Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.05.2017, Az. 9 AZR 377/16

9. Senat | REWIS RS 2017, 10880

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Gegenstand

Angemessenheit der Ausbildungsvergütung - Verkehrsanschauung - durch Spenden Dritter finanzierte Ausbildungsvergütung


Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. April 2016 - 6 [X.]/14 - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Oktober 2013 - 3 [X.]/13 - bezüglich der Entscheidung über die Zinsen mit der Maßgabe abgeändert, dass Zinsen nicht seit dem 24., sondern erst seit dem 25. Januar 2013 zu zahlen sind.

3. [X.] hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung des [X.]lägers.

2

Der nicht tarifgebundene Beklagte ist ein seit April 2005 eingetragener Verein. Nach § 2 seiner Satzung ist sein Zweck die Förderung der qualifizierten Berufsausbildung. Zur Mitgliedschaft ist in § 4 der Satzung ua. Folgendes geregelt:

        

„2.     

Mitglied kann werden

                 

a)    

jedes Unternehmen, das selbst ausbildet oder ausbilden will, insbesondere Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie,

                 

b)    

eine Ausbildungseinrichtung, in die der Verein Auszubildende zur Ausbildung entsenden will, wenn die Ausbildungskapazitäten der [X.] vor Ort nicht ausreichen, um zusätzliche Ausbildungsverhältnisse einzurichten,

                 

…       

        
                 

Unternehmen im Sinne von vorstehend [X.]. a) sind natürliche oder juristische Personen oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die eine gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit ausüben.“

3

Der Beklagte schließt mit Auszubildenden [X.]. Die Ausbildung wird jeweils von einem seiner Mitgliedsunternehmen durchgeführt. Die Auszubildendengestellung durch den [X.] und die Ausbildungsübernahme durch die Mitgliedsunternehmen werden durch [X.] geregelt. Eines der Mitglieder des [X.] war im streitrelevanten Zeitraum die [X.] (vormals [X.]; fortan nur [X.]), die Mitglied im [X.] in [X.] war. Die beiden Vorstände von [X.] bildeten zugleich auch den Vorstand des [X.]. [X.] selbst stellte ebenfalls Auszubildende ein.

4

Der am 21. Dezember 1992 geborene [X.]läger verfügt über einen Realschulabschluss und ist Mitglied der [X.]. Er bewarb sich mit Schreiben vom 5. Dezember 2009 bei [X.]. Nach einem Vorstellungsgespräch wurde er von dort an den [X.] vermittelt. Dieser schloss mit dem [X.]läger unter dem 26. März 2010 einen Berufsausbildungsvertrag für die Ausbildung zum Industriemechaniker. Als Ausbildungsort wurde der Betrieb von [X.] in G vereinbart. Zur Ausbildungsvergütung ist im Berufsausbildungsvertrag ua. geregelt:

        

„Der Auszubildende erhält eine angemessene Vergütung. Diese beträgt derzeit im

        

1.    

Lehrjahr monatlich

395,00 [X.] (brutto)

        

2.    

Lehrjahr monatlich

425,00 [X.] (brutto)

        

3.    

Lehrjahr monatlich

440,00 [X.] (brutto)

        

4.    

Lehrjahr monatlich

465,00 [X.] (brutto).“

5

Das Ausbildungsverhältnis begann am 1. August 2010. Im Verlaufe des [X.] erteilte [X.] dem [X.]läger eine Beanstandung mit der Androhung arbeitsrechtlicher [X.]onsequenzen und fünf Abmahnungen.

6

Für den Zeitraum vom 1. August 2010 bis zum 31. Dezember 2012 erhielt der [X.]läger vom [X.] eine Ausbildungsvergütung iHv. [X.] Euro brutto sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld iHv. insgesamt 924,00 Euro brutto. Wäre der [X.]läger nach den Tarifverträgen für die Metall- und Elektroindustrie in [X.] vergütet worden, hätte er in diesem Zeitraum eine laufende Ausbildungsvergütung (ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld) iHv. [X.] Euro brutto erhalten.

7

Unter dem 14. Dezember 2012 vereinbarten die Parteien einen geänderten Berufsausbildungsvertrag, der insbesondere eine Erhöhung der Ausbildungsvergütung und unter Nr. 16 folgende Ausschlussfristenregelung vorsah:

        

„Alle Ansprüche aus dem Berufsausbildungsverhältnis und solche, die damit in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind. Dies gilt nicht, soweit wegen Vorsatzes gehaftet wird.“

8

Mit seiner dem [X.] am 24. Januar 2013 zugestellten [X.]lage hat der [X.]läger die Zahlung weiterer 11.762,00 Euro brutto unter Hinweis auf die Unangemessenheit der gezahlten Ausbildungsvergütung geltend gemacht. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass bei ihm keine besonderen Ausbildungserschwernisse vorgelegen hätten.

9

Der [X.]läger hat beantragt,

        

den [X.] zu verurteilen, an ihn 11.762,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat zu seinem [X.]lageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, die gezahlte Ausbildungsvergütung sei angemessen gewesen. Mit ihr habe er einen ausreichenden Beitrag zum Lebensunterhalt des [X.]lägers geleistet. Auf die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in [X.] dürfe zur Ermittlung der angemessenen Vergütung nicht zurückgegriffen werden. Das deutliche Unterschreiten der tariflichen Ausbildungsvergütung sei vorliegend noch angemessen, weil die Ausbildung des [X.]lägers auf einem allein durch die Förderung der Mitglieder des [X.] zusätzlich geschaffenen Ausbildungsplatz erfolgt sei und der Beklagte als Ausbildungsträger die Leistungen des [X.]lägers nicht kommerziell verwertet habe. Die Ausrichtung der Angemessenheitsprüfung an der tariflichen Ausbildungsvergütung komme zudem einer Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge gleich, ohne dass die Voraussetzungen des § 5 [X.] gegeben seien. Wenn dennoch auf die Tarifverträge zurückgegriffen werde, müssten zumindest auch die tariflichen Ausschlussfristen zur Anwendung kommen, sodass die Ansprüche des [X.]lägers verfallen seien. Jedenfalls habe der [X.]läger die einzelvertragliche Ausschlussfrist nicht gewahrt.

Das Arbeitsgericht hat der [X.]lage stattgegeben und dabei auf die Zahlung von [X.] ab dem 24. Januar 2013 erkannt. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der [X.]lageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.]n ist überwiegend unbegründet. Das [X.] hat zu Recht erkannt, dass die Ansprüche des [X.] in der geltend gemachten Höhe entstanden sind. Allerdings stehen dem [X.]läger [X.] nicht bereits ab dem 24. Januar 2013, sondern erst ab dem 25. Januar 2013 zu.

I. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Die Bestimmung ist nur eine Rahmenvorschrift und legt den Maßstab für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung nicht selbst fest ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 12; 22. Januar 2008 - 9 [X.] - Rn. 32, [X.]E 125, 285; vgl. auch [X.]. V/4260 S. 9). Bei fehlender Tarifbindung ist es Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Sie haben dabei einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - aaO; 26. März 2013 - 3 [X.] - Rn. 10; 22. Januar 2008 - 9 [X.] - Rn. 33 mwN, aaO).

II. Die Beurteilung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung durch das [X.] unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Die „angemessene Vergütung“ iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 13; vgl. zur Angemessenheit iSd. § 32 [X.] ebenso [X.] 23. Oktober 2013 - 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1843/11 - Rn. 84, [X.]E 134, 204). Bezüglich seiner Anwendung ist revisionsrechtlich lediglich zu überprüfen, ob das Urteil das Bemühen um eine angemessene Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erkennen lässt und ob das [X.] gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - aaO).

III. Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung hält die Würdigung des [X.]s stand.

1. Die in § 17 BBiG geregelte Ausbildungsvergütung hat regelmäßig drei Funktionen. Sie soll den Auszubildenden und seine unterhaltsverpflichteten Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen, die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang „entlohnen“ (st. Rspr., zuletzt [X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 15; 17. März 2015 - 9 [X.] - Rn. 13 mwN). Entgegen der - unter Bezugnahme auf das in seinem Auftrag erstellte Gutachten - vertretenen Rechtsansicht des [X.]n sind bei der Ermittlung der angemessenen Vergütung alle drei Funktionen zu berücksichtigen. Die Ausbildungsvergütung ist nicht schon dann angemessen, wenn sie einen erheblichen Beitrag zum Lebensunterhalt des Auszubildenden leistet. Sie hat nach dem im Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers im Regelfall weitere Zwecke ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 15 bis 19 mit ausf. Begründung).

2. Entgegen der Ansicht des [X.]n ist an der ständigen Rechtsprechung festzuhalten, nach der wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung die einschlägigen Tarifverträge sind (vgl. aus jüngerer [X.]: [X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 20; 17. März 2015 - 9 [X.] - Rn. 14 mwN; 16. Juli 2013 - 9 [X.] - Rn. 13 mwN, [X.]E 145, 371).

a) Das Ergebnis von Tarifverhandlungen berücksichtigt hinreichend die Interessen beider Seiten. Es hat die Vermutung der Angemessenheit für sich ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 20; 21. Mai 2014 - 4 [X.] - Rn. 29 mwN). Eine Ausbildungsvergütung, die sich an einem entsprechenden Tarifvertrag ausrichtet, gilt deswegen stets als angemessen. Eine Ausbildungsvergütung ist demgegenüber in der Regel nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um [X.] unterschreitet ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - aaO; 26. März 2013 - 3 [X.] - Rn. 11 mwN).

b) Dies gilt allerdings nicht ausnahmslos. Wird die Ausbildung beispielsweise teilweise oder vollständig durch öffentliche Gelder oder Spenden zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze finanziert, kann eine Ausbildungsvergütung auch bei deutlichem Unterschreiten dieser Grenze noch angemessen sein. Für die Berechtigung, die tarifliche Ausbildungsvergütung erheblich zu unterschreiten, genügt die Gemeinnützigkeit des [X.] nicht. Entscheidend ist der mit der Ausbildung verfolgte Zweck ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 22; 19. Februar 2008 - 9 [X.] 1091/06 - Rn. 22, 39, [X.]E 126, 12).

aa) Wird die Ausbildung zumindest teilweise durch öffentliche Gelder zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze finanziert und ist sie für den Ausbildenden mit keinerlei finanziellen Vorteilen verbunden, rechtfertigen die Begrenztheit der öffentlichen Mittel und das vom Staat verfolgte gesamtgesellschaftliche Interesse, möglichst vielen arbeitslosen Jugendlichen die Möglichkeit einer qualifizierten Berufsausbildung zu verschaffen, auch ein deutliches Unterschreiten der tariflichen Ausbildungssätze (vgl. [X.] 22. Januar 2008 - 9 [X.] - Rn. 59, [X.]E 125, 285; 8. Mai 2003 - 6 [X.] 191/02 - zu II 4 a der Gründe mwN). Entscheidend für die Beurteilung der Angemessenheit ist dabei nicht die Förderung durch öffentliche Mittel als solche, sondern sind die Förderungsvoraussetzungen. Diese Erfordernisse dienen dazu, die vom Gesetzgeber erkannten Gefahren einer öffentlichen Förderung der außerbetrieblichen Berufsbildung einzudämmen ([X.] 22. Januar 2008 - 9 [X.] - Rn. 49, aaO).

bb) Auch eine durch Spenden Dritter finanzierte Ausbildungsvergütung, die [X.] unter den tariflichen Sätzen liegt, ist nicht zwingend unangemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG. Eine Unterschreitung des Tarifniveaus um [X.] kann gerechtfertigt sein, wenn der Ausbildende den Zweck verfolgt, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und auch Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung zu vermitteln, die sie ohne Förderung nicht erlangen könnten ([X.] 19. Februar 2008 - 9 [X.] 1091/06 - Rn. 39, [X.]E 126, 12). Allerdings rechtfertigt allein der Umstand, dass die Mitglieder eines als Verein organisierten [X.] zu [X.] Zuschüsse leisten, um (zusätzliche) Ausbildungsplätze zu schaffen, es nicht, bei der Prüfung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung von einer Orientierung an den einschlägigen tariflichen Sätzen abzusehen. Der Abschluss eines [X.] muss einen inneren Zusammenhang zu dem Vereinszweck dergestalt aufweisen, dass dem konkreten Auszubildenden eine qualifizierte Ausbildung - und damit ein Zugang zum Erwerbsleben - ermöglicht wird, die ihm anderenfalls verschlossen geblieben wäre. Dazu muss der Unterstützungs- und Förderungsbedarf gerade in der Person des Auszubildenden begründet sein. Nur so wird der Gefahr begegnet, dass Jugendliche dem freien Ausbildungsmarkt entzogen, zu weniger günstigen Bedingungen in außerbetriebliche Ausbildungen gedrängt werden und damit gegen die zwingenden gesetzlichen Vorgaben in § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG verstoßen wird.

c) Entgegen der - unter Bezugnahme auf das in seinem Auftrag erstellte Gutachten - vom [X.]n vertretenen Rechtsansicht handelt es sich bei dieser Rechtsprechung nicht um eine legitimationslose Erstreckung der Tarifgeltung auf Dritte. Dies hat der Senat bereits in dem auch den [X.]n dieses Rechtsstreits betreffenden Urteil vom 29. April 2015 (- 9 [X.] - Rn. 21 bis 25) ausführlich begründet. Der [X.] hat keine Argumente vorgebracht, die die tragenden Ausführungen des Senats in dieser Entscheidung infrage stellen können.

3. Der Auszubildende trägt als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die vereinbarte Ausbildungsvergütung unangemessen ist. Seiner Darlegungslast genügt er regelmäßig damit, dass er auf die einschlägige tarifliche Vergütung verweist und vorbringt, seine Ausbildungsvergütung unterschreite diese um [X.]. [X.] sich dann nicht auf den Vortrag beschränken, die von ihm gezahlte Vergütung sei angemessen. Er hat substanziiert zu begründen, weshalb im Einzelfall ein von den genannten Grundsätzen abweichender Maßstab gelten soll (st. Rspr., zuletzt [X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 26; 17. März 2015 - 9 [X.] - Rn. 17). Diese sekundäre Darlegungslast des Ausbildenden wird entgegen der Rechtsauffassung des [X.]n nicht erst dann ausgelöst, wenn der Auszubildende dargelegt hat, dass die geltend gemachten Tarifentgelte in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlt werden. Insofern besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der Frage der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung und der Frage des Lohnwuchers. Auch dann, wenn üblicherweise nur zwischen [X.] und [X.] der tariflichen Ausbildungsvergütung gezahlt werden, ist eine die Grenze von [X.] unterschreitende Ausbildungsvergütung regelmäßig nicht mehr angemessen ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - aaO).

4. Die dargestellten Grundsätze hat das [X.] bei der Ermittlung der angemessenen Ausbildungsvergütung berücksichtigt. Der [X.] hat keine maßgeblichen Umstände aufgezeigt, die das [X.] außer [X.] gelassen hat. Es ist auch nicht erkennbar, dass das [X.] gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Es war nicht gehindert, die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in [X.] zur Ermittlung der Verkehrsanschauung heranzuziehen.

a) Aufgrund der Umstände des Einzelfalls durfte das [X.] die Ausbildungsvergütung in der Metall- und Elektroindustrie in [X.] als die angemessene ansehen, obwohl der [X.] kein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie ist. Zum einen haben die Parteien im Berufsausbildungsvertrag vereinbart, dass die Ausbildung nicht bei dem [X.]n, sondern bei [X.] stattfindet, einem tarifgebundenen Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Zum anderen weist der [X.] selbst eine besondere Nähe zu diesem Wirtschaftszweig auf. So können nach § 4 der Satzung „insbesondere“ ausbildungswillige Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie Mitglied des [X.]n werden. Eine Ausbildungseinrichtung, in die der Verein Auszubildende zur Ausbildung entsenden will, kann Mitglied werden, wenn die Ausbildungskapazitäten der „[X.]-Mitgliedsfirmen“ vor Ort nicht ausreichen. Hinter der Abkürzung [X.] verbirgt sich offenkundig der [X.] (vgl. [X.]), wodurch die Verbindung des [X.]n zum Wirtschaftszweig der Metall- und Elektroindustrie verdeutlicht wird.

b) Entgegen der Ansicht des [X.]n hat das [X.] berücksichtigt, dass dieser zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen will, um damit die Jugendlichen zu fördern, die auf dem freien Arbeitsmarkt potenziell Probleme hätten, und dass der [X.] dabei keine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Das [X.] hat ausdrücklich angenommen, dass eine Ausbildungsvergütung auch bei deutlichem Unterschreiten der einschlägigen tariflichen Vergütung noch angemessen sein kann, wenn ein Ausbildender zusätzliche Ausbildungskapazitäten zur Verfügung stellt und diese nicht eigenwirtschaftlich nutzen kann, um Jugendlichen mit [X.] zum Ausbildungsmarkt besondere Chancen zu eröffnen. Es hat allerdings keine Besonderheiten des Falls feststellen können, die eine Vergütung nur iHv. [X.] der tariflichen Vergütung rechtfertigen konnten.

aa) Mit Recht hat das [X.] darauf hingewiesen, der [X.] habe auf entsprechenden Vortrag des [X.] weder näher begründet, warum der [X.]läger ohne die Hilfe des [X.]n voraussichtlich keinen Ausbildungsplatz erhalten hätte, noch aufgezeigt, dass der [X.]läger während der Ausbildung besonderer Unterstützung und Förderung durch den [X.]n bedurft habe.

bb) Ein besonderer Unterstützungs- und Förderungsbedarf des [X.] ergibt sich auch nicht aus den weiteren Umständen.

(1) Dass der [X.]läger bei Vertragsschluss erkennbare Bildungsdefizite, Lernbeeinträchtigungen oder [X.] Schwierigkeiten hatte oder sich bereits seit längerer [X.] vergeblich um einen qualifizierten Ausbildungsplatz beworben hatte, hat der [X.] nicht dargelegt. Der [X.]läger verfügt über einen Realschulabschluss. Er hat sich nicht bei dem [X.]n um einen Ausbildungsplatz beworben und damit ggf. zum Ausdruck gebracht, auf dem freien Ausbildungsmarkt für sich keine Chancen zu sehen, sondern seine Bewerbung direkt an [X.] gerichtet. Von [X.] wurde er auch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, in dessen Folge nicht etwa ein Berufsausbildungsvertrag mit [X.], sondern auf deren Vermittlung mit dem [X.]n geschlossen wurde. Die tatsächliche Ausbildung wiederum fand - vereinbarungsgemäß - in dem Betrieb von [X.] in G statt.

(2) Entgegen der vom [X.]n in der Revisionsverhandlung vertretenen Rechtsauffassung lassen sich weder eine Umkehr der Beweislast noch ein Beweis des ersten Anscheins für einen besonderen Unterstützungs- und Förderungsbedarf daraus ableiten, dass sich der [X.]läger überhaupt auf das Ausbildungsverhältnis mit dem [X.]n zu den dort geltenden Bedingungen eingelassen hat. Sein Argument, der [X.]läger hätte die geringe Ausbildungsvergütung nicht in [X.]auf genommen, wenn bei ihm keine Zugangshindernisse zum Ausbildungsmarkt bestanden hätten, ist nicht belastbar. Die Angemessenheit einer die tariflichen Sätze erheblich unterschreitenden Ausbildungsvergütung lässt sich nicht darauf stützen, dass die Vertragsparteien eine Ausbildungsvergütung gerade in dieser Höhe vereinbart haben. Die Höhe der Vergütung als Gegenstand der [X.] kann nicht zugleich ein in der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigender Umstand sein.

(3) Auch die während der Ausbildung ausgesprochenen Abmahnungen lassen nicht erkennen, warum bereits bei Abschluss des [X.] ein besonderer Unterstützungs- und Förderungsbedarf durch den [X.]n absehbar war. Hierbei handelt es sich um nach Vertragsschluss eingetretene Umstände, die vorliegend bei der [X.] keine Berücksichtigung finden. Die vom [X.]n angeführte Rechtsprechung zur kündigungsrechtlichen Beurteilung nachträglich eingetretener Umstände ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] 541/09 - Rn. 53, [X.]E 134, 349) ist hier nicht einschlägig. Sie setzt voraus, dass zwischen den neuen Vorgängen und den bereits bei Zugang der [X.]ündigung vorliegenden Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer [X.] gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] 541/09 - Rn. 53 mwN, aaO). Vor Vertragsschluss liegende Umstände, die eine solche enge innere Beziehung zu den abgemahnten Sachverhalten aufweisen, hat der [X.] nicht dargelegt.

5. Die Ansprüche des [X.] sind auch in Höhe der [X.]lageforderung entstanden.

a) Der [X.]läger hat Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen der im streitgegenständlichen [X.]raum tatsächlich gezahlten laufenden Ausbildungsvergütung und den tariflichen Sätzen, die sich auf den insoweit unstreitigen Betrag von 11.762,00 Euro brutto beläuft.

b) Ein aufrechenbarer Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB in Höhe der geleisteten Sonderzahlungen steht dem [X.]n nicht zu.

aa) Die gewährten Sonderzahlungen hat der [X.] nicht ohne Rechtsgrund geleistet. Bei Zahlung einer über das arbeitsvertraglich vereinbarte Gehalt hinausgehenden Vergütung verpflichtet sich der Arbeitgeber in der Regel zumindest zu der konkreten Leistung (vgl. [X.] 13. Mai 2015 - 10 [X.] 266/14 - Rn. 11; 14. September 2011 - 10 [X.] 526/10 - Rn. 11, [X.]E 139, 156). Anhaltspunkte dafür, dass der [X.] die Sonderzahlungen zum Zweck der Erfüllung einer vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit geleistet hat, hat er nicht vorgetragen.

bb) Außerdem schließt der sich an den tariflichen Sätzen orientierende Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG auch die Gewährung der tariflichen Sonderzahlungen mit ein (vgl. [X.] 19. Februar 2008 - 9 [X.] 1091/06 - Rn. 49, [X.]E 126, 12). Gemäß § 34 Ziff. 3 iVm. § 19 Ziff. 4 des Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie in [X.] ([X.]) hat der Auszubildende zusätzlich zur Ausbildungsvergütung einen Anspruch auf Zahlung eines [X.]. [X.] des täglichen [X.]. Nach § 2 des Tarifvertrags über eine betriebliche Sonderzahlung besteht zudem je nach Betriebszugehörigkeit ein Anspruch auf eine betriebliche Sonderzahlung iHv. 20 bis [X.] eines Monatsverdienstes. Die daraus abzuleitenden Ansprüche übersteigen die tatsächlich geleisteten Sonderzahlungen.

IV. Das [X.] hat ohne Rechtsfehler einen Verfall der Ansprüche des [X.] nach § 39 [X.] sowie nach Nr. 16 des (neuen) [X.] vom 14. Dezember 2012 ausgeschlossen.

1. Der [X.] galt weder aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend für das Ausbildungsverhältnis, noch wurde seine Anwendbarkeit zwischen den Parteien vereinbart. Die zur Bestimmung der üblichen Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB durch einen Mindestentgelttarifvertrag aufgestellten Grundsätze (vgl. [X.] 20. April 2011 - 5 [X.] 171/10 - Rn. 22, [X.]E 137, 375; 27. Juli 2010 - 3 [X.] 317/08 - Rn. 33, [X.]E 135, 187) lassen sich auf § 17 Abs. 1 BBiG und die Ausbildungsvergütung nach den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie in [X.] nicht übertragen. Beide Regelungen unterscheiden sich schon im Ansatz. § 17 Abs. 1 BBiG soll im Hinblick auf die typischerweise zwischen Ausbildenden und Auszubildenden bestehende strukturelle Ungleichgewichtslage eine angemessene Vergütung sicherstellen. Dagegen sieht § 612 Abs. 2 BGB für den Fall des Fehlens einer Vereinbarung über die Höhe der Vergütung eine Fiktion der Vereinbarung der üblichen Vergütung vor ([X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 30).

2. Auch die unter dem 14. Dezember 2012 vereinbarte einzelvertragliche Ausschlussfrist bewirkte nicht den (rückwirkenden) Ausschluss der während der Geltung des bisherigen [X.] entstandenen Ansprüche. Dem [X.]läger musste - ohne dass es auf die Wirksamkeit der Ausschlussfristenregelung ankäme - eine Mindestfrist von drei Monaten ab Fälligkeit des endgültigen Anspruchs verbleiben (vgl. [X.] 27. Januar 2016 - 5 [X.] 277/14 - Rn. 14 und 21, [X.]E 154, 93). Vorliegend hat der [X.]läger binnen drei Monaten nach Abschluss des neuen [X.] seine Ansprüche klageweise geltend gemacht.

3. Der Zinsanspruch des [X.] besteht nach § 291 iVm. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB ab dem Tag nach Zustellung der [X.]lage (vgl. [X.] 20. September 2016 - 3 [X.] 411/15 - Rn. 60; 13. Mai 2015 - 10 [X.] 495/14 - Rn. 36, [X.]E 151, 331). Zinsen sind dem [X.]läger deshalb erst ab dem 25. Januar 2013 zuzusprechen.

V. Der [X.] hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die [X.]osten der Revision zu tragen.

        

    Brühler    

        

    [X.]    

        

    Zimmermann    

        

        

        

    Lipphaus    

        

    [X.]ranzusch    

                 

Meta

9 AZR 377/16

16.05.2017

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Gera, 10. Oktober 2013, Az: 3 Ca 61/13, Urteil

§ 17 Abs 1 S 1 BBiG 2005

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.05.2017, Az. 9 AZR 377/16 (REWIS RS 2017, 10880)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10880

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(Praktische Tätigkeit iSd. § 7 RettAssG - Anspruch auf angemessene Vergütung)


Referenzen
Wird zitiert von

3 AZR 513/16

3 AZR 601/16

3 Ca 739/21

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