Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.10.2010, Az. 2 StR 489/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 1951

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafzumessung: Bewertung des Verlusts eines Elternteils als bestimmenden Strafschärfungsgrund bei einem Tötungsdelikt


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Juni 2010 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich ihre auf die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s hatte der Ehemann [X.] die Angeklagte im Rahmen von Auseinandersetzungen wegen seiner Eifersucht und wegen finanzieller Probleme in der Vergangenheit mehrfach misshandelt und verletzt. Am Tattag, dem 31. Dezember 2009, kam es zu verbalen Auseinandersetzungen und Beleidigungen der Angeklagten durch ihren Ehemann. Daraufhin zog sie sich zunächst zurück, versuchte aber kurz vor Mitternacht, eine Versöhnung herbeizuführen. Sie lehnte jedoch die Aufforderung ihres bereits alkoholisierten Ehemanns ab, gemeinsam Whisky zu trinken, was ihn wiederum erzürnte und zu neuen Kränkungen veranlasste. Der Ehemann führte einen Zierdolch über den Körper der Angeklagten, was sie als Bedrohung auffasste. Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf die Angeklagte den Dolch zu fassen bekam. Auf die Äußerung des Ehemanns: "du stichst doch eh nicht zu, du Hure", versetzte sie ihm einen tödlichen Messerstich, damit "es endlich vorbei ist".

3

Darin hat das [X.] zutreffend einen Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB gesehen und den Strafrahmen aus § 213 (1. Alternative) StGB zu Grunde gelegt. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat es der Angeklagten angelastet, dass "die Tat in Bezug auf Beleidigungen eine völlig unangemessene Reaktion" dargestellt habe, ferner, dass "die Angeklagte durch die Tat ihren Kindern den Vater genommen" habe. Insbesondere dagegen wendet sich die Revision der Angeklagten. Insoweit ist das Rechtsmittel begründet.

4

Es begegnet bereits im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB rechtlichen Bedenken, dass die [X.] den Verlust des [X.] für die gemeinsamen Kinder als bestimmenden [X.] bewertet hat. Jedenfalls in dieser Allgemeinheit erscheint die Erwägung rechtsfehlerhaft (vgl. [X.] Beschluss vom 3. Februar 2004 - 4 StR 403/03), denn es gehört zu den regelmäßigen Tatfolgen eines vollendeten Tötungsverbrechens, dass der Täter den Angehörigen des Opfers Leid zufügt. Ob die [X.] zum Ausdruck bringen wollte, dass die (erwachsenen) Kinder, die nach der Todesnachricht "sehr geschockt und tief getroffen" waren sowie unmittelbar nach der Tat vom Kriseninterventionsteam betreut wurden ([X.]), in ungewöhnlich schwer wiegender Weise von der Tat betroffen waren, kann offen bleiben.

5

Jedenfalls kann der Strafausspruch wegen der weiteren Erwägung, dass der durch Beleidigungen motivierte Totschlag eine "völlig unangemessene Reaktion" gewesen sei, keinen Bestand haben. Diese Erwägung steht im Widerspruch dazu, dass der Provokationsaffekt im Sinne von § 213 (1. Alternative) StGB als die Tat auslösendes Moment, unbeschadet der Tatsache, dass die Tötung eines Menschen als Reaktion auf Kränkungen stets unangemessen ist, strafmildernd wirkt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit mehrere Auseinandersetzungen vorangegangen waren, bei denen die Angeklagte auch erheblich körperlich verletzt worden war, ferner dass sie die der Tat unmittelbar vorausgehenden Handlungen des Ehemanns mit dem Dolch als Bedrohung empfand. In der Gesamtschau erlangen diese Umstände größeres Gewicht als dasjenige von bloßen Beleidigungen. Zudem ist zu besorgen, dass die [X.] mit ihrer Erwägung letztlich die Erfüllung des Straftatbestands zu Lasten der Angeklagten bewertet und dadurch § 46 Abs. 3 StGB verletzt hat.

6

Da der Strafausspruch nur aufgrund eines Wertungsfehlers keinen Bestand hat, können die zugrunde liegenden Feststellungen, die rechtsfehlerfrei getroffen wurden, bestehen bleiben. Das neue Tatgericht ist dadurch nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

Fischer                                                            Appl                                                   Schmitt

                              [X.]

Meta

2 StR 489/10

27.10.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bonn, 7. Juni 2010, Az: 24 Ks 920 Js 1/10 - 3/10, Urteil

§ 46 Abs 3 StGB, § 212 Abs 1 StGB, § 213 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.10.2010, Az. 2 StR 489/10 (REWIS RS 2010, 1951)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1951

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 489/10 (Bundesgerichtshof)


1 StR 574/14 (Bundesgerichtshof)

Totschlag: Minder schwerer Fall bei geringfügiger Tatprovokation


1 StR 372/16 (Bundesgerichtshof)

Totschlag: Vorliegen eines minderschweren Falls bei vorhergehender Beleidigung durch das Tatopfer


1 StR 663/16 (Bundesgerichtshof)

Totschlag: Minder schwerer Fall bei Tatprovokation durch wiederholte Beleidigungen


4 StR 17/06 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 488/22

1 StR 53/15

1 StR 53/15

2 StR 489/10

3 OLG 7 Ss 70/17

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.