Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2023, Az. XII ZB 432/22

12. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 5550

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Gegenstand

Falschbezeichnung bei Beschwerdeeinlegung


Leitsatz

Eine Beschwerde ist formgerecht eingelegt, wenn trotz fehlerhafter Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 20. Mai 2015 - XII ZB 368/14, FamRZ 2015, 1276).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 7. [X.] des [X.] vom 20. September 2022 insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil des Antragsgegners erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 13.280 €

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Betreuungsunterhalt.

2

Auf Antrag der Antragstellerin hat das Amtsgericht mit am 12. Mai 2021 verkündetem Beschluss den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin ab Mai 2021 laufenden Betreuungsunterhalt sowie für den Zeitraum März 2019 bis einschließlich April 2021 rückständigen Betreuungsunterhalt zu zahlen. Im Übrigen hat es den Antrag abgewiesen. Mit am 14. Mai 2021 erlassenem Beschluss hat es den Verfahrenswert festgesetzt. Beide Beschlüsse sind den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten am 17. Mai 2021 zugestellt worden.

3

Mit [X.] vom 7. Juni 2021 hat der Antragsgegner gegen den „Beschluss des Amtsgerichts [N]. - Familiengericht - vom 14.05.2021, zugestellt am 17.05.2021,“ Beschwerde eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 30. Juni 2021 hat er klargestellt, dass sich die Beschwerde gegen den Beschluss vom 12. Mai 2021 richte. Nach entsprechendem Hinweis hat das [X.] die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss vom 12. Mai 2021 verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip), welcher es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - [X.] 167/11 - FamRZ 2013, 1117 Rn. 4 mwN).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

7

a) Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt: Der innerhalb der Beschwerdefrist eingegangene Schriftsatz vom 7. Juni 2021, nach dessen Wortlaut Beschwerde gegen einen am 17. Mai 2021 zugestellten Beschluss vom 14. Mai 2021 eingelegt werde, könne nicht als Beschwerde gegen die Entscheidung in der Hauptsache vom 12. Mai 2021 ausgelegt werden. Nur der Beschluss, mit dem das Amtsgericht den Verfahrenswert festgesetzt habe, datiere vom 14. Mai 2021. Aus dem Umstand, dass der Verfahrenswert erstinstanzlich nicht streitig gewesen sei und der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners am 7. Juni 2021 auf der Grundlage dieser Wertfestsetzung seine Verfahrenskostenhilfeliquidation eingereicht habe, lasse sich nicht hinreichend sicher schließen, dass der Antragsgegner nicht diesen Beschluss, sondern die Entscheidung in der Hauptsache habe anfechten wollen. Auch daraus, dass das Amtsgericht als Erklärungsempfänger die [X.] als Beschwerde gegen die Entscheidung in der Hauptsache ausgelegt habe, könne der Antragsgegner für sich nichts herleiten. Maßgeblich sei, wie der Schriftsatz bei objektiver Würdigung unter Rücksicht auf Treu und Glauben habe verstanden werden müssen.

8

b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des [X.] hat der Antragsgegner mit dem am 7. Juni 2021 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten form- und fristgerecht Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 12. Mai 2021 eingelegt.

9

aa) Nach § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Wie bei der für das zivilprozessuale Berufungsverfahren maßgeblichen Regelung in § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, an die § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG angelehnt ist (Senatsbeschluss vom 20. Mai 2015 - [X.] 368/14 - FamRZ 2015, 1276 Rn. 17), ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift allerdings nicht, auf welche Weise die angefochtene Entscheidung bezeichnet werden muss. Da § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG dem Zweck dient, dem Beschwerdegericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten Klarheit über den Gegenstand und die Beteiligten des Rechtsmittelverfahrens zu verschaffen, ist in der Beschwerdeschrift die angegriffene Entscheidung in der Regel durch eine vollständige Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, des Gerichts, das den angefochtenen Beschluss erlassen hat, des [X.] und des Aktenzeichens zu bezeichnen (Senatsbeschluss vom 20. Mai 2015 - [X.] 368/14 - FamRZ 2015, 1276 Rn. 17 mwN).

Dabei ist jedoch zu beachten, dass verfahrensrechtliche Formvorschriften kein Selbstzweck sind (Senatsbeschlüsse vom 20. Mai 2015 - [X.] 368/14 - FamRZ 2015, 1276 Rn. 18 und [X.], 371 = [X.], 543). Daher dürfen keine übermäßigen Anforderungen an die Beachtung der Förmlichkeiten der Beschwerdeschrift gestellt werden. Ausreichend ist, wenn aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der [X.] nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. Mai 2015 - [X.] 368/14 - FamRZ 2015, 1276 Rn. 18 mwN und [X.], 371 = [X.], 543 mwN).

bb) Gemessen hieran hat der Antragsgegner durch die am 7. Juni 2021 beim Amtsgericht eingegangene [X.] rechtzeitig Beschwerde gegen den am 17. Mai 2021 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts vom 12. Mai 2021 eingelegt. Zwar ist in diesem Schriftsatz der Erlasstermin der Entscheidung, gegen die sich das Rechtsmittel richten sollte, unzutreffend angegeben. Aus dem Inhalt der Verfahrensakten ergaben sich für das Gericht jedoch schon vor Ablauf der Beschwerdefrist hinreichende Anhaltspunkte, aus denen erkennbar war, dass der Antragsgegner die Entscheidung in der Hauptsache und nicht den Beschluss über die Festsetzung des [X.] anfechten wollte.

So befand sich in den Verfahrensakten bereits die Verfahrenshilfeliquidation des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners, die er am Tage der Abfassung der Beschwerdeschrift beim Amtsgericht eingereicht und der er die in dem Beschluss vom 14. Mai 2021 festgesetzten [X.] unbeanstandet zugrunde gelegt hatte. Zudem hatte das Amtsgericht in seiner Abgabeverfügung vom 9. Juni 2021, die innerhalb der Beschwerdefrist beim Beschwerdegericht eingegangen ist, das Datum der angefochtenen Entscheidung mit dem 12. Mai 2021 angegeben. An diesem Tag war jedoch nur die Entscheidung in der Hauptsache erlassen, nicht aber die über den Verfahrenswert, die vom 14. Mai 2021 stammt. Dieser Abgabenachricht, die dem [X.] innerhalb der Beschwerdefrist übermittelt worden war, hat der Antragsgegner nicht widersprochen. Schließlich erfolgte die Aktenübersendung an das Beschwerdegericht ohne eine Abhilfeentscheidung durch das Amtsgericht. Bei einer gegen die Festsetzung des [X.] gerichteten Beschwerde gemäß §§ 59 Abs. 1 Satz 5, 57 Abs. 3 Satz 1 FamGKG hätte das Amtsgericht jedoch zunächst selbst über die Abhilfe entscheiden und erst danach, nämlich im Falle der Nichtabhilfe, die Akte dem Beschwerdegericht vorlegen müssen.

Trotz der fehlerhaften Angaben in der Beschwerdeschrift zum Erlassdatum war das Beschwerdegericht auch seit Beginn seiner Befassung mit der Sache nicht gehindert, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. Senatsbeschluss [X.], 371, 374 = [X.], 543). Das Verfahren wurde von der Geschäftsstelle des [X.]s ohne weitere Beanstandung als Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung unter dem „[X.] und nicht - wie bei einer Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Festsetzung des [X.] - unter dem „[X.] eingetragen. Der Vorsitzende hat mit Verfügung vom 20. August 2021 Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, § 273 ZPO das persönliche Erscheinen der Beteiligten angeordnet. Im weiteren [X.] hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 29. Oktober 2021 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Beschwerde des Antragsgegners zulässig sei, weil sie „den Anforderungen des § 130 a Abs. 3, [X.]. 2 ZPO“ genüge. Schließlich hat das Beschwerdegericht am 14. November 2021 einen Termin zur mündlichen Verhandlung durchgeführt, bei dem allerdings die Antragstellerin nicht erschienen war.

Schließlich ist auch die Antragstellerin ab dem Beginn des Verfahrens davon ausgegangen, dass sich das Rechtsmittel des Antragsgegners gegen den am 12. Mai 2021 verkündeten Beschluss des Amtsgerichts in der Hauptsache richtet. Denn sie legt ihrer Beschwerdeerwiderung erkennbar zugrunde, dass sich das Rechtsmittel des Antragsgegners gegen den Beschluss vom 12. Mai 2021 richtet. Erst im Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 13. Januar 2022 vertritt sie die Auffassung, dass die Beschwerde wegen Falschbezeichnung der angegriffenen Entscheidung unzulässig sei. Zweifel des [X.] daran, gegen welche gerichtliche Entscheidung sich ein Rechtsmittel richtet, müssen jedoch nicht schon bis zum Ablauf der Beschwerdefrist behoben sein; es genügt, wenn die Klarstellung ihm gegenüber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, sofern dadurch seine Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. Mai 2015 - [X.] 368/14 - FamRZ 2015, 1276 Rn. 22 und [X.], 371, 373 = [X.], 543). Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner jedoch bereits mit Schriftsatz vom 30. Juni 2021 klargestellt, dass sich die Beschwerde gegen den Beschluss vom 12. Mai 2021 richtet.

cc) Soweit das Beschwerdegericht eine solche Auslegung der Beschwerdeschrift für nicht möglich gehalten hat, ist der Senat hieran nicht gebunden. Die Auslegung von Verfahrenshandlungen unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] freier rechtlicher Nachprüfung. Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (vgl. [X.] Beschluss vom 20. Januar 2004 - [X.]/03 - FamRZ 2004, 697, 698 mwN).

Die Auslegung der am 7. Juni 2021 fristgerecht beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerdeschrift ergibt nach alldem, dass der Antragsgegner bereits mit dieser Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 12. Mai 2021 eingelegt hat.

[X.]     

      

Günter     

      

Nedden-Boeger

      

Krüger     

      

Pernice     

      

Meta

XII ZB 432/22

02.08.2023

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Düsseldorf, 20. September 2022, Az: II-7 UF 104/21

§ 64 Abs 2 S 3 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2023, Az. XII ZB 432/22 (REWIS RS 2023, 5550)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5550

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XII ZR 89/22

Zitiert

XII ZB 368/14

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