Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2018, Az. 3 StR 61/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 7787

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Gegenstand

Möglichkeit des Widerrufs einer vom Angeklagten erklärten Revisionsrücknahme


Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. großen Strafkammer des [X.] vom 12. Oktober 2017 wirksam zurückgenommen worden ist.

2. Die mit Schreiben vom 6. November 2017 erneut eingelegte Revision des Angeklagten gegen das oben genannte Urteil wird als unzulässig verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in dem anderen Fall in Tateinheit mit Beleidigung und mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und [X.] getroffen. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2017 fristgerecht Revision eingelegt. Mit seinem [X.] vom 4. November 2017, einem Samstag, hat der Angeklagte erklärt: "hiermit ziehe ich die Revision im o.g. Verfahren zurück." Mit einem Schriftsatz vom 6. November 2017, dem darauffolgenden Montag, der um 10:16 Uhr bei Gericht einging, hat der Verteidiger des Angeklagten die Revisionsrücknahme widerrufen und mitgeteilt, dass der Angeklagte das Rechtsmittel aufrecht erhalten wolle.

2

Der Angeklagte hat die Revision wirksam zurückgenommen und ist deshalb des Rechtsmittels verlustig; seine erneut eingelegte Revision ist unzulässig. Der [X.] hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

"1. Der Angeklagte hat die Revision wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

a) Ohne Bedeutung ist, dass das Rechtsmittel vom Verteidiger eingelegt wurde, die Rücknahme indes der Angeklagte selbst erklärt hat (vgl. § 297 [X.]; [X.], 180, 181). Die Rücknahmeerklärung wahrt auch die hierfür erforderliche Form (vgl. [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 302, Rn. 7 m.w.N.). Sie ist inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei auf eine Beendigung des Revisionsverfahrens und damit den Eintritt der Rechtskraft des Urteils des [X.]s gerichtet.

b) Es bestehen keine Zweifel, dass der Angeklagte bei der Abgabe seiner Rücknahmeerklärung prozessual handlungsfähig war.

aa) Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer [X.]erklärung in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen (vgl. [X.]/[X.], a.a.[X.], Einl. Rn. 97, § 302 Rn. 8a). Dies wird, wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 [X.] für das Sicherungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegt, allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Beschuldigten nicht notwendig ausgeschlossen ([X.]/[X.], a.a.[X.], § 302 Rn. 8a m.w.N.). Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit seiner Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten ([X.], Beschluss vom 11. Oktober 2007 - 3 [X.], BeckRS 2007, 18798 Rn. 6 m.w.N.).

bb) An diesen Maßstäben gemessen ist von einer prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung auszugehen. Zwar hat das sachverständig beratene [X.] bei dem Angeklagten eine das Tatgeschehen überdauernde paranoide Schizophrenie festgestellt und angenommen, dass aufgrund dieser Störung die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung beider ihm vorgeworfenen Taten erheblich vermindert war ([X.] f.). Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte im Zeitpunkt seiner Rücknahmeerklärung nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen, sind hingegen nicht ersichtlich. Weder die Urteilsgründe noch das [X.] ergeben einen Hinweis darauf, dass der Angeklagte verhandlungsunfähig war und Inhalt und Reichweite seiner von ihm selbst handschriftlich gefertigten Rücknahmeerklärung verkannt haben könnte. Er hat aktiv an der Verhandlung mitgewirkt und sich zum Tatvorwurf eingelassen ([X.] ff.). Hatte das Tatgericht - wie hier - keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht bejaht werden ([X.] NStZ 2002, 101 f. [richtig: [X.] bei [X.], [X.], 97, 101 f.]). Darüber hinaus legt das Schreiben des Angeklagten vom 4. November 2017 nahe, dass er die Bedeutung der [X.] beim Abfassen dieses Schreibens kannte. Das Schreiben ist sprachlich korrekt sowie inhaltlich eindeutig abgefasst und gibt die Daten des Urteils samt Aktenzeichen zutreffend wieder. Schließlich stellen weder der Angeklagte noch sein Verteidiger seine prozessuale Handlungsfähigkeit [...] in Frage.

2. An die wirksame Rücknahme der Revision ist der Angeklagte gebunden; sie ist unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. nur [X.], 180, 181 m.w.N.). Ein von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall (vgl. [X.]St 45, 51, 53) liegt nicht vor.

3. Da der Verteidiger des Angeklagten durch das Schreiben vom 6. November 2017 und die Übersendung einer [X.] die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme in Zweifel gezogen hat, ist die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss festzustellen ([X.]/[X.], a.a.[X.], § 302, Rn. 11a m.w.N.).

4. Soweit das Schreiben des Verteidigers des Angeklagten vom 6. November 2017 als erneute Revisionseinlegung auszulegen ist, ist diese unzulässig und gemäß § 349 Abs. 1 [X.] zu verwerfen. Die wirksame Rücknahmeerklärung führt zum Verlust des Rechtsmittels ([X.] NStZ-RR 2010, 55 f.)."

3

Dem stimmt der Senat zu und bemerkt ergänzend, dass - anders als der Verteidiger des Angeklagten in seiner Gegenerklärung meint - die Revisionsrücknahme nicht gleichzeitig im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB widerrufen wurde. Es ist zwar zutreffend, dass eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung per Telefax nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB erst zugeht, wenn mit ihrer Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Das ist bei einer Übermittlung außerhalb der Geschäftszeiten mit Beginn der nächsten Geschäftszeit der Fall (vgl. zum Ganzen Palandt/[X.], BGB, 77. Aufl., § 130 Rn. 7 mwN). Nach Zugang des [X.]s am Samstag, den 4. November 2017, begann die nächste Geschäftszeit am Montag, den 6. November 2017, aber spätestens um 9 Uhr morgens. Der Schriftsatz vom 6. November 2017 um 10:16 Uhr war damit verspätet und konnte das Wirksamwerden der Revisionsrücknahme nicht mehr hindern.

VRi[X.] [X.] ist wegen
Urlaubs gehindert zu
unterschreiben.

        

Gericke     

        

Berg   

Gericke

                                   
        

     Hoch     

        

Leplow     

        

Meta

3 StR 61/18

14.06.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Duisburg, 12. Oktober 2017, Az: 35 KLs 2/17

§ 297 StPO, § 302 Abs 1 S 1 StPO, § 130 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2018, Az. 3 StR 61/18 (REWIS RS 2018, 7787)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7787

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 29/22

3 StR 214/19

2 StR 181/19

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