Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.04.2015, Az. 2 StR 444/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 11776

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 444/14
vom
30. April
2015
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags
u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 30.
April 2015 gemäß §
349 Abs.
2
und
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23.
Juni 2014
mit den Feststellungen auf-gehoben,
a)
im Einzelstrafausspruch zu [X.] 2. der Urteilsgründe,
b)
im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und

c)
im Ausspruch über die Dauer des [X.]es der Strafe vor Vollziehung der Maßregel.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten der [X.], an eine andere als Schwurgericht zuständige [X.] des [X.] zurückverwiesen.
3.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags ([X.] 2. der Urteilsgründe) und wegen gefährlicher Körperverletzung ([X.] 1. der Urteils-gründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Ferner hat es die Unterbringung des
Angeklagten in einer Entzie-hungsanstalt und den [X.] von zwei Jahren und neun Monaten der 1
-
3
-
"Freiheitsstrafe" vor der Maßregel angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das [X.] unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verfahrensrügen
haben aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] vom 4. November 2014 keinen Erfolg.
2. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der [X.] hat zum Schuldspruch und zum Strafausspruch im [X.] 1. der Urteilsgründe kei-nen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3. Der Strafausspruch im [X.] 2. der Urteilsgründe hält hingegen [X.] Nachprüfung nicht stand, weil die [X.] eine erheblich [X.] Schuldfähigkeit des
Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.
a) Das sachverständig beratene [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt eine "maximale Blutalkoholkonzentration von etwa 3

"
(UA S. 13)
bzw. eine errechnete "Blutalkoholkonzentration von 3,18 "
(UA S. 47)
aufgewiesen habe. Die Voraussetzungen des § 21 [X.] hätten in-des nicht vorgelegen, weil beim alkoholgewöhnten Angeklagten keinerlei auf Alkoholgenuss zurückzuführende Ausfallerscheinungen festgestellt werden konnten. Der Angeklagte sei zu zielgerichtetem Vorgehen in der Lage gewesen und hätte auch nach der Tat den [X.] "ohne Aufsehen zu erregen"
verlassen können. Anhaltspunkte für Ausfallerscheinungen während der Tatausführung hätten sich nicht ergeben. Soweit ein Zeuge bekundet habe, der Angeklagte sei vor der Tat "richtig voll"
und danach "noch immer betrunken,

nicht mehr zurechnungsfähig

und wie ein Tier"
(UA S. 48) gewesen, ist
die [X.] dieser Einschätzung nicht gefolgt, zumal es dem Angeklagten gelungen sei, "

die Wohnungstüre aufzuschließen
und den 2
3
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5
-
4
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Schlüssel in ein Schloss zu stecken bzw. ihn abzuziehen. Auch das Anziehen der Schuhe in hockender Position und angelehnt an die Wand"
(UA S. 48)
sei kein "Anhalt
für eine hohe alkoholische Beeinflussung."
b) Zwar gibt es keinen gesicherten Rechts-
oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der
Blutalkoholkonzentration ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien regelmäßig vom Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung auszugehen ist. Bei einem Wert von über 2

ist eine erhebliche Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit aber je nach den Umständen des Einzelfalles in Betracht zu ziehen, naheliegend oder gar in [X.] Maße wahrscheinlich ([X.], Urteil vom 29. April 1997 -
1 [X.], [X.]St 43, 66, 75 f.;
Beschluss vom 7. Februar 2012 -
5 [X.], [X.], 137). Bei Tötungsdelikten ist ab einer Blutalkoholkonzentration von 2,2

eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit in Betracht zu ziehen (vgl.
[X.], Beschluss vom 18.
März 1998 -
2 StR 5/98, [X.]R [X.] §
21 Blut-alkoholkonzentration 35; weitere Nachweise bei Streng in [X.] [X.], [X.], 2.
Aufl., §
20 Rn.
68).
Für die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 [X.] gegeben sind, kommt es demnach -
gesamtwürdigend -
sowohl auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch auf die psychodiagnostischen Kriterien an (vgl. [X.], Urteil vom 29. April 1997 -
1 [X.], [X.]St 43, 66,
75 f.). Dabei steht das Fehlen von Ausfallerscheinungen einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt entgegen; gerade bei -
wie hier -
alkohol-gewöhnten Tätern können äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungs-fähigkeit durchaus weit auseinander fallen (vgl. [X.], Beschluss vom 12.
Juni 2007 -
4 [X.], [X.], 696; [X.], [X.], 62. Aufl., §
20 Rn.
23a, jeweils mwN). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Feststellung, der An-geklagte habe
nach der Rückkehr zur Wohnung keine
Ausfallerscheinungen 6
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-
5
-
gezeigt, auf Angaben von Zeugen beruhen, die entweder ebenfalls dem Alkohol zugesprochen hatten oder
unter dem Einfluss von Schmerzmitteln standen. Soweit sich die Urteilsgründe auf die Aussagen dieser Zeugen stützen, wären etwaige alkoholische bzw. medikamentöse Auswirkungen auf deren
Wahrneh-mung und Bewertung des Verhaltens des Angeklagten zu erörtern gewesen (vgl. [X.] Beschluss vom 26. Mai 2009 -
5 [X.], [X.]R [X.] §
21 Blutal-koholkonzentration 41).
Zudem lassen sich gewichtige psychodiagnostische Gegenindizien, die geeignet sein könnten, die Indizwirkung der
Blutalkoholkonzentration für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des
Angeklagten zu relativieren, dem Urteil nicht ausreichend entnehmen. Die Wertung der [X.], der
Angeklagte habe sich [X.] und zielgerichtet verhalten, steht vielmehr im [X.] zu den Feststellungen. Danach trägt bereits das Gesamtbild der [X.] deutliche Züge einer spontanen und unüberlegten Handlung.
Der [X.] kann ausschließen, dass der Angeklagte
bei Begehung der Tat im [X.]2. der Urteilsgründe schuldunfähig gewesen wäre, muss jedoch den Strafausspruch in diesem Fall aufheben.
4. [X.] zu [X.] 2. der Urteils-gründe hat die Aufhebung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Ent-scheidung über die Dauer des [X.]es der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zur Folge.
Der [X.] weist darauf hin, dass die Strafzumessungserwägung des [X.], zu Lasten des Angeklagten zu werten
sei, dass er
"ohne Anlass zum wiederholten Male das Gespräch mit dem Geschädigten gesucht"
habe (UA S.
51), rechtlichen Bedenken begegnet. Tatmodalitäten dürfen einem [X.] nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, 8
9
10
11
-
6
-
wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (vgl. [X.], [X.], 62. Aufl., § 46 Rn. 32 mwN).
Krehl [X.]Ott

Zeng Bartel

Meta

2 StR 444/14

30.04.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.04.2015, Az. 2 StR 444/14 (REWIS RS 2015, 11776)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 11776

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2 StR 444/14

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