Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.06.2011, Az. IX ZR 35/10

9. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5258

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Gegenstand

Zulässigkeit der Beweiserhebung über die Frage der Erteilung eines richterlichen Hinweises


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 22. Januar 2010 zugelassen.

Das genannte Urteil wird im [X.] und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die gegen den Beklagten zu 1 gerichtete Klage für unbegründet angesehen hat. In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die gesamten Kosten des Beschwerde- und Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerde- und Revisionsverfahrens wird auf 550.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin war Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem sich eine Bimssteinfertigungsanlage befand. Beides wollte sie verkaufen. Sie beauftragte den [X.]n zu 3 als Makler. Dem [X.]n zu 1, einem Rechtsanwalt, erteilte sie wenig später "Handlungsvollmacht sowie Verhandlungsvollmacht" mit der Einschränkung, dass "bei entsprechenden Kaufangeboten [...] Zustimmung nur in Absprache" mit der Klägerin erfolgen dürfe. Am 31. Januar 2006 veräußerte die Klägerin - vertreten durch den [X.]n zu 1 - die Anlage für 30.000 € an ein kasachisches Unternehmen, das der [X.] zu 2 vertrat.

2

Die Klägerin macht geltend, der [X.] zu 1 habe die Anlage ohne ihre Zustimmung zum Preis von 30.000 € verkauft, obwohl er den wesentlich höheren Wert der Anlage und die gleichfalls höhere Kaufpreisvorstellung der Klägerin gekannt habe. Alle drei [X.]n hätten kollusiv zusammengewirkt, um die Klägerin zu schädigen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme sei es überzeugt, dass das [X.] die Klägerin darauf hingewiesen habe, sie sei nunmehr darlegungs- und beweispflichtig für ihre Behauptung, der [X.] zu 1 habe den Kaufvertrag ohne ihre ausdrückliche Zustimmung abgeschlossen. Ihr im [X.] erstmals geltend gemachtes Vorbringen, sie sei am 31. Januar 2006 erst um 12.00 Uhr von einem Friseurtermin nach Hause gekommen, wo sie der Zeuge A.     W.    bereits erwartet habe, der bestätigen könne, das sie kein Telefongespräch mit dem [X.]n zu 1 geführt habe, werde gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen.

II.

3

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie richtet sich, wie aus der Beschwerdebegründung ersichtlich, nur noch gegen den [X.]n zu 1. Die im Hinblick auf die keine Beschränkung aufweisende Beschwerdeschrift sich zunächst auch gegen die [X.]n zu 2 und zu 3 richtende Beschwerde (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Mai 2006 - [X.], NJW-RR 2006, 1569 Rn. 9; vom 9. September 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 208 Rn. 5; vom 11. Mai 2010 - [X.], NJW-RR 2011, 281 Rn. 11) hat die Klägerin, wie sich aus der nur mit dem [X.]n zu 1 befassenden Begründung der Beschwerdeschrift eindeutig ergibt, konkludent zurückgenommen (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Mai 2011 - [X.], Rn. 2, [X.]). Die gegen den [X.]n zu 1 gerichtete Beschwerde führt zur Zulassung der Revision sowie zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 544 Abs. 7 ZPO).

4

1. Das Berufungsgericht hat mit der Zurückweisung des Beweisantritts der Klägerin deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Ihm war es verwehrt, zur Frage Beweis zu erheben, ob das [X.] die Klägerin auf deren Darlegungs- und Beweislast hingewiesen hat.

5

a) Nach der Vorschrift des § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO kann die Erteilung rechtlicher Hinweise nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Sofern diese die Erteilung eines Hinweises nicht hinreichend dokumentieren, gilt dieser als nicht erteilt (vgl. [X.], Urteil vom 20. Juni 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1518). Wie bereits die Begründung des [X.] zu dieser Vorschrift ausführt (BT-Drucks. 14/4722, [X.]), darf daher kein Beweis erhoben werden zur Frage, ob die Vorinstanz einen Hinweis erteilt hat ([X.], NJW-RR 2004, 428, 429; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 139 Rn. 105; Musielak/[X.], ZPO, 8. Aufl., § 139 Rn. 28). Die vom Berufungsgericht aus der Vernehmung der Mitglieder des [X.] der ersten Instanz und der übrigen benannten Zeugen gewonnene Überzeugung, wonach das [X.] in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2008 den erforderlichen Hinweis erteilt habe, trägt daher die Zurückweisung des angeführten Beweisantritts im Berufungsverfahren nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht.

6

b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist auch nicht aus anderen Gründen richtig. Durch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2008, wonach die Kammer "die behauptete Pflichtverletzung, insbesondere im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislasten" erörtert habe, wird die Erteilung eines ausreichenden Hinweises nicht gemäß § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO durch den Akteninhalt nachgewiesen.

7

[X.] genügt seiner Hinweispflicht nicht, wenn es lediglich allgemeine oder pauschale Hinweise erteilt ([X.], Urteil vom 22. September 2005 - [X.], [X.]Z 164, 167, 173). Ausnahmsweise kann ein bloßer Protokollvermerk über die Erörterung der Sach- und Rechtslage als Dokumentation des Hinweises auf Bedenken gegen die Schlüssigkeit ausreichen, wenn sich die Erteilung eines solchen Hinweises auch aus dem anschließenden Schriftsatz einer Prozesspartei ergibt ([X.], Urteil vom 13. Juli 2005 - [X.], [X.], 1555, 1556). Vorliegend lässt sich weder aus dem angeführten [X.] noch aus dem sonstigen Akteninhalt verlässlich erschließen, das [X.] habe einen ausreichenden Hinweis erteilt. Die protokollierte Erörterung der Darlegungs- und Beweislast belegt nicht, dass die Klägerin darauf hingewiesen wurde, nach dem nun erfolgten substantiierten Vortrag des [X.]n zu 1 habe nunmehr die Klägerin die von ihr behauptete negative Tatsache dazulegen und nachzuweisen. Auch ergeben sich aus der Akte keine weiteren Anzeichen dafür, dass das [X.] hierauf hingewiesen hat.

8

2. Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Dies ist dann anzunehmen, wenn nicht auszuschließen ist, das Gericht hätte bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden ([X.], Urteil vom 18. Juli 2003 - [X.], [X.], 46, 47). Hätte das Berufungsgericht den weiteren Sachvortrag und Beweisantritt der Klägerin im [X.] zugelassen, so hätte es sich möglicherweise im Rahmen der gebotenen Beweisaufnahme davon überzeugen können, dass die Klägerin die vom [X.]n zu 1 behauptete Zustimmung zu dem streitgegenständlichen Kaufvertrag nicht erteilt hat (vgl. hierzu [X.] in Zugehör/[X.]/Sieg/[X.], Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., Rn. 960).

Kayser                                 Vill                                 Lohmann

                    [X.]                              [X.]

Meta

IX ZR 35/10

30.06.2011

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 22. Januar 2010, Az: 8 U 557/08, Urteil

§ 139 Abs 4 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.06.2011, Az. IX ZR 35/10 (REWIS RS 2011, 5258)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5258

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