre Rechtsgrundlage (im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung) in Art. 86 Abs. 2 Nr. 8 BayEUG a. F. findet, darf nach Art. 86 Abs. 7 BayEUG a.F. nur verhängt werden, wenn ein Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet hat.
Im Hinblick darauf, dass die Androhung der Entlassung eine der schwerwiegendsten Ordnungsmaßnahmen darstellt, die die Schule selbst verhängen kann, hat sich die Entscheidung, ob diese oder eine weniger einschneidende Ordnungsmaßnahme ausgesprochen wird, daran zu orientieren, ob ein Verhalten des Schülers im Hinblick auf die unbeeinträchtigte Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule oder wegen des Schutzes Dritter nicht mehr hingenommen werden kann und dem Schüler in dieser Deutlichkeit und Konsequenz vor Augen geführt werden muss, dass sein Verhalten nicht geduldet werden kann. Diese Beurteilung entzieht sich einer vollständigen Erfassung nach rein rechtlichen Kriterien und bedingt sachnotwendig einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren pädagogischen Wertungsspielraum. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle haben die Gerichte aber den gegen die Entlassung erhobenen Einwendungen nachzugehen und die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Sie haben insbesondere zu kontrollieren, ob die Androhung der Entlassung gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstößt. Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt es ferner, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob sie ihre Entscheidungen auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten (vgl. BayVGH, B. v. 2.9.1993 – 7 CS 93.1736 -, BayVBl 1994, 346).
Für die Wahl der Ordnungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maße die Erfüllung des Anstaltszwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurde, wie sie in Art. 131 BV, Art. 1, 2 BayEUG a.F. niedergelegt ist (vgl. BayVGH v. 2.9.1993 a.a.O.). Die Wahl der Ordnungsmaßnahme erweist sich damit als eine pädagogische Ermessensentscheidung. Hierbei hat die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss als deren Unterausschuss darauf zu achten, dass die Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung zur Schwere des zu ahndenden oder zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis steht. Die Androhung der Entlassung greift empfindlich in die Rechtsstellung des betroffenen Schülers ein und ist mit nicht unerheblichen Nachteilen für ihn verbunden.
Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen erweist sich die von der Schule getroffene Ordnungsmaßnahme als rechtswidrig Es ist den Akten und den Schilderungen der Beteiligten nicht nachvollziehbar zu entnehmen, dass beim Kläger dieses ihm im Bescheid vom 17. April vorgeworfene Fehlverhalten vorgelegen hat. Darin wurde ihm im Wesentlichen vorgeworfen, durch sein Verhalten eine Fortsetzung des Unterrichts unmöglich gemacht zu haben, seine Weigerung eine massive Störung des Schulbetriebs dargestellt habe, er sich den grundlegendsten Anstandsregeln verweigert und er sich klar geäußerten Aufforderungen vor aller Augen widersetzt habe.
Zwar ergibt sich aus der Schilderung der Lehrerin in der mündlichen Verhandlung, dass der Kläger in nicht unerheblicher Weise den Unterricht gestört hat und sich sowohl der Aufforderung der Lehrerin, in die Auszeit zu gehen, als auch der nochmaligen gleichlautenden Aufforderung durch den herbeigerufenen Schulleiter widersetzt hat. Das Gericht verkennt nicht, dass insoweit ein erhebliches Fehlverhalten des Klägers vorlag, dieses allein rechtfertigt jedoch noch nicht eine so schwerwiegende Maßnahme wie die Androhung der Entlassung, insbesondere wenn der Schüler vorher lediglich einen Verweis erhalten hatte, nachdem der zweite verhängte Verweis nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers dessen Eltern erst in der Sitzung des Disziplinarausschusses übergeben wurde.
Dahingestellt bleiben kann bei der Beurteilung des Fehlverhaltens des Klägers die Frage, ob es sich bei der Aufforderung, in die Auszeit zu gehen, also den Unterricht zu verlassen, um eine rechtmäßige Maßnahme handelt, oder ob darin eine verdeckte Ordnungsmaßnahme (des zeitweiligen Ausschlusses vom Unterricht) vorliegt, die nicht vom Katalog des Art. 86 Abs. 1 BayEUG a.F. gedeckt ist. Unabhängig von dieser Frage hat ein Schüler grundsätzlich den Anweisungen von Lehrkräften Folge zu leisten (Art. 56 Abs. 4 BayEUG a.F.).
Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob die Schule bei Erlass der Ordnungsmaßnahme das Verhalten des Klägers richtig beurteilt hat, insbesondere, ob sich der Kläger tatsächlich bewusst und vorsätzlich den Anweisungen der Lehrkräfte widersetzt hat. Diese Zweifel ergeben sich insbesondere daraus, dass in der im Protokoll der Disziplinarausschusssitzung angesprochenen und diesem als Anlage 2 beigefügten Pausenbeobachtung vom ... 2015 zu entnehmen ist, dass der Kläger unter dem Druck – in diesem Fall von Mitschülern – auf dem Boden und dann auf der Bank hockte, immer mehr in sich zusammensank, seinen Kopf in den Händen verbarg und es nicht mehr fertigbrachte, aufzublicken. Diese Reaktion des Klägers entspricht genau der Schilderung des Schulleiters in der Sitzung des Disziplinarausschusses, wonach der Kläger nach der Aufforderung, mit dem Schulleiter nach draußen zu gehen, weiterhin mit gesenktem, in den Händen verborgenem Gesicht sitzen geblieben sei. Es liegt deshalb nahe, dass sich der Kläger unter dem Druck des Schulleiters in der gleichen hilflosen Situation sah wie unter dem Druck der Mitschüler und in der gleichen hilflosen Art reagierte, dass sein Verhalten somit nicht eine bewusste Konfrontation darstellte, sondern letztlich Ausdruck seiner Überforderung war. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass er das Verfahren des „In-die-Auszeit-geschickt-werdens“ bereits gekannt habe. Denn die konkrete Situation vom ... 2015 unterschied sich gerade dadurch, dass der Schulleiter zur Unterstützung der Lehrkraft hinzukam. Bei der Beurteilung eines gezeigten Verhaltens ist auf die konkrete Person des Schülers abzustellen, nicht auf die Frage, wie sich zehnjährige Schüler in aller Regel verhalten. Dass die fortgesetzte Weigerung des Klägers, „in die Auszeit zu gehen“, tatsächlich auf einer bewussten und gewollten Oppositions- und Verweigerungshaltung beruhte, ist daher nicht eindeutig belegt..
Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger durch sein Verhalten eine Fortsetzung des Unterrichts unmöglich gemacht hat. Dieser ist wohl erst aufgrund des Holens des Schulleiters unterbrochen worden und konnte nach der Aussage der Lehrerin in der mündlichen Verhandlung fortgesetzt werden, nachdem der Schulleiter das Zimmer verlassen hatte.
Neben den Zweifeln an der richtigen Beurteilung der Motivation des klägerischen Fehlverhaltens ist auch fraglich, ob sich der Disziplinarausschuss bei seiner Entscheidung über den tatsächlichen Umfang seiner Entscheidungsmöglichkeiten im Klaren war. Denn ausweislich des Protokolls wurde in der Sitzung des Disziplinarausschusses die Aussage getroffen, wenn man das Verhalten des Klägers als Störung eines geordneten Schulbetriebs bewerte, kämen unter Zugrundelegung von Art. 86 Abs. 7 BayEUG a.F. die Entlassung oder die Androhung der Entlassung als Ordnungsmaßnahme in diesem Fall in Frage. Diese Einschätzung hat der Schulleiter auch in der mündlichen Verhandlung wiederholt.
Art. 86 Abs. 7 BayEUG a.F. besagt jedoch lediglich, dass Ordnungsmaßnahmen nach Abs. 2 Satz 1 Nrn. 6 bis 10 nur zulässig sind, wenn die Schülerin oder der Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet hat. Danach ist keinesfalls ausgeschlossen, dass je nach Beurteilung des Einzelfalles auch andere Ordnungsmaßnahmen in diesen Fällen verhängt werden können, auch wenn diese nicht im gesamten Umfang des Katalogs des Art. 86 Abs. 2 Satz 1 BayEUG a.F. zur Verfügung standen.
Aus den dargestellten Gründen war der Klage daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, da es dem Kläger und seinen Eltern nach deren persönlichen Verhältnissen nicht zugemutet werden konnte, das. Vorverfahren allein zu betreiben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht
Meta
27.06.2017
Urteil
Sachgebiet: K
Zitiervorschlag: VG München, Urteil vom 27.06.2017, Az. M 3 K 15.3764 (REWIS RS 2017, 8952)
Papierfundstellen: REWIS RS 2017, 8952
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Androhung, Entlassung, Aufhebung, Verweis, Zweck, Fehlverhalten, Schule, Ordnungsmaßnahme, Lehrerkonferenz, Ermessensentscheidung
Disziplinarverfahren, Schulbetrieb, Unterrichtsausschluss, Sozialverhalten, Erziehungsauftrag, Ermessensentscheidung, Funktionsfähigkeit
RO 3 S 16.1033 (VG Regensburg)
Unterrichtsausschluss wegen Fehlverhaltens
Verunglimpfungen eines Mitschülers und Störung des Schulfriedens - Androhung der Entlassung aus der Schule
Androhung, Entlassung, Lehrerkonferenz, Disziplinarausschuss
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