VG Augsburg, Urteil vom 14.07.2015, Az. Au 3 K 15.349

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Gegenstand

Disziplinarverfahren, Schulbetrieb, Unterrichtsausschluss, Sozialverhalten, Erziehungsauftrag, Ermessensentscheidung, Funktionsfähigkeit


Entscheidungsgründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Augsburg

Au 3 K 15.349

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 14. Juli 2015

3. Kammer

verkündet am 14. Juli 2015

..., als stellvertretende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Sachgebiets-Nr. 210

Hauptpunkte: Androhung der Entlassung von der Schule; Schulbegleitung; Inklusion; ADHS-Erkrankung; Verhältnismäßigkeit; pädagogisches Ermessen

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Kläger -

gegen

...

- Beklagter -

wegen Androhung der Entlassung

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg, 3. Kammer, durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichts ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ..., die ehrenamtliche Richterin ..., den ehrenamtlichen Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2015 am 14. Juli 2015 folgendes Urteil:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Androhung der Entlassung von der Schule.

1. Der am ... 2003 geborene Kläger besuchte im Grundschulbereich z. T. reguläre Grundschulen, z. T. auch ein Förderzentrum für emotionale und soziale Entwicklung.

Bereits durch die in der zweiten Jahrgangsstufe besuchte Grundschule wurden gegenüber dem Kläger im Dezember 2011 bzw. Januar 2012 Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 BayEUG - u. a. ein Ausschluss vom Unterricht - ausgesprochen, da er durch unangemessenes Verhalten den Unterricht und den Schulbetrieb massiv gestört hatte. Ausweislich eines Vermerks der in der vierten Jahrgangsstufe besuchten Grundschule zu einem Antrag auf Schulbegleitung vom 20. September 2013 habe der Kläger grundlos im Unterricht ein Mädchen mit den Worten bedroht: „Ich werde Dich töten“. Der Kläger sei zwar bemüht, zeige jedoch in unbeaufsichtigten Phasen aggressives Verhalten. Der Kläger leugne jegliches Fehlverhalten und sei nicht in der Lage, allein konzentriert zu arbeiten.

Ab dem 15. März 2012 war das Jugendamt des Landkreises ... als Amtsvormund für den Kläger bestellt.

Seit dem Schuljahr 2014/15 besucht der Kläger die fünfte Jahrgangstufe des Gymnasiums ... (Klasse 5a). Im Aufnahmeantrag vom 9. Mai 2014 war unter „Besondere Rücksichtnahme“ vermerkt, dass der Kläger unter ADHS leide.

Ausweislich der Schülerakte wurden bereits ab Schulbeginn im September 2014 durch die Lehrkräfte beim Kläger - trotz Schulbegleitung (Frau ...) - Verhaltensauffälligkeiten festgestellt. Der Kläger halte sich nicht an Regeln oder Anweisungen, sei unkonzentriert und zeige ein aggressives, gewalttätiges und beleidigendes Verhalten gegenüber Mitschülern und Lehrkräften. Es komme auch zu Sachbeschädigungen.

Daraufhin kam es zu Gesprächen zwischen der Schule, dem Jugendamt und der Mutter des Klägers. Schließlich wurde eine neue Schulbegleitung für den Kläger bereitgestellt (Frau ...). Auch wurden dem Kläger Gespräche mit der Schulpsychologin angeboten.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2014 teilte das Gymnasium der Mutter des Klägers mit, dass dieser am selben Tag mehrfach den Unterricht gestört habe; zudem habe der Kläger kein Hausaufgabenheft geführt.

Ab 3. November 2014 besuchte der Kläger die Parallelklasse 5b der fünften Jahrgangsstufe des Gymnasiums.

Mit Schreiben des Gymnasiums vom 4. November 2014 wurde gegenüber dem Kläger ein Verweis ausgesprochen. Der Kläger habe am 3. November 2014 mehrere Mitschüler während des Sportunterrichts beleidigt, sodann zu Unrecht seine Mitschüler beschuldigt und insoweit die Lehrkraft belogen.

Am 5. November 2014 erörterte das Gymnasium den Fall des Klägers mit der Staatlichen Schulberatungsstelle ....

Mit Schreiben des Gymnasiums vom 12. November 2014 wurde gegenüber dem Kläger ein verschärfter Verweis ausgesprochen. Der Kläger habe am 11. November 2014 seine Schulbegleiterin laut beschimpft und mit einem Heft nach ihr geschlagen. Die Anweisungen des Schulleiters habe der Kläger ignoriert. Zur Ursache des Vorfalls habe der Kläger gegenüber Lehrkräften unrichtige Angaben gemacht.

In der Folge wandte sich die Mutter des Klägers aufgrund der zunehmenden Probleme des Klägers in der Schule mit umfangreichen E-Mails und Nachrichten an die Schulleitung und wies nachdrücklich auf die ADHS-Disposition ihres Sohnes hin, auf die nach dem gesetzlichen Inklusionsgebot seitens der Schule stärker Rücksicht zu nehmen sei. Mit Schreiben des Gymnasiums vom 13. November 2014 wurde der Mutter des Klägers insoweit u. a. mitgeteilt, dass die Anstrengungen der Schule zur Integration des Klägers enorm seien. Von allen Schülerinnen und Schülern werde jedoch - unabhängig von einer etwaigen ADHS-Diagnose - angemessenes Verhalten verlangt. Verweise als Erziehungsmaßnahme dienten der Gewährleistung eines geordneten schulischen Miteinanders.

Mit Schreiben des Gymnasiums vom 18. November 2014 wurde gegenüber dem Kläger ein erneuter Verweis ausgesprochen. Hintergrund war, dass der Kläger - trotz ausdrücklicher und unter Androhung eines Verweises erfolgter entgegenstehender Anordnung des Klassenleiters - einen Mitschüler mit ausgestreckten Mittelfinger beleidigt und mit einem Besen angerempelt habe.

Mit Schreiben des Gymnasiums ebenfalls vom 18. November 2014 wurde gegenüber dem Kläger ein Unterrichtsausschluss nach Art. 86 Abs. 13 BayEUG ausgesprochen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger - ausweislich eines Vermerks der Schulbegleiterin - am selben Tag im Unterricht mehrmals Stifte und Bleistiftminen vor die Augen und ins Gesicht der Schulbegleiterin gehalten habe. Anweisungen der Schulbegleiterin seien durch den Kläger ignoriert bzw. unrichtige Behauptungen aufgestellt worden. Die Schulbegleiterin habe sich daraufhin bedroht gefühlt und den Unterricht verlassen. Sie habe in der Folge erklärt, sich zur Betreuung des Klägers nicht länger in der Lage zu sehen. Um erhebliche Gesundheitsgefährdungen für die Schülerinnen und Schüler zu verhindern, werde der Kläger vom Unterricht ausgeschlossen, bis eine neue Schulbegleitung oder eine andere Lösung gefunden wird. Über die Maßnahme setzte das Gymnasium mit Schreiben vom 18. November 2014 den Ministerialbeauftragten für die Gymnasien in ... in Kenntnis.

Mit Schreiben vom 19. November 2014 teilte das Gymnasium der Mutter des Klägers mit, dass dieser am 14. November 2014 unerlaubt den Unterricht verlassen und sodann gegenüber der stellvertretenden Schulleitung wahrheitswidrig behauptet habe, er habe hierzu die Erlaubnis der zuständigen Lehrkraft gehabt.

Ausweislich eines Ergebnisprotokolls vom 24. November 2014 fand am 21. November 2014 ein Runder Tisch zum Fall des Klägers statt, an dem die Schulleitung, die Schulpsychologin, die ehemaligen Schulbegleiterinnen, der den Kläger behandelnde Kinder- und Jugendpsychotherapeut sowie die Mutter des Klägers teilnahmen. Die Schule bekräftigte in diesem Rahmen nochmals, dass der Kläger ohne Schulbegleitung nicht am Unterricht teilnehmen könne.

Ende November 2014 konnte eine neue Schulbegleiterin für den Kläger (Frau ...) gefunden werden.

Mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 teilte das Gymnasium der Mutter des Klägers mit, dass der Kläger sich am 1. Dezember 2014 nicht an den Zeitraum gehalten habe, der für das Verlassen des Klassenzimmers vereinbart gewesen sei. Bei Versuchen der Lehrkraft, den Kläger in das Klassenzimmer zurückzuholen, habe der Kläger sich den Anordnungen durch mehrfaches Zuziehen der Tür widersetzt. Zudem habe der Kläger in einem anderen Zusammenhang (Sportbeutel) unflätige Ausdrücke verwendet.

Mit Schreiben des Gymnasiums jeweils vom 2. Dezember 2014 wurden gegenüber dem Kläger zwei verschärfte Verweise ausgesprochen. Der Kläger habe zum Einen am 2. Dezember 2014 den Schulleiter beim Unterrichtsbesuch beleidigt; eine Aufforderung, zur zweiten Pause ins Direktorat zu kommen, habe der Kläger ignoriert. Zum Anderen habe der Kläger am 2. Dezember 2014 den Musikunterricht massiv und unangemessen gestört und gegenüber der Lehrkraft ein aggressives Verhalten gezeigt. Insbesondere habe er eine Anordnung zum Nichtverlassen des Unterrichtsraums ignoriert.

Mit Schreiben des Gymnasiums vom 5. Dezember 2014 wurde gegenüber dem Kläger ein erneuter Verweis ausgesprochen. Hintergrund war, dass der Kläger am selben Tag einen nassen Schwamm auf einen Mitschüler geworfen habe und bei einer Zurredestellung zunächst laut geworden sei und sodann ein im Schulkorridor aufgehängtes Kunstwerk beschädigt habe.

Laut einem Vermerk der Staatlichen Schulberatung für ... vom 6. Dezember 2014 leide der Kläger nach Angaben des behandelnden Kinder- und Jugendpsychiaters an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens sowie einer reaktiven Bindungsstörung des Kindesalters. Der Kläger zeige Auffälligkeiten in der Steuerung seines Verhaltens und in der Impulskontrolle. Das Krankheitsbild habe große Auswirkungen auf sein Sozialverhalten. Häufig zeige er oppositionelles Verhalten gegenüber Autoritätspersonen, im Konfliktfall neige er zu Wutausbrüchen und Lügen. Dem Kläger falle es schwer, sich in der Klassengemeinschaft zu integrieren und tragfähige Beziehungen aufzubauen. Im Kontakt mit seinen Mitschülern reagiere er mit verbaler und körperlicher Gewalt. Der Kläger benötige individuelle Hilfe bei der Strukturierung seines Unterrichtsvormittags und der Organisation des Lernens. Spezifische Förder- und Unterstützungsangebote sowie ein individuelles Beziehungsangebot und regelmäßige Gespräche mit allen Beteiligten seien erforderlich, um einerseits die Integration und den Schulerfolg des Klägers zu ermöglichen und andererseits die Mitschüler zu schützen und einen effektiven Unterricht für seine Klasse zu ermöglichen. Das Gymnasium sei der geeignete Lernort für den Kläger, der einen sehr hohen Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung aufweise.

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2014 teilte ein den Kläger seit Oktober 2013 behandelnder Kinder- und Jugendpsychotherapeut der Schule mit, dass der Kläger an Konzentrationsschwierigkeiten, Sozialverhaltensschwierigkeiten sowie Belastungserlebnissen (u. a. traumatisierend verarbeitete Wegnahme und Unterbringung) leide. Als Diagnosen seien „Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (ADHS)“ sowie „Sonstige kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen“ gestellt worden.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2014 teilte das Gymnasium der Mutter des Klägers mit, dass dieser am selben Tag im Englisch-Unterricht eine Seite aus dem Heft gerissen habe. Diese Seite habe die Lehrkraft sodann an sich genommen; daraufhin habe der Kläger die Seite der Lehrkraft aus der Hand gerupft und zu einem Papierball geformt. Erst nach mehrfachen erfolglosen Anordnungen habe der Kläger schließlich die Seite der Lehrkraft wieder ausgehändigt.

Seit Januar 2015 war sodann eine andere Schulbegleiterin (Frau ...) für den Kläger zuständig.

Ausweislich eines Schreibens der Elternsprecherin der Klasse 5b vom 21. Januar 2015 bestünden seitens einzelner Eltern von Mitschülern des Klägers aufgrund des Verhaltens des Klägers ernsthafte Sorgen um das Wohl ihrer Kinder in der Schule, wenn nicht sogar um Leib und Leben. Zwischen den Herbst- und Weihnachtsferien hätten sich insoweit folgende Vorfälle mit dem Kläger ereignet:

- Werfen eines tropfnassen Schwamms nach einem Mitschüler nach Ansprache durch diesen als „...“

- Wegnehmen der Sporthose eines Mitschülers, der ihn geärgert habe, und Versenkung in der Toilette

- Packen der Schulbegleitung am Arm und Einnahme einer Drohgebärde mit einem hoch erhobenen Stift (gehalten wie ein Messer)

- Geste gegenüber einer ihn auf die Regeln beim Ballspiel hinweisenden Mitschülerin: Vorbeiführen der flachen Hand entlang der Kehle.

- Verbale Drohungen: „noch ein Wort und ich mach dich kalt“, „ich eliminier euch alle“ oder „ich wünschte, alle Jungs in der Klasse wären tot“

2. Mit E-Mail vom 26. Januar 2015 teilte die Schulbegleiterin des Klägers der Mutter des Klägers und dem stellvertretenden Schulleiter mit, dass der Kläger an diesem Tag kontinuierlich sehr herausfordernde Verhaltensweisen gezeigt habe. U. a. habe der Kläger im Deutsch- und Musikunterricht wegen Stören des Unterrichts deutlich ermahnt werden müssen. Auch habe der Kläger ihr gegenüber einen Befehlston verwendet („Sie sind dafür da, meine Mathesachen auszupacken, also los!“) und sogar nach ihr gepfiffen. Um ein trotz Ermahnung fortgesetztes, gefährliches Wedeln des Klägers mit dem Sportbeutel zu verhindern, habe sie diesen - trotz ausdauerndem Festhalten des Klägers - an sich genommen. Hierauf habe der Kläger sie beleidigt und an ihrer Jacke gezogen. Im Eingangsbereich der Sporthalle habe der Kläger die Tür trotz Ermahnung blockiert, um die anderen Kinder zu ärgern. Auch habe er andere Mitschüler beleidigt („Ihr seid die Dümmsten!“ oder „Ihr seid so hässlich!“).

Mit E-Mail vom 28. Januar 2015 teilte die Schulbegleiterin des Klägers der Mutter des Klägers und dem stellvertretenden Schulleiter u. a. mit, dass ihr der Kläger an diesem Tag nach der Bitte, ein Schulbuch loszulassen, mit der Faust auf den Arm geschlagen habe. Nachdem es ihr gelungen sei, dem Kläger das Schulbuch aus der Hand zu nehmen, habe der Kläger sie mit einem vor Wut erstarrten, roten Gesicht angeblickt. Dies habe der Schulbegleiterin Angst gemacht. Einige Minuten später habe der Kläger mit dem Hausaufgabenheft nach ihr geworfen.

Mit E-Mail vom 2. Februar 2015 teilte die Schulbegleiterin des Klägers der Mutter des Klägers und dem stellvertretenden Schulleiter u. a. mit, dass der Kläger im Sportunterricht einen Klassenkameraden in der Umkleide mehrmals beleidigt habe (z. B. „Du stinkst.“).

Ausweislich einer E-Mail der Schulbegleiterin des Klägers vom 11. Februar 2015 an das Gymnasium sei der Kläger am Dienstag (3.2.2015) gegenüber einem Schüler der Parallelklasse handgreiflich geworden. Die Schulbegleiterin habe jedoch den Griff des Klägers an den Schal des anderen Schülers beenden können. Am folgenden Tag (Mittwoch, 4.2.2015) sei es dem Kläger sehr schwer gefallen, die Autorität der Schulbegleitung zu akzeptieren; er habe versucht, sich handgreiflich durchzusetzen. Als dies nicht gelungen sei, habe er sich wütend zum Schulleiter begeben, um sich zu beschweren. Auf dem Weg dorthin habe er die Kontrolle verloren und die Schulbegleiterin kräftig an die Schulter geschlagen. Daneben sei es zu Beschimpfungen gekommen. Der Kläger habe sich nicht beruhigen können und während des Gesprächs mit dem stellvertretenden Schulleiter den Vorfall geleugnet und die Schulbegleiterin als Lügnerin bezeichnet. Sie beende nunmehr ihre Tätigkeit als Schulbegleiterin des Klägers, da das Verhalten des Klägers im normalen Schulbetrieb für sie nicht einschätzbar und regulierbar sei.

3. Mit E-Mail vom 4. Februar 2015 teilte der stellvertretende Schulleiter des Gymnasiums der Mutter des Klägers unter Berufung auf das Hausrecht (Art. 57 Abs. 2 BayEUG) mit, dass der Kläger aufgrund der aktuellen Vorfälle bis einschließlich Freitag, den 6. Februar 2015 das Schulhaus auch in Begleitung der Schulbegleiterin nicht betreten dürfe.

Mit Schreiben des Gymnasiums vom 5. Februar 2015 wurde die Mutter des Klägers darüber informiert, dass gegen den Kläger ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden müsse. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger sowie ein ggf. durch diesen hinzugezogener Vertrauenslehrer Gelegenheit zur Äußerung vor dem am 13. Februar 2015, 10.30 Uhr tagenden Disziplinarausschuss erhalten werde.

Mit E-Mail vom 6. Februar 2015 teilte der stellvertretende Schulleiter des Gymnasiums der Mutter des Klägers auf deren Nachfrage mit, dass nach seiner Kenntnis die Schulbegleiterin des Klägers aufgrund der aktuellen Vorfälle ihre Funktion nicht länger ausüben wolle. Es wurde auf die Entscheidung aus dem November 2014 verwiesen, nach der der Kläger ohne geeignete Schulbegleitung nicht am Unterricht teilnehmen könne. Hinsichtlich des weiteren Vorgehens wurde die Mutter des Klägers gebeten, sich mit dem Jugendamt in Verbindung zu setzen.

Ausweislich des Protokolls des Disziplinarausschusses des Gymnasiums zur Sitzung vom 13. Februar 2015 ist dort der Fall des Klägers eingehend erörtert worden. Vor dem Hintergrund des Rücktritts mehrerer Schulbegleitungen und der bisherigen zahlreichen Maßnahmen der Schule fasste der Schulleiter chronologisch die Vorfälle der vorangegangenen Wochen zusammen. Im Ergebnis sei das Verhalten des Klägers unkontrolliert, in vielen Fällen aggressiv und unberechenbar. Die Sicherheit des Klägers und seiner Mitschülerinnen und Mitschüler könne daher nicht gewährleistet werden. Mit Blick auf die intensiven Bemühungen aller Beteiligten würden die permanenten Vorwürfe der Mutter des Klägers Befremden auslösen. In der nachfolgenden Anhörung habe die Mutter des Klägers auf die aus ihrer Sicht ungeeigneten bisherigen Schulbegleiter hingewiesen und geeignetes Fachpersonal zur Betreuung des Klägers gefordert; allgemein sei eine stärkere schulische Rücksichtnahme auf die ADHS-Disposition des Klägers geboten. Auch der Kläger habe seine Sicht der Dinge äußern können. In der anschließenden Beratung des Disziplinarausschusses seien sodann der Werdegang des Klägers, positive Entwicklungen sowie disziplinarisch relevante Vorfälle abgewogen worden. Angesichts der Beschimpfungen, Beleidigungen, Lügen und physischen Aggressionen seitens des Klägers habe die Schule bisher sehr zurückhaltend agiert. Jedoch seien auch die Rechte der übrigen Schüler zu wahren. Da mildere Ordnungsmaßnahmen nicht gegriffen hätten, sei letztlich einstimmig die Androhung der Entlassung beschlossen worden.

4. Mit Bescheid des Gymnasiums vom 13. Februar 2015 wurde gegenüber dem Kläger daraufhin die Androhung der Entlassung ausgesprochen.

Zur Begründung wurde auf die Sitzung des Disziplinarausschusses nebst Anhörung des Klägers und seiner Mutter vom selben Tage und die dortige Beschlussfassung Bezug genommen. Die Tatsache, dass mildere Mittel bisher nicht gegriffen hätten, führe gemäß Art. 86 Abs. 2 BayEUG zur Androhung der Entlassung von der Schule.

5. Hiergegen hat die Mutter des Klägers für diesen am 12. März 2015 Klage erhoben. Beantragt wird,

den Bescheid des Gymnasiums Füssen vom 13. Februar 2015 aufzuheben.

In formeller Hinsicht sei die gebotene Frauenquote im Disziplinarausschuss nicht gewahrt worden. Zudem sei dieses Gremium nicht objektiv, da kein Lehrer gegen den Willen des Schulleiters entscheide. In materieller Hinsicht habe das Gymnasium seine gesetzliche Inklusionspflicht aus Art. 2 Abs. 2 BayEUG, nach der der an ADHS leidende Kläger in den Schulbetrieb zu integrieren sei, nicht erfüllt. Eine Inklusionspflicht folge auch aus dem Grundgesetz und den einschlägigen UN-Konventionen. Hiernach hätten alle Kinder - auch solche mit sonderpädagogischem Förderbedarf - ein Recht, die allgemeine Schule zu besuchen. Eine Ausgrenzung und Diskriminierung im Bildungsbereich sei unzulässig. Das Gymnasium habe nicht die gebotene Zusammenarbeit mit dem den Kläger behandelnden Kinderpsychologen gesucht, sondern lediglich mit dauernden schulischen Ordnungsmaßnahmen reagiert. Dies sei im Fall des an ADHS leidenden Klägers jedoch gerade nicht zielführend, wie auch eine Stellungnahme des behandelnden Kinder- und Jugendpsychotherapeuten vom 16. März 2015 bestätige. Das Jugendamt habe zudem keine fachlich wie persönlich für ein ADHS-Kind geeigneten Schulbegleiter zur Verfügung gestellt; auch die Schule habe sie insoweit pflichtwidrig nicht hinreichend unterstützt. Die letzte Schulbegleiterin habe überdies aufgrund einer parallel absolvierten Ausbildung zeitlich nur eingeschränkt zur Verfügung gestanden; an 24 Schultagen sei sie von vornherein verhindert gewesen. Der Vorwurf des Schlagens dieser Schulbegleiterin am 4. Februar 2015 sei zudem unzutreffend, der Kläger habe sich bei unangemessenem Festhalten lediglich losgerissen. Da das Gymnasium sich weigere, den Kläger ohne Schulbegleiter zu beschulen, habe der überdurchschnittlich intelligente Kläger aufgrund des pflichtwidrigen Behördenverhaltens bereits Unterricht in erheblichem Maße versäumt und für das Schuljahr 2014/15 kein Zwischenzeugnis, sondern lediglich eine Anwesenheitsbescheinigung erhalten. Von 4. Februar 2015 bis 9. Juni 2015 (etwa vier Monate) habe der Kläger mangels Schulbegleitung gar nicht die Schule besucht; das Jugendamt habe insoweit tatsächlich geeignete Kandidaten rechtswidrig abgelehnt. Nunmehr habe sie jedoch einen geeigneten Schulbegleiter für den Kläger gefunden, der die nötige Lebenserfahrung und Stärke besitze, um mit dem Kläger erfolgreich umzugehen. Das Jugendamt weigere sich jedoch insoweit, für die Kosten aufzukommen. Letztlich gehe es dem Gymnasium nur darum, den Kläger als „Störfaktor“ im Schulbetrieb loszuwerden und auf eine Sonderschule zu verbringen.

6. Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

In formeller Hinsicht gelte, dass der Disziplinarausschuss ordnungsgemäß besetzt gewesen sei. In materieller Hinsicht sei die gegenständliche schulische Ordnungsmaßnahme angesichts der Vielzahl von Verfehlungen des Klägers insbesondere unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sei unter Einbeziehung pädagogischer Erwägungen zu bedenken gewesen, dass das Verhalten des Klägers im Hinblick auf die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule und des Schutzes Dritter - etwa der Mitschüler - nicht länger hingenommen werden konnte. Dem Kläger sei vielmehr vor Augen zu führen gewesen, dass sein Verhalten nicht geduldet werden kann. Es sei auch nicht zutreffend, dass das Gymnasium das gesetzliche Inklusionsgebot nicht hinreichend beachtet habe. Die Schule habe vielmehr intensive Bemühungen zur Integration des Klägers unternommen. Hierbei seien auch das Jugendamt, die Staatliche Schulberatung, die Schulpsychologin, der den Kläger behandelnde Jugendpsychotherapeut, die Lebenshilfe ... und das Büro eines örtlichen Landtagsabgeordneten involviert gewesen. Die Schule habe sich jedoch permanenten Vorwürfen durch die Mutter des Klägers ausgesetzt gesehen, obwohl eine umfangreiche wechselseitige Kommunikation stattgefunden habe. Im laufenden Schuljahr seien insgesamt vier durch das Jugendamt finanzierte Schulbegleiter im Fall des Klägers tätig gewesen, die alle ihre Tätigkeit aufgrund des unkontrollierten, teils aggressiven Verhaltens des Klägers beendet hätten. Ein Mitgrund für die Rücktritte sei stets auch die schwierige, teilweise destruktive Kommunikation mit der Mutter des Klägers gewesen. Der klägerische Vorwurf einer mangelnden Qualifikation der Schulbegleiter sei unzutreffend, gerade mit Blick auf die letzte Schulbegleiterin (Frau ...) als ausgebildete Logopädin. Letztlich sei eine ADHS-Diagnose kein Freibrief für schulisches Fehlverhalten.

7. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Schulbegleiterin des Klägers zum Zeitpunkt der Vorfälle am 3./4. Februar 2015 als Zeugin. Hinsichtlich der Aussage wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung verwiesen.

8. Die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsakten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

1. Der Bescheid des Gymnasiums Füssen vom 13. Februar 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

a) Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

Dies gilt zunächst hinsichtlich des zuständigen Gremiums für die Androhung der Entlassung von der Schule. Zwar wird diese grundsätzlich gemäß Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) durch die Lehrerkonferenz ausgesprochen. Jedoch bestimmt Art. 58 Abs. 1 Satz 3 BayEUG, dass bei Schulen mit - wie hier - mehr als 25 mit mindestens der Hälfte der Unterrichtspflichtzeit beschäftigten Lehrkräften für die Dauer eines Schuljahres ein Disziplinarausschuss gebildet wird, der insoweit die Aufgaben der Lehrerkonferenz wahrnimmt (vgl. BayVGH, B. v. 18.5.2009 - 7 ZB 08.1801 - juris Rn. 8; VG Augsburg, U. v. 14.2.2012 - Au 3 K 11.1304 - juris Rn. 23). Die klägerseitig gerügte Nichteinhaltung einer Frauenquote im Disziplinarausschuss greift nicht durch, da eine Frauenquote insoweit gesetzlich nicht vorgesehen ist. Auch die klägerischen Zweifel an der Objektivität des Disziplinarausschusses überzeugen nicht; der diesbezügliche Vortrag ist völlig unsubstantiiert.

Der Kläger und seine Mutter wurden vor Erlass der Maßnahme auch im gebotenen Umfang angehört. Nach Art. 86 Abs. 9 Satz 2 BayEUG ist der Schülerin bzw. dem Schüler, bei Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 10 BayEUG zusätzlich auch den Erziehungsberechtigten, Gelegenheit zur Äußerung zu geben, bei Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 6a bis 10 BayEUG auf Antrag persönlich in der Lehrerkonferenz bzw. dem an deren Stelle tretenden Disziplinarausschuss (vgl. auch Tangermann, BayVBl. 2008, 357/362 f.). Diesen Anforderungen hat die Schule im vorliegenden Fall entsprochen. Der Schulleiter hat die Mutter des Klägers mit Schreiben vom 5. Februar 2015 (Blatt 196 der Verwaltungsakte) über die Einberufung des Disziplinarausschusses informiert; der Mutter des Klägers war aus der vorangegangenen Kommunikation auch bekannt, welche Vorfälle im Raum standen. In diesem Kontext wurde durch die Schule auf die Möglichkeiten, sich vor der Sitzung des Disziplinarausschusses gegenüber der Schulleitung wie auch persönlich gegenüber dem Disziplinarausschuss zu äußern, eine Lehrkraft ihres Vertrauens einzuschalten sowie die Mitwirkung des Elternbeirats zu beantragen, ausdrücklich hingewiesen. Es war insbesondere auch nicht erforderlich, die Mutter des Klägers bereits mit der Unterrichtung über die Vorfälle vom 3./4. Februar 2015 zu einer konkret beabsichtigten Ordnungsmaßnahme anzuhören. Durch die Kenntnis von den gegenständlichen Vorfällen sowie durch das Schreiben vom 5. Februar 2015 und die darin angekündigte Einberufung des Disziplinarausschusses war bereits ersichtlich, dass eine empfindliche Ordnungsmaßnahme und somit möglicherweise auch die Androhung der Entlassung von der Schule nach Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BayEUG in Betracht kommt. Die Festlegung auf eine konkrete Ordnungsmaßnahme bereits im Rahmen der Anhörung war weder möglich noch geboten. Über die zu verhängende Ordnungsmaßnahme entscheidet die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss aufgrund des Ergebnisses seiner Sitzung. Die Festlegung auf eine konkrete Ordnungsmaßnahme bereits im Vorfeld der Sitzung wäre einer unzulässigen Vorverurteilung gleichgekommen. In der Sitzung des Disziplinarausschusses am 13. Februar 2015 wurden sodann sowohl der Kläger als auch seine anwesende Mutter angehört; ihnen wurde damit ausreichend Gelegenheit zur Äußerung gegeben (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B. v. 18.5.2009 - 7 ZB 08.1801 - juris Rn. 9 f.; VG Augsburg, U. v. 14.2.2012 - Au 3 K 11.1304 - juris Rn. 26).

b) Auch in materieller Hinsicht ist die Androhung der Entlassung von der Schule zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses rechtsfehlerfrei.

aa) Gemäß Art. 86 Abs. 1 BayEUG können zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags oder zum Schutz von Personen und Sachen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Ordnungsmaßnahmen gegenüber Schülerinnen und Schülern getroffen werden, soweit andere Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen. Als Ordnungsmaßnahme kommt gemäß Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BayEUG u. a. die Androhung der Entlassung von der Schule in Betracht. Die Androhung der Entlassung nach Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BayEUG ist gemäß Art. 86 Abs. 7 BayEUG nur zulässig, wenn der Schülerin oder der Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet hat.

Für die Wahl der Ordnungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (Art. 86 Abs. 1 BayEUG) kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maß die Erfüllung des Schulzwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurden, wie sie in Art. 131 der Bayerischen Verfassung (BV), Art. 1, 2 BayEUG niedergelegt ist (BayVGH, B. v. 2.9.1993 - 7 CS 93.1736 - BayVBl. 1994, 346 m. w. N.). Die Wahl der Ordnungsmaßnahme erweist sich damit als eine pädagogische Ermessensentscheidung, bei der die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss darauf zu achten hat, dass die Ordnungsmaßnahme zur Schwere des zu ahndenden und zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis steht. Die dabei neben der objektiven Feststellung und Gewichtung der Schwere des Fehlverhaltens des Schülers vorwiegend nach pädagogischen Gesichtspunkten vorzunehmende Beurteilung der Person und des Verhaltens des betreffenden Schülers entzieht sich allerdings einer vollständigen Erfassung nach rein rechtlichen Kriterien und bedingt daher sachnotwendig, ähnlich wie bei sonstigen pädagogischen Werturteilen, einen Wertungsspielraum der Lehrerkonferenz bzw. des Disziplinarausschusses. In diesen Bereich spezifisch pädagogischer Wertungen und Überlegungen haben die Verwaltungsgerichte nicht korrigierend einzugreifen; sie können nicht anstelle des zuständigen Gremiums der Schule eigene pädagogische Erwägungen anstellen, zu denen sie sachgerecht auch nicht in der Lage wären. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle haben die Gerichte aber den gegen die Maßnahme erhobenen Einwendungen nachzugehen und die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Sie haben insbesondere zu kontrollieren, ob die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss mit der Ordnungsmaßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen hat. Der gerichtlichen Überprüfung obliegt es ferner, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden und ob sie ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten. Bestreitet ein Schüler die Feststellungen, auf denen die Entscheidung der Lehrerkonferenz bzw. des Disziplinarausschusses beruht, so hat das Gericht dem nachzugehen (BayVGH, U. v. 19.2.2008 - 7 B 06.2352 - juris m. w. N.; vgl. zum Ganzen: BayVGH, B. v. 18.5.2009 - 7 ZB 08.1801 - juris Rn. 15).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben und Grundsätze ist die gegenständliche Androhung der Entlassung des Klägers von der Schule nicht zu beanstanden.

Nach Art. 56 Abs. 4 Satz 1 BayEUG haben sich alle Schülerinnen und Schüler so zu verhalten, dass die Aufgabe der Schule erfüllt und das Bildungsziel erreicht werden kann; sie haben alles zu unterlassen, was den Schulbetrieb oder die Ordnung der von ihnen besuchten Schule stören könnte (Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG). Diese Pflichten, die aus der nach Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und Art. 130 Abs. 1 BV verfassungsrechtlich geforderten Funktionsfähigkeit des öffentlichen Schulwesens abzuleiten sind und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 BV) ebenso wie der grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit der Schüler (Art. 5 Abs. 1 GG; Art. 110 Abs. 1 BV) rechtliche Schranken setzen (BayVGH, U. v. 10.3.2010 - 7 B 09.1906 - juris), wurden durch den Kläger während des Schuljahrs 2014/2015 bis zur Androhung der Entlassung fortlaufend und in erheblicher Weise verletzt, was die Erfüllung der Aufgabe der Schule und auch die Rechte anderer Schüler auf einen ungestörten Unterricht wie auch von Lehrkräften auf Wahrung ihrer persönlichen Integrität gefährdete (vgl. zum Ganzen: VG Augsburg, U. v. 14.2.2012 - Au 3 K 11.1304 - juris Rn. 33).

Gegen den Kläger wurde - neben zahlreichen formlosen Mitteilungen an seine Mutter wegen Vorfällen geringerer Bedeutung - bereits im Vorfeld eine Vielzahl von förmlichen Ordnungsmaßnahmen i. S. v. Art. 86 Abs. 2 Satz 1 BayEUG - drei Verweise (Blatt 51, 93 und 135 der Verwaltungsakte), drei verschärfte Verweise (Blatt 62, 125 und 126 der Verwaltungsakte) sowie ein Unterrichtsausschluss (Blatt 94 der Verwaltungsakte) - verhängt. Die ergriffenen Ordnungsmaßnahmen entsprachen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, waren pädagogisch sinnvoll abgestuft und begegnen keinen rechtlichen Bedenken (vgl. zum Ganzen: VG Augsburg, U. v. 14.2.2012 - Au 3 K 11.1304 - juris Rn. 34).

Vor diesem Hintergrund ist auch mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinsichtlich der Vorfälle vom 3./4. Februar 2015 die ausgesprochene Androhung der Entlassung von der Schule rechtlich nicht zu beanstanden.

Für das Gericht steht fest, dass der Kläger am Dienstag (3.2.2015) zunächst gegenüber einem Schüler der Parallelklasse handgreiflich geworden ist. Die Schulbegleiterin hat jedoch den Griff des Klägers an den Schal des anderen Schülers beenden können. Am folgenden Tag (Mittwoch, 4.2.2015) ist es sodann dem Kläger sehr schwer gefallen, die Autorität der Schulbegleitung zu akzeptieren; er hat dann im Zusammenhang mit einer Computerbenutzung versucht, sich handgreiflich durchzusetzen. Als dies nicht gelungen ist, hat er sich wütend zum Schulleiter begeben, um sich zu beschweren. Auf dem Weg dorthin hat er die Kontrolle verloren und die Schulbegleiterin an die Schulter geschlagen. Daneben ist es zu Beschimpfungen gekommen. Der Kläger hat sich nicht beruhigen können und während des Gesprächs mit dem stellvertretenden Schulleiter den Vorfall geleugnet und die Schulbegleiterin als Lügnerin bezeichnet (siehe zum Ganzen: Stellungnahme der damaligen Schulbegleiterin des Klägers vom 11. Februar 2015, Blatt 201 der Verwaltungsakte). Diesen Sachverhalt hat die als Zeugin vernommene damalige Schulbegleiterin in der mündlichen Verhandlung nochmals im Kern bestätigt. Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage hat das Gericht nicht. Die Zeugin hat insoweit keinerlei Belastungseifer gezeigt, sondern eher den Eindruck gemacht, den Kläger noch in Schutz nehmen zu wollen. Zudem deckt sich die Darstellung der Zeugin mit ihrer - seitens der Mutter des Klägers nicht bestrittenen - Darstellung zu einem ähnlichen Vorfall vom 28. Januar 2015 (Blatt 181 der Verwaltungsakte). Soweit die Mutter des Klägers den seitens der Zeugin geschilderten Hergang am 3./4. Februar 2015 bestreitet und auf die ihr gegenüber gemachten abweichenden Angaben des Klägers selbst verweist, so überzeugt dies das Gericht nicht; denn insoweit handelt es sich um bloße Erkenntnisse vom Hörensagen. Über eigene Wahrnehmungen zu den Vorfällen am 3./4. Februar 2015 verfügt die Mutter des Klägers nicht, da sie jeweils nicht persönlich zugegen gewesen ist.

Die Schule hat auch ihr pädagogisches Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Im Bescheid vom 13. Februar 2015 selbst (Blatt 202 der Verwaltungsakte) ist zwar insoweit lediglich ausgeführt, dass angesichts der Tatsache, dass mildere Maßnahmen bisher nicht gegriffen hätten, nunmehr die Androhung der Entlassung von der Schule ausgesprochen werde. Gleichzeitig wurde im Bescheid jedoch auf die ausführliche und intensive Beratung im Disziplinarausschuss verwiesen, wo alle Fakten und Erkenntnisse abgewogen worden seien. Ausweislich des Protokolls zur Sitzung des Disziplinarausschusses vom 13. Februar 2015 (Blatt 204 - 207 der Verwaltungsakte) hat das Gremium insoweit den Werdegang des Klägers, positive Entwicklungen sowie disziplinarisch relevante Vorfälle abgewogen. Angesichts der Beschimpfungen, Beleidigungen, Lügen und physischen Aggressionen seitens des Klägers habe die Schule bisher sehr zurückhaltend agiert. Jedoch seien auch die Rechte der übrigen Schüler zu wahren. Da mildere Ordnungsmaßnahmen nicht gegriffen hätten, sei letztlich mit Blick auf die gegenständlichen Ereignisse am 3./4. Februar 2015 einstimmig die Androhung der Entlassung (Art. 86 Abs. 2 BayEUG) beschlossen worden. Pädagogische Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich.

cc) Auch die beim Kläger diagnostizierte hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (Aufmerksamkeitsdefizit; ADHS) führt zu keinem anderen Ergebnis.

Bei der vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbaren pädagogischen Entscheidung, ob und mit welcher Ordnungsmaßnahme ein Verhalten des Schülers geahndet wird, ist zu beachten, dass diese nur zum Zweck der Erziehung des störenden Schülers getroffen werden darf. Anknüpfungspunkt einer Ordnungsmaßnahme ist - anders als im Strafrecht - nicht die Schuld des Schülers an einem ordnungswidrigen Zustand, sondern dieser Zustand selbst, soweit ihn der Schüler herbeigeführt hat. Ziel der Ordnungsmaßnahme ist es jedoch, weitere Vorfälle dieser Art zu vermeiden. Deshalb ist die Verantwortlichkeit des Schülers für den betreffenden Zustand und der Grad seines Verschuldens dennoch bedeutsam (vgl. zum Ganzen: VG Augsburg, U. v. 16.11.2010 - Au 3 K 10.596 - juris Rn. 29).

Insofern war der Zustand des Klägers auf der Grundlage seiner ADHS-Erkrankung bei der Entscheidung über die Ordnungsmaßnahme grundsätzlich zu berücksichtigen. Wie sich bereits aus dem Aufnahmeantrag vom 9. Mai 2014 ergibt, war der Schule bekannt, dass beim Kläger eine ADHS-Erkrankung diagnostiziert worden war. Die ADHS-Problematik des Klägers wird auch in der Stellungnahme der Staatlichen Schulberatung vom 8. Dezember 2014 (Blatt 138 der Verwaltungsakte) eingehend unter Berücksichtigung fachärztlicher Befunde erörtert. Auch hat die Mutter des Klägers in der Sitzung des Disziplinarausschusses vom 13. Februar 2015 nochmals nachdrücklich auf die ADHS-Disposition des Klägers hingewiesen. Ausweislich des betreffenden Sitzungsprotokolls war die ADHS-Erkrankung des Klägers auch Gegenstand der Beratungen des Disziplinarausschusses, wo u. a. von einem „sonderpädagogischen Förderbedarf“ des Klägers die Rede ist (Blatt 204 der Verwaltungsakte). Der Schule war mithin grundsätzlich bei den maßgeblichen Beratungen im Disziplinarausschuss bekannt, dass das Verhalten des Klägers zumindest in gewissem Umfang veranlagungsbedingt ist. Es ist mit Blick auf die umfangreiche Thematisierung der ADHS-Disposition des Klägers im Disziplinarausschuss auch davon auszugehen, dass die Erkrankung im Rahmen der Entscheidung über die Ordnungsmaßnahme hinreichend berücksichtigt wurde; dies ergibt sich insbesondere aus den Aussagen des Schulleiters im Abschnitt „Anhörung“ (Blatt 205 der Verwaltungsakte), nach der die Schule sehr wohl Rücksicht auf die spezielle Situation des Klägers genommen habe, was auch durch die Tatsache belegt werde, dass mit der Einberufung des Disziplinarausschusses trotz vieler Mitteilungen und Ordnungsmaßnahmen so lange gewartet worden sei (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B. v. 21.8.2002 - 7 ZB 02.639 - juris Rn. 4; VG Augsburg, U. v. 16.11.2010 - Au 3 K 10.596 - juris Rn. 30).

Einer ADHS-Erkrankung kommt jedoch keine „Sperrwirkung“ gegenüber einer grundsätzlich als angemessen erachteten pädagogischen Ordnungsmaßnahme zu. Im vorliegenden Fall haben bei den Ermessensüberlegungen die Auswirkungen des Verhaltens des Klägers auf den Schulfrieden sowie die gesteigerte Aggressivität des Klägers gegenüber Lehrkräften, Mitschülerinnen und Mitschülern sowie der Schulbegleitung die ausschlaggebende Rolle gespielt; wenn ein solches Verhalten eine Ordnungsmaßnahme erfordert, die auch für andere Schüler das Signal setzt, derartiges Verhalten werde nicht toleriert, so ist eine solche Überlegung selbst bei festgestelltem ADHS nicht zu beanstanden. Es ist auch nicht von vornherein ersichtlich, dass Schüler mit einer ADHS-Erkrankung durch schulische Ordnungsmaßnahmen gänzlich nicht beeinflussbar wären. Letztlich ist eine ADHS-Erkrankung auch im Lichte von Art. 2 Abs. 2 BayEUG, nach dem inklusiver Unterricht Aufgabe aller Schulen ist (vgl. zur inklusiven Schule auch Art. 30b BayEUG), kein Freibrief für schulisches Fehlverhalten (vgl. zum Ganzen: VG München, U. v. 6.11.2012 - M 3 K 12.2466 - juris Rn. 55; VG Augsburg, U. v. 28.6.2011 - Au 3 K 10.1927 - juris Rn. 35 f.; U. v. 16.11.2010 - Au 3 K 10.596 - juris Rn. 30).

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe der Schule ist, dem Kläger eine geeignete Schulbegleiterin zu stellen. Vielmehr ist dies Aufgabe der Jugendhilfe, wobei die Auswahl und anschließende Tätigkeit eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Träger der Maßnahme, Schulbegleitung, Jugendamt, Mutter des Klägers und diesem selbst voraussetzt. In diesen Prozess hat sich die Schule vorliegend intensiv eingebracht. Dass die Zusammenarbeit mehrfach gescheitert ist, kann jedenfalls nicht der Schule angelastet werden.

2. Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,

Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,

schriftlich zu beantragen.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder

Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, München,

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.

Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,

Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,

schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

Meta

Au 3 K 15.349

14.07.2015

VG Augsburg

Urteil

Sachgebiet: K

Zitier­vorschlag: VG Augsburg, Urteil vom 14.07.2015, Az. Au 3 K 15.349 (REWIS RS 2015, 8210)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8210

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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