Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.01.2016, Az. 2 StR 438/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 17047

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:270116U2STR438.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 438/15
vom
27. Januar 2016

in der Strafsache
gegen

wegen besonders schwerer
Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 27.
Januar 2016,
an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
[X.] am [X.]
Zeng,

[X.] beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
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-

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 27. März 2015
mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleibt die Adhäsionsent-scheidung bestehen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstan-denen Auslagen, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Ver-gewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen versuchter gefähr-licher Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es den
Angeklagten verurteilt, an die [X.] über dem Basiszinssatz seit dem 24. März 2015 zu zahlen. Die [X.]
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gen gerichtete auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.
1.
Nach den Feststellungen des [X.]s begab sich die Nebenklä-gerin am frühen Morgen des 30. August 2014 in die Wohnung des Angeklagten, um dort gegen Entgelt mit ihm den Geschlechtsverkehr auszuüben. Nach er-folgtem einvernehmlichen Verkehr gestattete ihr der Angeklagte,
sich bei ihm auszuschlafen, woraufhin sich die Nebenklägerin im unbekleideten Zustand auf eine Matratze im Wohnzimmer legte. Gegen 14 Uhr wurde sie wach, weil der Angeklagte laut im [X.] herumschrie. Er beschimpfte die Nebenklägerin, die sich bedroht fühlte und daher überprüfte, ob sie die Wohnung verlassen könnte. Da
die Tür verschlossen und der Schlüssel nicht zu sehen
war, bat sie den [X.], sie gehen zu lassen. Dieser beschimpfte sie jedoch weiter und ent-gegnete, sie müsse
zwei Tage in der Wohnung bleiben;

i-beiden Händen ihren Hals und würgte sie so fest und lange, dass sie in akute Lebensgefahr geriet. Da
es der Nebenklägerin ge-lang, den Angeklagten wegzustoßen, schlug er sie mehrfach mit der Faust ins Gesicht
und auf den Kopf. Weil sie weitere Schläge befürchtete, gab sie ihre Gegenwehr schließlich auf und führte weinend den oralen und vaginalen [X.] mit dem Angeklagten durch. Der Angeklagte beschimpfte sie weiterhin und fügte ihr mit einer brennenden Zigarette mehrere Brandverletzun-gen im Bereich des Dekolleté zu.
Als der Angeklagte von der Nebenklägerin abließ, gestattete er ihr,
auf dem Balkon frische Luft zu schnappen. Dort
rief sie sogleich laut um Hilfe, wes-halb der Angeklagte auf ihren Rücken einschlug und vergeblich versuchte, sie 2
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in die Wohnung zurück zu ziehen. Anschließend versuchte er, ein Feuerzeug
an ihrem Schambereich zu entzünden, was ebenfalls nicht gelang. Daraufhin verschloss er die Tür von innen. Die Nebenklägerin wurde gegen 14.30 Uhr von Polizeibeamten, die Nachbarn herbeigerufen hatten, befreit.
2. Das [X.] hat den Angeklagten wegen des Geschehens in der Wohnung wegen besonders schwerer Vergewaltigung gemäß §
177 Abs.
4 Nr.
1 und 2b) StGB in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß §
223 StGB und wegen des Geschehens auf dem Balkon wegen versuchter gefährlicher Körper-verletzung gemäß §§
22, 23, 224 Abs.
1 Nr.
2 StGB in Tateinheit mit Körperver-letzung gemäß §
223 StGB verurteilt.

II.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat weitgehend Erfolg. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils weist mehrere Rechtsfehler zugunsten der Angeklagten auf. Die [X.] hat den Unrechtsgehalt der von ihr fest-gestellten Taten nicht ausgeschöpft und ist ihrer Kognitionspflicht nicht nachge-kommen.
1. Das [X.] hat es unterlassen, das Geschehen in der Wohnung und auf dem Balkon unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Geiselnahme (§
239b Abs. 1 StGB) zu würdigen.
Durch das Verschließen der Wohnung hat der Angeklagte die andauern-de physische Herrschaft über die Geschädigte erlangt und sich bereits insoweit ihrer bemächtigt im Sinne des §
239b Abs.
1 StGB (vgl. [X.]/[X.], StGB, 29.
Aufl.,
§ 239a Rn. 7). Nach den Feststellungen liegt es auch nahe, dass mit dem bis zum Eintritt akuter Lebensgefahr erfolgtem langen und festen 4
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6
-
Würgen der Geschädigten konkludent eine Drohung mit dem Tod einherging
(vgl. insoweit [X.], Beschluss vom 27. Mai 2014 -
2 [X.], [X.], 515). Es wäre daher zu erörtern gewesen, ob die durch das Verschließen der Wohnung geschaffene Beherrschungslage zum Zeitpunkt dieser qualifizierten Drohung und sich daher weitergehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Be-

(vgl. [X.], Beschluss vom 11.
Februar 2014 -
4 [X.]; Beschluss vom 9. September 2015 -
4 [X.], [X.], 336, 337). Dafür spricht, dass
der Angeklagte nicht nur die Wohnung verschlos-sen
hatte, sondern die Geschädigte, die dies bemerkt hatte und sich bedroht fühlte, weiter beschimpfte und ihr entgegnete, sie müsse nun zwei Tage in der Wohnung bleiben
und ihm für sexuelle Handlungen zur Verfügung stehen.
Sollte der Angeklagte die [X.] nicht bereits geschaffen
haben, um die Geschädigte durch eine qualifizierte Drohung zu nötigen, so
liegt es nach den Feststellungen zum weiteren Tatablauf nahe, dass er die [X.] [X.] insoweit ausnutzte.
2. Ungeachtet dessen kommt im
Hinblick auf die Tatgeschehen in der Wohnung und auf dem Balkon bereits nach den getroffenen Feststellungen [X.] auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Freiheitsberaubung nach §
239 Abs. 1 StGB in Betracht.
Dies hat das [X.] erkennbar übersehen.
3. Was das Tatgeschehen in der Wohnung betrifft, war die tateinheitliche Verurteilung nur wegen (einfacher) Körperverletzung
rechtsfehlerhaft. Zwar ist das [X.] zu Recht davon ausgegangen, dass die durch das Würgen der Geschädigten erfüllte Qualifikation des §
224 Abs.
1 Nr.
5 StGB durch §
177 Abs.
4 Nr.
2
Buchst. b
StGB verdrängt wird (vgl. zu § 250 Abs.
2 Nr.
2
Buchst.
b
StGB: [X.], Beschluss vom 12. August 2005 -
2 StR 317/05, [X.], 449). 8
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Der Angeklagte war jedoch tateinheitlich wegen gefährlicher
Körperverletzung gemäß §
224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu verurteilen, da die Verletzungen mit der brennenden Zigarette von der Verwirklichung des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht umfasst werden (vgl. zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB: [X.], Urteil vom 20.
Oktober 2010 -
2 [X.], NStZ-RR 2011, 87, 88).
4. Auch im Hinblick auf den nur für die Strafzumessung relevanten Schuldumfang hat das [X.] den Unrechtsgehalt der festgestellten Taten nicht ausgeschöpft, denn nach den Feststellungen kommt auch das Vorliegen des Qualifikationsmerkmals der schweren körperlichen Misshandlung im Sinne des §
177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst.
a StGB in Betracht. Ausreichend dafür ist es, etzt wird, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist ([X.], Urteil vom 9.
Dezember 2014 -
5 [X.], [X.], 152, 153); dies könnte jedenfalls im Hinblick auf die der Geschädigten zugefügten Brandwunden der Fall sein.
Soweit die Revision rügt, die [X.] habe nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte die weitere Tatvariante der Vergewaltigung in §
177 Abs.
1 Nr.
3 StGB erfüllt haben könnte, weist der Senat auf dazu ergangene Recht-sprechung
des [X.] hin (vgl. Senat, Beschluss
vom 10. Dezem-ber 2008 -
2 StR 517/08, [X.], 207; [X.], Beschluss vom 26.
Oktober
-
4
StR 397/10;
Beschluss vom 12. Januar 2011 -
1 [X.], [X.], 274; Beschluss vom 10. Mai 2011 -
3 [X.], [X.], 34; [X.],
StGB,
63. Aufl.,
§ 177 Rn. 45a).
5. Die zu Gunsten des Angeklagten rechtsfehlerhafte rechtliche Würdi-gung des festgestellten Sachverhalts führt -
mit Ausnahme der Adhäsionsent-scheidung (vgl. [X.], Urteil vom 28. November 2007 -
2 [X.], [X.]St 52,
96, 97)
-
zur Aufhebung des Urteils. Eine Schuldspruchänderung kam nicht in 11
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Betracht, denn die
bisherigen Feststellungen reichen nicht aus, um dem Senat eine eigene Entscheidung insbesondere im Hinblick auf eine Verurteilung we-gen Geiselnahme nach §
239b Abs. 1 StGB zu ermöglichen. Sollten die Voraussetzungen
für eine Verurteilung festgestellt werden können, käme -
unter Verdrängung der Freiheitsberaubung -
wegen der Klammerwirkung des §
239b StGB die Annahme von Tateinheit im Hinblick auf das gesamte Tatgeschehen in Betracht (vgl. [X.], Urteil vom 8. Dezember 2010 -
2 StR 453/10, NStZ-RR 2011, 142, 143).
Dies führt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs auch soweit der Angeklagte rechtsfehlerfrei wegen besonders schwerer Vergewaltigung bzw. versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt worden ist.
Fischer [X.] Eschelbach

[X.] Zeng

14

Meta

2 StR 438/15

27.01.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.01.2016, Az. 2 StR 438/15 (REWIS RS 2016, 17047)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17047

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