Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.04.2015, Az. AK 8/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 13035

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 8/15
vom
2. April 2015
in dem Strafverfahren
gegen

wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Angeschuldigten und seines Verteidigers am 2. April 2015 gemäß §§
121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat [X.].
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe:
I.
Der Angeschuldigte, der die [X.] St[X.]tsangehörigkeit besitzt, wurde am 24.
September 2014 vorläufig festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 25.
September 2014 (151 [X.]-1318/14). Nach Übernahme des Verfahrens durch den Gene-ralbundesanwalt am 18. Dezember 2014 hat der Ermittlungsrichter des [X.] am 3. Februar 2015 den Haftbefehl des Amtsgerichts [X.] aufgehoben und durch einen eigenen vom gleichen Tag (2 [X.] 82/15) ersetzt. Der [X.] hat unter dem 10. März 2015 vor dem [X.] Anklage gegen den Angeschuldigten erhoben.
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Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich von Ende Juli 2014 bis Ende August 2014 als Mitglied an der [X.] im [X.] und [X.]" (im Folgenden: [X.]) und damit an einer Vereinigung im [X.] beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§
211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).

II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] vorgeworfenen Tat dringend
verdächtig.
a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
[X.]) Die Vereinigung "Islamischer St[X.]t im [X.] und [X.]"
Bei der [X.] im [X.] und in [X.]" (im Folgenden: [X.]) handelt es sich um eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen das Gebiet des heutigen [X.] und die historische Region "ash-Sham"
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die heutigen St[X.]ten [X.], [X.] und [X.] sowie [X.] -
umfas-senden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesst[X.]t" zu errichten. Jeden, 2
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der sich seinen Ansprüchen entgegenstellt, begreift der [X.] als "Feind des Islam"; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch [X.] sieht die Vereinigung als legitimes Mittel ihres Kampfes an.
Nachdem die Organisation zunächst auf Seiten der Gegner des syri-schen Präsidenten [X.] in den [X.] eingegriffen hatte, ge-lang es ihr,
sich in einigen Regionen [X.] als Ordnungsmacht festzu-setzen. In der Folge zog sie sich weitgehend aus dem [X.] zurück und konzentrierte sich auf die Machterhaltung in den von ihr kontrollierten Gebieten, in denen sich Angehörige anderer Oppositionsgruppen sowie Teile der Zivilbe-völkerung, die den Herrschaftsanspruch des [X.] in Frage stellten, der Verhaf-tung, Folter und Hinrichtungen ausgesetzt sahen. So kam es unter der Führung des [X.] im August in der [X.] zu Massakern unter der alawitischen Zivilbevölkerung, die sich regierungstreu verhalten hatte; 190 Menschen star-ben dabei, weitere 200 wurden entführt. Nachdem die [X.] [X.] für das [X.]-Regime Partei ergriffen hatte, verübte der [X.] in einem schiitischen Wohngebiet in [X.] ein Bombenattentat, bei dem vier Menschen getötet und 77 verletzt wurden. Daneben kam es zu mehreren Aktionen im [X.], so zu dem Überfall auf die Gefängnisse in [X.] und [X.] am 22.
Juli 2013 und einem Selbstmordanschlag in [X.] am 29.
September 2013. Anfang Juni nahm der [X.] die Stadt [X.] ein, die sich seitdem in seiner Gewalt be-findet.
Die Organisationsstruktur des [X.] ähnelt der anderer terroristischer Vereinigungen: Dem Anführer ("Emir") -
derzeit [X.] -
unter-stehen für einzelne Bereiche innerhalb der [X.]", etwa ein "[X.]" und ein "Propaganda-Minister". Die Führungsebene verfügt über "[X.]" als Beratungsgremien. Innerhalb des kontrollierten Gebiets wa-8
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chen "Gerichte" über die Einhaltung der Regeln Sharia. Informationen über Operationen oder Anschlagsbekennungen werden von einer organisationsei-genen Medienproduktionsstelle hergestellt und von einer eigens gegründeten Medienstelle veröffentlicht. Der [X.] verfügt über ein eigenes Logo. Die etwa 10.000 Kämpfer der Vereinigung unterstehen dem Kriegsminister und sind in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur aufgeteilt.
bb) Die Beteiligung des Angeschuldigten an der Vereinigung
Der Angeschuldigte, der sich Ende 2013 verstärkt mit islamistischem Gedankengut befasst hatte, fasste im Juli 2014 den Entschluss, seine Glau-bensbrüder und -schwestern im [X.] kämpfend zu unterstüt-zen. Zu diesem Zweck flog er am 22. Juli 2014 in die [X.] und ließ sich von [X.] nach [X.] bringen. Dort angekommen gliederte er sich in eine Unterabteilung des [X.] ein, ließ sich in einem Ausbildungslager unter anderem im Umgang mit Schusswaffen ausbilden und nahm sodann mehrfach an Kampfhandlungen teil.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:
[X.]) Die Erkenntnisse zur Struktur und Entstehung des [X.] ergeben sich insbesondere aus den Sachverständigengutachten der Islamwissenschaftler Dr. S.

und A.

, aus [X.] und -erklärungen des [X.] sowie aus den Auswertungen zu den zahlreichen Ver-öffentlichungen der Vereinigung, die in mehreren Vermerken des Bundeskrimi-nalamtes niedergelegt sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit Bezug auf die
Darstellung im wesentlichen Ergebnis der Ermitt-lungen in der Anklageschrift vom 10.
März 2015.
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bb) Der Angeschuldigte hinterließ seinen Eltern vor seiner Ausreise ei-nen Abschiedsbrief, in dem er seine Motive -
die von ihm empfundene Pflicht, in [X.] für seinen Glauben zu kämpfen -
erläuterte; er werde sein Leben für [X.] opfern.
Nach seiner Rückkehr gab der Angeschuldigte in mehreren polizeilichen Vernehmungen an, er habe zum [X.] hingehen und in [X.] kämpfen bzw. sich der "[X.]" anschließen wollen; bei letzterem handelt es sich um eine in islamistischen Kreisen verbreitete Bezeichnung für den [X.]. Außerhalb der Beschuldigtenvernehmung gab der Angeschuldigte gegenüber einem Poli-zeibeamten zudem an, er habe auch eine Ausbildung in einem Lager des [X.] genossen; dies habe er zunächst nicht angegeben, um sich nicht selbst zu be-lasten.
Weitere Anhaltspunkte für den Besuch eines Ausbildungslagers, seiner Eingliederung in den [X.] sowie seine Teilnahme an Kampfhandlungen erge-ben sich aus der Vernehmung von Zeugen aus dem persönlichen Umfeld des Angeschuldigten, denen gegenüber er darüber berichtete, aus der Auswertung seiner [X.] sowie derjenigen seines Mobiltelefons, auf dem Lichtbilder des Angeschuldigten in Kampfkleidung
und mit Maschinenge-wehr bewaffnet gespeichert waren. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Ausführungen in dem Haftbefehl und in der Anklageschrift sowie die dort jeweils in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.
2. Es besteht nach alledem der
dringende Tatverdacht, dass sich der Angeschuldigte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat. Die Teilnahme an Kampfhandlungen für
eine Or-ganisation stellt eine besonders schwerwiegende mitgliedschaftliche Betäti-14
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gungshandlung für eine terroristische Vereinigung dar, da diese Handlungen gerade der Erreichung ihrer Ziele mit terroristischen Mitteln dienen sollten.
[X.] Strafrecht ist anwendbar: Dies folgt entweder unmittelbar aus §
129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB (vgl. [X.], Beschluss vom 31.
Juli 2009 -
StB 34/09, [X.]R StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil der Angeschuldigte [X.] ist und -
wenn man nicht ohnehin davon ausgeht, dass das Gebiet, in dem er sich aufhielt, effektiv keiner st[X.]tlichen Strafgewalt unterlag -
Personenzusammenschlüsse, die sich terroristischer Ak-te bedienen, um die grundlegende Gesellschaftsordnung zu ändern, nach Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht werden.
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern der auslän-dischen terroristischen Vereinigung [X.],
die [X.] St[X.]tsangehörige sind, sich in der [X.] aufhalten oder hier tätig werden, liegt seit dem 6.
Januar 2014 vor.
3. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, §
129b Abs. 1 StGB besteht der Haftgrund der [X.], § 112 Abs. 3 StPO. Aus den [X.] Gründen des Haftbefehls, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, besteht darüber hinaus der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr.
2 StPO. Dies gilt mit Blick
auf das dargelegte Gewicht seiner Betätigungshandlungen auch vor dem Hintergrund des relativ kurzen Aufenthalts in [X.].
4. [X.] über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der be-sondere Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein 18
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Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersu-chungshaft. Erst aus der Auswertung der in seinem Mobiltelefon gespeicherten [X.] ergab sich der dringende Verdacht seiner Mitgliedschaft in der Organisation [X.], der zur Übernahme des Verfahrens durch den Generalbun-desanwalt am 18. Dezember 2014 führte. Dieser hat den Erlass eines neuen Haftbefehls beantragt, den der Ermittlungsrichter des [X.] am 10. Februar 2015 erlassen hat. Zur Erlangung aktueller Strukturerkenntnisse betreffend den [X.] hat der [X.] ein weiteres Gutachten bei dem Sachverständigen Dr. S.

in Auftrag gegeben. Unter dem 10. März 2015 hat der [X.] vor dem [X.] An-klage gegen den Angeschuldigten erhoben. Die dort am 11.
März 2015 einge-gangene Anklageschrift, deren Zustellung die Vorsitzende des zuständigen Strafsenats noch am gleichen Tag verfügt hat, ist dem Angeschuldigten am 13.
März 2015 zugestellt worden; die Erklärungsfrist gemäß § 201 Abs.
1 StPO läuft am 13.
April 2015 ab; sodann soll über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und im Fall der Eröffnung noch im Juli 2015 mit der Hauptverhand-lung begonnen werden.
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5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen den Angeschuldigten erhobenen Vorwurf nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer Pfister

Gericke

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Meta

AK 8/15

02.04.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.04.2015, Az. AK 8/15 (REWIS RS 2015, 13035)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13035

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