Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2015, Az. VI R 71/13

6. Senat | REWIS RS 2015, 12758

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Gegenstand

(Verzicht auf die Zurückverweisung der Sache an das FG nach § 127 FGO -  Zurückverweisung an anderen Senat des FG nur bei Vorliegen besonderer sachlicher Gründe - Kein Rückschluss auf unfaire Einstellung des FG-Senats wegen bloßer Unrichtigkeit oder unzureichender Anonymisierung des FG-Urteils)


Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des [X.] vom 24. April 2013  1 K 764/11 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger zu 1. (Kläger zu 1.) wurde für das Streitjahr (2009) zusammen mit seiner im Streitjahr verstorbenen [[X.].]hefrau ([[X.].]) zur [[X.].]inkommensteuer veranlagt. [[X.].]rben nach [[X.].] sind der Kläger zu 1. und die in den Jahren 1999 und 2001 geborenen Kinder, die Kläger und Revisionskläger zu 2. und 3.

2

[[X.].] war in einer gesetzlichen Krankenkasse krankenversichert.

3

Im November 2007 begab sich [[X.].] in einem fortgeschrittenen Stadium ihrer [[X.].]rkrankung in die Klinik … in [X.] ([X.]). Bei der [X.] handelte es sich nicht um eine [X.] der gesetzlichen Krankenkassen.

4

Nach einer zwischen [[X.].] und der Krankenkasse getroffenen Vereinbarung übernahm die Krankenkasse 50 % der Kosten der stationären Behandlung der [[X.].] in der [X.]. Die von der Krankenkasse nicht getragenen Kosten der stationären Behandlung zahlte der Kläger zu 1.

5

[[X.].] schloss mit [X.], die im Streitjahr nicht zur Ausübung der Heilkunde zugelassen war, im Dezember 2007 eine Vereinbarung über eine Reikibehandlung.

6

An ihrem Todestag hatte [[X.].] Forderungen gegenüber einer Sparkasse in Höhe von 12.416 € und gegenüber einer Bausparkasse in Höhe von 8.103 €.

7

In der [[X.].]inkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger zu 1. verschiedene Aufwendungen, die anlässlich der Behandlung der [[X.].]rkrankung der [[X.].] entstanden und nicht von der Krankenkasse übernommen worden seien, sowie Bestattungskosten als außergewöhnliche Belastungen geltend.

8

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte die geltend gemachten Aufwendungen anlässlich der Behandlung der [[X.].] teilweise und zog hiervon eine zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 3 des [[X.].]inkommensteuergesetzes ([[X.].]StG) ab. Die Bestattungskosten ließ das [X.] nicht zum Abzug zu.

9

In den [[X.].]inspruchsentscheidungen erkannte das [X.] nach einem Hinweis auf die Möglichkeit einer verbösernden [[X.].]ntscheidung nur noch einen geringeren Betrag als außergewöhnliche Belastungen an.

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage überwiegend ab.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Während des Revisionsverfahrens erließ das [X.] einen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung gestützten Änderungsbescheid. In diesem Bescheid berücksichtigte das [X.] außergewöhnliche Belastungen nur noch in Höhe von 3.465 €, so dass sich nach Abzug der zumutbaren Belastung keine Überbelastung mehr ergab. Zur Begründung des Änderungsbescheids führte das [X.] aus, die Krankenkasse habe im Jahr 2013 Krankheitskosten in Höhe von 3.399,81 € erstattet. Die entsprechenden Krankheitskosten habe das [X.] bisher als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. In späteren Jahren gezahlte [[X.].]rsatzleistungen würden die Belastung im Jahr der Verausgabung rückwirkend mindern.

Hierzu tragen die Kläger vor, das [X.] habe die außergewöhnlichen Belastungen rechtsfehlerhaft um die im Jahr 2013 erfolgte Zahlung der Krankenkasse gekürzt. Die Zahlung sei nicht geleistet worden, um die im Streitjahr entstandenen und als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigten Krankheitskosten auszugleichen, sondern um Fehler der Krankenkasse abzugelten und den Kläger zu 1. weiterhin als Versicherungsnehmer zu halten. Die Zahlung sei zudem allein an den Kläger zu 1. erfolgt. [[X.].]ine Verrechnung mit Krankheitskosten der [[X.].] sei auch deshalb nicht zulässig.

Die Kläger beantragen,

1.

das [X.] aufzuheben und den [[X.].]inkommensteuerbescheid für 2009 vom 12. November 2013 dahin abzuändern, dass ein zu versteuerndes [[X.].]inkommen von … € der Besteuerung zugrunde gelegt wird;

2.

hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und eine [[X.].]ntscheidung des [X.] gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zu den Fragen einzuholen, ob

    

a)

die gesetzliche Regelung zur "zumutbaren Belastung" in § 33 [[X.].]StG verfassungswidrig ist, wenn damit [X.] [[X.].]inkommen zur Abwehr einer tödlichen [[X.].]rkrankung der Besteuerung unterworfen wird und

      

b)

die einfachgesetzlich vorgesehene Rückwirkung des [X.] in § 64 der [[X.].]inkommensteuer-Durchführungsverordnung verfassungswidrig ist, wenn der Steuerpflichtige im Rückwirkungszeitraum im Vertrauen auf die Rechtsprechung des [X.] ([X.]) disponiert hat;

3.

hilfsweise, das [X.] aufzuheben und die Sache an einen anderen Senat des [X.] zurückzuverweisen.

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Das Urteil der Vorinstanz ist nach §§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 127 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

1. Nach § 127 [X.]O kann der [X.] das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.], wenn während des Revisionsverfahrens ein geänderter Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Eine Zurückverweisung der Sache an das [X.] ist regelmäßig geboten, wenn der Bescheid einen neuen Streitpunkt enthält ([X.]-Urteil vom 6. Oktober 2009 IX R 5/09, [X.]/NV 2010, 654).

So verhält es sich im Streitfall. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid in der Gestalt der hierzu ergangenen [X.] wurde während des Revisionsverfahrens durch den Änderungsbescheid vom 12. November 2013 ersetzt.

Dieser Änderungsbescheid wurde nach § 121 i.V.m. § 68 [X.]O zum Gegenstand des Verfahrens. Da dem Urteil des [X.] ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt, kann es keinen Bestand haben (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 15. Mai 2013 VI R 28/12, [X.]E 241, 200, [X.], 737).

Der Senat macht von der Möglichkeit des § 127 [X.]O Gebrauch.

Die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das [X.] käme nur dann nicht in Betracht, wenn der Änderungsbescheid keine gegenüber den bisherigen Belastungen verbösernde Entscheidung enthält oder die geänderte Entscheidung nicht streitig ist ([X.]-Urteile in [X.]/NV 2010, 654, und vom 10. Oktober 2012 VIII R 44/10, [X.]/NV 2013, 359; [X.]-Beschluss vom 30. Juli 2014 IX B 151/13, [X.]/NV 2014, 1580, m.w.N.). Beides ist hier nicht der Fall. In dem Änderungsbescheid hat das [X.] --zu Lasten der Kläger-- die außergewöhnlichen Belastungen weiter herabgesetzt. Die Kläger haben die Rechtmäßigkeit der Minderung der außergewöhnlichen Belastungen in Abrede gestellt.

Hierzu hat das [X.] keine Feststellungen getroffen; im zweiten Rechtsgang wird das [X.] die Rechtmäßigkeit dieser Besteuerung zu prüfen haben.

Angesichts der aus verfahrensrechtlichen Gründen gebotenen Zurückverweisung ist inhaltlich zu der Revision im Übrigen nicht mehr Stellung zu nehmen.

2. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, die Streitsache, wie von den Klägern beantragt, an einen anderen Senat des [X.] zurückzuverweisen.

Gemäß § 155 [X.]O i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung kann der [X.] die Rechtssache an einen anderen Senat des [X.]. Da die Zurückverweisung an einen anderen Senat das Recht des Betroffenen auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) berührt, setzt sie besondere sachliche Gründe voraus, um eine willkürfreie Ermessensausübung zu gewährleisten. So kommt die Zurückverweisung an einen anderen Senat in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des erkennenden Senats des [X.] bestehen ([X.]-Urteile vom 25. November 2009 I R 18/08, [X.]/NV 2010, 941, und vom 18. April 2013 VI R 29/12, [X.]E 240, 570, [X.], 735).

Hierfür liegen im Streitfall keine zureichenden Anhaltspunkte vor. Da sich die Frage einer Zurückverweisung regelmäßig nur bei rechtsfehlerhafter Vorentscheidung stellt --die im Streitfall im Hinblick auf die Zurückverweisung der Sache an das [X.] aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht einmal feststeht--, kann die Zurückverweisung an einen anderen Senat des [X.] nicht allein mit der klägerseits geltend gemachten Unrichtigkeit des Urteils begründet werden. Auch die vom [X.] Datenschutzbeauftragten ausgesprochene Beanstandung des [X.] [X.] nach § 29 des [X.] Datenschutzgesetzes wegen der unzureichenden Anonymisierung der Vorentscheidung reicht nicht aus, um auf eine unsachliche oder unfaire Einstellung des 1. Senats des [X.] gegenüber den Klägern schließen zu können.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 71/13

14.04.2015

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 24. April 2013, Az: 1 K 764/11, Urteil

§ 127 FGO, § 68 FGO, § 121 FGO, § 155 FGO, § 563 Abs 1 S 2 ZPO, § 30 AO, § 29 DSG SN

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2015, Az. VI R 71/13 (REWIS RS 2015, 12758)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12758

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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