Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2019, Az. 3 StR 408/19

3. Strafsenat | REWIS RS 2019, 1563

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Gegenstand

Schwere Brandstiftung: Teilweise Zerstörung eines als Flüchtlingsunterkunft genutzten Gebäudes durch Zimmerbrand


Leitsatz

Ein als Flüchtlingsunterkunft genutztes Gebäude ist teilweise zerstört im Sinne des § 306a Abs. 1 StGB, wenn ein dem Bewohner der Unterkunft zu Wohnzwecken zur Verfügung gestelltes Zimmer brandbedingt für beträchtliche Zeit unbewohnbar wird.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 22. Mai 2019 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer [X.]stiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

2

Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen nicht durch. Die auf die Sachrüge gebotene materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere der Schuldspruch erweist sich als rechtsfehlerfrei.

3

1. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen verließ der 1986 im [X.] geborene Angeklagte sein Heimatland aufgrund der dort herrschenden politischen und religiösen Konflikte im Jahr 2013, weil er sich im Ausland ein besseres Leben erhoffte. [X.] kam er nach [X.] und lebte hier in einer Flüchtlingsunterkunft. Nachdem sein Asylantrag abgelehnt worden war, war er im Besitz einer ausländerrechtlichen Duldung und bezog Sozialhilfe. Mit seinen Lebensbedingungen war er zunehmend unzufrieden, insbesondere weil es ihm aufgrund seines ausländerrechtlichen Status nicht möglich war, eine Arbeit aufzunehmen oder kostenfrei weiterführende Deutschkurse zu besuchen. Da er erwartet hatte, in [X.] viel Geld zu verdienen, steigerte sich sein Unmut über seine geringen Einkünfte und seine Wohnsituation in der Flüchtlingsunterkunft, die er als unangemessen empfand.

4

Aufgrund seiner Unzufriedenheit entschloss sich der Angeklagte am 5. Oktober 2018 dazu, seine Unterkunft anzuzünden, um sie durch den [X.] zu beschädigen oder zu zerstören. Wie er wusste, waren in dem Gebäude mehrere Personen untergebracht, die in [X.] um Asyl nachsuchten. Er setzte das Sofa in dem von ihm bewohnten [X.] in [X.] und begab sich sodann zu [X.] des dort anwesenden Zeugen [X.]  , wo er ein brennendes Stück Stoff auf dessen Sofa warf, das dadurch Feuer fing. [X.]  verließ daraufhin sofort die Unterkunft. In dem Gebäude war außerdem der Zeuge B.   anwesend, der den [X.] ebenfalls wahrnahm, sich schnell entfernte und sodann die Polizei alarmierte.

5

Die herbeigerufene Feuerwehr konnte den [X.] zügig löschen. Während in [X.] des Zeugen [X.]  lediglich das Mobiliar beschädigt wurde und es zu Rußanhaftungen an den Wänden und der Decke kam, war das Feuer in [X.] des Angeklagten schon so weit vorangeschritten, dass es zu großflächigen Abplatzungen des Putzes an der Wand und starken Verrußungen gekommen war; [X.] war deshalb vorübergehend unbewohnbar.

6

2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen schwerer [X.]stiftung, § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Sinne dieser Vorschrift durch sein Verhalten ein Gebäude durch [X.]legung teilweise zerstörte.

7

Dazu gilt:

8

a) Ein Gebäude ist gemäß § 306a Abs. 1 StGB teilweise zerstört, wenn für eine nicht nur unerhebliche Zeit ein für das ganze Objekt zwecknötiger Teil oder dieses wenigstens für einzelne seiner wesentlichen Zweckbestimmungen unbrauchbar wird oder wenn einzelne seiner Bestandteile, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt oder eingerichtet sind, vernichtet werden (vgl. [X.], Beschluss vom 5. September 2017 - 3 StR 362/17, juris Rn. 27 mwN). Das ist zum einen dann der Fall, wenn durch die [X.]legung das Gebäude im Ganzen zumindest einzelne von mehreren seiner Zweckbestimmungen nicht mehr erfüllen kann, etwa indem [X.] eines Wohnhauses unbewohnbar werden und hierdurch dessen Nutzung zum Zweck des Aufenthalts, der Nahrungsversorgung und des Schlafens insgesamt in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird ([X.], aaO mwN); die bloße [X.] z.B. eines Kinderzimmers reicht insoweit nicht aus ([X.], Beschluss vom 14. Juli 2009 - 3 [X.], [X.]R StGB § 306 Zerstörung 3). Zum anderen liegt eine teilweise Zerstörung auch dann vor, wenn ein wesentlicher, funktionell selbständiger Teil des [X.] zerstört wird, etwa indem eine Wohnung als "Untereinheit" eines Mehrfamilienhauses für beträchtliche Zeit für Wohnzwecke insgesamt ungeeignet wird (vgl. [X.], Urteil vom 14. November 2013 - 3 StR 336/13, [X.], 404 Rn. 10; Beschluss vom 5. September 2017 - 3 StR 362/17, juris Rn. 27).

9

Ob ein Zerstörungserfolg eingetreten ist, muss das Tatgericht nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der konkreten [X.] beurteilen ([X.], Beschluss vom 26. April 2018 - 4 StR 624/17, juris Rn. 10; Urteil vom 5. April 2018 - 3 StR 13/18, NJW 2019, 90 Rn. 18, jeweils mwN). Es hat objektiv anhand des Maßstabs eines "verständigen [X.]" zu bewerten, ob die Zeitspanne der Nutzungseinschränkung oder -aufhebung für eine teilweise Zerstörung durch [X.]legung ausreicht. Der Zeitraum muss beträchtlich sein; wenige Stunden oder ein Tag reichen nicht aus (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 2018 - 4 StR 624/17, juris Rn. 10; Urteil vom 5. April 2018 - 3 StR 13/18, NJW 2019, 19 Rn. 18, jeweils mwN).

b) Diese Grundsätze gelten für Flüchtlingsunterkünfte gleichermaßen wie für andere Wohngebäude. Danach ist ein als Flüchtlingsunterkunft genutztes Gebäude unter anderem dann teilweise zerstört im Sinne des § 306a Abs. 1 StGB, wenn ein dem Bewohner der Unterkunft zu Wohnzwecken zur Verfügung gestelltes [X.] brandbedingt für beträchtliche Zeit unbewohnbar wird.

aa) [X.] stellt im Hinblick auf den Gesetzeszweck, der primär darin besteht, das Wohnen als "Mittelpunkt menschlichen Lebens" zu schützen ([X.], Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 [X.], juris Rn. 11), ebenso eine selbständige, zum Wohnen bestimmte "Untereinheit" der Flüchtlingsunterkunft dar wie eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus; seine Nutzung und Zweckbestimmung gehen über diejenigen von einzelnen [X.]n eines Wohnhauses, die - wie ein Kinderzimmer - für sich genommen nicht als wesentlicher, funktionell selbständiger Teil des [X.] anzusehen sind, hinaus. Denn [X.] in einer Flüchtlingsunterkunft stellt für seinen Bewohner unter dem Gesichtspunkt des Wohnens den Mittelpunkt menschlichen Lebens dar. Es dient ihm - unabhängig von seiner Ausstattung im Einzelnen - zumindest zum Zweck des Aufenthalts und des Schlafens. Es ist der einzige abgeschlossene Raum, der ihm zur persönlichen Nutzung zur Verfügung steht, und damit sein alleiniges Refugium zur privaten Lebensführung. Regelmäßig befindet sich zudem seine gesamte persönliche Habe darin. Ob [X.] mit einer Kochgelegenheit oder einer sanitären Einrichtung ausgestattet ist, ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Wie bei einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus (vgl. dazu [X.], Urteil vom 14. November 2013 - 3 StR 336/13, [X.], 404 Rn. 10) kann das Tatbestandsmerkmal des teilweisen Zerstörens im Hinblick auf [X.] in einer Flüchtlingsunterkunft mithin erfüllt sein, wenn die brandbedingte Einwirkung auch nur einen der für das Wohnen wesentlichen Zwecke des Aufenthalts oder des Schlafens vereitelt.

bb) Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich daneben entnehmen, dass [X.], das dem Angeklagten zu Wohnzwecken zur Verfügung stand, infolge des [X.]es für beträchtliche Zeit nicht mehr genutzt werden konnte. Anders als im [X.] des Zeugen [X.]  , in dem der [X.] nur zu Beschädigungen der Einrichtungsgegenstände und zu Rußanhaftungen an Wänden und Decke führte, kam es im [X.] des Angeklagten zu "großflächigen Abplatzungen des Putzes an der Wand" und "starken Verrußungen". In Anbetracht dessen erschließt es sich ohne weiteres, dass die aus der brandbedingten Einwirkung resultierende "vorübergehende" Unbewohnbarkeit des [X.]s eine Zeitspanne umfasste, die deutlich über wenige Stunden oder einen Tag hinausging.

Schäfer     

        

Ri[X.] Gericke befindet sich
im Urlaub und ist deshalb
gehindert zu unterschreiben.

Schäfer

        

Tiemann

        

Berg     

        

     Hoch    

        

Meta

3 StR 408/19

14.11.2019

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Lüneburg, 22. Mai 2019, Az: 33 KLs 16/18

§ 306a Abs 1 Nr 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2019, Az. 3 StR 408/19 (REWIS RS 2019, 1563)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1563

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