Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2004, Az. 2 StR 156/04

2. Strafsenat | REWIS RS 2004, 382

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 156/04 vom 3. Dezember 2004 in der Strafsache gegen

wegen schwerer räuberischer Erpressung
- 2 - Der 2. Strafsenat des [X.]hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 25. November 2004 in der Sitzung am 3. Dezember 2004, an denen teil-genommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.][X.]

und [X.]am [X.]Dr. h.c. Detter, Dr. Bode, Richterinnen am [X.]Dr. Otten, [X.]

Bundesanwalt

als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt , Rechtsanwalt und Rechtsanwältin in der Verhandlung, Rechtsanwalt bei der Verkündung

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt: - 3 - - 4 - Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.]vom 27. November 2003 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.]des [X.]zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.]hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer [X.]aus einer vorangegangenen Verurteilung (zweimal Freiheitsstrafen von einem Jahr, viermal Freiheitsstrafe von zehn Monaten und einmal Freiheitsstrafe von drei Monaten) zu einer Ge-samtfreiheitsstrafe von fünf Jahren (Einzelstrafe vier Jahre) verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er auf Verfahrensrügen und die Sachrüge stützt.
[X.]
Das [X.]hat folgendes festgestellt:

In der Nacht zum 13. Dezember 1996 fuhren der Angeklagte, - dieser als Fahrer -, der mit ihm befreundete [X.] und ein weiterer [X.]- 5 - Staatsangehöriger [X.] zum [X.]S., in dem sich des-sen Wohnung und Geschäftsräume befanden. Während der Angeklagte vor dem Haus im PKW wartete, brachen F. und [X.]

- entsprechend einem vorher gefaßten Plan, in den auch der Angeklagte eingeweiht war - in das [X.]ein und forderten von dem im Schlaf überraschten [X.]unter Dro-hung mit der von F. mitgeführten Gaspistole Geld. Als [X.]einem der Täter die Maskierung herunterriß, schlug [X.]mit der Waffe auf ihn ein. Unter dem Eindruck der Gewaltanwendung übergab [X.]ihnen 1.200 DM. Als die Täter nach weiteren Wertgegenständen und dem [X.]suchten, gelang es S., den [X.] durch einen Schlag mit einem Leuchter zu verletzen und zu flüchten. [X.] und F. brachen die weitere Tatausführung ab und flohen mit dem von dem Angeklagten gesteuerten Fahrzeug.
Der Angeklagte hat seine Tatbeteiligung bestritten. Das [X.]hat seinen Feststellungen die Angaben des M. zugrunde gelegt, die dieser am 5. und 7. Juni 2001 bei seiner polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter und insbesondere in der Hauptverhandlung in seinem eigenen Verfahren am 30. Juli 2001 gemacht hatte und die durch die Vernehmung der Kriminalbeam-ten und des Vorsitzenden [X.]in dem damaligen Verfahren eingeführt wur-den. Zudem hat es Briefe und insbesondere Mitteilungen in einem Kassiber verwertet, die M. an seine Lebensgefährtin Melanie [X.]geschrieben hatte. M. ist wegen dieser Tat am 30. Juli 2001 unter Einbeziehung zweier Geld-strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten ver-urteilt worden. Im November 2001 ist [X.] verstorben. Der Tatbeteiligte [X.] war unbekannten Aufenthalts und konnte nicht vernommen werden. Der Geschädigte war bereits 1997 verstorben. Der Angeklagte war am 3. Juni 2001 in den [X.]ausgereist. Er wurde im Juli 2003 nach [X.]überstellt, - 6 - nachdem er aufgrund eines Auslieferungshaftbefehls des [X.]in [X.]festgenommen worden war.
I[X.]
1. Die Revision ist unbegründet, soweit sie Freispruch auf der Grundla-ge eines behaupteten Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) [X.]erstrebt.

a) Die Revision beanstandet, daß der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt des gegen ihn geführten Verfahrens den Belastungszeugen [X.] habe [X.]können, das Urteil sich aber allein auf dessen - durch Zeugen vom Hö-rensagen mittelbar in die Hauptverhandlung eingeführte - Aussage stütze. Dies sei weder nach der Rechtsprechung des [X.]zu Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) [X.]noch nach der des [X.]zulässig, die unter Berücksichti-gung der Entscheidungen des [X.]zur Auslegung der Konvention ergangen ist (vgl. insbesondere BGHSt 46, 93, 94 f. mit Anmerkungen u.a. Kunert, [X.]NStZ 2001, 217; Fezer, [X.]2001, 359; Gleß, [X.]NJW 2001, 3606; Franke, [X.]2002, 573; Klemke, [X.]2003, 413).

b) Das Recht des Angeklagten, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen, leitet sich aus dem Grundsatz des fair trial ab und ist durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) der Konvention zum Schutze der Menschenrech-te und Grundfreiheiten garantiert, die im Range eines Bundesgesetzes in der [X.]Rechtsordnung gilt und bei der Interpretation des nationalen Rechts zu berücksichtigen ist (BVerfG, Beschl. vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 Rdn. 30 f. = NJW 2004, 3407 ff.). - 7 - Wer als Belastungszeuge im Sinne der Konvention anzusehen ist, ist in der Konvention eigenständig bestimmt. Zeuge in diesem Sinne kann daher auch der Mitbeschuldigte sein, der - wie hier - in seinem früheren Verfahren als Be-schuldigter ausgesagt hat (vgl. Esser, Auf dem Wege zu einem [X.]Strafverfahrensrecht [X.]630 m.w.N.). Auch wenn die Befragung des Zeugen grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung erfolgen soll, schließt dies die Verwertung von Aussagen, die im Vorverfahren oder sonst außerhalb der Hauptverhandlung gemacht wurden, nicht aus, wenn dem Angeklagten - entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium - eine angemessene und geeignete Gelegenheit gegeben wird, den Zeugen selbst zu befragen oder befragen zu lassen. Aber selbst wenn eine Konfrontation des Angeklagten mit dem Zeugen zu keinem Zeitpunkt erfolgt ist, ist ein Konventi-onsverstoß nicht angenommen worden, wenn das Verfahren insgesamt fair war. So hat der [X.]einen Konventionsverstoß in einem Fall verneint, bei dem eine Befragung des Belastungszeugen durch die Angeklagten deshalb nicht erfolgen konnte, weil der Zeuge im Laufe des Verfahrens verstorben war und weder Justiz noch Polizei für die unterbliebene Konfrontation verantwort-lich waren (EGMR, [X.]u. [X.]./. [X.]vom 7. August 1996 - 48/1995/554/640). Auch in den Fällen, in denen der Belastungszeuge unauf-findbar war und deshalb eine Konfrontation des Beschuldigten mit dem Zeugen unterblieben war, führte dies unter diesen Voraussetzungen nicht zur Annahme eines Konventionsverstoßes (vgl. Esser, aaO [X.]648 ff. m.w.N.). Gefordert [X.]jedoch stets, daß das Gericht die Aussage des Belastungszeugen detailliert analysiert und sie durch andere Beweismittel Bestätigung findet. Auch der Bun-desgerichtshof hat in konventionskonformer Auslegung - allerdings in Fällen, in denen die unterbliebene Konfrontation der Justiz zuzurechnen war - darauf - 8 - abgestellt, daß die Zeugenaussage nicht das einzige Beweismittel sein darf, sondern durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage ge-stützt werden muß (vgl. BGHSt 46, 93, 95 f.; BGH, Urt. vom 24. Juli 2003 - 3 StR 212/02; vgl. auch BVerfG, Beschl. vom 20. Dezember 2000 - 2 BvR 591/00).

c) Diesen Grundsätzen wird das angefochtene Urteil gerecht. Ein [X.]liegt nicht vor.

Im vorliegenden Fall trifft weder Polizei noch Justiz ein Verschulden an der unterbliebenen Konfrontation des Angeklagten mit dem Belastungszeugen. Als [X.] in seinem eigenen Verfahren die den Angeklagten belastenden Aussagen machte, war der Angeklagte bereits aus [X.]ausgereist und konnte in dem alsbald gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren weder ver-nommen noch aufgrund des gegen ihn erlassenen Haftbefehls verhaftet wer-den. Nur wenige Monate danach war M. verstorben. Den Behauptungen des Angeklagten, [X.] habe aus Eifersucht ihn falsch belastet, ist die Kammer grundsätzlich anhand der in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel, insbesondere der vorgelegten Briefe, die [X.]an Melanie [X.]geschrieben hatte, nachgegangen. Insbesondere hat die Kam-mer ihre Überzeugung von der Mittäterschaft des Angeklagten nicht allein auf die durch die [X.]eingeführte Aussage des M.

gestützt, sondern diese gerade auch durch seinen unter Umgehung der [X.]nach den polizeilichen Vernehmungen im Juni 2001 aus der Untersuchungshaft an Melanie [X.]geschriebenen Brief bestätigt gefunden. Daß es sich dabei [X.]um Angaben des M. handelte, steht der Würdigung als selbständi-- 9 - ges Beweismittel nicht entgegen. Sie sind bei anderen Gelegenheiten gemacht worden und waren gerade nicht für Polizei und Justiz bestimmt, sondern für seine Lebensgefährtin. Ihnen konnte deshalb ein eigener und von der [X.]ersichtlich als erheblich angesehener Beweiswert zugemessen wer-den.

2. Die Revision hat aber mit einer Verfahrensrüge nach § 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6 StPO Erfolg.

a) Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die Einvernahme des Strafgefangenen Sch. zum Beweis der Behauptungen beantragt, die dieser in seinem Schreiben an den Verteidiger des Angeklagten aufgestellt und eidesstattlich versichert hatte. In jenem - verlesenen - Schreiben heißt es, daß sich der Zeuge in der [X.]von Mai 2000 bis zum 11. Dezember 2001 in der [X.]befunden und in Abteilung III zusammen mit [X.]gelegen ha-be. Im Spätsommer habe er durch Gespräche mit M. erfahren, daß dieser aus Eifersuchtsgründen jemanden eines Raubes belasten wollte, den derjenige nicht begangen habe. Hierbei habe es sich um einen [X.]" Q. " gehandelt. Die [X.]hat diesen Antrag zurückgewiesen, weil die Tatsache, die bewiesen werden solle, für die Entscheidung der Kammer aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung sei, und im übrigen ausgeführt, "denn selbst wenn der Zeuge die Tatsache, die bewiesen werden solle, bestä-tige, daß M. ihm etwas erzählt hätte, würde dies nur den möglichen, nicht den zwingenden Schluß zulassen, M. hätte in Bezug auf den Angeklagten gelogen".
- 10 - b) Bei dem Antrag handelte es sich um einen Beweisantrag, mit dem, auch soweit die Formulierung "aus Eifersuchtsgründen" unterschiedlicher Aus-legung zugänglich ist, konkrete und bestimmte Tatsachen behauptet werden. Sie ist vor dem Hintergrund des in der Hauptverhandlung eingehend erörterten möglichen Motivs für eine etwaige Falschbelastung des Angeklagten durch M. zu sehen. [X.]hatte seit Anfang 2000 mit der - seit Oktober 2000 geschiedenen - Ehefrau des Angeklagten Melanie [X.]eine intime Beziehung unterhalten, aus der im Januar 2001 eine Tochter hervorgegangen ist. Der An-geklagte hat behauptet, M. sei extrem eifersüchtig gewesen, er habe ihn, den Angeklagten, ins Gefängnis bringen wollen, denn er habe befürchtet und verhindern wollen, daß die Zeugin Melanie [X.]zu dem Angeklagten zurückkeh-re. Melanie [X.]hatte dies - als Zeugin vernommen - bestätigt, die Kammer hat ihre Aussage jedoch nicht für glaubhaft angesehen.

Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, Indiztatsachen als für die Entscheidung bedeutungslos zu betrachten, wenn er eine mögliche Schlußfolgerung, die der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Jedoch muß nach ständiger Rechtsprechung des [X.]der Beschluß, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihnen [X.]Bedeutung beimißt. Wird die Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Um-ständen gefolgert, so müssen die Tatsachen angegeben werden, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, selbst wenn sie erwie-sen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte ([X.]NStZ 1997, 503; NStZ-RR 2002, 68 f. m.w.N.). Die erforderliche Begründung ent-spricht grundsätzlich den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen. Die - 11 - Ablehnung des Beweisantrags darf nicht dazu führen, daß aufklärbare, zuguns-ten eines Angeklagten sprechende Umstände der gebotenen Gesamtabwä-gung im Rahmen der Beweiswürdigung entzogen werden ([X.]StV 2003, 369 f.).

Diesen Anforderungen wird der Beschluß der Kammer nicht gerecht. Seine Begründung beschränkt sich im wesentlichen auf die sinngemäße Wie-derholung des Gesetzeswortlauts. Eine Erklärung, warum die Kammer die un-ter Beweis gestellten Indiztatsachen zur Glaubhaftigkeit bzw. [X.]der Angaben des [X.] als bedeutungslos angesehen hat, erfolgt ebenso wenig wie eine Einfügung und Würdigung der [X.]- die so zu [X.]ist, als sei sie bewiesen - in das bisher gewonnene Beweisergebnis. Die Bedeutungslosigkeit der [X.]verstand sich hier aber nicht von selbst, zumal an die Überprüfung des [X.]der Angaben des Zeugen [X.] aufgrund der gegebenen Verfahrenssituation besondere Anforderun-gen zu stellen waren, wie sie auch der Grundgedanke des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) [X.]nahelegt. Die Beweislage war schwierig, da M.

als wesentlicher Belastungszeuge nicht zur Verfügung stand. Die Frage einer Falschbelastung des Angeklagten durch M. war von entscheidender Bedeutung für die Be-weiswürdigung der Kammer. Eine Bestätigung der unter Beweis gestellten [X.]war mit dem bisherigen Beweisergebnis nicht ohne weiteres vereinbar und hätte möglicherweise zu einer anderen Gewichtung der weiteren Beweis-mittel geführt. Unter diesen Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Verurteilung des Angeklagten auf der fehlerhaften Ablehnung des [X.]beruht.
- 12 - Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung der Verurteilung. Auf die wei-tere Verfahrensrüge und die Sachrüge kommt es danach nicht an. - 13 - II[X.]
Die beantragte Aufhebung des Haftbefehls kommt nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 126 Abs. 3 i.V.m. § 120 Abs. 1 StPO nicht vorlie-gen.

[X.] Detter Bode

[X.]

[X.]

Meta

2 StR 156/04

03.12.2004

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2004, Az. 2 StR 156/04 (REWIS RS 2004, 382)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 382

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2 BvR 1481/04

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