Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.04.2012, Az. 5 StR 444/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6967

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Gegenstand

Revision im Strafverfahren: Überprüfung des Verdachts einer wahrheitswidrigen Beweisbehauptung im Wege des Freibeweises


Leitsatz

Überprüfung des Verdachts einer wahrheitswidrigen Beweisbehauptung im Revisionsverfahren durch freibeweisliche Einholung des in der Tatsacheninstanz beantragten DNA-Identifizierungsgutachtens.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 21. Juni 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen [X.] in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachbeschwerde sowie eine Verfahrensrüge gestützte Revision bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). [X.] Erörterung bedarf lediglich die erhobene Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte beanstandet, das [X.] habe ein Beweisbegehren rechtsfehlerhaft beschieden.

2

1. Der Rüge liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde:

3

a) Dem in die Hauptverhandlung eingeführten Sachverständigengutachten des [X.] und der Zeugenaussage des ermittelnden [X.]      zufolge war einer Person mit den Personalien des Angeklagten im Jahre 2008 in Umsetzung einer Anordnung nach § 81g StPO eine Speichelprobe entnommen, anhand dieser ein [X.] erstellt, das Material allerdings wegen der vorangegangenen Notierung eines Aliasnamens – behördlicher Übung folgend – unter der polizeilichen Führungspersonalie „[X.] geb. 1982“ in die [X.] eingestellt worden. Ausweislich eines Gutachtens des [X.] war am Tatort im Fall 1 der Urteilsgründe eine Blutspur („[X.]“) gesichert worden, die dasselbe [X.] aufwies wie das unter den Personalien des „[X.] geb. 1982“ gespeicherte.

4

Die Verteidigung hat beantragt, „ein [X.] des Angeklagten“ und ein „rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten einzuholen“. Das Gutachten werde ergeben, „dass das [X.] des Angeklagten nicht mit den unter den Personalien ‚[X.] geb. 1982‘ gespeicherten Daten identisch ist“.

5

Die [X.] hat diesen Antrag unter Berufung auf § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund von Gutachten des [X.] vom 22. März 2011, betreffend das unter den Personalien des „[X.] geb. 1982“ gespeicherte [X.], und des [X.] vom 31. März 2011 zu dessen Vergleich mit der [X.] sei erwiesen, dass „der Angeklagte (Herr [X.] geb. 1982)“ Verursacher der [X.] sei, so dass das Gegenteil der behaupteten Tatsache erwiesen sei. Der Einholung eines weiteren Gutachtens bedürfe es nicht. Insbesondere gehe das Gutachten nicht von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Bei dem im Gutachten des [X.] untersuchten Material handele es sich um solches, das vom Angeklagten stamme. Der Zeuge [X.]         habe glaubhaft angegeben, dass im damaligen Ermittlungsverfahren der [X.] im Rahmen erkennungsdienstlicher Erfassung eine Speichelprobe vom Angeklagten genommen und unter Aliaspersonalien des Angeklagten abgelegt worden sei, weil dessen 2008 abgenommene Fingerabdrücke identisch gewesen seien mit unter jenem Aliasnamen im Jahre 2004 abgenommenen Fingerabdrücken. Der Zeuge [X.]        habe den Angeklagten im Hauptverhandlungstermin als diejenige Person wiedererkannt, der damals die Speichelprobe entnommen wurde. Auch die Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes von der 2008 erkennungsdienstlich behandelten Person habe deren Identität mit dem Angeklagten ergeben.

6

b) Entsprechend einer Anregung des Senats im Revisionsverfahren ist dem Angeklagten eine neue DNA-Probe entnommen worden, deren Begutachtung Übereinstimmung sowohl mit der unter den Aliaspersonalien abgelegten Probe als auch mit der [X.] erbracht hat.

7

2. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Zwar ist der Revision zuzugeben, dass die [X.] den gestellten Antrag in Anwendung des Beweisantragsrechts gemäß § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO schon deshalb nicht ablehnen durfte, weil ein [X.] des Angeklagten im Rahmen des hiesigen Verfahrens noch nicht ermittelt, daher im hiesigen Verfahren nicht durch einen Sachverständigen analysiert worden war. Gleichwohl fehlt es an einer Verletzung des Beweisantragsrechts.

8

a) Es liegt nicht fern, dass die [X.] zu einer Behandlung des Antrags gemäß § 244 Abs. 3, 4 und 6 StPO von vornherein nicht verpflichtet war, weil es dem Beweisbegehren an einer bestimmten Beweisbehauptung im Sinne erweitert verstandener Konnexität mangelte (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 38/08, [X.]St 52, 284; Beschluss vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10, [X.]R StPO § 244 Abs. 3 Konnexität 1). Die Frage muss hier nicht abschließend entschieden werden.

9

b) Bei Antragstellung hat der gravierende Verdacht einer wider besseres Wissen und damit rechtsmissbräuchlich aufgestellten Beweisbehauptung bestanden.

aa) Das Antragsvorbringen erschöpfte sich nach erfolgter Beweiserhebung zur Täterschaft des Angeklagten allein darin, die Identität seines [X.] mit dem unter der Führungspersonalie „[X.] geb. 1982” abgelegten unter Antritt eines [X.]es zu widerlegen. Dagegen stand deutlich die bisher in der Hauptverhandlung gewonnene Beweislage. Über die in dem beanstandeten Beschluss aufgeführten Indizien hinaus war Identität der im Jahre 2004 abgenommenen und unter den Personalien „[X.] geb. 1982“ abgelegten Fingerabdrücke nicht nur mit den Fingerabdrücken der Person gegeben, gegen die unter den Personalien des Angeklagten im Jahre 2008 wegen [X.] ermittelt und eine Freiheitsstrafe verhängt worden war, sondern darüber hinaus – wie sich aus einem in der Revisionsbegründung vorgelegten Vermerk des Ermittlungsführers ergibt – auch mit den dem Angeklagten im hiesigen Verfahren abgenommenen Fingerabdrücken festgestellt worden. Der Angeklagte hatte zudem im Rahmen seiner Einlassung zu seinen persönlichen Verhältnissen die wegen des [X.] im Jahre 2008 ergangene – auf einem damaligen Geständnis beruhende – Verurteilung als seine anerkannt.

bb) Bei dieser erdrückenden Beweislage drängte sich auf, dass dem Antrag auf Beweiserhebung zur Nichtidentität der [X.] des Angeklagten mit den unter den Aliaspersonalien gespeicherten DNA-Proben und der [X.] eine bewusst wahrheitswidrige Behauptung zugrunde lag. Dies galt mindestens aus Sicht des Angeklagten, der ja wissen musste, ob ihm anlässlich des [X.] 2008 eine Speichelprobe entnommen worden und ob er im Fall 1 am Tatort gewesen war. Wenn der Senat dem Antrag mit Blick auf den für den Antragsteller offenkundigen, von ihm auch im Revisionsverfahren nicht beseitigten schwerwiegenden Verdacht nicht schon von vornherein die Beweisantragsqualität abgesprochen hat, war er jedenfalls nicht gehalten, ohne weiteres von einem Beweisantrag auszugehen. Vielmehr durfte er dem Verdacht im Freibeweisverfahren weiter nachgehen.

cc) Der Senat hat hierzu das erwähnte Sachverständigengutachten eingeholt (vgl. zur Möglichkeit solchen Vorgehens im [X.], bislang freilich in etwas anders gelagerten Fallkonstellationen: [X.], Urteile vom 24. November 1992 – 5 StR 500/92, [X.]St 39, 49, 53; 29. April 1997 – 1 [X.], [X.]St 43, 66, 72; 30. Juli 1999 – 1 [X.], [X.]St 45, 164, 166 f.; 22. April 2004 – 5 [X.], [X.], 270, 271; 15. Februar 2005 – 1 [X.], [X.], 374). Dadurch hat sich der Verdacht sicher bestätigt. Dementsprechend handelt es sich bei dem Antrag, dessen Bescheidung die Revision beanstandet, nicht um einen nach Maßgabe des § 244 Abs. 3, 4 und 6 StPO zu behandelnden Beweisantrag, sondern um einen tatsächlich nicht zum Zwecke der Wahrheitsermittlung, sondern sachwidriger Prozesstaktik gestellten missbräuchlichen Scheinbeweisantrag. Es fehlt daher erwiesenermaßen an einer Verletzung des Beweisantragsrechts.

c) Bei dieser Sachlage kann der Senat offenlassen, ob das Revisionsgericht etwa ausnahmsweise nach einem Aufklärungsmangel oder einem vom Tatgericht rechtsfehlerhaft beschiedenen Beweisantrag, einen [X.] betreffend, bei dem ein eindeutiges, von keiner weiteren gerichtlichen Bewertung abhängiges Beweisergebnis zu erwarten ist (vgl. zur DNA [X.], Beschluss vom 21. Januar 2009 – 1 [X.], [X.], 1159, aber auch Beschluss vom 6. März 2012 – 3 StR 41/12), zur Nachholung einer versäumten tatgerichtlichen Beweiserhebung befugt sein könnte, mit der die Frage des Beruhens des angefochtenen Urteils auf dem gerügten Verstoß eindeutig zu klären wäre.

[X.]                                                   Raum                                         [X.]

                              König                                              [X.]

Meta

5 StR 444/11

25.04.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Braunschweig, 21. Juni 2011, Az: 4a KLs 7/11

§ 244 Abs 4 StPO, § 244 Abs 6 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.04.2012, Az. 5 StR 444/11 (REWIS RS 2012, 6967)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6967

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