Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.08.2017, Az. B 9 SB 24/17 B

9. Senat | REWIS RS 2017, 6170

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Rückgriff auf Rentenbescheid über volle Erwerbsminderung nur bei ausreichenden GdB-spezifischen Feststellungen im Bescheid


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 19. Januar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung des Merkzeichens G.

2

Zuletzt stellte der Beklagte bei ihr - vor allem wegen einer psychischen Störung - einen GdB von 50 fest (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom 24.5.2012).

3

Ihre auf Feststellung eines GdB von 80 und Zuerkennung von Merkzeichen G gerichtete Klage hat die Klägerin insbesondere mit dem Ausmaß ihres seelischen Leidens begründet, das [X.] zu ihrer Berentung geführt habe. Das [X.] hat die Klage nach medizinischen Ermittlungen abgewiesen (Urteil vom [X.]).

4

Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das L[X.] hat ausgeführt, die psychischen Störungen der Klägerin seien mit einem Einzel-GdB von 40 bereits maximal bewertet. Sie erreichten noch nicht die Schwelle einer schweren psychischen Störung im Sinne der Versorgungsmedizinverordnung ([X.]). Ihre Auswirkungen seien daher nicht nach den für solche Störungen entwickelten Kriterien zu beurteilen (Urteil vom 19.1.2017).

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum B[X.] eingelegt. Das L[X.] habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt, sei von der Rechtsprechung des B[X.] abgewichen und habe bei der Beweiswürdigung Verfahrensfehler begangen.

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.) noch eine Divergenz (2.) oder eine grundsätzliche Bedeutung (3.) ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

7

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung dieses [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Daran fehlt es. Soweit die Beschwerde eine Überschreitung der Grenzen richterlicher Beweiswürdigung rügt, wendet sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des L[X.]. Dasselbe gilt für ihre Rüge, das L[X.] habe die ermittelten Beweisergebnisse nicht selber gewürdigt, sondern die Würdigung dem gerichtlich bestellten Sachverständigen übertragen. Beide [X.] sind unzulässig. Denn § 160 Abs 2 [X.] [X.]G entzieht die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. [X.] der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden ([X.] in: [X.]/[X.], [X.]G, 2014, § 160 RdNr 58 mwN).

8

2. Ebenso wenig dargelegt hat die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Derart bedeutsam ist ein Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) [X.]keit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl B[X.] SozR 3-1500 § 160a [X.] mwN).

9

Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie hält es für klärungsbedürftig,

        

ob schwere [X.] Anpassungsstörungen gemäß Definition des Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und [X.] stets schwere Störungen im Sinne von Teil [X.]. 3.7 Zeile 7 der Anlage zu § 2 [X.] mit beinhalten.

Indes hat sie nicht dargelegt, welchen Klärungsbedarf diese Frage aufwerfen sollte. [X.] ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die [X.]keit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher [X.] mit Wortlaut, Kontext und - falls erforderlich - der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen ([X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 2014, § 160a RdNr 50 mwN).

Daran fehlt es bei der Beschwerde. Das L[X.] ist in seinem Urteil davon ausgegangen, nur bei schweren Störungen iS von Teil [X.] 3.7 Anlage zu § 2 [X.] komme es darauf an, ob mittelgradige oder schwere [X.] Anpassungsstörungen vorlägen, während für geringgradigere Störungen eigene Beurteilungskriterien aufgeführt seien. Damit gibt das Berufungsgericht zutreffend den Beschluss des ärztlichen Sachverständigenbeirats vom [X.] wieder (vgl [X.][X.], [X.], Soziales Entschädigungsrecht und Sozialgesetzbücher, Stand Oktober 2015, Band [X.], [X.] zu Teil [X.] 3.7 Anlage zu § 2 [X.]), wie ihn auch der [X.] versteht (B[X.] Beschluss vom 3.3.2014 - B 9 V 51/13 B - Juris; ebenso [X.], Urteil vom [X.] - B 9 [X.] - Juris). Die Beschwerde führt nicht substantiiert aus, warum trotzdem weiterhin oder erneut der von ihr angenommene Klärungsbedarf bestehen sollte. Zwar wirft sie dem L[X.] vor, es verstehe den genannten Beschluss des Sachverständigenbeirats entgegen der zitierten [X.]srechtsprechung falsch und habe deshalb zu Unrecht das Vorliegen einer schweren Störung im genannten Sinne abgelehnt. Mit dieser Argumentation geht die Beschwerde aber zugleich davon aus, die von ihr aufgeworfene Frage ließe sich auf dem Boden der zitierten [X.]srechtsprechung zweifelsfrei beantworten. Damit hat sie aber keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf aufgezeigt, weil ein (behaupteter) [X.] des Berufungsgerichts im Einzelfall keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf begründen kann (vgl B[X.] SozR 1500 § 160a Nr 7).

Die Beschwerde hält es darüber hinaus für klärungsbedürftig,

        

ob gemäß Teil [X.]. 3.7 letzte Zeile der Anlage zu § 2 [X.] jedenfalls einem aus neurologischen oder psychischen Gründen wegen voller Erwerbsminderung im Sinne der Legaldefinition nach § 43 Abs 2 S 2 [X.]B VI unbefristet verrenteten Schwerbehinderten ein Grad der Behinderung von zumindest 80 zuzuerkennen ist.

Indes stellt diese Fragestellung zum einen wesentlich auf den Einzelfall der Klägerin ab. Sie lässt damit nicht mit genügender Deutlichkeit eine fallübergreifende, allgemeine Rechtsfrage erkennen. Unabhängig davon legt die Beschwerde auch die [X.]keit dieser Frage nicht hinreichend substantiiert dar, weil sie sich nicht mit der maßgeblichen und einschlägigen Entscheidung des [X.] auseinandersetzt. Wie der [X.] darin ausgeführt hat, steht ein bestimmter Grad der Behinderung mit der Frage, ob bei dem behinderten Menschen volle Erwerbsminderung besteht, in keinerlei Wechselwirkung, weil die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen völlig unterschiedlich sind (B[X.] Beschluss vom [X.] - B 9 SB 5/01 B - Juris). Die Frage nach dem Bestehen von Schwerbehinderung ist für die Feststellung der Erwerbsfähigkeit bzw vollen Erwerbsminderung auch nicht als Vorfrage entscheidungserheblich (B[X.] aaO unter Hinweis auf B[X.] Beschluss vom 9.12.1987 - [X.] 156/87 - Juris). Für die rentenversicherungsrechtlichen Tatbestände sind - nach bestimmten Maßgaben - die "konkreten" Erwerbsmöglichkeiten des Rentenversicherten maßgeblich. Es bleibt daher bei den die volle Erwerbsminderung betreffenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie den sie abschließenden Entscheidungen offen, welchen GdB im Sinne des Schwerbehindertengesetzes bzw des [X.]B IX ein Erwerbsunfähiger (bzw voll Erwerbsgeminderter) im Sinne des [X.]B VI aufweist. Die Frage nach der Schwerbehinderung beurteilt sich dagegen nicht nach den konkreten Erwerbsmöglichkeiten des Behinderten, sondern nach den abstrakten Maßstäben des § 69 Abs 1 S 5 [X.]B IX iVm § 30 Abs 1 [X.] und der [X.], die im Allgemeinen in einem gesonderten Verfahren von den zuständigen Behörden anzuwenden sind. Dieses Verfahren ist für die Feststellung der Behinderung und des GdB in aller Regel unentbehrlich (§ 69 Abs 1 S 1 [X.]B IX). Nur ausnahmsweise kann darauf verzichtet werden (§ 69 Abs 2 [X.]B IX). Voraussetzung dafür ist aber, dass nicht nur über das Vorliegen einer Behinderung, sondern auch über den Grad der auf ihr beruhenden Erwerbsminderung bereits auf die in § 69 Abs 2 S 1 [X.]B IX genannte Weise Feststellungen getroffen worden sind. Eine derartige Feststellung liegt, wenn der Rentenversicherungsträger lediglich volle Erwerbsminderung festgestellt hat, nicht vor. Es fehlt jede Möglichkeit, aus einem Rentenbescheid, mit dem das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung anerkannt wird, den für die Feststellung der Schwerbehinderung unerlässlichen maßgeblichen GdB herzuleiten. Allenfalls von der - allein nicht ausreichenden - Feststellung einer Behinderung könnte aufgrund eines derartigen Rentenbescheides möglicherweise ausgegangen werden (B[X.] aaO).

Warum entgegen diesen Ausführungen erneut grundsätzlicher Klärungsbedarf entstanden sein sollte, legt die Beschwerde nicht dar.

3. Die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) notwendigen Voraussetzungen legt die Klägerin ebenfalls nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des B[X.], des [X.] oder des [X.] andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB B[X.] Beschluss vom [X.] KR 31/09 B - RdNr 4; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] KR 26/10 B - RdNr 4; B[X.] Beschluss vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das L[X.] bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB B[X.] Beschluss vom 15.1.2007 - [X.] KR 149/06 B - RdNr 4; B[X.] SozR 3-1500 § 160 [X.]6 S 44 f mwN).

Der zur Begründung einer Divergenz erhobene Vorwurf der Beschwerde, das L[X.] habe die Normen der [X.] nicht im Lichte von § 69 [X.]B IX und Art 3 GG ausgelegt, enthält diese Darlegungen nicht. Vielmehr wendet sich die Beschwerde damit gegen die Rechtsanwendung des L[X.] im Einzelfall. Damit rügt sie der Sache nach nur einen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblichen [X.] (error in iudicando). Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des L[X.] im Einzelfall ist indes, wie ausgeführt, nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl B[X.] SozR 1500 § 160a Nr 7).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

Von einer weiteren Begründung sieht der [X.] ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 9 SB 24/17 B

24.08.2017

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Berlin, 26. Mai 2014, Az: S 199 SB 1353/12, Urteil

§ 69 Abs 2 S 1 SGB 9, § 69 Abs 1 S 1 SGB 9, § 43 Abs 2 S 2 SGB 6, § 2 VersMedV, Anlage Teil B Nr 3.7 VersMedV, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.08.2017, Az. B 9 SB 24/17 B (REWIS RS 2017, 6170)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 6170

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