Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.08.2023, Az. 1 StR 492/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 7902

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Gegenstand

Strafverurteilung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei u.a.: Anforderungen an ein "Sich-Verschaffen"


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 1. August 2022 im Ausspruch über die Einziehung dahin geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von insgesamt 17.425 Euro angeordnet wird.

2. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision des Angeklagten werden verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Der Staatskasse fallen die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zur Last; dies gilt nicht für die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten und Auslagen, die die Einziehung betreffen; diese trägt der Angeklagte.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in fünf Fällen und wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.862,50 Euro angeordnet. Von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

2

Der Angeklagte wendet sich mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts gegen das ihn verurteilende Erkenntnis. Die Staatsanwaltschaft greift mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision mit der Sachrüge die Strafzumessung und die Einziehungsentscheidung an. Sie erstrebt insoweit die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von weiteren 14.770 Euro.

3

Die Revision des Angeklagten hat keinen, die der Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich der Einziehung in Höhe von 13.562,50 Euro Erfolg.

[X.]

4

1. Nach den Feststellungen und Wertungen des [X.]s verkauften die früheren Mitangeklagten [X.]und [X.]unversteuerte, aus [X.] stammende Zigaretten in Kartons mit jeweils 50 Stangen zu je 20 Zigaretten zu Preisen zwischen 15,50 Euro und 18 Euro je Stange an den früheren Mitangeklagten [X.]    , ihren Hauptabnehmer. Dieser veräußerte die Zigaretten zu Preisen zwischen 16 Euro und 25 Euro je Stange weiter. Als sie [X.]     vorübergehend nicht mehr beliefern konnten, wandte sich dieser mit der Bitte um Unterstützung an den Angeklagten, der über Kontakte zu anderen Lieferanten verfügte. Der Angeklagte erwartete sich durch eigenen Abverkauf von unversteuerten Zigaretten oder durch die von [X.]     gezahlte Vermittlungsprovision in Höhe von 0,50 Euro je Stange eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer. Er nahm deshalb am 22. Oktober 2020 Kontakt zu dem Lieferanten      S.     auf.

5

Am 23. Oktober 2020 teilte [X.]    dem Angeklagten mit, er benötige für den Abverkauf zunächst mindestens einen Karton Zigaretten. Nachdem der Angeklagte die Lieferung durch Telefonate mit      S.     koordiniert hatte, übergab er [X.]     am 26. Oktober 2020 50 Stangen Zigaretten (Fall I[X.] 1.).

6

Aus Anlass einer weiteren Bestellung von [X.]     traf sich der Angeklagte am 3. November 2020 gegen 19.30 Uhr mit      S.     und übernahm mindestens 100 Stangen. Gegen 22.00 Uhr suchte er [X.]      auf und übergab sie diesem (Fall I[X.] 2.).

7

Am 6. November 2020 übernahm der Angeklagte von einem anderen Lieferanten 100 Stangen und lieferte sie an [X.]    aus (Fall I[X.] 3.).

8

Am Nachmittag des 26. November 2020 übernahm der Angeklagte von      S.     mindestens 150 Stangen. 50 Stangen händigte er [X.]     am Abend desselben Tages aus. 100 Stangen verkaufte er selbst an den Abnehmer V.     (Fall I[X.] 4.).

9

Auf Bitte von [X.]    vereinbarte der Angeklagte mit potentiellen weiteren Lieferanten ein Treffen, um mit ihnen den Ankauf unversteuerter Zigaretten durch [X.]     zu besprechen. An dem Treffen vom 20. Dezember 2020 nahmen der Angeklagte und [X.]    teil. Am 21. Dezember 2020 erhielt [X.]     1.250 Stangen, die er für mindestens 21 Euro je Stange an verschiedene Abnehmer verkaufte (Fall I[X.] 5.).

Am 27. Februar 2021 übernahm [X.]      mit Unterstützung des Angeklagten von dessen Lieferanten 2.500 Stangen zum gewinnbringenden Weiterverkauf (Fall I[X.] 6.).

Am 7. Juni 2021 bat [X.]     den Angeklagten telefonisch, für ihn erneut Kontakt zu Lieferanten herzustellen. Der Angeklagte holte mindestens 575 Stangen bei den Lieferanten ab und übergab sie [X.]     am 9. Juni 2021. [X.]     hatte mit seinem Abnehmer B.        einen Preis von 22 Euro je Stange vereinbart (Fall I[X.] 7.).

2. Zu den als gewerbsmäßige Steuerhehlerei abgeurteilten Fällen (I[X.] 1. bis 4. und I[X.] 7.) hat die [X.] festgestellt, dass sich der Angeklagte die insgesamt 975 Stangen unversteuerter Zigaretten selbst verschafft hat. Den Wert der von dem Angeklagten an den Abnehmer V.      veräußerten 100 Stangen (Fall I[X.] 4.) hat die [X.] gemäß § 73d Abs. 2 StGB auf 15,50 Euro je Stange geschätzt und 1.550 Euro eingezogen. In den Fällen I[X.] 1. bis 3. und I[X.] 7. sowie in Fall I[X.] 4. hinsichtlich der an [X.]     weitergegebenen 50 Stangen und in den als Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei abgeurteilten Fällen I[X.] 5. und I[X.] 6. hat die [X.] die von [X.]     an den Angeklagten bezahlte Provision von 2.312,50 Euro (4.625 Stangen zu 0,50 Euro je Stange) eingezogen. Insgesamt hat sie deshalb die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.862,50 Euro angeordnet.

Von der Anordnung der Einziehung des Wertes der an [X.]     übergebenen und von diesem weiterverkauften 875 Stangen Zigaretten hat die [X.], die insoweit die [X.] nicht aufgeklärt hat, abgesehen, weil der Angeklagte wirtschaftlich nicht dazu berechtigt gewesen sei, die Zigaretten auf eigene Rechnung zu veräußern.

I[X.] Revision des Angeklagten

Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

1. Der Schuldspruch hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Die [X.] hat den Angeklagten in den Fällen I[X.] 1. bis 4. und 7. zutreffend wegen täterschaftlich begangener gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in fünf Fällen gemäß § 374 Abs. 1, Abs. 2 [X.] verurteilt. Das Tatbestandsmerkmal des „[X.]“ (§ 374 Abs. 1 Variante 1 [X.]) setzt das [X.] eigener Verfügungsgewalt voraus ([X.], Beschluss vom 22. September 2022 – 1 [X.] Rn. 8 mwN). Eine solche hatte der Angeklagte. Er erwartete sich neben der Provision auch durch eigenen Abverkauf von unversteuerten Zigaretten eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer und nahm deshalb den Kontakt zu den Lieferanten auf. Er organisierte die Lieferung der Zigaretten an sich, übernahm sie zu einem nur ihm bekannten Zeitpunkt und Übergabeort und entschied darüber, ob er sie selbst an eigene Abnehmer weiterverkaufte und wann und in welcher Menge er Zigaretten an [X.]     weitergab. In Fall I[X.] 4. hat der Angeklagte aus der angelieferten Menge 100 Stangen an einen eigenen Abnehmer verkauft.

Der Angeklagte hat somit in diesen Fällen eigene Verfügungsgewalt über die an ihn gelieferten Zigaretten erlangt. Ob er sie entgegen der Abrede selbst veräußerte oder [X.]     übergab, ist ohne Belang.

2. Auch der Strafausspruch und die Einziehungsentscheidung weisen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Anordnung der Einziehung des Wertes der nicht mehr gegenständlich vorhandenen Provision in Höhe von 2.312,50 Euro (4.625 Stangen zu 0,50 Euro je Stange) stützt sich auf § 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB; denn die Provision hat der Angeklagte „für“ die Tat erlangt.

Soweit die [X.] den Wert der von dem Angeklagten an den Abnehmer V.      veräußerten 100 Stangen Zigaretten (Fall I[X.] 4.) gemäß § 73d Abs. 2 StGB auf 15,50 Euro je Stange geschätzt und 1.550 Euro eingezogen hat, handelt es sich insoweit um einen bei der Wertbestimmung anzusetzenden Mindestwert.

II[X.] Revision der Staatsanwaltschaft

Allein die Einziehung birgt Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten. Denn die Feststellungen belegen entgegen der rechtlichen Würdigung des [X.]s, das rechtsirrtümlich auf eine wirtschaftliche Berechtigung abgestellt hat, dass der Angeklagte in den Fällen I[X.] 1. bis 4. und 7. der Urteilsgründe insgesamt über die 975 Stangen mit unversteuerten Zigaretten eine eigene faktische Verfügungsgewalt erlangte. Zudem genügt die vorsichtige Schätzung eines Verkehrswertes von 15,50 Euro pro Stange (noch) den von § 73d Abs. 2 StGB gestellten Anforderungen und führt zu im Ergebnis nicht zu beanstandenden Mindestfeststellungen, die dem Senat eine abschließende Entscheidung ermöglichen (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend). Zu dem sich daraus ergebenden Betrag von 15.112,50 Euro ist die vom Angeklagten vereinnahmte Provision in Höhe von 2.312,50 Euro (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB) hinzuzurechnen.

[X.]     

      

Fischer     

      

[X.]

      

Bär     

      

Leplow     

      

Meta

1 StR 492/22

09.08.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 1. August 2022, Az: 9 KLs 10/22

§ 374 Abs 1 Alt 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.08.2023, Az. 1 StR 492/22 (REWIS RS 2023, 7902)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7902

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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09 KLs-6 Js 15/20-6/22 (Landgericht Bielefeld)


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1 StR 233/22

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