Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.07.2020, Az. 1 StR 78/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1454

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Gegenstand

Steuerhinterziehung durch Unterlassen: Einziehung des Wertes von Taterträgen bei Sicherstellung steuerpflichtiger Tabakwaren; steuerrechtliche Erklärungspflicht als besonderes persönliches Merkmal


Tenor

1. Die Revision des Angeklagten [X.]gegen das Urteil des [X.] vom 18. Januar 2019 wird mit der Maßgabe verworfen, dass anstatt eines Geldbetrages in Höhe von 10.832.298,70 Euro lediglich ein Geldbetrag in Höhe von 6.894.436,60 Euro der Einziehung des Wertes von Taterträgen unterliegt.

2. Auf die Revisionen der Angeklagten [X.].   und [X.]    wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es sie betrifft, jeweils im Strafausspruch und im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgehoben. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

4. Der Angeklagte [X.]hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 10.832.298,70 [X.] angeordnet. Die Angeklagten [X.].   und [X.]    hat es jeweils wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ([X.].   ) bzw. einem Jahr und drei Monaten ([X.]   ) verurteilt und insoweit festgestellt, dass die Freiheitsstrafen jeweils durch die Untersuchungshaft „verbüßt“ sind. Ferner hat das [X.] beim Angeklagten [X.].    1.949.087,40 [X.] und beim Angeklagten [X.]    1.861.730 [X.] als Wert von Taterträgen eingezogen. Darüber hinaus hat es die in den [X.] und 33 der Anklage sichergestellten 13,53 [X.] bzw. 13,26 [X.] Zigaretten eingezogen und die Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten – der Angeklagte [X.]rügt zudem die Verletzung formellen Rechts – erzielen jeweils mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Revision des Angeklagten [X.]führt (lediglich) zur Herabsetzung des Betrages hinsichtlich des eingezogenen Wertes von Taterträgen von 10.832.298,70 [X.] auf 6.894.436,60 [X.]. Nach den Urteilsfeststellungen sind die Zigaretten in den [X.] und 33 der Anklage unmittelbar nach Entstehung der Tabaksteuer sichergestellt worden. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen in diesen Fällen (1.988.744,70 [X.] und 1.949.087,40 [X.]) nach § 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB entfällt daher (§ 354 Abs. 1 StPO analog).

3

Für die Hinterziehung von Tabaksteuer hat der Senat in seiner jüngeren Rechtsprechung darauf abgestellt, dass ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil nur gegeben ist, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des [X.] dadurch niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren einen Vermögenszuwachs erzielt (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2019 – 1 [X.] Rn. 20, [X.]St 64, 146; Beschluss vom 31. März 2020 – 1 StR 403/19 Rn. 12 mwN). Hintergrund ist die bei Verbrauchsteuern bestehende Korrelation zwischen dem Besitz und dem Inverkehrbringen der Ware sowie der Steuer. Denn Verbrauchsteuern werden auf (verbrauchsteuerpflichtige) Waren erhoben, die im Steuergebiet in den Wirtschaftskreislauf treten und ver- oder gebraucht werden.

4

Die Annahme eines Vermögenszuwachses setzt voraus, dass der Täter eine wirtschaftliche Zugriffs- oder Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich dieser Waren hat, über diese also wirtschaftlich (mit-)verfügen kann. Dies ist nicht der Fall, wenn er – wie vorliegend – die Verfügungsmöglichkeit zwar zunächst hat, diese jedoch durch die Sicherstellung der Zigaretten wieder verliert. Denn aufgrund der Sicherstellung ist ein (weiteres) Inverkehrbringen und eine wirtschaftliche Verwertung der – der Steuer unterliegenden – Waren, auf das für die [X.] bzw. Warensteuern als Entstehungstatbestand allgemein abgestellt wird, ausgeschlossen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. Oktober 2019 – 1 [X.] Rn. 10 ff. und vom 31. März 2020 – 1 StR 403/19 Rn. 13).

5

2. Die Revisionen der Angeklagten [X.].   und [X.]   führen zur Aufhebung des Strafausspruchs und der Einziehungsanordnung hinsichtlich des Wertes von Taterträgen.

6

a) Das [X.] hat die Strafe jeweils dem nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] entnommen, ohne die weitere in § 28 Abs. 1 StGB vorgesehene Strafrahmenverschiebung in Betracht zu ziehen. Wie der [X.] zutreffend ausführt, hat der Senat durch Urteil vom 23. Oktober 2018 im Verfahren 1 [X.] seine bisherige Rechtsprechung geändert und entschieden, dass es sich bei der vom Straftatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) vorausgesetzten Erklärungspflicht um ein besonderes persönliches [X.]rkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB handelt, das eine Strafrahmenverschiebung eröffnet. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] scheidet eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1 StGB lediglich dann aus, wenn die Tat allein wegen des Fehlens des strafbegründenden persönlichen [X.]rkmals als Beihilfe statt als [X.]chaft zu werten ist.

7

Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Zwar kann Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. [X.], Urteile vom 23. Oktober 2018 – 1 [X.] Rn. 19 und vom 9. April 2013 – 1 [X.] Rn. 52, [X.]St 58, 218), was bei den Angeklagten [X.].   und [X.]   nicht der Fall war. Das [X.] hat den Tatbeitrag dieser Angeklagten, die den LKW mit den Zigaretten jeweils zur Entladestelle gesteuert haben, jedoch unabhängig davon lediglich als Gehilfenbeitrag bewertet. Die Voraussetzungen einer weiteren Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der des § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB lagen daher vor.

8

Der Rechtsfehler führt jeweils zur Aufhebung des Strafausspruchs. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen. Der Senat weist darauf hin, dass das [X.] bei dem Angeklagten [X.]    eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung hätte treffen müssen, weil die erkannte Freiheitsstrafe die Dauer der im Rubrum mitgeteilten Untersuchungshaft übersteigt.

9

b) Die Einziehungsentscheidung ist hinsichtlich der Angeklagten [X.].     – auch ungeachtet des Umstands, dass die von ihm transportierten Zigaretten sichergestellt worden sind – und [X.]    soweit die verkürzten Tabaksteuern als durch die Angeklagten jeweils als „erlangt“ im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB in Ansatz gebracht wurden, jeweils rechtsfehlerhaft. Die Beträge in Höhe von 1.949.087,40 [X.] ([X.].   ) bzw. 1.861.730 [X.] ([X.]   ) unterliegen nicht der Einziehung (§ 73c Satz 1 StGB).

Beim Delikt der Steuerhinterziehung kann die verkürzte Steuer „etwas [X.]“ im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter Aufwendungen für diese Steuern erspart hat (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2019 – 1 [X.] Rn. 19, [X.]St 64, 146 mwN). Dies gilt jedoch nicht schlechthin, weil die Einziehung an einem durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft und damit mehr als die bloße Tatbestandserfüllung voraussetzt ([X.], aaO). Im Hinblick auf den Charakter der Tabaksteuer als Verbrauchs- bzw. Warensteuer ergibt sich ein unmittelbarer wirtschaftlicher Vorteil nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des [X.] niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren, auf die sich die Hinterziehung von Tabaksteuern bezieht, einen Vermögenszuwachs erzielt, beispielsweise in Form eines Vermarktungsvorteils. Offene Steuerschulden begründen hingegen nicht stets über die Rechtsfigur der ersparten Aufwendungen einen Vorteil im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB. Maßgeblich bleibt immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen des [X.] widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt ([X.], aaO Rn. 20; Beschluss vom 31. März 2020 – 1 StR 403/19 Rn. 12 mwN).

Danach können vorliegend ersparte Aufwendungen hinsichtlich der Tabaksteuer nicht im Rahmen einer Einziehungsentscheidung in Ansatz gebracht werden, weil die Angeklagten [X.].   und [X.]   nach den [X.] Feststellungen insoweit keinen wirtschaftlichen Vorteil gezogen haben. Allenfalls könnten eine Entlohnung bzw. ein Kostenersatz für die Durchführung der Fahrten der Einziehung unterliegen. Hierzu hat das [X.] bislang keine Feststellungen getroffen. Der neue Tatrichter wird solche Feststellungen, gegebenenfalls im Wege der Schätzung zu treffen haben (§ 73d StGB).

Raum     

      

Jäger     

      

Bellay

      

Hohoff     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 78/20

23.07.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Potsdam, 18. Januar 2019, Az: 25 KLs 4/15

§ 370 Abs 1 Nr 2 AO, § 27 Abs 2 StGB, § 28 Abs 1 StGB, § 73 Abs 1 StGB, § 73c S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.07.2020, Az. 1 StR 78/20 (REWIS RS 2020, 1454)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1454

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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