Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.04.2011, Az. VI B 120/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 7466

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Abgelehnter Schriftsatznachlass - Rechtsäußerung des Berichterstatters - Unentgeltliche Wohnungsüberlassung im Rahmen doppelter Haushaltsführung - Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung


Leitsatz

1. NV: Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn der fachkundig vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Erkundigung i.S.v. § 282 ZPO reagieren konnte und deshalb eine Schriftsatzfrist nicht gewährt werden musste .

2. NV: Bei einer Rechtsäußerung eines Mitglieds des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers kann regelmäßig nicht gefolgert werden, dass die Rechtsfrage geklärt ist und von dieser Rechtsauffassung nicht mehr abgewichen werden kann .

3. NV: Hat das FG nicht den einzelnen Umstand der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung allein als unabdingbare Voraussetzung im Sinne eines Tatbestandsmerkmals angesehen, liegt keine Divergenz zum Senatsurteil vom 21. April 2010 VI R 26/09, BFHE 230, 5 vor .

Tatbestand

1

I. Der [X.]läger und Beschwerdeführer ([X.]läger) ist ledig und wohnt in [X.], wo ihm im Dachgeschoss des elterlichen [X.]auses seit 1986 eigener Wohnraum (45 qm) unentgeltlich zur Verfügung steht. Daneben hat der [X.]läger seit November 2000 in [X.] eine 3-Zimmer-Wohnung (90 qm) angemietet. Der Arbeitgeber des [X.]lägers hat seinen Sitz in [X.]. Im Streitjahr (2005) war der [X.]läger in den Monaten Januar bis September überwiegend im Ausland für seinen Arbeitgeber tätig. Der [X.]läger hielt sich während seines Aufenthalts im Ausland im März, Juni und August 2005 jeweils für 12 bis 14 Tage in [X.] auf. Von Oktober bis Dezember 2005 war er im Inland tätig. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte er erstmals Aufwendungen für doppelte [X.]aushaltsführung geltend und gab an, seinen [X.]aupthausstand am Wohnsitz seiner Eltern in [X.] zu unterhalten und daneben einen eigenen [X.]ausstand in [X.] am Beschäftigungsort.

2

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Aufwendungen nicht, da ein eigener [X.]ausstand in [X.] nicht nachgewiesen worden sei. Einspruch und [X.]lage blieben erfolglos. Das Finanzgericht ([X.]) konnte nicht feststellen, dass sich der Lebensmittelpunkt des [X.]lägers im Streitjahr in [X.] befunden hat. Zudem stand zur Überzeugung des [X.] nicht fest, dass der [X.]läger in [X.] einen eigenen [X.]ausstand geführt hat. Das [X.] ließ die Revision nicht zu.

3

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der [X.]läger neben verschiedenen Verfahrensfehlern eine Abweichung von der Rechtsprechung des Senats geltend.

Entscheidungsgründe

4

II. [X.] hat in der Sache keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Weder greifen die von der Beschwerde gerügten Verfahrensfehler [X.] von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) durch noch ist eine Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 [X.]O).

5

1. Das [X.] hat den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 [X.]O) nicht dadurch verletzt, dass es einen [X.] abgelehnt hat. Die Nichtgewährung einer in der mündlichen Verhandlung beantragten [X.] verletzt nur dann den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des anderen Beteiligten nicht erklären kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Nur für diesen Fall sehen § 283 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 [X.]O das Nachbringen schriftsätzlicher Erklärungen vor ([X.]-Beschluss vom 18. März 2008 [X.] (PK[X.]), [X.]/NV 2008, 1184, m.w.[X.]). Diese Voraussetzung liegt im Streitfall nicht vor.

6

Der Streitpunkt, zu dem sich der Kläger noch schriftsätzlich im [X.] an die mündliche Verhandlung äußern wollte, betraf die Frage, ob die mit dem Schriftsatz des [X.] vom 14. Mai 2010 eingereichten Belege geeignet sind, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der Lebensmittelpunkt des [X.] sich in [X.] befunden und er dort einen eigenen [X.]ausstand geführt hat. Dies wurde vom [X.] mit Schriftsatz vom 17. Juni 2010, der dem Kläger erst in der mündlichen Verhandlung am 22. Juni 2010 überreicht wurde, bestritten. Der Kläger trägt in der Beschwerde hierzu vor, dass durch Vorlage der Originalbelege sowie durch die persönliche Vernehmung des [X.] die Geeignetheit der im Schreiben vom 14. Mai 2010 eingereichten Beweismittel hätte nachgewiesen werden können. Es ist dem [X.] jedoch kein Grund ersichtlich und in der Beschwerde auch nicht vorgetragen, warum der fachkundig vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] nicht "ohne vorhergehende Erkundigung" [X.] des § 282 ZPO auf den Schriftsatz des [X.] mit dem in der Beschwerde angeführten Vorbringen hätte erwidern können. Im Streitfall lagen somit die Voraussetzungen für das Nachreichen eines Schriftsatzes gemäß § 283 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O nicht vor.

7

2. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ergibt sich --entgegen der Auffassung des [X.]-- auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung. Eine solche liegt vor, wenn das [X.] seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (vgl. [X.]-Beschluss vom 25. Januar 2008 [X.]/06, [X.]/NV 2008, 608). Wie das [X.] zutreffend darauf hinweist, konnte aus dem [X.]inweis des Berichterstatters auf die Vorschrift des § 3c des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Zusammenhang mit dem Auslandsaufenthalt des [X.] im Ausland nicht geschlossen werden, dass die doppelte [X.]aushaltsführung dem Grunde nach anerkannt werde. Die Beteiligten haben vielmehr zuletzt in der mündlichen Verhandlung die Frage erörtert, ob eine doppelte [X.]aushaltsführung im Streitfall anzunehmen sei. [X.]ierzu wurden auch Zeugen vernommen. Die Abweisung der Klage als unbegründet, weil die Voraussetzungen einer doppelten [X.]aushaltsführung nicht festgestellt werden konnten, erfolgte daher für den Kläger nicht überraschend. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Rechtsäußerung nur eines Mitglieds des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers --hier des [X.] regelmäßig nicht gefolgert werden kann, dass die Rechtsfrage eindeutig geklärt ist und der [X.] von der Rechtsauffassung nicht abweichen bzw. sie anders beurteilen könnte. Dies musste sich dem Kläger im Übrigen auch aufgrund des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 22. Juni 2010 aufdrängen. Ausweislich des [X.] wurde zwar auch die Frage der Anwendung des § 3c EStG erörtert, im Übrigen wurden jedoch ausschließlich Fragen zur doppelten [X.]aushaltsführung behandelt.

8

3. a) Zur schlüssigen Darlegung einer [X.] [X.] von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des [X.] einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung erkennbar zu machen. Für eine schlüssige [X.] ist überdies weiterhin auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt ([X.]-Beschluss vom 17. Januar 2006 [X.]/05, [X.]/NV 2006, 799, unter 2. a und b, m.w.[X.]). Der Kläger behauptet zwar, dass eine Abweichung zur Entscheidung [X.] ([X.]s-Urteil vom 21. April 2010, [X.]E 230, 5) vorliegt, und nennt Abweichungen im Urteil der Vorinstanz. Der [X.] vermag dem jedoch nicht zu folgen.

9

Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist die finanzielle Beteiligung bei der Unterhaltung des [X.]aupthausstandes keine unabdingbare Voraussetzung im Sinne eines Tatbestandsmerkmals (conditio sine qua non), sondern lediglich ein gewichtiges Indiz bei der Würdigung der gesamten Umstände des Falles ([X.]-Urteil vom 14. Juni 2007 [X.], [X.]E 218, 229, [X.], 890). Das [X.] ist aufgrund einer tatrichterlichen Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu der Entscheidung gelangt, dass der Kläger in den [X.]aushalt seiner Eltern eingegliedert war und nicht über einen eigenen [X.]ausstand verfügt bzw. auch nicht einen [X.]aushalt gemeinsam mit seinen Eltern geführt hat. So hat das [X.] neben der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung, der fehlenden Übernahme von Nebenkosten sowie der fehlenden Beteiligung an Renovierungskosten u.a. maßgeblich darauf abgestellt, dass die Wohnung zeitweise durch andere Personen genutzt wurde, dass die Aussagen der beiden Zeugen keine weiteren Aufenthalte in [X.] ergaben sowie, dass angesichts der Dauer der Auswärtstätigkeit des ledigen [X.] keine Umstände dargelegt wurden, die belegt hätten, dass der Lebensmittelpunkt des [X.] in [X.] verblieben war. Diese Würdigung des [X.] ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere hat das [X.] nicht den einzelnen Umstand der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung allein als unabdingbare Voraussetzung im Sinne eines Tatbestandsmerkmals angesehen.

b) Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) ist eine Entscheidung des [X.] --außer in Fällen der [X.] dann geboten, wenn ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung besteht, weil das [X.] revisibles Recht fehlerhaft ausgelegt hat, der insoweit unterlaufene Fehler von Gewicht und geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Auslegung und Anwendung des revisiblen Rechts durch das [X.] objektiv willkürlich oder greifbar gesetzeswidrig ist (z.B. [X.]-Beschluss vom 5. Juli 2005 [X.]/04, [X.]/NV 2005, 2025; vgl. auch Lange in [X.]übschmann/ [X.]epp/[X.], § 115 [X.]O Rz 200 ff.; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 [X.]O Rz 63 ff. und 75 ff.; jeweils m.w.[X.]). Dies ist im Streitfall aus den oben dargelegten Gründen nicht gegeben.

4. Die Rüge, das [X.] habe seine Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 [X.]O verletzt, weil es weitere Aufenthalte des [X.] in [X.] nicht durch Einvernahme des [X.], weiterer Zeugen und der Einsicht von Kaufbelegen im Original aufgeklärt habe, lässt einen Verfahrensfehler des [X.] nicht erkennen. Der Kläger hat nicht dargelegt, weshalb sich auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des [X.] (vgl. dazu [X.]-Urteile vom 31. August 1992 [X.], [X.]E 169, 250, [X.] 1992, 1046, 1047, und vom 15. Dezember 1992 [X.], [X.]/NV 1993, 656, 657 zur Beweiserhebung bezüglich der Veräußerungsabsicht) eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes hätte aufdrängen müssen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 23. April 1992 [X.]/91, juris; vom 19. September 1994 VIII [X.]/93, [X.]/NV 1995, 243).

So hat das [X.] die Feststellung, dass sich der Lebensmittelpunkt des [X.] nicht in [X.] befunden habe, nicht von der Anzahl der Aufenthalte in [X.] abhängig gemacht, sondern maßgeblich darauf gestützt, dass angesichts der Dauer der Auswärtstätigkeit des ledigen [X.] keine Umstände dargelegt wurden, die belegt hätten, dass der Lebensmittelpunkt des [X.] in [X.] verblieben war. Die Aussagen der beiden Zeugen stützen diese Feststellung des [X.]. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Anzahl der Wochenendheimfahrten des [X.] letztlich auch keine Aussage darüber erlaubt, ob der Kläger in [X.] einen eigenen [X.]ausstand unterhalten hat. Ein möglicher Verfahrensfehler hinsichtlich der Frage, ob der Kläger seinen Lebensmittelpunkt in [X.] hatte, lässt damit die Feststellungen des [X.] zum eigenen [X.]ausstand des [X.] unberührt.

Zudem war das [X.] von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus nicht verpflichtet, auch ohne [X.] von Amts wegen die entsprechende weitere Sachverhaltsermittlung zur Anzahl der Aufenthalte in [X.] anzustellen. Denn letztlich hat das [X.] das Vorliegen einer doppelten [X.]aushaltsführung im Streitfall auch deswegen verneint, weil der Kläger in den [X.]aushalt seiner Eltern eingegliedert war und nicht über einen eigenen [X.]ausstand verfügt bzw. auch nicht einen [X.]aushalt gemeinsam mit seinen Eltern geführt hat. Eine weitere Sachverhaltsermittlung von Amts wegen hätte sich daher nach Lage der Akten nicht aufdrängen müssen ([X.]-Beschluss vom 23. April 1992 [X.]/91, juris).

Meta

VI B 120/10

14.04.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 20. Juni 2010, Az: 15 K 12310/08, Urteil

§ 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG 2002, § 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 282 ZPO, § 283 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.04.2011, Az. VI B 120/10 (REWIS RS 2011, 7466)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7466

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI B 156/09 (Bundesfinanzhof)

Doppelte Haushaltsführung: Haupthausstand am Wohnsitz der Eltern


VI B 34/11 (Bundesfinanzhof)

Doppelte Haushaltsführung; Zusammenlegung zweier Nebenhaushalte; grundsätzliche Bedeutung; Erforderlichkeit der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung


VI B 38/14 (Bundesfinanzhof)

Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls bei Ermittlung des Lebensmittelpunktes eines Arbeitnehmers - Verfahrensmangel durch Übergehen …


VI R 71/14 (Bundesfinanzhof)

Doppelte Haushaltsführung bei beiderseits berufstätigen Eheleuten


VI R 46/12 (Bundesfinanzhof)

Doppelte Haushaltsführung - gemeinsamer Haushalt von Eltern und erwachsenen, wirtschaftlich eigenständigen Kindern


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VI R 26/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.