Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.02.2010, Az. 2 B 73/09

2. Senat | REWIS RS 2010, 9726

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Gegenstand

Verfahrensrüge: mangelhaftes Sachverständigengutachten; Verstoß gegen Aufklärungspflicht


Gründe

1

[X.]ie Beschwerde der Klägerin kann keinen Erfolg haben. [X.]ie Klägerin hat weder eine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufgeworfen noch liegt der geltend gemachte Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor.

2

[X.]ie wegen dauernder [X.]ienstunfähigkeit mit Wirkung zum 31. Mai 2004 vorzeitig in den Ruhestand versetzte Klägerin will Unfallruhegehalt als Versorgung erhalten, weil ihre [X.]ienstunfähigkeit durch einen [X.]ienstunfall herbeigeführt worden sei. [X.]ie als Bundesbeamtin bei der [X.] beschäftigte Klägerin war seit 1. Juli 1999 beurlaubt, um auf arbeitsvertraglicher Grundlage eine Tätigkeit bei der [X.], einem Tochterunternehmen der [X.], wahrzunehmen. Am ... stieß sie auf dem Parkplatz dieses Unternehmens beim Ausparken ihres Fahrzeugs mit einem vorbeifahrenden Fahrzeug zusammen.

3

[X.]er Verwaltungsgerichtshof hat nicht geprüft, ob die Voraussetzungen des § 31 Abs. 5 [X.] vorliegen, unter denen beurlaubten Beamten Unfallfürsorge gewährt werden kann. Vielmehr hat er den Verkehrsunfall als [X.]ienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 [X.] angesehen, obwohl die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls aufgrund ihrer Beurlaubung von der beamtenrechtlichen [X.]ienstleistungspflicht befreit war. Sie war nicht als Beamtin, sondern als Angestellte der [X.] tätig (vgl. Urteile vom 16. März 2004 - BVerwG 1 [X.] 15.03 - [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 36 S. 82 und vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 2 [X.] 134.07 - juris Rn. 14 - zur [X.] in der amtlichen Sammlung vorgesehen).

4

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs steht der Klägerin Unfallruhegehalt nach § 36 Abs. 1 [X.] nicht zu, weil es an dem nach dieser Regelung erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall und den Gesundheitsschäden der Klägerin fehle, die zu ihrer dauernden [X.]ienstunfähigkeit geführt hätten. Auf der Grundlage eines technischen Gutachtens zu Unfallhergang und -folgen habe der gerichtlich bestellte Sachverständige in einem orthopädisch-traumatologischen Zusammenhangsgutachten schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass weder die Gelenk- und Wirbelsäulenschäden noch die Fibromyalgie der Klägerin auf den Unfall zurückzuführen seien. [X.]ies gelte erst recht für ihr psychovegetatives Erschöpfungssyndrom.

5

1. [X.]ie Klägerin macht geltend, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergebe sich daraus,

dass der Verwaltungsgerichtshof sein Urteil auf ein medizinisches Gutachten gestützt habe, welches davon ausgehe, dass es bei Verkehrsunfällen unterhalb einer bestimmten Grenze einer Aufprallgeschwindigkeit (Harmlosigkeitsgrenze) Verletzungen nicht gebe, während etwa der [X.] an der Harmlosigkeitsgrenze gerade nicht mehr festhalte.

6

[X.]ie Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 18; stRspr).

7

[X.]anach kann grundsätzliche Bedeutung nur einer Frage des revisiblen Rechts zukommen, die der Klärung des [X.] einer konkret entscheidungserheblichen Rechtsnorm oder eines Rechtsgrundsatzes dient. Im vorliegenden Fall kommt es für die Gewährung eines Unfallruhegehalts auf die Auslegung und Anwendung des § 36 Abs. 1 und des § 31 Abs. 5 [X.] an. Mit diesen gesetzlichen Regelungen befasst sich die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. Vielmehr wendet sie sich mit der Grundsatzrüge gegen die Verwertung eines Sachverständigengutachtens durch den Verwaltungsgerichtshof. [X.]essen Würdigung des Gutachtens stellt revisionsrechtlich jedoch nicht Rechtsanwendung, sondern Tatsachenfeststellung dar. [X.]ie Klägerin will keine Rechtsfrage, sondern die Vertretbarkeit fachwissenschaftlicher Meinungen geklärt wissen.

8

2. Mit ihren Verfahrensrügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO macht die Klägerin geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe durch die Verwertung der von ihm eingeholten Sachverständigengutachten gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen. [X.]ie Gutachten hätten wegen ihrer fachlichen Mängel nicht verwertet werden dürfen. [X.]er Verwaltungsgerichtshof sei verpflichtet gewesen, neue Gutachten anderer Sachverständiger einzuholen.

9

Über Art und Zahl der einzuholenden Sachverständigengutachten hat das [X.] nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen (§ 98 VwGO, § 412 Abs. 1 ZPO). Seine Weigerung, ein weiteres Gutachten einzuholen, findet im Prozessrecht nur dann keine Stütze, wenn das bereits vorliegende Gutachten nicht geeignet ist, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. [X.]ies ist der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt. [X.]ie Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 [X.] 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45> = [X.] 303 § 414 ZPO Nr. 1 S. 6; Beschlüsse vom 26. Februar 2008 - BVerwG 2 B 122.07 - [X.] 2008, 257 <259 f.> und vom 29. Mai 2009 - BVerwG 2 [X.] - NJW 2009, 2614; stRspr).

Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass den Sachverständigengutachten, auf die das Berufungsurteil gestützt ist, derartige Mängel anhaften. Hierzu ist zu bemerken:

[X.]as technische Sachverständigengutachten hält die Klägerin für unverwertbar, weil es von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgehe. [X.]ies trifft nicht zu, wie der Verwaltungsgerichtshof in dem Berufungsurteil zutreffend dargelegt hat. [X.]anach sind die Berechnungen, die die Klägerin zum Nachweis einer höheren aufprallbedingten Geschwindigkeitsveränderung vorgelegt hat, ihrerseits nicht verwertbar, weil ihnen exakte Kollisionsgeschwindigkeiten zugrunde liegen, obwohl diese nachträglich nur geschätzt werden können. Auch hat der gerichtlich bestellte Sachverständige plausibel begründet, dass die Instandsetzungsarbeiten und die Höhe der Reparaturrechnung keine Rückschlüsse auf die [X.]eformationsenergie beim Unfall zulassen. Mit ihrem Vorbringen, bei Fahrzeugen mit Anhängerkupplung und älteren Fahrzeugen mit steiferen Sitzrückenlehnen sei das Risiko von Wirbelsäulenverletzungen bei Unfällen höher, kann die Klägerin das Gutachten nicht erschüttern, weil es keinen Bezug zu den konkreten Unfallumständen und den dazu getroffenen Feststellungen des Gutachters aufweist.

[X.]as Zusammenhangsgutachten des medizinischen Sachverständigen [X.]r. S. hält die Klägerin für unverwertbar, weil es auf wissenschaftlichen Auffassungen beruhe, die entweder unvertretbar seien oder jedenfalls in der Fachwelt überwiegend nicht geteilt würden. [X.]ie von der Klägerin erhobenen Einwendungen können die Verwertbarkeit dieses Gutachtens jedoch nicht in Frage stellen, weil sich ihre Bedeutung für die konkreten, den Unfall vom 15. Juli 2003 betreffenden Feststellungen und Beurteilungen des Sachverständigen nicht erschließt.

[X.]ie Klägerin macht geltend, der Sachverständige [X.]r. S. sei Anhänger der medizinisch nicht vertretbaren Adaptionslehre. Hierzu hat der Verwaltungsgerichtshof in dem Berufungsurteil ausgeführt, diese wissenschaftliche Theorie habe für das vorliegende Gutachten keine Rolle gespielt. Sie befasse sich damit, welche Bedeutung langjährigen beruflichen Belastungen für Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen zukomme. [X.]emgegenüber gehe es im vorliegenden Fall um die Folgen eines einmaligen Unfallereignisses. Hierauf geht die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht ein. Vielmehr beschränkt sie sich auf die Wiederholung ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz, die Adaptionslehre stelle den [X.] zwischen plötzlichen Ereignissen und Schäden der Hals- und Lendenwirbelsäule generell in Abrede.

[X.]ie Klägerin trägt vor, [X.]r. S. vertrete die wissenschaftlich unhaltbare Auffassung, dass [X.] bei nur geringer Aufprallgeschwindigkeit keine Schäden der Hals- und Lendenwirbelsäule hervorrufen könnten. [X.]ieser sog. Harmlosigkeitsgrenze habe der [X.] eine Absage erteilt. Wie bereits der Verwaltungsgerichtshof zutreffend festgestellt hat, liegt dem Gutachten nicht die Auffassung zugrunde, Wirbelsäulenverletzungen als Folge eines Zusammenstoßes von Fahrzeugen seien stets ausgeschlossen, wenn die aufprallbedingte Geschwindigkeitsveränderung unterhalb eines bestimmten Grenzwerts liegt. Vielmehr hat der Sachverständige seine Beurteilung, der Unfall vom ... könne die für die dauernde [X.]ienstunfähigkeit maßgebenden Körperschäden nicht herbeigeführt haben, aufgrund der konkreten Unfallumstände getroffen. Neben der geringen Geschwindigkeitsveränderung des Fahrzeugs der Klägerin hat er darauf abgestellt, dass das Heck des Fahrzeugs durch den Zusammenstoß nicht verschoben worden sei. [X.]avon ausgehend hat er Verletzungen der [X.] und im Beckenbereich aufgrund der Sitzposition der Klägerin und des Schutzes durch den Sicherheitsgurt für ausgeschlossen gehalten. Im Halsbereich sei allenfalls eine [X.]istorsion ersten Grades (Muskelzerrung) möglich gewesen.

Auch der Vortrag der Klägerin, entgegen der Auffassung des Sachverständigen könne bei einem Heckauffahrunfall eine Kopfdrehung im Augenblick des Aufpralls zu dauerhaften Schäden der Halswirbelsäule führen, ist nicht geeignet, einen erheblichen Mangel des Gutachtens zu begründen. [X.]er Sachverständige hat substanziiert ausgeführt, die veröffentlichten Untersuchungen sprächen gegen die Hypothese der erhöhten Verletzungsanfälligkeit der Halswirbelsäule bei einer besonderen Kopfhaltung ("out of position"). [X.]em stellt die Klägerin wie bereits in der Berufungsinstanz ihre abweichende Auffassung gegenüber, ohne auf die vom Sachverständigen genannten Belegstellen einzugehen.

[X.]er Einwand der Klägerin, der Sachverständige habe Auffahrunfälle mit Seitenkollisionen im Hinblick auf Verletzungen der Halswirbelsäule zu Unrecht als relativ harmlos dargestellt, geht von einer unzutreffenden tatsächlichen Annahme aus. [X.]er Sachverständige hat keine generelle Aussage zu derartigen Unfällen getroffen, vielmehr den Unfall der Klägerin aufgrund der konkreten Umstände als relativ harmlos beurteilt.

Schließlich macht die Klägerin geltend, die Ursächlichkeit des Unfalls für die diagnostizierten Beschwerden sei entgegen dem Gutachten "zwingend logisch", weil die Schmerzen und Beschwerden erst nach dem Unfall aufgetreten seien. Auch wenn diese zeitliche Abfolge als richtig unterstellt wird, kann daraus nicht auf die fachliche Fehlerhaftigkeit des Gutachtens geschlossen werden. [X.]er Sachverständige war beauftragt, zu beurteilen, ob der Unfall vom 15. Juli 2003 für sich genommen die Ursache für die schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen gewesen sein kann, die die dauernde [X.]ienstunfähigkeit der Klägerin begründet haben. [X.]avon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Klägerin an den von ihr geschilderten Schmerzen und Beschwerden leidet. Auf die Beantwortung dieser weiteren Frage kommt es nicht entscheidungserheblich an, weil hiervon die Gewährung von Unfallruhegehalt gemäß § 36 Abs. 1 [X.] nicht abhängt. [X.]ie festgestellten Körperschäden, die den geschilderten Schmerzen und Beschwerden zugrunde liegen, sind Grund für die [X.]ienstunfähigkeit der Klägerin und nicht zwangsläufig kausale Unfallfolgen.

[X.]ie Rüge der Klägerin, der medizinische Sachverständige [X.]r. S. sei aufgrund der von ihm vertretenen medizinischen Auffassungen befangen, ist schon deshalb unbeachtlich, weil die Klägerin in der Berufungsinstanz keinen Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen gestellt hat (§ 98 VwGO, § 406 Abs. 2, § 43 ZPO).

Meta

2 B 73/09

03.02.2010

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 5. Mai 2009, Az: 1 A 2518/07, Urteil

§ 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 98 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO, § 412 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.02.2010, Az. 2 B 73/09 (REWIS RS 2010, 9726)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9726

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