Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.01.2014, Az. VIII R 28/13

8. Senat | REWIS RS 2014, 8348

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Gegenstand

Wahrung der Festsetzungsfrist durch Übersendung eines Steuerbescheids im Wege des Telefax-Verfahrens


Leitsatz

1. Die gesetzlich gebotene Schriftform für behördliche und gerichtliche Entscheidungen wird auch durch Übersendung per Telefax gewahrt (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteile vom 4. Juli 2002 V R 31/01, BFHE 198, 337, BStBl II 2003, 45; vom 18. August 2009 X R 25/06, BFHE 226, 77, BStBl II 2009, 965).

2. Die Festsetzungsfrist ist nach Maßgabe des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO schon gewahrt, wenn der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde --mit ihrem Wissen und Wollen-- verlassen hat und dem Adressaten tatsächlich (wenn auch erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist) zugegangen ist. Auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe --auch hinsichtlich der Bekanntgabefiktionen im Anwendungsbereich des § 122 AO-- kommt es danach nicht an.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Übersendung eines Einkommensteuerbescheids per Telefax die Festsetzungsverjährung unterbricht.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gab ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2003 im Jahr 2004 ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) übersandte den aufgrund der Erklärung ergangenen Einkommensteuerbescheid 2003 mit handschriftlichem Datum "30.12.2008" ausweislich des [X.] am 30. Dezember 2008 in der [X.] von 13:33 Uhr bis 13:40 Uhr per Telefax an das Büro der früheren Empfangsbevollmächtigten der Klägerin. Dort wurde er am selben Tag ausgedruckt.

3

Mit [X.] vom 23. Januar 2009 und vom 28. Januar 2009 minderte das [X.] auf telefonischen Antrag der [X.] den Ansatz ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

4

Am 29. Januar 2009 ging bei dem [X.] per Telefax ein Einspruch gegen den "Einkommensteuerbescheid 2003 per Fax mit handschriftlichem Datum 30.12.2008" ein. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass wegen nicht rechtzeitiger Bekanntgabe hinsichtlich der Einkommensteuerveranlagung 2003 zum 31. Dezember 2008 Festsetzungsverjährung eingetreten sei.

5

Mit Einspruchsentscheidung vom 8. März 2010 verwarf das [X.] den Einspruch (gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008) als unzulässig und wies den Einspruch gegen den [X.] vom 23. Januar 2009 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 28. Januar 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, dass der Einkommensteuerbescheid vom 30. Dezember 2008 mit [X.]n der Steuerberaterin der Klägerin bekannt gegeben worden sei und sich der [X.] in der Aktenverfügung unter Anführung der Telefaxnummer der Steuerberaterin dokumentiert habe. Nach der Aktenverfügung habe der für den Erlass des Steuerbescheids zuständige Bedienstete, hier der Sachgebietsleiter, sein Namenszeichen vermerkt.

6

Im Streitfall sei die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) gewahrt, da der Steuerbescheid noch vor Ablauf der Frist am 31. Dezember 2008 den Bereich der zuständigen Finanzbehörde verlassen habe und der Klägerin tatsächlich zugegangen sei. Der auf den 30. Dezember 2008 datierende Steuerbescheid sei taggleich per Telefax an die Steuerberaterin der Klägerin übermittelt worden. Der Bescheid sei der Klägerin ausweislich ihrer telefonischen Änderungsanträge vom 12. und 13. Januar 2009 sowie ausweislich des gesonderten Einspruchs vom 29. Januar 2009 gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008 auch tatsächlich zugegangen. Da der Bescheid vom 30. Dezember 2008 die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2003 gewahrt habe, seien auch die angefochtenen Änderungsbescheide zulässigerweise erlassen worden.

7

Die dagegen erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) mit seinem in Entscheidungen der [X.]e 2013, 1545 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.

8

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 [X.].

9

Die Vorschrift sei auf Steuerbescheide nur anwendbar, wenn sie auf dem Postwege, nicht aber, wenn sie --wie im [X.] per Telefax bekannt gegeben würden. Ihre Voraussetzung, der den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmende Steuerbescheid müsse die Behörde "verlassen" haben, sei nicht gegeben, weil der Bescheid bei Übersendung im Wege des [X.] in der Behörde verbleibe und auf diese Form der Übersendung die Vorschrift wegen ihres Ausnahmecharakters nicht im Wege der Auslegung ausgedehnt werden dürfe.

Selbst wenn man mit dem [X.] und dem [X.] die Anwendbarkeit des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 [X.] auch bei Übersendung von Bescheiden durch Telefax bejahen wollte, fehle im Streitfall die gebotene Absendung durch die Poststelle des [X.] mit entsprechender Dokumentation durch einen Absendevermerk. Denn der Bescheid vom 30. Dezember 2008 sei unmittelbar vom Sachgebietsleiter des [X.] gefaxt worden.

Auf dieser Grundlage gelte der per Telefax übersandte Bescheid nach § 122 Abs. 2a [X.] als elektronisch übermittelter Bescheid als am dritten Tag nach Absendung bekannt gegeben, selbst wenn der Bescheid noch am selben Tag beim Empfänger eingehe und gelesen werden könne.

Abgesehen davon müsse man entgegen der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) davon ausgehen, dass die für Steuerbescheide zu wahrende Schriftform die Übersendung des [X.] erfordere und schon deshalb eine Übersendung per Telefax keine verjährungsunterbrechende Wirkung haben könne.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das [X.] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2010 aufzuheben.

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht hat das [X.] den Einwand der Verjährung für unbegründet gehalten.

a) Im Streitfall lief die Festsetzungsfrist für die Veranlagung der Klägerin zur Einkommensteuer 2003 nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2008 ab, weil die Klägerin ihre Steuererklärung im [X.] eingereicht hatte.

b) Der vor Ablauf dieser Frist per Telefax übermittelte und nach den bindenden Feststellungen des [X.] am Tag der Übermittlung bei der Empfangsbevollmächtigten der Klägerin ausgedruckte Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 30. Dezember 2008 hat diese Frist --wie das [X.] und das [X.] zu Recht angenommen haben-- gewahrt.

Die Einwendungen der Klägerin gegen die Formwirksamkeit des [X.]escheids sowie gegen die Ordnungsmäßigkeit seiner [X.]ekanntgabe rechtfertigen keine andere Entscheidung.

aa) Nach ständiger [X.]FH-Rechtsprechung wird eine gesetzlich gebotene Schriftform auch durch Übersendung per Telefax gewahrt ([X.]FH-Urteil vom 4. Juli 2002 V R 31/01, [X.], 337, [X.] 2003, 45).

(1) Ein Telefax gewährleistet gleichermaßen den mit dem Gebot der Schriftlichkeit verfolgten Zweck, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Zudem weist ein Telefax gleichermaßen aus, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des [X.]erechtigten dem Empfänger zugeleitet worden ist (vgl. [X.]eschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] vom 5. April 2000 [X.] 1/98, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2000, 2340, unter [X.]). Dementsprechend ist nach der dem technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Telekommunikation Rechnung tragenden Rechtsprechung die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig (vgl. [X.]eschluss des [X.] in NJW 2000, 2340, unter [X.], m.w.N.; Urteil des [X.] vom 13. März 2001 [X.] 3 KR 12/00 R, [X.]SGE 88, 1; Urteil des [X.] vom 11. Januar 2006 L 1 P 14/05, juris).

(2) Für die Übermittlung von Steuerbescheiden gilt auf dieser Grundlage entgegen der Auffassung der Klägerin nichts anderes ([X.]FH-Urteile vom 8. Juli 1998 I R 17/96, [X.]FHE 186, 491, [X.] 1999, 48; vom 18. August 2009 X R 25/06, [X.]FHE 226, 77, [X.] 2009, 965, unter [X.]ezugnahme auf das [X.]FH-Urteil vom 28. Mai 2009 III R 84/06, [X.]FHE 225, 11, [X.] 2009, 949 zur bejahten Wirksamkeit einer einen Verwaltungsakt mündlich widerrufenen Mitteilung; die Verfassungsbeschwerde gegen das [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 226, 77, [X.] 2009, 965 hat das [X.]undesverfassungsgericht mit [X.]eschluss vom 29. Oktober 2012  2 [X.]vR 2579/09, juris, nicht zur Entscheidung angenommen; [X.]FH-[X.]eschluss vom 31. März 1998 I S 8/97, [X.]FH/NV 1998, 1318; Güroff in [X.]eermann/Gosch, [X.] § 122 Rz 32; vgl. auch [X.]FH-[X.]eschluss vom 27. Juni 2001 X [X.] 23/01, [X.]FH/NV 2001, 1529).

(3) Die Übersendung per Telefax ist auch nicht als Übersendung eines elektronischen Verwaltungsakts anzusehen, für den nach § 87a Abs. 4 [X.] eine Signatur erforderlich wäre (vgl. § 119 Abs. 3 Satz 3 [X.]). Denn die Wirksamkeit einer [X.]ekanntgabe behördlicher oder gerichtlicher Entscheidungen per Telefax wird nach der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts ([X.]VerwG) durch die Einfügung der Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr in die [X.] nicht berührt, weil ein Computerfax oder [X.] kein elektronisches Dokument darstellt ([X.]VerwG-[X.]eschluss vom 30. März 2006  8 [X.] 8/06, [X.], 1989; ebenso [X.]/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 19. Aufl., § 55a Rz 5). Per Telefax übermittelte Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidungen erfordern keinen besonderen Nachweis der Urheberschaft (Authentizität) und keinen besonderen Schutz vor nachträglicher Veränderung (Integrität). Insoweit unterscheiden sie sich maßgeblich von elektronischen Dokumenten, die leicht elektronisch änderbar sind und deren Absicherung die Regelungen zur qualifizierten Signatur allein bezwecken (vgl. [X.]eschluss des [X.]undesgerichtshofs --[X.]GH-- vom 14. Januar 2010 VII Z[X.] 112/08, [X.]GHZ 184, 75, unter [X.]ezugnahme auf den [X.]GH-[X.]eschluss vom 4. Dezember 2008 IX Z[X.] 41/08, Neue Juristische [X.] Zivilrecht 2009, 357 und [X.]TDrucks 14/4987, S. 24; [X.]TDrucks 15/4067, S. 37 f. zu § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung).

Für andere Dokumente stellt sich selbst bei Übermittlung per Telefax --wie im [X.] das Problem der Integrität nicht anders als bei traditionell übermittelten Schriftstücken, für die eine qualifizierte Signatur nicht erforderlich ist ([X.]VerwG-[X.]eschluss in [X.], 1989).

bb) Mit dem gefaxten Einkommensteuerbescheid hat das [X.] im Streitfall den Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt. Denn die Frist ist nach Maßgabe des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 [X.] auch gewahrt, wenn der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den [X.]ereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde --mit ihrem Wissen und [X.] verlassen hat und dem Adressaten tatsächlich (wenn auch erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist) zugegangen ist (vgl. [X.]FH-[X.]eschluss vom 22. August 1996 V [X.] 30/96, [X.]FH/NV 1997, 162). Diese Voraussetzungen sind nach den für den Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] im Streitfall gegeben.

Da es danach im Anwendungsbereich des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 [X.] auf den Zeitpunkt der [X.]ekanntgabe nicht ankommt, haben die Ausführungen der Klägerin zu den [X.]ekanntgabefiktionen in § 122 [X.] für den Streitfall keine [X.]edeutung.

Der Einwand der Klägerin, bei wortlaut- und zweckorientierter Auslegung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 [X.] habe ein [X.]escheid im Sinne der Vorschrift den [X.]ereich des [X.] nur verlassen, wenn er nicht per Telefax, sondern in Papierform übersandt werde, ist ersichtlich mit der dargestellten ständigen Rechtsprechung zur Ordnungsmäßigkeit der [X.]ekanntgabe von [X.]escheiden im Wege der Übersendung per Telefax unvereinbar. Denn der auf diese Weise bekanntgegebene [X.]escheid löst die [X.]indungswirkung der in ihm getroffenen Regelungen für den Adressaten sowie den Lauf der Rechtsbehelfsfristen aus, sodass für ihn mangels abweichender Sonderregelungen dieselben Vorschriften für die Verjährungsfristen und ihre Ablaufhemmung wie für im Postweg übersandte [X.]escheide gelten.

Meta

VIII R 28/13

28.01.2014

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 26. Februar 2013, Az: 4 K 498/10, Urteil

§ 118 AO, § 119 AO, § 122 AO, § 169 Abs 1 S 3 Nr 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.01.2014, Az. VIII R 28/13 (REWIS RS 2014, 8348)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8348

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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