Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. III R 60/12

3. Senat | REWIS RS 2016, 9953

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Gegenstand

Vorrangiger Kindergeldanspruch des im anderen EU-Mitgliedstaat wohnenden Pflegeelternteils


Leitsatz

1. Der Kindergeldanspruch eines in Deutschland wohnhaften polnischen Staatsangehörigen für sein in Polen im Haushalt eines Pflegeelternteils lebendes Kind kann nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. Art. 67 der VO Nr. 883/2004, Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 durch den vorrangigen Kindergeldanspruch des Pflegeelternteils verdrängt werden.

2. Der Begriff der "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist im Hinblick auf das Kindergeld nach dem EStG nach Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i und nicht nach Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 zu bestimmen. Zu den "beteiligten Personen" gehören daher die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten und damit auch ein Pflegeelternteil i.S. der §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG.

3. § 32 Abs. 2 Satz 2 EStG, wonach ein im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandtes Kind, das zugleich ein Pflegekind ist, vorrangig als Pflegekind zu berücksichtigen ist, findet im Kindergeldrecht weder direkt noch analog Anwendung.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. November 2012  15 K 4263/11 Kg insoweit aufgehoben, als die Familienkasse verpflichtet wurde, für den [X.] des Klägers ab Januar 2007 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. [X.]treitig ist der Kindergeldanspruch für den in [X.] lebenden [X.] des [X.] von Januar 2007 bis November 2011.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist [X.] [X.]taatsangehöriger. Er ist der Vater einer im Dezember 1988 geborenen Tochter (T) und eines im Februar 1995 geborenen [X.]es ([X.]). [X.] lebt im Haushalt der [X.]chwester und des [X.]chwagers des [X.] in [X.].

3

Der Kläger wohnt seit dem [X.] in der [X.] ([X.]) und ist dort als selbständiger Unternehmer tätig. Die Kindsmutter wohnt in Großbritannien.

4

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den [X.] des [X.] für seine beiden Kinder durch Bescheid vom 15. Juli 2011 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 8. November 2011 als unbegründet zurück.

5

Das Finanzgericht ([X.]) gab der dagegen gerichteten Klage teilweise statt und verpflichte die Familienkasse zur Kindergeldfestsetzung für T von Januar 2007 bis Juni 2008 und für [X.] ab Januar 2007.

6

Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts hinsichtlich des Kindergeldanspruchs für [X.].

7

Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des [X.] insoweit aufzuheben, als die Familienkasse verpflichtet wurde, für den [X.] des [X.] ab Januar 2007 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren, und die Klage insoweit abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9

Mit Beschluss vom 9. März 2015 hat der [X.] das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) über das bei ihm anhängige Vorabentscheidungsersuchen [X.]/14 angeordnet. Der [X.] hat mit Urteil vom 22. Oktober 2015 [X.]/14 ([X.]:C:2015:720, Deutsches [X.]teuerrecht/Entscheidungsdienst --D[X.]tRE-- 2015, 1501)über die Vorlagefragen entschieden.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. [X.]ie führt gemäß § 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils, soweit der Kindergeldanspruch für [X.] ab Januar 2007 betroffen ist, und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen [X.]ache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Das [X.] hat zwar zu Recht eine Anspruchsberechtigung des [X.] bejaht (dazu 1.). Es fehlen aber für den Zeitraum Januar 2007 bis April 2010 hinreichende tatsächliche Feststellungen dazu, dass der Anspruch nicht (teilweise) durch vorrangige ausländische Ansprüche der [X.]chwester oder des [X.]chwagers des [X.] oder der Kindsmutter verdrängt wird (dazu 2.). Für den Zeitraum Mai 2010 bis November 2011 hat das [X.] zu Unrecht entschieden, eine vorrangige Anspruchsberechtigung der [X.]chwester oder des [X.]chwagers des [X.] als Pflegeeltern nach § 64 Abs. 2 [X.]atz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im [X.]treitzeitraum gültigen  geltenden Fassung (E[X.]tG) komme nicht in Betracht, da diese eine Anspruchsberechtigung nach § 62 E[X.]tG voraussetze, die hier ausscheide. Denn der Kläger ist zwar nach nationalem Recht (§§ 62 ff. E[X.]tG) anspruchsberechtigt (dazu 3.). Der [X.]chwester oder dem [X.]chwager des [X.] könnte aber nach § 64 Abs. 2 E[X.]tG ein vorrangiger Kindergeldanspruch zustehen, sofern bei diesen im [X.]treitzeitraum --was das [X.] im zweiten Rechtsgang noch festzustellen hat-- tatsächlich ein Pflegekindschaftsverhältnis (§ 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 E[X.]tG) zu [X.] bestanden hat (dazu 4. bis 8.).

1. Der Kläger ist grundsätzlich kindergeldberechtigt.

a) Nach den für den [X.]enat bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O) erfüllt der Kläger --was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist-- für den gesamten [X.]treitzeitraum die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 E[X.]tG. Unerheblich ist dabei, dass [X.] seinen Wohnsitz in [X.] hat (§ 63 Abs. 1 [X.]atz 3 E[X.]tG).

b) Anders als die Familienkasse meint, tritt die Anspruchsberechtigung des [X.] auch nicht aufgrund eines etwaigen Pflegekindschaftsverhältnisses i.[X.]. des § 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 E[X.]tG zwischen seiner [X.]chwester oder seinem [X.]chwager (Pflegeelternteile) und dem [X.] (Pflegekind) gemäß § 32 Abs. 2 [X.]atz 2 E[X.]tG hinter die Anspruchsberechtigung der Pflegeelternteile zurück. Zwar ist nach § 32 Abs. 2 [X.]atz 2 E[X.]tG ein im ersten Grad mit dem [X.]teuerpflichtigen verwandtes Kind, das zugleich ein Pflegekind ist, vorrangig als Pflegekind zu berücksichtigen. Diese Bestimmung findet jedoch im Kindergeldrecht keine Anwendung, da § 63 Abs. 1 [X.]atz 2 E[X.]tG nur auf § 32 Abs. 3 bis 5 E[X.]tG, nicht jedoch auf § 32 Abs. 2 E[X.]tG verweist. [X.]inn und Zweck des § 32 Abs. 2 E[X.]tG sprechen auch nicht dafür, dass § 63 Abs. 1 [X.]atz 2 E[X.]tG insoweit eine planwidrige Regelungslücke enthält, zu deren [X.]chließung der Rechtsgedanke des § 32 Abs. 2 [X.]atz 2 E[X.]tG herangezogen werden könnte. § 32 Abs. 2 E[X.]tG bezweckt im Interesse einer Harmonisierung von Einkommensteuer- und Kindergeldrecht, eine früher mögliche Doppelberücksichtigung von Pflegekindern und angenommenen Kindern beim Kinderfreibetrag zu vermeiden (BTDrucks 13/1558, [X.]. 155, zu Nr. 21c, zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996). Demgegenüber kann es beim Kindergeld zu keiner Doppelberücksichtigung des Pflegekindes bei einerseits dem Pflegeelternteil und andererseits dem leiblichen Elternteil kommen. Denn das Konkurrenzverhältnis zwischen mehreren Anspruchsberechtigten wird bereits über § 64 Abs. 1 und Abs. 2 E[X.]tG aufgelöst.

2. Die tatsächlichen Feststellungen des [X.] reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob für den Zeitraum Januar 2007 bis April 2010 konkurrierende Ansprüche der [X.]chwester oder des [X.]chwagers des [X.] und der Kindsmutter bestehen und diese den Anspruch des [X.] ganz oder teilweise ausschließen.

a) Das [X.] hat bereits keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob nach dem jeweils einschlägigen [X.] und [X.] Recht Ansprüche der [X.]chwester oder des [X.]chwagers des [X.] und der Kindsmutter bestehen. Es führt hierzu lediglich aus, dass nach den Gesamtumständen ein Anspruch der Kindsmutter sowohl in [X.] als auch in [X.] ausscheide und gleiches für die Pflegeeltern in [X.] gelte. Weiter legt es dar, dass der Kläger die einschlägige Gesetzeslage zu [X.] und [X.] Familienleistungen aus [X.]icht des Gerichts zutreffend wiedergegeben und subsumiert und die Familienkasse keine Einwendungen erhoben habe. Nähere Feststellungen zu den für das [X.] maßgeblichen Gesamtumständen und dem Vortrag des [X.] lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen. Das Fehlen entsprechender Feststellungen im Urteil des [X.] ist ein materiell-rechtlicher Fehler, den das Revisionsgericht auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten hat (z.B. [X.]enatsurteil vom 30. Juli 2009 III R 8/07, [X.], 190, m.w.N.). Zu den Anforderungen an die Ermittlungspflichten des [X.] bei der Feststellung ausländischen Rechts wird auf die [X.]enatsurteile vom 13. Juni 2013 III R 63/11 ([X.], 34, B[X.]tBl II 2014, 711) und vom 13. Juni 2013 III R 10/11 ([X.], 562, B[X.]tBl II 2014, 706) verwiesen.

b) [X.]ollten derartige Ansprüche bestanden haben, wäre weiter zu prüfen, wie eine Konkurrenz zum inländischen Anspruch des [X.] aufzulösen ist. Insoweit weist der [X.]enat darauf hin, dass der Zeitraum Januar 2007 bis April 2010 noch in den zeitlichen Anwendungsbereich der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der [X.]ysteme der sozialen [X.]icherheit auf Arbeitnehmer und [X.]elbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern ([X.] Nr. 1408/71) und der [X.] ([X.]) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der [X.] ([X.]) Nr. 1408/71 über die Anwendung der [X.]ysteme der sozialen [X.]icherheit auf Arbeitnehmer und [X.]elbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern ([X.] Nr. 574/72), fällt. Der [X.]enat verweist auf seine hierzu einschlägige Rechtsprechung (s. insbesondere [X.]enatsurteile vom 12. [X.]eptember 2013 III R 16/11, [X.], 320; vom 18. Dezember 2013 III R 52/11, [X.], 851; vom 13. November 2014 III R 1/13, [X.], 20; vom 16. Juli 2015 III R 39/13, [X.], 154; und vom 4. Februar 2016 III R 16/14, [X.] 2016, 911).

3. Für den Zeitraum Mai 2010 bis November 2011 könnte der Kläger entgegen der Rechtsauffassung des [X.] --für den Fall, dass [X.] im Verhältnis zu der [X.]chwester oder dem [X.]chwager des [X.] ein Pflegekind i.[X.]. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 E[X.]tG ist-- nach § 64 Abs. 2 [X.]atz 1 E[X.]tG nur nachrangig anspruchsberechtigt sein, weil die Pflegeeltern [X.] in ihren Haushalt aufgenommen haben und gemäß Art. 67 der Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 des [X.] und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der [X.]ysteme der sozialen [X.]icherheit ([X.] --[X.]-- 2004 Nr. L 166, [X.]. 1) in der für den [X.]treitzeitraum maßgeblichen Fassung --[X.] Nr. 883/2004 ([X.]. Art. 60 Abs. 1 [X.]atz 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 987/2009 des [X.] und des Rates vom 16. [X.]eptember 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der [X.]ysteme der sozialen [X.]icherheit ([X.] 2009 Nr. L 284, [X.]. 1) in der für den [X.]treitzeitraum maßgeblichen Fassung --[X.] Nr. 987/2009 ([X.] zu unterstellen ist, dass sie mit [X.] in [X.] wohnen.

a) Nach § 64 Abs. 1 E[X.]tG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 [X.]atz 1 E[X.]tG).

b) Im [X.]treitfall könnte sich die Anspruchsberechtigung der [X.]chwester oder des [X.]chwagers aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 E[X.]tG ergeben. Zwar liegt der nach dieser Vorschrift erforderliche Inlandswohnsitz tatsächlich nicht vor. Es finden jedoch die Vorschriften der [X.] Nr. 883/2004 und der [X.] Nr. 987/2009 Anwendung (dazu 4.). Dadurch könnte gemäß Art. 67 der [X.] Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 [X.]atz 2 der [X.] Nr. 987/2009 ein Inlandswohnsitz der [X.]chwester oder des [X.]chwagers fingiert werden (dazu 5.). Insoweit ist vom [X.] im zweiten Rechtsgang jedoch noch zu klären, ob die [X.]chwester oder der [X.]chwager des [X.] die Pflegeelterneigenschaft und alle übrigen Voraussetzungen für eine vorrangige Anspruchsberechtigung erfüllen (dazu 7.).

4. Der Anwendungsbereich der [X.] Nr. 883/2004 ist im [X.]treitfall eröffnet und [X.] ist danach der zuständige Mitgliedstaat.

a) Der Kläger ist [X.] [X.]taatsangehöriger und fällt damit nach Art. 2 Abs. 1 der [X.] Nr. 883/2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundverordnung. Ebenso ist das Kindergeld nach dem E[X.]tG eine Familienleistung i.[X.]. des Art. 1 Buchst. z der [X.] Nr. 883/2004, weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der [X.] Nr. 883/2004 eröffnet ist.

b) Gemäß Art. 11 Abs. 1 der [X.] Nr. 883/2004 unterliegen die von der Verordnung erfassten Personen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Da der Kläger im [X.]treitzeitraum eine selbständige Erwerbstätigkeit in [X.] ausgeübt hat, unterlag er den [X.] Rechtsvorschriften (Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der [X.] Nr. 883/2004).

5. Anders als die im [X.]treitzeitraum Januar 2007 bis April 2010 geltenden Vorgängerbestimmungen der [X.] Nr. 1408/71 und der [X.] Nr. 574/72 regeln die im [X.]treitzeitraum Mai 2010 bis November 2011 geltenden Bestimmungen in Art. 67 [X.]atz 1 der [X.] Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 [X.]atz 2 der [X.] Nr. 987/2009, dass die Wohnsituation der [X.]chwester oder des [X.]chwagers (fiktiv) in das Inland übertragen wird, wenn diese als Pflegeeltern anspruchsberechtigt sind.

a) Nach Art. 60 Abs. 1 [X.]atz 2 der [X.] Nr. 987/2009 ist bei Anwendung von Art. 67 und 68 der [X.] Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die [X.]ituation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fielen und dort wohnten. Nach Art. 67 der [X.] Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnten. Danach schafft Art. 60 Abs. 1 [X.]atz 2 der [X.] Nr. 987/2009 eine gesetzliche Fiktion dahin, dass bei Anwendung der Koordinierungsregelungen der Grundverordnung die [X.]ituation der gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt wird, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für die Gewährung der Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats fielen und dort wohnten.

b) Art. 67 der [X.] Nr. 883/2004 ist ungeachtet dessen anwendbar, dass es bereits nach nationalem Recht (§ 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1, [X.]atz 3 E[X.]tG) nicht darauf ankommt, ob das Kind seinen Wohnsitz im Inland oder in einem Mitgliedstaat der [X.] hat ([X.]-Urteil in [X.]:C:2015:720, D[X.]tRE 2015, 1501, Rz 35 ff.). Zudem kommt es nicht darauf an, ob im [X.]treitfall zusätzlich auch eine von Art. 68 der [X.] Nr. 883/2004 erfasste Konkurrenzsituation gegeben ist, denn Art. 60 der [X.] Nr. 987/2009 findet bereits über Art. 67 der [X.] Nr. 883/2004 Anwendung ([X.]-Urteil in [X.]:C:2015:720, D[X.]tRE 2015, 1501, Rz 32 f., 35 ff.).

c) Zu den "beteiligten Personen" i.[X.]. des Art. 60 Abs. 1 [X.]atz 2 der [X.] Nr. 987/2009 gehören die "Familienangehörigen" i.[X.]. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der [X.] Nr. 883/2004. Da das Kindergeldrecht nach dem E[X.]tG den Begriff des Familienangehörigen weder verwendet noch definiert, sind hierunter neben den Elternteilen und dem Kind auch alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben ([X.]-Urteil in [X.]:C:2015:720, D[X.]tRE 2015, 1501, Rz 38). Daher werden von diesem Begriff nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 2 E[X.]tG auch Personen erfasst, die ein Kind als Pflegekind in ihren Haushalt aufgenommen haben.

Der Begriff der "beteiligten Personen" i.[X.]. des Art. 60 Abs. 1 [X.]atz 2 der [X.] Nr. 987/2009 ist auch nicht unter Rückgriff auf Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der [X.] Nr. 883/2004 zu bestimmen. Danach werden als "Familienangehörige" nicht die Pflegeeltern, sondern nur der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder angesehen, wenn die anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen unterscheiden, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind. Die Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmung ergibt sich zum einen daraus, dass im [X.] Kindergeldrecht die Anspruchsberechtigung von einer familienrechtlichen Beziehung abhängig gemacht wird (vgl. § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 E[X.]tG). Zum anderen hat auch der [X.] in seinem Urteil in [X.]:C:2015:720, D[X.]tRE 2015, 1501, Rz 38 zur Bestimmung der "beteiligten Personen" auf die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten abgestellt und damit etwa auch die ehemalige (geschiedene) Ehefrau des Anspruchstellers als "beteiligte Person" qualifiziert, obwohl diese kein Ehegatte i.[X.]. des Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der [X.] Nr. 883/2004 ist. Insofern greift Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der [X.] Nr. 883/2004 auch dann nicht ein, wenn es darum geht, ob Pflegeeltern im Zusammenhang des § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 2 E[X.]tG als Familienangehörige zu qualifizieren sind.

6. [X.]chließlich käme es nicht darauf an, ob die [X.]chwester oder der [X.]chwager des [X.] im Falle ihrer Pflegeelterneigenschaft selbst einen Antrag auf Kindergeld in [X.] gestellt haben.

Denn nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr (hier ggf. die Pflegeelternteile), berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 [X.]atz 3 der [X.] Nr. 987/2009 der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind (hier [X.]), einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem "anderen Elternteil" gestellt wird. Der Anspruch auf Kindergeld müsste dem Kläger daher nicht wegen der fehlenden Antragstellung der Pflegeeltern zuerkannt werden ([X.]-Urteil in [X.]:C:2015:720, D[X.]tRE 2015, 1501, Rz 50). Vielmehr reichte es aus, dass der Kläger einen Antrag auf Kindergeld gestellt hat. Diesen hätte die [X.] Familienkasse auch als solchen zugunsten des Kindergeldanspruchs des Pflegeelternteils zu berücksichtigen.

7. Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang jedoch noch aufzuklären haben, ob die [X.]chwester oder der [X.]chwager des [X.] im [X.]treitzeitraum Mai 2010 bis November 2011 in einem Pflegekindschaftsverhältnis zu [X.] standen. Insoweit ist nicht entscheidend, ob sie nach [X.] Recht als Pflegeeltern bestellt wurden. Es kommt vielmehr darauf an, ob sie die nach [X.]m Recht erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Allerdings hängt das Bestehen eines Pflegekindschaftsverhältnisses nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 E[X.]tG u.a. davon ab, dass das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu beiden Elternteilen nicht mehr besteht, was jedenfalls vom Kläger in Bezug auf seine Person bestritten wird. Zu den insoweit gestellten Anforderungen wird auf die [X.]enatsurteile vom 20. Juli 2006 III R 44/05 ([X.] 2007, 17) und vom 12. Juni 1991 III R 108/89 ([X.], 201, B[X.]tBl II 1992, 20) verwiesen.

§ 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 E[X.]tG setzt mit seiner Verweisung auf die Pflegekinddefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 1 E[X.]tG und dem darin verwendeten Begriff des [X.]teuerpflichtigen --entgegen der Auffassung des [X.]-- nicht voraus, dass der Pflegeelternanteil inländische Einkünfte erzielt. Denn für die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 E[X.]tG genügt bereits das Vorliegen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland. Inländische Einkünfte werden insoweit --anders als etwa bei § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b E[X.]tG-- nicht gefordert.

8. Im Übrigen weist der [X.]enat darauf hin, dass in der Kindergeldakte ein weiterer Bescheid vom 24. [X.]eptember 2010 enthalten ist, mit dem Kindergeld u.a. für [X.] ab Januar 2005 abgelehnt wurde. Ob dieser wirksam bekannt gegeben wurde und ggf. für einen Teil des vorliegenden [X.]treitzeitraums bereits Bestandskraft entfaltet, lässt sich den Feststellungen des [X.] nicht entnehmen. [X.]. wären auch hierzu Feststellungen noch nachzuholen.

9. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] folgt aus § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III R 60/12

15.06.2016

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 28. November 2012, Az: 15 K 4263/11 Kg, Urteil

§ 32 Abs 1 Nr 2 EStG 2002, § 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2002, Art 1 Buchst i Nr 1 Buchst i EGV 883/2004, Art 1 Buchst i Nr 2 EGV 883/2004, Art 67 EGV 883/2004, Art 60 Abs 1 EGV 987/2009, § 32 Abs 1 Nr 2 EStG 2009, § 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2009, § 63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. III R 60/12 (REWIS RS 2016, 9953)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9953

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