Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2012, Az. 4 StR 120/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6596

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4
StR 120/12

vom
9.
Mai
2012
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 9.
Mai
2012
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 10.
Januar 2012 -
auch soweit der An-geklagte freigesprochen worden ist
-
mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige [X.] des [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigespro-chen und seine (erneute) Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB angeordnet.
Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verlet-zung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1
2
-
3
-
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
1.
Am 18.
März 2011 half der Angeklagte, der aufgrund des Urteils des Amtsgerichts [X.] vom 15.
Februar 2011
gemäß §
63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war, bei einem stationsinternen Umzug innerhalb der Einrichtung des [X.].
Er forderte den [X.]

B.

mehrfach erfolglos auf, ihm bei dem Transport von
Möbelstücken zu helfen. Über die Weigerung des Geschädigten geriet der An-geklagte in Wut und beschloss diesen zu bestrafen. Unvermittelt zog er die Knoten des locker um den Hals des Geschädigten geschlagenen Wollschals so fest auseinander, dass der Geschädigte, wie vom Angeklagten beabsichtigt, keine Luft mehr bekam. Einer Zeugin die das Geschehen beobachtete und die dem Angeklagten vorhielt, was er mache, sei versuchter Mord, antwortete er, dass er dies ja gerade wolle. Nachdem er gleichwohl kurz darauf von dem [X.] abgelassen hatte, gelang
es herbeigeeilten Pflegekräften erst etwa zwei Minuten später, den Knoten zu lösen. Mittlerweile war der Geschädigte infolge der Luftnot blau angelaufen. Er musste daraufhin notärztlich versorgt werden.
2.
Nach den Bekundungen des psychiatrischen Sachverständigen leidet der Angeklagte an einer schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung ([X.]: F
61.0) mit einem emotional instabilen
und einem dis[X.]n
Persön-lichkeitsanteil, letzterer
gekennzeichnet durch andauernde [X.] sowie durch das Unvermögen emotionale Beziehungen
aufrecht zu erhalten und Schuldbewusstsein
zu entwickeln. Begleitet sei dies von einem völligen Fehlen von Empathie. Das [X.] hat, dem Sachverständigen 3
4
5
-
4
-
folgend, das [X.] einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des §
20 StGB angenommen.
Eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat sei sicher anzunehmen, deren voll-ständige Aufhebung infolge der massiven Einschränkung des Hemmungsver-mögens könne nicht ausgeschlossen werden. Zur Begründung der [X.] hat die [X.], auch insoweit dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, ausgeführt, infolge der kombinierten Persönlich-keitsstörung seien vom Angeklagten weitere vergleichbare oder schwerere Straftaten zu erwarten. Schon bei den im Urteil des Amtsgerichts [X.] vom 15.
Februar 2011 festgestellten Handlungen habe es sich überwiegend um Gewalttaten gehandelt, die er trotz Einbindung in eine strukturierte und be-schützende Umgebung begangen habe. Die erneute Unterbringungsanordnung sei auch verhältnismäßig; die festgestellte neue Tat sei geeignet, die Gefähr-lichkeitsprognose nach §
67e StGB sowie Entscheidungen über die Dauer der Unterbringung und über [X.] wesentlich zu beeinflussen.
II.
1.
Damit hat das [X.] die Annahme einer schweren anderen see-lischen Abartigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet.
a)
Zwar können auch nicht pathologisch bedingte Störungen Anlass für eine Unterbringung nach §
63 StGB sein, allerdings nur dann, wenn sie ihrem Gewicht nach der krankhaften seelischen Störung entsprechen. Bei der Erörte-rung der vom [X.] auf der Grundlage der Ausführungen des psychiatri-schen Sachverständigen beschriebenen Persönlichkeitsstörung besteht regel-mäßig die Gefahr, dass Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich [X.] der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, zu 6
7
-
5
-
Unrecht als Symptome einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden schweren seelischen Abartigkeit bewertet werden. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] vor allem dann, wenn es um die Beur-teilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse e-natsbeschluss vom 11.
November 2003

4
StR
424/03, [X.], 197;
vgl. auch [X.], Beschluss vom 18.
Juni 1997

2
StR
251/97, [X.]R StGB §
63 Zustand
24; Beschluss vom 14.
Juli 1999

3
StR
160/99, [X.]R StGB §
63 Zustand
34). Entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die [X.] Anpassungsfä-higkeit. Für die Beurteilung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßge-bend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und [X.]n Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des §

angesehen werden ([X.], Urteil vom 21.
Januar 2004

1
StR
346/03, [X.]St 49, 45, 52
f. m.w.N.).
b)
Dem werden die Urteilsgründe, in denen im Einzelnen darzulegen ist, ob die Persönlichkeitsstörung den erforderlichen Schweregrad erreicht (vgl. da-zu Senatsbeschluss vom 2.
Dezember 2004

4
StR
452/04), im vorliegenden Fall nicht gerecht. Die erforderliche Gesamtschau im Hinblick darauf, ob die Störung das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belastet oder einengt wie im Fall einer krankhaften seelischen Störung, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Vielmehr beschränkt sich das [X.] im
Wesentlichen auf eine Wiedergabe der Ausführungen des 8
-
6
-
Sachverständigen und den Hinweis auf eine ähnliche psychiatrische Beurtei-lung des Angeklagten, die dem Urteil des Amtsgerichts [X.] voraus-ging. Auch bleibt unklar, in welcher Form sich die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bei der Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat.
c)
Damit bedarf auch die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus neuer Prüfung und Entscheidung. Der [X.] weist darauf hin, dass die
zu erwartenden rechtswidrigen Taten im Sinne des §
63 StGB erheblich sein müssen (Einzelheiten bei [X.]/[X.], §
63 Rn.
20
ff.; [X.], StGB, 59.
Aufl.,
§
63 Rn.
16
ff., jeweils m.w.N.).
Soweit die zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene [X.] für die Ge-fährlichkeitsprognose wiederum die im Urteil des Amtsgerichts [X.] vom 15.
Februar 2011 festgestellten Taten berücksichtigen will, wird sie die Tatumstände im Einzelnen in den Blick zu nehmen haben. Die pauschale Be-wertung, es habe sich überwiegend um Gewalttaten gehandelt (UA
11), wird den insoweit getroffenen Feststellungen nicht gerecht.
III.
Der Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung des Freispruchs, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der neue Tatrichter an Stelle der Unterbrin-
9
10
-
7
-
gung eine Strafe verhängen wird (§
358 Abs.
2 Satz
2 StPO; vgl. dazu [X.], Beschluss vom 27.
Oktober 2009

3
StR
369/09).
Ernemann
Ri[X.] [X.] ist erkrankt
Franke

und daher gehindert zu unter-

schreiben.

Ernemann

Schmitt
Quentin

Meta

4 StR 120/12

09.05.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2012, Az. 4 StR 120/12 (REWIS RS 2012, 6596)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6596

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