[X.]
- 1 BvR 137/92 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn Dr. H... |
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte [X.], [X.] und [X.], Kunibertistraße 26, [X.] -
gegen |
das Urteil des [X.] vom 5. November 1991 - 13 S 220/91 - |
hat das [X.] - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Präsidenten Herzog,
[X.],
[X.],
Grimm,
Söllner,
[X.],
Kühling
und der Richterin [X.]
am 3. November 1992 beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Gericht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, wenn es einen Rechtsentscheid nicht einholt, obwohl dies geboten wäre.
I.
Der Beschwerdeführer verlangte von der Beklagten, seiner Mieterin, die Zustimmung zu einer Mieterhöhung. Zur Begründung benannte er drei in demselben Hause belegene, ihm gehörende [X.]. Die Beklagte verteidigte sich damit, daß der Mietzins der zum Vergleich genannten Wohnungen keinen verläßlichen Maßstab biete und die von ihr gemietete Wohnung mit Mängeln behaftet sei; deshalb sei der höhere Mietzins nicht gerechtfertigt. Das Amtsgericht gab der Klage statt, während das [X.] sie mit folgender Begründung abwies:
Ein wirksames Mieterhöhungsverlangen liege nicht vor. Bei den [X.] handele es sich um eigene Wohnungen des Beschwerdeführers. Es könne dahingestellt bleiben, ob eigene Wohnungen eines Vermieters schlechthin nicht in Betracht kämen. Mit ihnen dürfe die Mieterhöhungsforderung jedenfalls nicht ausschließlich begründet werden. Denn der Mieter solle die Möglichkeit haben, die Berechtigung der Mieterhöhung nachzuprüfen. Ihm sollten "fundierte Hinweise" zur ortsüblichen Vergleichsmiete gegeben werden. Der Vermieter solle davor gewarnt werden, unüberlegt Erhöhungsverlangen zu stellen. Die Benennung allein von Wohnungen aus eigenem Bestand sei aber nur eine "Scheinbegründung". Es müsse zumindest ein Minimum an objektiver Information verbleiben. Die Grenze dieser Mindestanforderungen sei bereits durch die Beschränkung auf drei Vergleichsobjekte erreicht.
II.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Das [X.] habe die Rechtsentscheide der Oberlandesgerichte [X.] vom 20. März 1984 ([X.], § 2 [X.] Nr. 53 = [X.], S. 123) und [X.] vom 7. Mai 1984 ([X.], § 2 [X.] Nr. 55 = [X.], S. 188) nicht beachtet. Danach könne sich der Vermieter auf [X.] beziehen, die sich in dem vom Mieter bewohnten Hause befänden und ebenfalls dem Vermieter gehörten. Das [X.] hätte nicht von diesen [X.] abweichen dürfen, sondern die Sache dem [X.] vorlegen müssen. Da sich das angegriffene Urteil auf den [X.] von [X.] beziehe, der auf die bindenden Rechtsentscheide hinweise, sei die Vorlage willkürlich unterlassen worden.
III.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG läßt sich nicht feststellen.
1. Das [X.] war zur Vorlage an das im Rechtszug übergeordnete [X.] gemäß § 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO verpflichtet. Danach hat das [X.], will es als Berufungsgericht bei der Entscheidung einer Rechtsfrage, die sich aus einem Mietverhältnis über Wohnraum ergibt oder den Bestand eines solchen Mietvertragsverhältnisses betrifft, von einer Entscheidung des [X.] oder eines [X.] abweichen, vorab die Entscheidung des übergeordneten [X.] über die Rechtsfrage (Rechtsentscheid) herbeizuführen. Diese Voraussetzungen lagen im Ausgangsverfahren vor.
Denn nach den beiden vom Beschwerdeführer genannten [X.] kann sich der Vermieter zur Begründung eines Mieterhöhungsverlangens nach § 2 Abs. 2 Satz 4 [X.] auch auf (drei) [X.] beziehen, die sich in dem vom Mieter bewohnten Haus befinden und ebenfalls vom Vermieter vermietet worden sind. Das [X.] hingegen hat das in dieser Weise begründete Mieterhöhungsverlangen des Beschwerdeführers für unwirksam gehalten. Mit den beiden [X.] setzt es sich weder auseinander noch erwähnt es sie.
2. Für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG reicht jedoch nicht jede irrtümliche Überschreitung der den Fachgerichten gezogenen Grenzen aus (vgl. [X.] 3, 359 <364 f.>; 13, 132 <144>; 29, 166 <172 f.>; 67, 90 <95>; 76, 93 <96 f.>). Nicht jede fehlerhafte Anwendung oder Nichtbeachtung einer einfachgesetzlichen Verfahrensvorschrift ist zugleich eine Verfassungsverletzung; andernfalls würde die Anwendung einfachen Rechts auf [X.] des Verfassungsrechts gehoben werden (vgl. [X.] 82, 286 <299>). Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist erst überschritten, wenn die - fehlerhafte - Auslegung und Anwendung einfachen Rechts willkürlich ist (grundlegend [X.] 3, 359 <364 f.>). Das gilt auch, wenn ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht außer acht läßt ([X.] 13, 132 <143>; 42, 237 <241>; 67, 90 <95>; 76, 93 <96>; 79, 292 <301>; st. Rspr.). Eine verfassungswidrige Entziehung des gesetzlichen Richters durch eine richterliche Zuständigkeitsentscheidung liegt darüber hinaus vor, wenn das Gericht Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. [X.] 82, 286 <299>).
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze hält das angegriffene Urteil den Angriffen der Verfassungsbeschwerde stand. Die Frage, ob das Mieterhöhungsverlangen des Beschwerdeführers deshalb unwirksam war, weil [X.] aus dem eigenen Bestand in demselben Haus benannt worden waren, ist im Ausgangsverfahren nicht erörtert worden. Keine der beiden am Verfahren beteiligten Parteien hatte auf die in der Verfassungsbeschwerde genannten Rechtsentscheide hingewiesen.
Zur Begründung seiner Auffassung bezieht sich das [X.] in dem angegriffenen Urteil unter teilweise wörtlicher Wiedergabe auf die Kommentierung von [X.] (Mietrecht, 3. Auflage), allerdings nur auf [X.] mit den Randnummern 682, 683 und 685. Die Kommentarstelle [X.] Randnummer 680 nennt es hingegen nicht; dort heißt es:
Es entsprach herrschender Meinung, daß die 3 Wohnungen jeweils anderen Vermietern gehören mußten. Durch die Neufassung ... sind die Worte "in der Regel" und "anderer Vermieter" gestrichen worden. Hieraus folgert die überwiegende Meinung im Anschluß an die Gesetzesmaterialien, daß der Vermieter seiner Begründungspflicht auch dadurch genügt, daß er 3 [X.] aus seinem eigenen Vermietungsbestand , ja sogar aus demselben Haus , in dem sich die Bezugswohnung befindet, angibt.
Auf die beiden Rechtsentscheide der Oberlandesgerichte [X.] und [X.] bezieht sich der Kommentator lediglich in den Fußnoten 149 und 153, ohne sie inhaltlich näher wiederzugeben. Daneben weist die Einleitung der Randnummer 682, "Die Begründung des Erhöhungsverlangens allein mit Wohnungen aus eigenem Bestand...", den Leser darauf hin, daß im vorangehenden Text eine Meinung dargestellt worden ist, die der Autor nicht teilt. Hiernach hätte es für das [X.] nahe gelegen, sich auch mit dem Text der auf derselben Seite abgedruckten Randnummer 680 zu befassen, in der auf die überwiegende Meinung und in der Fußnote 149 auf die Rechtsentscheide hingewiesen wird.
Das zwingt jedoch noch nicht zu dem Schluß, daß sich das [X.] in Kenntnis der beiden Rechtsentscheide über sie hinweggesetzt und damit zugleich Verfassungsrecht verletzt hat. Denkbar ist, daß es sich mit der Kommentarmeinung begnügt hat, ohne dem Umstand Aufmerksamkeit zu widmen, daß die Gegenmeinung auch in zwei [X.] vertreten worden ist. Nicht jedes unsorgfältige Arbeiten der Gerichte rechtfertigt das Verdikt der Willkür im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das gilt auch im Bereich des § 541 Abs. 1 ZPO. Zwar wird den [X.]en durch diese Vorschrift die Aufgabe übertragen, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Mietsachen zu wahren; das setzt voraus, daß sie jeweils prüfen, ob zu einer entscheidungserheblichen Frage ein Rechtsentscheid vorliegt. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann aber auch dann nur angenommen werden, wenn sich aus dem Urteil oder aus dem Verfahrensverlauf Anhaltspunkte dafür ergeben, daß sich dem [X.] die Notwendigkeit einer Vorlage aufdrängen mußte. Das wäre etwa dann der Fall, wenn eine der Parteien auf einen einschlägigen Rechtsentscheid hingewiesen hätte. So lag es in der Entscheidung des [X.]s vom 16. Juni 1987 ([X.] 76, 93). Hier ist es jedoch nicht ausgeschlossen, daß dem [X.] lediglich ein Fehler bei der Sammlung der von ihm bei der Rechtsfindung zu beachtenden Rechtsprechung unterlaufen ist. Daß es die Verfahrensgarantie des gesetzlichen Richters nicht hat beachten oder daß es sich gar über die Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) hat hinwegsetzen wollen, läßt sich nicht feststellen.
Herzog | [X.] | [X.] | |||||||||
Grimm | Söllner | [X.] | |||||||||
Kühling | [X.] |